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Boston
Medical Library
8 THE FENWAT
Sitzungsberiolite
der
Physikalisch-medizinischen Sozietät
m
Erlangen
Redigiert von Oskar Scholz
39. Band
1907
-*4&*—
ERLANGEN
Kommissionsverlag von Max Mencke
1908
D2C29 1"19
U»'
Inhaltsyerzeichnls.
Geschäftliche Mitteilangen:
Stand der Mitglieder V
A. Ordentliche Mitglieder V
B. Ehrenmitglieder VII
C. Korrespondierende Mitglieder IX
Vorstand XI
Tanschverkehr XII
Eingelaufene Druckschriften
A. Im Tausch verkehr XII
B. Als Geschenk XXI
Verzeichnis der in den Sitzungen vom 1. Januar 1907 bis
31. Dezember 1907 gehaltenen Vorträge XXIII
Wissenschaftliche Mitteilungen aus den Sitzungen
und Abhandlungen 1
Inhaltsverzeichnis des wissenschaftlichen Teiles des
. 39. Bandes 561
stand der Mitglieder
am 31. Desember 1907.
51 ordentliche, 54 Ehren- und 78 korrespondierende
Mitglieder.
In der folgenden Liste stehün die Abkürzungen: O.M. für ordent-
liches Mitglied, EJf. für Ehrenmitgliedy K.M. für korrespondierendes
Mitglied. Die Jahreszahlen beziehen sich anf die Zeit der Ernennung.
A. Ordentliche Mitglieder*
Apitzsch, Dr. H., Assistent am pharmazeut.-chem. Institut, 1896.
Bever, Dr. G., Assistent an der Ohrenklinik, 1907.
Bischoff, Dr. 0., kgl. Bezirksarzt, 1893.
Busch, Dr. M., Prof. der Chemie, 1890.
Cuno, Dr. E., Assistent am physikalischen Institut, 1907.
Denker, Dr. A., Prof. der Ohren-, Nasen- und Kehlkopfheil-
kunde, 1903.
Fischer, Dr. 0., Prof. der Chemie, 1885.
Fleischmann, Dr. A., Prof. der Zoologie, 1886.
Friedheim, Dr. C, Prof. der Chemie in Bern, 1907.
Fritsch, Dr. 0., prakt. Arzt, 1888.
Fuchs, Dr. R. F., Privatdozent für Physiologie, 1901.
Gerlach, Dr. L., Prof. der Anatomie, 1874.
Gordan, Dr. P., Prof. der Mathematik, 1874.
Graser, Dr. E., Prof. der Chirurgie, 1884.
Gutbier, Dr. A., Prof. ftir Chemie, 1899.
Haffner, Dr. G., Gymnasiallehrer, 1906.
Hauck, Dr. L., Privatdozent für Haut- und Geschlechtskrank-
heiten, 1901.
Hauser, Dr. G., Prof. der patholog. Anatomie, 1881.
Heim, Dr. L., Prof. der Hygiene und Bakteriologie, 1897.
Heinz, Dr. R., Prof. ftir Pharmakologie, 1899.
Henrich, Dr. F., Prof. für Chemie, 1901.
Hermann, Dr. F., Prof. der Anatomie, 1884.
Hetzel, Dr. K., prakt. Arzt, 1898.
— VI —
Jamin, Dr. F., Prof. der inneren Medizin, der Kinderheilkunde
und der Pharmakologie, 1903.
Jordis, Dr. E., Prof. für Chemie, 1902.
Koeb erlin, Dr. H., Oberarzt an der Kreisirrenanstalt, 1885.
Königer, Dr. H., Privatdozent für innere Medizin, 1904.
Kreuter, Dr. E., Privatdozent für Chirurgie, 1905.
Kryger, Dr. M. v., Prof. der Chirurgie, 1898.
Lenk, Dr. H., Prof. der Geologie und Mineralogie, 1906.
Limpach, Dr. L., Hofapotheker, 1893.
Menge, Dr. K., Prof. der Geburtshttlfe und Gynäkologie, 1905.
Merkel, Dr. H., Privatdozent für patholog. Anatomie, 1903.
Nagel, Dr. M., Assistent an der Kinderklinik, 1907.
Noether, Dr. M., Prof der Mathematik, 1875.
Paal, Dr. K., Prof. der Chemie, 1887-
Penzoldt, Dr. F., Prof. der inneren Medizin, 1874.
Beiger, Dr. L., Prof. der Physik, 1902.
Römer, Dr. F., Assistent am ehemischen Laboratorium, 1907.
Rosenthal, Dr. I., Prof. der Physiologie, 1872.
Schleich, H. v., Hauptmann und k. Kämmerer, 1906.
Schulz, Dr. F. G., Geologe in Berlin, l907.
Schulz, Dr. 0., Prof. für Physiologie, 1888.
Solereder, Dr. H., Prof. der Botanik, 1900.
Specht, Dr. G., Prof. der Psychiatrie, 1891.
Spul er, Dr. A., Prof. für Anatomie, 1894.
Wehnelt, Dr. A., Prof. der Physik in Berlin, 1900.
Weichardt, Dr, W., Privatdozent f. experimentelle Therapie, 1905.
Wiedemann, Dr. E., Prof. der Physik, 1886.
Wttrschmidt, Dr. A., Direktor der Kreisirrenanstalt, 1898.
Zander, Dr. E., Privatdozent für Zoologie, 1904.
Eingetreten sind in der Zeit vom 1. Januar 1907 bis zum
31. Dezember 1907 die Herren
G. Bever, 0. de la Camp, E. Cuno, C. Friedheim,
B. Funccius, M. Nagel, F. Römer, F. C. Schulz.
Ausgetreten sind in derselben Zeit die Herren
F. Bartel, L. Birckenbach, 0. de la Camp, B. Funccius,
H. Schulze.
— vn —
B. Ehrenmitglieder.
Ihre Königliche Hoheit Dr. Therese Prinzessin von Bayern, 1903.
Seine Königliche Hoheit Dr. Karl Theodor Herzog in
Bayern, 1888.
Arrhenius, Dr. Swante, Prof. der Physik, Stockholm, KM.
1895, E.M. 1904
Baeyer, Dr. A. v., Prof. der Chemie, München, 1883.
Branca, Dr. W. v., Prof. der Geologie, Berlin, 1903.
Bütschli, Dr. 0., Prof. der Zoologie, Heidelberg, K.M. 1897,
E.M. 1899.
Ehlers, Dr. E., Prof. der Zoologie, Göttingen, O.M. 1869, E.M. 1874.
Engelmann, Dr. Th. W., Prof. der Physiologie, Berlin, K.M. 1899,
E.M. 1903.
Eversbnsch, Dr. 0., Prof. der Augenheilkunde, München,
O.M. 1886, EM. 1901.
Exner, Dr. S., Prof. der Physiologie, Wien, K.M. 1901, E.M. 1903.
Fischer, Dr. E., Prof. der Chemie, Berlin, O.M. 1882, K.M. 1886,
E.M. 1895.
Goebel, Dr. K., Prof. der Botanik, München, K.M. 1901, EM. 1903.
Golgi, Dr. C, Prof. der allgemeinen Pathologie, Pavia, K.M. 1895,
E,M. 1903.
Groth, Dr. P., Prof. der Mineralogie, München, K.M. 1888,
E.M. 1903.
Haeckel, Dr. E., Exzellenz, Prof. der Zoologie, Jena, 1903.
Hensen, Dr. V., Prof. der Physiologie, Kiel, 1901.
Hering, Dr. E., Prof. der Physiologie, Leipzig, K.M. 1897,
E.M. 1903.
Hertwig, Dr. 0., Prof. der Anatomie, Berlin, K.M. 1889, E.M. 1899.
Hoff, Dr. J. H. van't, Prof. der Chemie, Berlin, 1902.
Jordan, Dr. Camille, Prof. der Mathematik, Paris, 1897.
Kohlrausch, Dr. F., Prof. der Physik, Präsident der physikalisch -
technischen Reichsanstalt a. D., Marburg i/H., K.M. 1883,
E.M. 1896.
Klein, Dr. F., Prof. der Mathematik, Göttingen, O.M. 1872,
E.M. 1875.
]^och, Dr. R., Exzellenz, Prof. der Hygiene, Berlin, K.M. 1883,
E.M. 1895.
Königsberger, Dr. L., Prof. der Mathematik, Heidelberg, 1904.
Leber, Dr. Th., Prof. der Augenheilkunde, Heidelberg, 1899.
Lenbe, Dr. W. v., Prof. der Medizin, Würzburg, O.M. 18G8,
E.M. 1886.
— VIII -
Leyden, Dr. E. v., Exzellenz, Prof. der Medizin, Berlin, 1902.
Lißter, Dr. Lord J., Prof. der Chirurgie, London, 1883.
Michel, Dr. J. v., Prof. der Augenheilkunde, Berlin, O.M. 1873,
K.M. 1878, E.M. 1895.
Neumayer, Dr. G. v., Exzellenz, Neustadt i. Pf., 1906.
Ostwald, Dr. W., Prof. der physikal. Chemie, Leipzig, K.M. 1895,
E.M. 1897.
Pfeffer, Dr. W., Prof. der Botanik, Leipzig, 1901.
Picard, Dr. E., M. de Tlustitut, Paris, 1904.
Ramsay, Dr. W., Prof. der Chemie, London, 1903
Recklinghausen, Dr. F. v., Prof. der path. Anatomie, Straß-
burg i. E., 1896.
Retzius, Dr. 6., Prof. der Anatomie, Stockholm, K.M. 1895,
E.M. 1901.
Rindfleisch, Dr. 6.E. v., Prof. der path, Anatomie, Würzburg,
K.M. 1883, E.M. 1899.
Röntgen, Dr. C. v., Prof. der Phygik, München, K.M. 1889,
E.M. 1897.
Sattler, Dr. H., Prof. der Augenheilkunde, Leipzig, O.M. 1879,
KM. 1886, E.M. 1895.
Sämisch, Dr. 0., Prof. der Augenheilkunde, Bonn, K.M. 1887,
E.M. 1899.
Schuster, Dr. A., Prof. der Physik, Manchester, 1903.
Schwendener, Dr. S., Prof. der Botanik, Berlin, 1901.
Strasburger, Dr. E, Prof. der Botanik, Bonn, K.M. 1883,
E.M. 1903.
Strümpell, Dr. A. v., Prof. der Medizin, Breslau, O.M. 1886,
E.M. 1904.
Thomson, Dr. J. J., Prof. der Physik, Cambridge, 1903.
Voit, Dr. C. V., Prof. der Physiologie, München, K.M. 1863,
E.M. 1883.
Volhard, Dr. J., Prof. der Chemie, Halle a.S., O.M. 1879, K.M.
1882, E.M. 1904.
Waldcyer, Dr. W., Prof. der Anatomie, Berlin, 1897.
Weber, Dr. IT., Prof. der Physik, Braunschweig, 1899.
Weber, Dr. II., Prof. der Mathematik, Straßburg i. E., 1900.
Weismann, Dr, A., Exzellenz, Prof. der Zoologie, Freiburg i. Br.,
1897.
Zehender, Dr. W. v., Prof. der Augenheilkunde* Eutin, 1899.
Zeuthen, Dr. H. G., Prof. der Mathematik, Kopenhagen,
1901.
— IX —
Zweifel, Dr. P., Prof. der Gynäkologie, Leipzig, O.M. 1876,
E.M. 1887.
Die Gesellschaft verlor durch Tod ihre Ehrenmitglieder
M. Berthelot, H. Moissan, A. v. Rothmund, Sir W.
Thomson Lord Kelvin.
C. Korrespondierende Mitglieder.
A r n 0 1 d , Dr. J., Exzellenz, Prof. de" path. Anatomie, Heidelberg, 1896.
Au wer 8, Dr. K., Prof. der Chemie, Greifswald, 1897.
Bäumler, Dr. Ch., Prof. der Medizin, Freiburg i. Br., O.M. 1872,
K.M. 1874.
Bertoni, Dr. G., Prof, der Chemie, Livomo, 1895.
Blanckenhorn, Dr. M., Halensee-Berlin, O.M. 1890, K. M. 1903.
Bokorny, Dr. Th., Gymnasial-Prof., München, O.M. 1888, K.M. 1896.
Boström, Dr. E., Prof. der path. Anatomie, Gießen, O.M. 1879,
K.M. 1881.
Brill, Dr. A. v., Prof der Mathematik, Tübingen, 1894.
Buchner, Dr. Ed., Prof. der Chemie, Berlin, 1897.
Chiari, Dr H., Prof der path. Anatomie, Straliburg i. E., 1897.
Curtius, Dr Th., Prof der Chemie, Heidelberg, O.M. 1886,
K.M. 1896.
D6j6rine, Dr J., Prof , M^decin de l'hospice deBicetre, Paris, 1895.
Delpino, Dr. F., Prof. der Botanik, Neapel, 1875.
Duncan, Dr M., Prof der Gynäkologie, London, 1883.
Ebert, Dr. H., Prof. der Physik, München, O.M. 1887, K.M. 1894.
Eberth, Dr C, Prof der path. Anatomie, Halle a. S., 1895.
Ebner, Dr. V. v., Prof der Histologie, Wien, 1901.
Elster, Dr. H., Prof der Physik, Wolfenbüttel, 1903.
Eiterlein, Dr. A. v., Exzellenz, kais. ottoman. Unterstaats-
sekretär, Konstantinopel, O.M. 1895, K.M. 1900.
Engler, Cr. A., Prof. der Botanik, Berlin, 1902.
Filehne, Dr W., Prof der Pharmakologie, Breslau, O.M. 1874,
K.M. 1886.
Fittig, Dr. K., Prof. der Chemie, StraUburg i. E., 1888.
Fester, Dr B., Prof. der Medizin, Birmingham, 1866.
Frommel, Dr. ß., Prof. der Gynäkologie, München, O.M. 1887,
K.M. 1901.
Geitel, Dr. 0., Prof der Physik, Wolfenbüttel, 1903.
Günther, Dr, S., Prof. der Geographie, München, O.M. 1873,
K.M, 1874,
— X —
Hadamard; Dr. J., Prof der Mathematik, Paris, 1899.
Hansen, Dr. A., Prof der Botanik, Gießen, O.M. 1879, K.M. 1882.
Hantzßch, Dr. A., Prof der Chemie, Leipzig 1901.
Heller, Dr. A., Prof. der path. Anatomie, Kiel, O.M. 1869,
K.M. 1872.
Hertwig, Dr. B., Prof der Zoologie, München, 1889.
Hubert, Dr. D., Prof. der Mathematik, Göttingen, 1899.
Horsley, Dr. V., Prof. der Chirurgie, F. R. S., London, 1901.
Hubrecht, Dr A., Prof der Zoologie, Utrecht, O.M. 1874,
K.M. 1875.
Karrer, Dr. F., Direktor der Irrenanstalt Klingenmünster, O.M.
1872, K.M. 1883.
Knoblauch, Dr. 0., Prof der Physik, München, O.M. 1889,
K.M. 1896.
Knorr, Dr. L., Prof. der Chemie, Jena, O.M. 1883, K.M. 1886.
Kollmann, Dr J., Prof. der Anatomie, Basel, 1897.
Kossei, Dr. A., Prof. der Physiologie, Heidelberg, 1903.
Krause, Dr. W., Prof. der Anatomie, Berlin, 1861.
Kries, Dr. J. v., Prof. der Physiologie, Freiburg i. Br., 1889.
Lupine, Dr. Prof. der Medizin, Lyon, 1888.
Lieben, Dr. A., Prof der Chemie, Wien, 1870.
Limpricht, Dr H., Prof. der Chemie, Greifswald, 1856.
Luciani, Dr. L., Prof. der Physiologie, Rom, 1895.
Lttroth, Dr. J., Prof. der Mathematik, Freiburg i. Br., 1883.
Marchand, Dr. F., Prof. der path. Anatomie, Leipzig, 1896.
Meyer, Dr. E. v., Prof der Chemie, Dresden, 1897.
Mosso, Dr A , Prof. der Physiologie, Turin, 1895.
Munk, Dr. Herm., Prof der Physiologie, Berlin, 1897.
Müller, Dr. W.,Prof d.path. Anatomie, Jena, O.M. 1856, K.M. 1861.
Nernst, Dr. W., Prof. der physikal. Chemie, Berlin, 1897.
Öbbeke, Dr. K, Prof. der Mineralogie, München, O.M. 1887,
K.M. 1896.
Orth, Dr. J., Prof. der path. Anatomie, Berlin 1897.
Ost, Dr. H., Prof. der Chemie, Hannover, 1889.
Ou de maus, Dr. C. A. J. A., Prof. der Botanik, Amsterdam, 1861.
Planck, Dr. M., Prof. der Physik, Berlin, 1897.
Prym, Dr. F., Prof. der Mathematik, WUrzburg, 1883.
Radlkofer, Dr. L., Prof der Botanik, München, 1901.
Raymond, Dr. F., Prof, Medecin de la Salpetrifere, Piiris, 1895.
Röhrlng, Oberstabsarzt a. D., Nürnberg, O.M. 1886, K.M. 1896.
Sarasin, Dr. Ed., Grand Sacounet, Genf, 1896.
— XI -
Schmidt, Dr G. C, Prof. der Physik, Münster i. W., O.M. 1893,
K.M. 1900.
Schwalbe, Dr. G., Prof der Anatomie, Straßburg i. E., 1886.
Scbweinfurth, Dr. 6., Kairo, 1865.
Segre, Dr, C, Prof. der Mathematik, Turin, 1901.
Simon, Dr. H.Th., Prof derPhysik, Göttingen, O.M.1894,K.M, 1899.
Steiner, Dr. J., Prof., prakt. Arzt, Cöln, O.M. 1876, K.M. 1879.
Stintzing, Dr E., Prof. der Medizin, Jena, 1899.
Tafel, Dr. J., Prof. der Chemie, Würzburg. O.M. 1884, K.M. 1902.
Thiele, Dr. J., Prof der Chemie, Straßburg i. E., 1897.
Uhthoff, Dr. W., Prof. der Augenheilkunde, Breslau, 1899.
Vongerichten, Dr. E., Prof der Chemie, Jena, O.M. 1873,
K.M. 1883.
Wegsc heider, Dr. R., Prof. der Chemie, Wien, 1902.
Weyl, Dr. Th., Privatdozent, Berlin-Charlottenburg, O.M. 1879,
K.M. 1883.
Wiedersheim, Dr. R., Prof der Anatomie, Freiburg i. Br., 1899.
Wislicenus, Dr. W., Prof. der Chemie, Tübingen, 1897.
Zunlz, Dr. N., Prof der Physiologie, Berlin, 1897.
Die Gesellschaft verlor durch den Tod ihre korrespondierenden
Mitglieder H. Hoyer, H. Ullrich.
Vorstand.
Vom 13. Mai 1907 an bestand der Vorstand aus den Herren
Rosenthal, I., I. Vorsitzender,
Wiedemann, E., IL Vorsitzender,
Schulz, 0., Redakteur der Berichte,
Gutbier, A, I. Schriftführer,
Ja min, F., II. Schriftführer,
Limpach, L, Rechnungsführer.
- XII —
TauschTerkehr.
Za den GesellscbafteD, mit denen die Sozietät in Taaschyer-
kehr steht, sind im Laufe des Jahres 1907 hinzugetreten:
St. Petersburg: Russische Phjsiko-chemische Gesell-
schaft; Physikalische Sektion.
Galcutta: Asiatie Society of Bengal.
Zusendungen von Bächern etc. für die Gesell-
schaft wolle man direkt an die Physikalisch-medi-
zinische Sozietät in Erlangen richten, die, sofern
nicht besondere Empfangsanzeige verlangt wird, für ein-
gegangene Schriften nur in dem folgenden Verzeich-
nisse dankt.
Verzeichnis
der vom 1. Januar bis 81. Desember 1907 eingelaufenen
Druckschriften.
A. Im TauschTerkehr.
Amsterdam, Koninklijke Akademie vanWetenschappen: Jaarboek 1906.
— Verslag van de gewone Vergaderingen der wis- en
natuurk. Afd. Letterkunde 8, 1907. — Rufius Grispinus.
Carmen 1907.
ArcachoD, Soci^tä scientifique et Station zoologique: Travaux 9, 1906.
Augsburg, Naturhistorischer Verein für Schwaben u. Neuburg: Bericht 37.
Aussig, Naturwissenschaftlicher Verein: Bericht.
Baltimore, American Chemical Journal 36 (1906), Nr. 1—6. 87 (1907),
Nr. 1-6. 38 (1907), Nr. 1-5.
— John Hopkins University, Biological Laboratory : Memoirs. —
Circular.
Bambergs Naturforschende Gesellschaft: Beiicht 19. 20.
Basel, Naturforschende Gesellschaft : Verhandlungen 19(1907), Nr. 1.2.
Bat a via, Natuurkundig Vereeniging in Nederl.-Ind'ie : T^dschrift 66.
Bautzen, Naturwissenschaftliche Gesellschaft Isis: Sitzungsberichte und
Abhandlungen.
Bergen, Bergens Museum: Aarbog 1906, 8. 1907, 1. 2. — Aarsberetning
for 1906. — Sars, G. 0.: An Account of the Crustacea of
Norway V, 17—20. — Meeresfauna von Bergen.
Berkeley, University of California: Announcement of Publications. —
Publications. Pathology 1 (1907), Nr. 8. 9. — Physiology
3 (1907), Nr. 8. 9.
Berlin, Akademie der Wissenschaften : Sitzungsberichte 1907, Nr. 1—63.
— Botanischer Verein der Provi^iz Brandenburg: Verhandlungen
48 (1906).
- xni —
Berlin, Deutsche ehem. Gesellschaft: Berichte 40 (1907), Nr. 1—18.
— Geol. Landesanstalt und Bergakademie: Jahrbuch 24, 1903.
— Verein ftir innere Medisin: Verhandlungen.
— Medizinische Gesellschaft: Verhandlungen 37. 38.
— Gesellschaft naturforschender Freunde: Sitzungsberichte.
— Deutsche Physikalische Gesellschaft: Berichte 5 (1907),
Nr. 1—24; enthaltend: Verhandlungen 9, 1907, Nr. 1—24
und Literaturverzeichnis 6, 1907, Nr. 1—24.
Bern, Naturforschende Gesellschaft: Mitteilungen 1609—1628.
Bonn, Naturhistorischer Verein für die preußischen Rheinlande und West-
falen: Verhandlungen 63, 2. 64, 1. — Sitzungsberichte 1906,
Nr. 2.
Bordeaux, Soci^tö des Sciences physiques et naturelles: M^moires. —
Observations plumomötriques et thermomötriques 190.5/06. —
Procös-Verbaux 1905/06.
Boston, American Academy of Arts and Sciences: Proceedings 43,
Nr. 1-11.
— Society of Natural History: Proceedings 38 (1906), Nr. 3—9.
— Naturalist vde: Salem.
Brannschweig, Verein für Naturwissenschaften: Jahresbericht
Bremen, Naturwissenschaftlicher Verein: Abhandlungen XIX, 1.
Breslau, Schlesische Gesellschaft fßr vaterlftudische Kultur: Jahres-
bericht 84, 1906 u. Erg.-Heft.
Brooklyn, The Museum of the Brooklyn Institute of Arts and Sciences.
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der meteorologischen Kommission 24 (1904).
Brfissel, Acadämio Royale de Mödecine de Belgique: Bulletin S6r. IV,
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— Aoad^mie Royale des Sciences, des Lettres et des Beanx-
Arts de Belgique : Annuaire 1907. — Mömoires de la Glasse des
Sciences in 8«: 2 (1907), Nr. 1. 2; in 4»: l,Nr. 8. 4. — Bulletin
1906, Nr. 11. 12 (1907), Nr. 1—8.
— Sooiötö Entomologique de Belgique: Annales 50 (1906).
Sociät^ Royale de Botanique de Belgique : Bulletin 43 (1906/07),
Nr. 1—3.
— Soci^tö Beige de Geologie, de Paläontologie et d'Hydrologie:
Procös-Verbaux 20 (1906), Nr. 3—6. — Bulletin: M6moires
21 (1907), Nr. 1. 2. - Proc6s-Verbaux 21 (1907), Nr. 1—7.
Budapest, Ungarische Akademie der Wissenschaften: Mathematische
und Naturwissenschaftliche Berichte aus Ungarn 23 (1905). —
Ertekez^sek a termöszettudom&nyok kdreböl. — l^rtekezösek
a mathematikai tudominyok köreböl. — Mathematikai 68
termöszettudomänyi l^rtesitö 24 (1906), Nr. 3—5. 25 (1907),
Nr. 1. — Rapport 1906.
BuenosAires, Museo Nacional : Anales Ser. III, t. 6. 7. — Comunicaciones.
- XIV -
Baenos Aires, Ministerio de agricultura. Secciön de zootecnia, bacterio-
logla, veterinaria y zoologfa: Anales.
— Deutscher Wissenschaf tlicber Verein: Veröffentlichungen. —
Stöpel, K. Th.: Eine Reise in das Innere der Insel Forroosa
und die erste Besteigung des Niitakayama '(Monnt Morrison)'.
Weihnachten 1898. Buenos Aires 1905.
Bukarest, Societatii de Sciinte Fizice: Buletinul 15 (1906), Nr. 5. 6.
16 (1907). Nr. 1—4.
Calcutta, Asiatic Society of Bengali Journal & Proceedings 1906: If,
1—10. 1907: III, 1. — Memoirs V, 1, 1906: Nr. 1-19.
Sppl. 1906.
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Cherbourg, Society Nationale des Sciences Naturelles et Mathömatiques:
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C h r i s t i a n i a , Kgl. Universität : Norges officielle Statistik.
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Juli— Dez. 1907: Jan.— Juni.
Dublin, Royal Dublin Society: The economic Proceedings I, 9—11. —
The 8cientificProoeed{ng8XI,13— 20. — Tran8aotionsIX,4— 6.
— Royal Irish Academy : Proceedings Sect. A. vol. 26, 2. 27, 1—7.
Sect. B vol. 26, 7—10. — Transactions. Sect. B 33. Tit. u. Inh.
D ti r k h e i m , Pollichia : Mitteilungen 22. — Zwick, Hermann : Gnmdlagen
einer Stabilitätstheorie fttrpassiv6Flngapparate'(Gleitflieger)*
und für Drachenflieger ; die Hauptbedingnngen der Stabilität
DUrkheim 1907.
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ratory.
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— Physioal Society: Proceedings.
— Royal Society : Proceedings 26, 6. 27, 1—5. — Transactions
45, 1. 2.
E 1 b er f e 1 d , Naturwissenschaftlicher Verein : Jahresbericht.
Emden, Naturforsch. Gesellschaft: Jahresbericht 90. 91. — Schriften.
Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale: BoUettino delle pubblicazioni
italiane Nr. 75—84.
- XV -
Florenz, Istituto di Studi Saperiori: PabbHcazioni. — Sezione di med. e
Chirurg. — Sex. di scienze fia. e natnrali.
— SocietA Botanica Itallana: Ballettino.
Frankfurt a. M., Ärztlicher Verein: Jahresbericht über die Verwaltung
des Medizinalwesens, die Krankenanstalten und die öffent-
lichen Gesundheits Verhältnisse der Stadt Frankfurt a. M
48, 1904. — Tabellarische Übersiebten betreffend den Zivil-
stand der Stadt Frankfurt a. M.
— Senckenbergische Natnrforsch. Gei^ellschaft: Bericht 1907.
— Abhandlangen. 29, 2. — Benutznngs-Ordnung für die
Senckenbergische Bibliothek 1907. — Festschrift zur Er-
innernng an die Eröffnung des neuerbanten Museums der
Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft zu Frank-
furt a. M. am 13. Okt. 1907.
— Physikalischer Verein: Jahresbericht 1905/06.
Frankfurt a. 0., Naturwissenschaftlicher Verein: Helios. Abhand-
lungen und Mitteilungen aus dem Gesamtgebiete der
Naturwissenschaften. — Societatum Litterae.
Frauenfeld, Thurgauische Naturforschende Gesellschaft: Mitteilungen.
Fr ei bürg i. B., Naturforschende Gesellschaft: Berichte.
Fulda, Verein f. Naturkunde: Bericht.
St Gallen, Naturwissenschaftliche Gesellschaft: Jahrbuch: 190C.
Genf, Soci^tö dePhysique et d'Histoire Naturelle : Compte rendu 28 (1906).
Gent, Kruidkundig Genootschap Dodonaea: Jaarboek.
Genua, Accademia Medica: Bollettino.
— Museo Civico di Storia Naturale: Annali S. III, 2.
Gießen, Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde: Bericht
Medizin. Abt. 1, 1906. 2, 1907. Naturwiss. Abt 1, 1904/06.
Görlitz, Naturforschende Gesellschaft: Abhandlungen 25 (1906), 2.
Göteborg, Kgl. Vetenskaps- och Yitterhets Sambälles: Handlingar.
Gottingen, Gesellsch. der Wissenschaften : Nachrichten, Math.-pbys. Kl.
1907, Nr. 1—4. — Geschäftliche Mitteilungen 1906, Nr. 2.
1907, Nr. 1.
Graz, Verein der Ärzte in Steiermark: Mitteilungen 44 (1907), Nr.l— 12.
— Naturwissenschaftlicher Verein für Steiermark : Mitteilungen.
Greifswald, Naturwissenschaft]. Verein für Neu- Vorpommern und
Rügen: Mitteilungen 37. 38.
Haarlem, Mus^e Teyler: ArchivesS^r. II, Vol. 10, Nr. 4. vol. 11, Nr. 1.
Halifax, New Seotian Institute of Science: Proceedings andTransactions
XI, 2.
Halle a. S., Raiserl. Leopoldino-Carolinische Deutsche Akademie der
Naturforscher: Leopoldina 43 (1907), Nr. 1-12.
— Naturforschende Gesellschaft: Bericht
^ Naturwissenschaftlicher Verein für Sachsen und Thüringen:
Zeitschrift fUr Naturwissenschaften 78, Nr. 6. 79, Nr. 1—6.
Hamburg, Naturwissenschaftlicher Verein in Harn bürg- Altena: Ver-
~ XVI -
handlungen III. Folge, 14. — Abhandlungen XIX, 1. 2.
Hamburg, Verein fttr naturwissenschaftl. Unterhaltang: Verhandlungen
13 (1905-07).
Hanau, Wetterauische Gesellschaft für die gesamte Naturkunde: Bericht.
Hannover, Naturhistorische Gesellschaft: Jahresbericht.
Heidelberg, Natnrhistorisch-Medizinischer Verein: Verhandlungen N.
F. VIII, 8. 4.
Helsingfors, Societas pro Fauna et Flora Fennica: Acta 27. 28. —
Meddelanden. — Herbarium Mnsei Fennici Meddelanden.
— Societas Scientiamm Fennica: Acta. — Bidrag tili kännedom
of Finlands Natur och Folk. — Öfversigt. — Obseryat.
publikes par Tlnstitut mötöorlogiqne central. — Observations
mötöorol. p. p. rinstitut mötöorol. central. — Exploration
Internat, des rögions polaires 1882/84. — Expedition pol.
finlandaise III. — l^tat des glaces et des neiges 1895/96.
Helsingfors, Sociötö Finlandaise de g^ographie: Meddelanden.
Jekaterinb urg, Soci^tö Ouralienne de Mödecine: M^moires 15.
Innsbruck, Naturwissenschaftlich-Medizin. Verein: Berichte 30 (1905/07).
Jurjew, Naturforschende Gesellschaft: Archiv fttr die Naturkunde Liv.,
Esth- u. Kurlands. — Sitzungsberichte XV, 2-4. XVI, 1.
Schriften.
Karlsruhe, Naturwissenschaftlicher Verein: Verhandlungen.
Kasan, Sociöt^ Physico-Mathömatique : Bulletin Ser. II, T. 15, 3.
Kassel, Verein für Naturkunde: Abhandlungen und Berichte 51.
Kiel, Naturwissenschaftlicher Verein in Schleswig- Holstein: Schriften
xm, 2.
Kiew, Soci^tö des Naturalistes : M^moires 20, 2.
Klausen bürg (KolozsvÄr), Siebenbilrgischer Museumsverein: Sitzungs-
berichte.
Königsberg i. Pr., Physikalisch- Ökonomische Gesellschaft: Schriften
47 (1906).
Kopenhagen, K. Danske VidenscabemesSelskab: Oversigt 1906, Nr. 6.
1907, Nr. 1—4.
— Naturhistorisk Forening: Meddelelser.
— Medicinske Selskab: Forhandlinger 1906/07.
La Haye, Soci^tö Hollandaise des Sciences: Archives Nöerlandaises
des Sciences exactes et naturelles Ser. II. 12, Nr. 1—5. m.
Progr. 1907.
Lancaster&Ne w- Y o r k, American Mathematical Society : Bulletin S£r. 2
vol. XIII, 5—10. XIV, 1—5. Register 1007.
Landshut, Botanischer Verein: Bericht.
La PI ata, Facultad de Agronomia y Veterinaria: Revista Epoca II, 2,
Tomo II, Nr. 4—6.
Lausanne, Soci6t6 Vaudoisedes Sciences Naturelles: Bulletin 157—160.
— Procfes-Verb. zu vol. 43. pag. I— LVIIL — Observations
- XVII -
m^t^orologiqnes faites k 1a Station m^töorologiqne du
Champ de-FAir. Institute agricole de Lausanne 1906.
Lawrence, Kansas University: Science Bulletin IV, 1—6. — Bulletin,
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Survey, The University Geological, of Kansas: VIII, 1904.
Leipzig, Jablonowskische Gesellschaft: Jahresbericht 1907.
— Natnrforschende Geaellschaft: Sitzungsberichte 83.
— Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften, Mathematisch-
Physikal. Klasse: Berichte 1906, Nr. 6-8. 1907, Nr. 1—8.
— Medizinische Gesellschaft: Berichte. — Verhandlungen 1906.
Linz, Museum Francisco -Garolinnm: Jahresbericht 6ö, 1907 nebst
den Beiträgen zur Landeskunde von Österreich o. d. Enns.
Liefrg. 59.
London, Nature Nr. 1946—1999.
— Hathematical Society : Proceedings Ser. II. vol. IV, 7. vol. V,
1—7, vol. VI, 1. — List of Members 1907/08.
— Royal Society: Proceedings Series A: 527— 584. Series
B: 528—535. — Transactions Ser. A, vol. 207, p. 1—544.
Ser. B, vol. 199, p. 31—392. — List of Members. — Year-
Book. — Record. — Reports to the Malaria Committee.
— Reports to the Evolution Committee. — Obituary notices
of fellows of the Royal Soc. — Reports of the Sleeping
Sickness Gommission. — Reports of the Commission for
investigation of mediterranean fever 5—7.
Lüneburg, Naturwissenschaftlicher Verein für das Fürstentum Lüneburg :
Jahreshefte 7 (1905-07).
Lttttich, Soci6t6 Royale des Sciences de Li6ge: Mömoires 7.
Luxemburg, Institut Grand Ducal, Section des Sciences natur., phys. et
mathöm.: Publications. — Archives trimestrielles 1906, 3. 4.
— Soci^tö Botanique du Grand-Duchö de Luxembourg: Kecueil.
Luzern, Naturforsehende Gesellschaft: Mitteilungen 5, 1907.
Madison (Wisc), Wisconsin Academy of Sciences, Arts and Letters:
Transactions 15 (1904), Nr. 1.
— Wisconsin Geological and Natural History Survey: Bulletin.
Magdeburg, Naturwissenschaftlicher Verein: Jahresbericht und Ab-
handlungen.
Mailand, Reale Istitnto Lombardo di Scienze e Lettere: Rendiconti 39
(1906), Nr. 17-20. 40 (1907), Nr. 1-16.
— Societ4 Italiana di Scienze Naturali: Atti 45, 8. 4. 46, 1. 2.
— Memorie. — Elenco dei soci Istituti scientifici corre-
spondenti. Indice generale. 1906.
Manchester, The Manchester Literary & Philosophical Society: Me-
moire and proceedings 51 (1906/07), Nr. 2. 3. 52(1907/08), Nr.l,
Marburg, Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Naturwissen-
schaften: Sitzungsberichte 1906. 1907.
Marseille, Facult^ des Sciences: Annales.
— XVIII -
Melbourne, Royal Geographical Society of Australasta: Transactions.
Meriden, Scientific Association: Transactions.
Mexico, Instituto geolögico de M6xico: Boletin 22. 24. — Parergoues.
Milwaukee (Wisc), Public Museum of the City: Report 25 (1906/07).
— Natural History Society: Bulletin 5 (1907), Nr. 1—3.
Minneapolis, Geological and Natural Survey of Minnesota: Bulletin. —
Report.
Missoula (Montana): Bulletin of the University of Montana. Biological
Ser. 13. — Geological Ser. 2. — Annual Report 1905/06. —
AnnouDcement for 1907. — Register 1905/06. 1906/07.
Montevideo, Museo Nacional: Anales. — Seccion histörico filosöfica.
Moskau, Sociöt^ Imperiale des Naturalistes: Bulletin 1905, Nr. 4. 1906,
Nr. 1-4.
München, Gesellschaft für Morphologie und Physiologie: Sitzungs>
berichte 22. 23, 1.
— Ärztlicher Verein: Sitzungsberichte 16 (1906).
— Wochenschrift für Tierheilkunde und Viehzucht.
— Deutsche Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Ur-
geschichte: Korrespondenzblatt 38 (1907), Nr. 1—12.
— Ornithologischer Verein: Verhandlungen der Ornitholog.
Gesellschaft in Bayern 6. 7.
Münster i. W., Westfäl. Provinzial- Verein für Wissenschaft und Kunst:
Jahresbericht.
Neapel, Accademia dclle Bcienze Fisiche e Matematiche (Sezione della
Societä Reale di Napoli): Rendiconto 45 (Ser. III» vol. 12),
Nr. 9—12. 46 (Ser. III» vol. 13), Nr. 1—7.
— Annali di Nevrologia 24 (1906), Nr. 5. 6. 25 (1907), Nr. 1—3.
— Zoologische Station: Mitteilungen 18, Nr. 2 — 4.
— II Tommasi. Giornale di Biologia e di Medicina 2 (1907), Nr. 8.
Neuchätcl: Sociöt6 des Sciences Naturelles: Bulletin.
New York, Academy of Sciences: Annais. — Memoirs. — Transactions.
— siehe Lancaster.
N ürnb erg, Medizinische Gesellschaft u, Poliklinik: Jahresbericht 1906. —
Sitzungsberichte 1906.
— Naturhistorische Gesellschaft: Abhandlungen XVI, XVil.
— Ärztlicher Lokalverein: Sitzungsberichte 1906.
— Germanisches Nationalmuseum: Anzeiger 1906, Nr. 1—4. —
Mitteilungen.
Odessa, Sociät6 des Naturalistes de la Nouvelle Russie: Mömoires.
Offenbach, Verein für Naturkunde: Bericht.
Osnabrück, Naturwissenschaftlicher Verein: Jahresbericht.
Palermo, Circolo Matematico: Annuario 1907. — Rendiconti 23, 1—3.
Paris, Soci6t6 de Biologie: Comptes rendus et M^moires 1907, Nr. 1—39.
— Soci^tö Linn^enne: Bulletin.
— Soci6t6 Zoologique de France: Bulletin 32, 2.
— Soci^tö Fran^aise de Physique: Ordre du jour Nr. 255 — 272,
— XIX —
— Bulletin 1906: 3. 4. 1907: 1—3. — Collection de mimoireB
relat. k la physiqae.
Pas 8 au, Naturhistorisoher Verein: Bericht.
Perugia, Universitä, Facoltd di medicina : Annali.
Petersburg, Acadömie des Sciences: Bulletin Ser. VI, 1907: 1 — 18.
— Hortns Petropolitanus : Acta.
— Hort US Universitatis: Scripta. Fase. 24. 25.
— Sociöt^ des Naturalistes : Section de Botanique, Bulletin. —
Comptes rendus 1906, Nr. 7. 8. 1907, Nr. 1—6. Travaux 35
(1906), 5. 6. 36 (1907). 3. — Section de Geologie et de Minera-
logie, Travaux. — Section de Zoologie et de Physiologie,
Travaux.
— Soci^te physico-chimique russe; Chem. Sektion: Journal
38 (1906), Nr. 2—6. 8. 9. 39 (1907), Nr. 1—8. — Protokoly.
Philadelphia, Academy of Natural Sciences: Proceedings 1906,
Nr. 3. 1907, Nr. 1. 2.
— College of Physicians : Transactions. Ser. 3, vol. 28. — Summary
of the Annual Report of the library committee for 1906.
— Wagner Free Institute of Science : Transactions.
— American Philosophical Society : Proceedings 184—186. — The
Record of the celebration of the two hundredth anniversary
of the birth of Benjamin Franklin 1906. I.
Pisa, Scuola Normale Superiore (Scienze Fisiche e Matematiche) : Annali.
Prag, Königlich Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften: Jahres-
bericht 1906. — Sitzungsberichte (Mathematisch-Natur-
wissenschaftliche Klasse) 1906.
— Lese- und ^Redehalle der deutschen Studenten: Bericht.
— Deutscher naturwissenschaftlich -medizinischer Verein für
Böhmen „Lotos" : Sitzungsberichte. N. F. 26 (1906). 27 (1907),
Nr. 1-3.
Regensbnrg, Naturwissenschaftlicher Verein: Berichte.
Riga, Naturforscher-Verein : Korrespondenzblatt 49. 50. — Arbeiten.
Rio de Janeiro, Museu Nacional: Archivos.
Rochester, Academy of Sciences: Proceedings.
Rom, Accademia dei Lincei: Kondiconti (Classe di Scienze fisiche
etc.) XVI, Sem. I, Nr. 1—12. Sem. II, Nr. 1—12. -
Rendiconto deir adunanza solenne 1907.
— Accademia Medica: Bullettino.
— Gazzetta Chimica Italiana 37 (1907), I, Nr. 1—6. 11, Nr. 1—6.
St. Louis, Missouri Botanical Garden: Keports.
Salem, Essex Institute: Naturalist 331. 361. 415. 484. — Bulletin.
San Francisco, California Academy of Sciences: Proceedings.
Santiago (Chile), Soci6tö Scientiiique du Chile: Actes 15 (1905),
Nr. 3-5.
— Deutscher Wissenschaftlicher Verein: Verhandlungen.
Stockholm, SvenskaVetenskaps Akademie: Handlingar 41 (1906), Nr. 4*
— XX -
42 (1906), Nr. 2—9. — Entomologiska Förening: Tidskrift 28.
— Arkiv för Botanik 6, 3. 4. — Arkiv für Matematik, Astro-
nomi och Fysik. 3, 2—4. — Arkiv för Komi, Mineralogi
och Geologi 2, 4—6. — Arkiv för Zoologi 3. 3. 4. —
Arsbok 1907. — Meddelanden frSn E. Vetenskapsaka-
demiens Nobelinstitut Bd. I, 7.
Strasburg, Kais. Universitäts- u. Landes Bibliothek: Monatsberichte der
Gesellschaft der Wissenschaften, des Ackerbaues und der
Künste im ünterelsaß 39, 1—9. 40, 1-9. 41, 1-4.
Stuttgart, Verein für vaterländische Naturkunde in Württemberg : Jahres-
heft 63 mit Beilage.
Thorn, Coppemicus-Verein für Wissenschaft a. Kunst: Mitteilungen
XIV. XV. — Jahresbericht.
Tokio, Medizinische Fakultät der Kaiserl. Japanischen Universität:
Mitteilungen VII, 1—3.
Toulouse, Acadömie des Sciences, Inscriptions et Beiles Lettres:
Mömoires X, 6. — Bulletin.
Tri est, Museo Civioo di Storia Naturale: Atti.
— Societä Adriatica di Scienze Naturali: BoUettino.
Tufts College (Mass.): Studios.
Turin, R. Accademia delle Scienze (Scienze Fisiche, Matematiche e Natu-
rali): Atti 42, Nr. 1-15. — Memorie Ser. II, Vol. 57.
— Osservazioni Meteorologiche 1906—07.
Ulm, Verein für Mathematik und Naturwissenschaften: Jahreshefte.
Upsala, Läkareförening: FörhandlingarN. F. XII, Nr. 1—6.
Utrecht, Provincial Utrechtsch Genootschap: Aanteekeningen 1907. —
Verslag 1907.
Washington, National Academy of Sciences: Memoirs.
— Smithsonian Institution : Miscellancous Oollections. — licport
1670. 1671. 1673. 1674. 1683. - Bulletin of the Philosoph.
Society XV, p. 1—56.
— Library of the Surgeon Generals Office: Index-Cataloguc
XII, 1907.
— United States Geological Survey: Monographp. — Mineral Re-
sources of the U. S. Calendar Year. — Water-Supply and Irri-
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liche Klasse): Sitzungsberichte. Abt. 1: 114 (1905), Nr. 1—10.
115 (1906), 1-10. Abt. II»: 115(1906), Nr. 1—10. Abt. IIb:
115 (1906), Nr. 1—10. — Abt. III: 115 (1906), Nr. 1—10.
— Anzeiger 1907. — Mitteilungen d. prähistor. Komm. d.
kais. Akad.d. Wiss. — Mitteilungen der Erdbeben Kommission
d. Kais. Akad. d. Wiss. 31.
— Zoolog.-Botanische Gesellschaft: Verhandlungen 56. 57.
— Naturhistorisches Hofmuseum: Annalen 20 (1905), Nr. 4.
21 (1906), Nr. 1. 2.
- XXI -
Wien, Geologische ReichBanstJtlt : Jahrbuch bl, Nr. 1—4. — Verhand-
lungen 1906, Nr. 14—18. 1907, Nr. 1—14.
— Naturwiasensehaftl. Verein an der Universität: Mitteilungen
1906, Nr. 7-10. 1907, Nr. 1-11 & Reg. zu 1908—6. — Fest-
schrift zur Feier des 25jShr. Bestandes 1907.
— Verein zur Verbreit naturwiesenschaftl. Kenntn. : Schriften 47.
Wiesbaden, Nassauischer Verein für Naturkunde : Jahrbücher 60 (1907).
Winterthur, Naturwissenschaftliche Gesellschaft: Hitteilungen.
WtirBburg,Physika].-Mediz. Gesellsehaft: Sitzungsberichte 1906,Nr. 1—7.
— Verhandlungen.
Zürich, Naturforschende Gesellschaft: Neujahrsblatt. — Vierteljahr-
schrift 61 (1906), Nr. 2-4. 52 (1906), Nr. 1. 2.
Zwickau, Verein für Naturkunde: Jahresbericht 1904—05.
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prodnisent le dödoublement de la courbe de dösactivation
de la radioactivitä induite. (S.-A.)
— — : De reifet des Zorans en toile m^tallique sur le rayonnement
secondaire de radioactiTit6 induite. (S.-A.)
Elster, J. n. Geitel, H.: Ober die Radioaktivität der Erdsubstanz und
ihre mögliche Beziehung zur Erdwärme. (Beil. z. Jahresb.
d. Gymn. z. Wolfenbüttel 1907.)
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gewöhnl. Blei. (S.-A. 1906.)
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des Foramen occipitale magnum. (S.-A.)
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Jahresbericht d. König]. Bibliothek zu Berlin für 1905/06.
Archives des sciences biologiques p. p. l'Institut imp^r. de mödecine
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- xxn -
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and Prevcntion of Tuberculosis. 2, 1904/05. 3, 1905/06.
Report, Annual. (Bellcvue and Allied Hospitals, City of New York) 5, 1906.
Rundschau, Gynäkologische. 1 (1907), Nr. 4. 7. 14.
Spisuv poctenych jnbilejni ceuou kril. Spolecnosti Niuk v Praze. 18.
C6lebration du deuxi^me D6cennaire de la Sociötö beige de Geologie,
de Paläontologie et d'Hydrologie et Manifestation en
Phonneur de M. Ernest van den Broeck 1907.
- XXIII -
Sitznngen.
Die physikaliscbinedizinische Sozietät hielt vom 1. Januar bis 31. De-
zember 1907 neun Sitzungen ab, deren wissenschaftliches M<'iter]al in dem
nachstehenden Verzeichnis aufgeführt und größtenteils in den Abhand-
lungen und kurzen Mitteilungen dieses Bnndes niedergelegt ist
Verzeichnis der in den Sitzungen gehaltenen Vorträge.
Sitzung am 17. Januar 1907
im Hörsaale des hygienisch-bakteriologischen Instituts.
W. Weichardt: Ober serologische Studien.
Diskussion: Spuler, Heim, Schulz, Paal, Gutbier, Weichardt.
Sitzung am 18. Februar 1907
im Hörsaale des zoologischen Instituts.
A. Fleischmann: Die Resultate meiner Phallusstndien und ihr Ver-
hSltnis zur Deszendenztheorie.
Diskussion: Gerlach, Spaler, Fuchs, Fleischmann.
Sitzung am 6. März 1907
im Hörsaale des anatomischen Instituts.
A. Denker: Was befähigt die Papageien zu sprechen?
Diskussion: Hermann, Rosenthal, Spuler, Heim, Specht, Denker.
L. Gerlach: Demonstration eines Mttskeltorsos.
Diskussion: Hermann, Jamin, Gerlach.
Sitzung am 18. Mai 1907
Im Hörsaale des physiologischen Instituts.
A. Spuler: Zur Lehre von den Blutlymphdrttsen.
Sitzung am 17. Juni 1907
im Hörsaale des pathologischen Instituts.
G. Hauser: Über extremen Hochstand des Zwerchfells bei einem Falle
von Ileus.
0. Schulz: Die Zusammensetzung der Darmgase bei dem gleichen Falle.
Diskussion: Rosenihal, Jordis, Menge, Fuchs, de laCamp, Graser,
Hauser, Schulz.
Sitzung am 8. Juli 1907
im Hörsaale des poliklinisch-pharmakologischen Instituts.
0. de la Camp: Über Wirbelsäulenperkussion mit Demonstrationen.
Diskussion: Hauser, Spuler, Jamin, de la Camp.
R. F. Fuchs: Über den Einfluss des Lichts auf den Organismus.
Diskussion: Weichardt.
A. Spul er: Über die Entwicklung der Neurogiia.
— XXIV -
Stiftungnisitsung am 20. Jali 1907
auf Birkners Keller.
E. Gräser: Lord Lister and Ernst von Bergmann.
Sitaung am 19. November 1907
im Hörsaale des chemischen Laboratoriums.
A. Gutbier: Henri Moissau.
E. Jordis: Berthelot.
A. Spnler: Über die Entwicklang der Scheide ans dem Sinus arogenitalis.
Sitaiing am 10. Deaember 1907
im Hörsaale des physiologischen Instituts.
I. Rosenthal: Zar Theorie der Enzyme.
Diskussion: Paal, Busch, Roseuthal.
0. Schulz: Die Lebenswichtigkeit der Schilddrüse.
Diskussion: Weichardt, Hauser, Heim, Denker, Spuler, Rosenthal,
Fuchs, Schulz.
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Studien über das Rhodium.
Das Atomgewicht des Rhodiums.
Von Alfred Hfittlinger.
Aus dem chemischen Laboratorium der Universität Erlangen.
Einleitung.
Die Platinmetalle, zu denen bekanntlich das ßhodinm ge-
zählt wird, sind seit der Mitte des 18. Jahrhunderti^ bekannt.
1750 wnrde das Platin zum ersten Male von Watson beschrieben,
nachdem die erste Nachricht über dieses Metall durch den
spanischen Mathematiker Antonio de Ulloa nach Europa
gebracht worden war. Seiner silberähnlichen Farbe wegen
wurde dem im goldhaltigen Sande südamerikanischer Flüsse
aufgefundenem Erze der Name Piatina gegeben, das Deminu-
tivum des spanischen Wortes plata, zu deutsch: Silber. Bald
wurde eine genauere Untei*suchung des Platinerzes durch den
Direktor der Stockholmer Münze, Scheffer, veröfientlicht, und im
Anfange des 19. Jahrhundert, 1803, entdeckte Wollaston neben
Platin in dessen Erz noch zwei neue Elemente, das Rhodium und
das Palladium. In rascher Aufeinanderfolge fand Tennant im
Jahre 1804 das Iridium und Osmium, während Claus im Jahre
1845 das Ruthenium in den Platinerzen entdeckte. In der
Folgezeit fanden bedeutende Forscher, wie Berzelius, Davy,
Vauquelin, Döbereiner durch Untersuchung der neuauf-
gefundenen Elemente Gelegenheit, hervorragende Arbeiten auf
diesem Gebiete zu liefern.
Das Vorkommen der Platinerze blieb nicht allein auf den
goldhaltigen Sand amerikanischer Flüsse beschränkt; vielmehr
wurden bald bedeutende Lager von Platinerz in verschiedenen
Distrikten des Uralgebirges entdeckt, die heute noch die größte
Ausbeute liefern. Von weiteren Fundorten sind hauptsächlich
zu nennen: Brasilien, Kalifornien, Borneound die Insel Sumatra.
An diesen Stellen findet sich das Platin zwar stets gediegen,
SitKongsbcrichte der pbya.-meü. Soe. 39 (1907). 1
— 2 —
aber nie im reinen Zustande sondern stets legiert mit wechseln-
den Mengen von Palladium, Rhodium, Iridium, Osmium und
Ruthenium.
Hauptsächlich dem letzteren Umstände ist es zuzuschreiben,
daß die Darstellung von chemisch reinem Platin solch' große
Anforderungen an die Technik stellte und es langjähriger Er-
fahrung bedurfte, bis Verfahren ausgearbeitet wurden, die be-
friedigende Resultate der Reindarstellung des Platins wie
seiner Begleiter ergaben. Es würde zu weit führen, die Ge-
winnung und Trennung sämtlicher Platinmetalle an dieser Stelle
zu schildern; ich will mich aus diesem Grunde darauf be-
schränken, die Gewinnung und Trennung des Rhodiums, dem
diese Arbeit gewidmet ist, aus den Platinerzeu zu beschreiben.
Wie oben erwähnt, wurde das Rhodium von Wollaston im
Jahre 1803 entdeckt und verdankt seinen Namen der rosen-
roten Farbe mancher seiner Salzlösungen. In den Platinerzen
findet sich das Rhodium bis zu ca. 4,6®/q, während der Prozent-
gehalt an Rhodium im Osmiumiridium noch steigt, ja im
Rhodiumgold von Mexiko eine Höhe von 34 bis 43 Prozent
erreicht.
Das eigentliche Material zur Herstellung von Rhodium
bilden vor allen Dingen neben Osmiumiridium die durch Fällen
der Mutterlauge von der Platingewinnung mit Eisen oder Zink
erhaltenen Rückstände : ^)
1. Die Rückstände werden mit verdünnter Salpetersäure
erwärmt, in einem eisernen Kessel mit 0,5 kg Kalilauge und
5 kg Wasser auf 1 kg Rückstand gekocht, mit einem Teil Chlor-
natrium nach dem Trocknen vermischt und im Porzellanrohr
bei schwacher Rotglut mit Chlor behandelt. Man löst hierauf
in Wasser, dampft zur Entfernung des größeren Teils Chlor-
natrium ein. erhitzt zur Überführung des vorhandenen Iridium
in Chlorid mit Salpetersäure und behandelt mit konz. Lösung
von Ammoniumchlorid, hiedurch wird Ammoniumiridiumchlorid
gefällt, während Ammoniumhexachlororhodiat mit rosenroter
Farbe in Lösung bleibt. Durch wiederholte fraktionierte Fällung
läßt sich schließlich alles Rhodiumsalz abscheiden^).
*) Da mm er, Anorg. Chem. 3, 861.
*) Claus. Gmelin-Krautß Hdb., 6. Aufl., 3, 1257/1258.
— 3 -
2. Man schmilzt die erwähnten Rückstände mit einem Teil
Blei nnd einem Teil Bleioxyd bei Botglat; der Regulas enthält
alle Metalle, die schwerer als Blei oxydierbar sind, während
die Verunreinigungen der Rückstände sich in der Bleischlacke
finden. Behandelt man weiter mit verdünnter Salpetersäure, so
gehen Blei nnd die anderen Beimengnngen in Lösung, die zu-
rückbleibende, pulverige, metallische Masse wird, wie in 1.
beschrieben, mit Chlornatrium gemengt und im Ghlorstrom anf-
geschlossen. Man behandelt nach dem Erkalten mit Wasser,
wodurch alles Rhodium als Natriumhexachlororhodiat in Lösung
geht, erwärmt mit Salpetersäure und entfernt durch fraktionierte
Fällnng mit Ammoniumchloridlösung alles Iridium; die jetzt
erhaltene Lösung verdampft man zur Entfernung von Ammonium-
chlorid zur Trockene, mengt den Rückstand mit 3 bis 4 Teilen
Schwefel und erhitzt im Porzellantiegel, der von Kohlenpulver
umgeben in einem Schmelztiegel steht, zur starken Rotglut.
Der Tiegelinhalt wird nach dem Erkalten mit Königswasser,
dann mit konz. Schwefelsäure ausgekocht und so im Rückstande
noch unreines, fein verteiltes Rhodium erhalten. Unter Um-
rühren schmilzt man letzteres mit 3 bis 4 Teilen Zink zusammen
nnd löst die erkaltete Masse in Königswasser; beim Eindampfen
dieser Lösung kristallisiert gelbes Chloropentamminrhodichlorid
ans, welches durch Umkristallisieren zu reinigen ist^).
3. Bei der Darstellung von Palladium erhält man einen
in Salpetersäure unlöslichen Rückstand von Iridium, Ruthenium
nnd Rhodium. Etwa 0,4 kg dieses mit Aramoniumchlorid schwach
geglühten Rückstandes schmilzt man mit ca. 3 kg Zink unter
Zusatz von Ammoniumchlorid und erhält die Temperatur 2 bis
3 Stunden wenig über dem Siedepunkt der Lösung. Den
untersten Teil des Tiegelinhaltes, meist ein gut kristallisierter
Regulus, schmilzt man nochmals mit 0,5 kg Zink unter Zusatz
von Ammoniumchlorid, granuliert in Wasser und behandelt mit
rauchender Salzsäure. Die hiebei als schwarzes Pulver zurück-
bleibenden Platinmetalle werden, mit Bariumchlorid gemischt,
längere Zeit im Chlorstrom auf schwache Glühhitze erhitzt
und in Wasser gelöst. Durch Schwefelsäure entfernt man das
») Claus. N. Petereb. akad. BuU. 2, 158; 4, 453 ;.J. 1856, 444; Beitrag
zur Chemie der PlatinmetaUe 1854 ; J. pr. 85, 229 ; G i b b s. J. pr. 84, 65 ; 94, 1 0.
— 4 —
Bariumchlorid und leitet in die auf 100® erwärmte Lösung
mehrere Tage Wasserstoff. Aus dem erhaltenen Metallgemenge
entfernt man durch Königswasser, Keduzieren mit Wasserstoff
und nochmaliges Aufschließen im Ghlorstrome bei Gegenwart
von Bariumchlorid alles Platin und Palladium und trennt das
Rhodium vom Iridium durch Eindampfen mit Salzsäure und Be-
handeln in der Kälte mit viel überschüssigem NaHSOj; man
erhält das Rhodium * als amorphes, zitronengelbes Natrium-
doppelsalz^).
Zur Reinigung des so erhaltenen Rhodiums geht Jörge nsen*)
folgendermaßen vor: Er schließt dasselbe durch Schmelzen mit
Zink auf und versetzte die auf oben beschriebene Weise er-
haltene, nach geschehener Oxydation des Iridiumchlor ürs mit
Salpetersäure und Ammoniumchlorid von Iridium befreite Lösung
mit Ammoniak im Überschuß. Gelbes Chloropentamminrhodi-
chlorid kristallisiert aus. Man verdampft auf dem Wasserbade
zur Trockene und behandelt solange mit warmer verdünnter
Salzsäure, bis die Waschfltissigkeit nicht mehr gefärbt wird.
Es löst sich nur wenig des Rhodiumsalzes hiebei auf; das in
siedendem Wasser gelöste Salz filtriert man heifi in verdünnte
Salzsäure ein. Sofort beginnt die Abscheidung kleiner, gelber
Kristalle des Chlorochlorids, welches man durch nochmaliges
Umkristallisieren aus heißem, verdünntem Ammoniak chemisch
rein erhält. Durch Glühen dieses Salzes im Kohlentiegel und
darauffolgendes Schmelzen im Kalktiegel mittelst des Knall-
gasgebläses, wobei die letzten Spuren von Osmium und Sili-
cium entfernt werden, erhält man das geschmolzene, reine
Metall.
Das uns zu vorliegender Untersuchung zur Verfügung stehende
Rhodium zeichnete sich durch hervorragende Reinheit aus, und
ich möchte nicht versäumen, der Firma W. C. Heraeus in
Hanau, die uns 100 g des reinen Präparates zur Verfügung
stellte, an dieser Stelle den besten Dank auszusprechen. Leider
ist es nicht möglich, die Reindarstellung des Materials zu
schildern, da uns obengenannte Firma schon in einem früheren
Schreiben bedeutet hat, daß sie bedauere, keine Ausführungen
») Bunsen. A. 146, 265; J. 1868, 280.
«) Jorgensen. J. pr. Chem. [2] 27, 433, 489.
— 6 —
iiber die HerstelluDg; des reinen Präparates geben zu können,
da sie die ßeindarstellnng der Platinmetalle mehr oder minder
als ihr Fabrikgeheimnis betrachte.
I. Oxyde des Rhodiums.
Theoretischer Teil.
Nach Wilm^) erhält man durch Glühen von fein gepulvertem
Rhodium im Luftstrome das Rhodiumoxydul RhO, während
Claus die Behauptung aufstellte, daß nur rutheninmhaltiges
Rhodium die Eigenschaft, sich an der Luft in höherer Tempe-
ratur zu oxydieren, in hohem Grade besitze. Wir fanden durch
unsere Versuche, die im nachfolgenden experimentellen Teil
Erwähnung finden, die Auf Stellungen von Wilm insofern be-
stätigt, als chemisch reines Rhodium in hervorragendem Maße
die Eigenschaft besaß, sich an der Luft bei erhöhter Tempe-
ratur zu oxydieren. Wilm stellte mit reinem Rhodium zwei
übereinstimmende Versuche an, die eine Gewichtszunahme von
12,96®/^, Sauerstoff ergaben, während der Formel des Rhodium-
oxydul 13,29 ^/o Sauerstoff entspricht. Bei unseren Versuchen
konnten wir dagegen eine so gut definierte Verbindung als
Wilm nicht erhalten, da eine Gewichtszunahme von 10,32%
Sauerstoff beim 1. Versuche, von 16,94% bei Zuhilfenahme
einer stärkeren Wärmequelle erzielt wurde. Wir setzten als-
dann die Versuche fort, indem wir die Bedingungen derart
änderten, daß chemisch reines Rhodium nicht mehr in der Luft,
sondern im Sauei-stoffstrome erhitzt wurde und erreichten hier-
bei eine Gewichtszunahme von 21,66 ^/^ Sauerstoff. Die Resultate
dieser Versuche können also dahin zusammengefaßt werden, daß,
wie schon A. Gutbier und P. Ransohoff^) bei ihren Studien
über die Verbindungen des Ruthenium mit Sauerstoff gefunden
haben, auch beim Erhitzen von pulverförmigem, chemisch reinem
Rhodium an der Luft keine wohldefinierte Sauerstoffverbindung
erhalten wird. Vielmehr ist es sehr wahrscheinlich, daß das
Glühprodukt ein inniges Gemenge von Rhodiumdioxyd und
Rhodium ist, was auch Gutbier und Ransohoff im gleichen
Falle beim Ruthenium angenommen haben.
») Wilm, Ber. 1882, 2225.
') A. Gutbier und F. Ransohoff. Z. Anorg. Chemie Bd. 45,
243. (1905).
— 6 —
Die im experimentellen Teil folgenden KuiTen geben ein
anschanliches Bild von der Oxydation des Bhodiums an der
Luft bezw. im Sauerstoffstrome. Das gebildete Produkt ist
schwarz, wird nicht sogleich durch Wasserstoff reduziert, wohl
aber beim gelinden Erwärmen.
Das wasserhaltige Hydrat des ßhodiumsesquioxydes Rh(0H)3
-f- H3O wurde durch Fällung von ßhodiumsalzlösungen mittels
Kalilauge als zitronengelbes Pulver von wechselnder Zusammen-
setzung, je nach der Konzentration der Kalilauge, erhalten.
Es bildete das Ausgangsprodukt ,zur Darstellung der später er-
wähnten, in Wasser löslichen Halogenverbindungen des Rhodiums.
Frisch gefällt ist es in konzentrierter Kalilauge mit orange-
gelber Farbe löslich, wird aber aus dieser Lösung beim Ver-
dünnen wieder abgeschieden. Nach Descotils^) befindet es
sich in der Lösung als „Rhodiumoxydkali".
Das iiach Glaus^) durch anhaltendes Einteilen von Chlor
in eine Lösung des Rhodiumsesquihydrats in konzentrierter Kali-
lauge dargestellte Rhodiumdioxydhydrat konnten wir auf gleiche
Weise erhalten und demselben auch auf Grund mehrfacher Be-
stimmungen des Rhodiums, wie des aktiven Sauei^toffs, die von
Claus aufgestellte Formel RhaOj • RhOg + 6 H3O zu erkennen.
Den ebenfalls nach Claus, durch weiteres Einleiten von Chlor in
obige Lösung hervorgerufenen flockigen, blauen Niederschlag,
der rhodiumsaures Kalium enthalten soll, konnten wir nicht
isolieren, obwohl wir mehrere Male eine prachtvoll tiefblau
gefärbte Lösung über dem grünen Rhodiumdioxydhydrat erhalten
hatten. Diese tiefblaue Färbung der Lösung hatte sich erst
nach längerem Stehen gebildet, verschwand aber nach mehreren
Tagen wieder, um einer vollständig farblosen Flüssigkeitsschicht
Platz zu machen.
Zum Schlüsse unserer Studien über die Oxyde des Rhodiums
stellten wir noch verschiedene Versuche über die Einwirkung
des Hydrazins auf Rhodiumsalzlösungen an. Dieselben hatten
das Ergebnis, daß in Rhodiumsalzlösungen durch Hydrazin wohl
ein flockiger, schwarzer Niederschlag entsteht, der zum größten
Teile aus Rhodium besteht, allein zur quantitativen Abscheidung
0 Gmelin-Kraut, Bd. 3, 8. 1261.
») Claus. N. Pctersb. akad. Biül. 2, 177.
läßt sich obiger Niederschlag erst dann verwerten, wenn er
nochmals im Bosetiegel im Wasserstoffstrom reduziert wird.
Mit einem Worte, Hydrazin vermag Rhodiumsalzlösnngen nicht
vollständig za metallischem Rhodinm zu reduzieren.
Experimenteller Teil.
Um das nach Wilm durch Erhitzen von chemisch reinem
Rhodium an der Luft dargestellte Rhodiumoxydul, RhO, zu er-
halten, verfuhren wir, wie folgt:
In einem Porzellantiegel, der zum Schutze vor den redu-
zierenden Flammengasen in einen größeren gestellt wurde^
wurde ca. 0,5 g chemisch reines Rhodium abgewogen und über
freier Flamme an der Luft erhitzt. Nach je V2 ständigem Er-
hitzen wurde der Tiegel in den Exsikkator gebracht und nach
einer weiteren V2 Stunde gewogen. Dies wurde solange wieder-
holt, bis der Tiegel konstantes Gewicht zeigte und bei noch
so starkem Erhitzen keine Gewichuszunahme mehr erfuhr. Das
Resultat, das durch den auf solche Weise geleiteten Versuch
erzielt wurde, mag außer .durch die unten folgenden Zahlen,
durch das beiliegende Bild der Kurve I veranschaulicht
werden.
Es mag hier allgemein bemerkt sein, daß bei sämtlichen
der Arbeit beiliegenden Kurven die Angaben der Zeit auf der
Abscisse eingetragen wurden, während die Zahlen der prozen-
tualen Gewichtszunahme an Sauerstoff auf der Ordinate ihren
Platz fanden.
Kurve I zeigt uns somit ein langsames, stetiges Ansteigen
des Sauerstoffgehaltes des Rhodiums beim Eihitzen mit ein- und
dei-selben Flamme eines Teklubrenner, was auch aus den er-
haltenen Zahlen folgt:
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10
9
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7
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Kurve I.
Versuch I. Angewandtes Rhodium: 0,5488 g.
2^.^ Gewichtszunahme
Prozentgehalt
an Sauerstoff
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1,968
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0,0292
5,32
»
0,0356
6,487
1
0,0434
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•
0,0470
8,565
»
0,0506
9,22
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9,29
»
0,0519
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9,82
»
0,0560
10,22
0,0566
10,32
)i
0,0566
10,32
Eioe Probe des so erhaltenen Produktes wurde aoalysiert
und der obiger Tabelle entsprechende Prozentgehalt an Rhodium
gefunden.
0,1124 g Subst. 0,1018 g Rh.
Ber. Rh = 89,68^0- Gef.: Rh = 90,57^0-
— 9 —
Bei Versuch n warden nun die Bedingungen insofern ge-
ändert, als der die abgewogene Menge Rhodium enthaltende
Porzellantiegel zunächst im Trockenschranke von 50® G. ab
viertelstundenweise um je 10® höher erhitzt wurde, wobei nach
V4 stundigem Erkalten lassen im Exsikkator jedesmal eine Wägung
vorgenommen wurde. Hierbei zeigte sich, daß, abgesehen von
einer ganz minimalen Gewichtszunahme bei 100® C, das Gewicht
bis 170® C. konstant blieb. Höher konnte die Temperatur im
Trockenschranke nicht mehr gebracht werden; daher wurde der
Tiegel, nachdem er zum Schutze vor den reduzierenden Flammen-
gasen in einen größeren gestellt worden war, nunmehr über
der freien Flamme eines Mikrobrenner in viertelstündigen
Zwischenräumen mit jedesmaliger Wägung nach dem Erkalten
bis zu konstantem Gewicht erhitzt. Dem Mikrobrenner folgte
ein gewöhnlicher Bunsenbrenner, der bereits eine Temperatur
von über 360® C. erreichte, während beim Mikrobrenner noch
eine Temperatur von ca. 290® C. im Innern des Tiegel nach-
gewiesen werden konnte. Der Bunsenbrenner wurde alsdann
durch einen Teklubrenner, ja später durch zwei solcher Brenner
abgelöst, um zum Schlüsse, als auch hier konstantes Gewicht
erreicht war, durch das Gebläse ersetzt zu werden. Die Zeit,
während welcher das Rhodium vor jedesmaliger Wägung an
der Luft geglüht wurde, war inzwischen von einer Viertelstunde
auf eine halbe Stunde beim Bunsenbrenner, auf eine ganze
Stunde beim Teklubrenner erhöht worden, während beim Er-
hitzen vor dem Gebläse je 10 Minuten für genügend befunden
worden waren. Die Zeit des Erkaltenlassens im Exsikkator
wurde dagegen mit einer halben Stunde stets beibehalten.
Kurve Ha veranschaulicht uns denn auch sehr deutlich die
Oxydation des Rhodiums an der Luft und zeigt insbesondere sehr
schön durch jedesmaliges, stärkeres Anwachsen den Beginn des
Erhitzens mit einer neuen, stärkeren Wärmequelle.
Figur üb zeigt nur die abgekürzte Kurve Ha, um den
zuletzt besprochenen Umstand noch deutlicher hervortreten zu
lassen.
Die zahlenmäßigen Belege für den Versuch II sind die
folgenden :
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Das Endprodukt wurde der Analyse unterworfen:
0,2300 g Subst; 0,1918 g Rh.
Ber.: 83,06 V^ Rh. Gef.: 83,39% Rb.
Um nun ein Bild zu erhalten, wie viel Sauerstoff Rhodium
in einer Sauerstoffatmosphäre unter Erhitzen aufnehmen kann,
änderten wir die Versuchsbedingungen derart um, daß wir chemisch
reines Rhodium in ein Porzellanschiffchen einwogen, letzteres
in eine schwer schmelzbare Glasröhre brachten und durch diese
einen scharf getrockneten Sauerstoffstrom schickten. Die weitere
Behandlung erfolgte analog Versuch IL Mit der kleinen Flamme
eines Teklubrenners, der mit einem Schwalbenschwanzaufsatze
von der Größe des Schiffchens versehen war, wurde das in der
— 12 —
%
17
16
15
14
13
12
11
10
9
8
7
G
5
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1
0
Stunden
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Kurve IIb.
Glasröhre befindliche Schiffchen viertelstundenweise erhitzt und
nach halbstündigem Erkalten im Exsikkator gewogen. Die kleine
Flamme des Teklubrenners wurde später durch die große
rauschende Flamme desselben ersetzt. Hierdurch brachten wir
es soweit, daß der Prozentgehalt des Endproduktes die Höhe
von 21,66 erreichte.
Kurve III zeigt wiederum das stete Ansteigen des Prozent-
gehaltes an Sauerstoff. Angewandte Menge Rh = 0,5715 g.
— 13
21
20
19
18
17
16
15
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13
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Stunden
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Kurve III.
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Gewichts-
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Zeit
Temperatur
Gewichts-
zuuahme
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11
0,1238
21,66
Analyse des Endproduktes:
0,2121g Subst. 0,1666 g Kh.
Ber.: 78,34^0 Rh. Gef.: 78,50 7o ßt-
Zur Darstellung des Rhodiumdioxydhydrates, das in der
Besprechung nun folgen soll, schlugen wir den folgenden Weg ein:
— 14 —
In Wasser lösliches Rhodiumchlorid, das durch Auflösen
von sorgfältigst ausgewaschenen Rhodiumsesquioxydhydrat in
Salzsäure erhalten worden war, wurde mit starker Kalilauge im
Überschuß versetzt, so daß der sich bildende gelbe Niederschlag
von Rhodiumhydroxyd sofort wieder gelöst wurde. In die so
entstandene klare, gelbrote Flüssigkeit wurde nun Chlor unter
den verschiedensten Versuchsbedingungen eingeleitet. Bei ge-
wöhnlicher Temperatur fiel nach einiger Zeit ein schwarzbrauner
Niederschlag aus, der sich bei längerem Einleiten von Chlor
unter Abscheidung von Chlorkalium, bei gleichzeitig starker Er-
wärmung der ganzen Flfissigkeitsmenge und rapider Sauerstoff-
entwickelung, allmählich in einen grünen, kristallinischen Körper
umwandelte. Die Sauerstoffentwickelung war derartig heftig,
daß Sauerstoff in dem Kolben leicht durch Entzünden eines
glimmenden Spahn nachgewiesen werden konnte. Die Entwicke-
lung dauerte so lange fort als Chlor eingeleitet wurde. Schließlich
resultierte neben dem mit Chlorkalium gemischtem, grünem
Rhodiumdioxydhydrat eine klare, farblose Flüssigkeit.
Wurde dagegen das Chlor in der Wärme in obige Lösung
eingeleitet, so fiel der zuerst erwähnte schwarzbraune Nieder-
schlag momentan aus und verwandelte sich unter den gleichen
Erscheinungen, wie oben, in das gewünschte Rhodiumdioxyd-
hydrat. Die Farbe, der über dem letztgenannten Körper stehenden
Flüssigkeit, war diesmal eine schwach grüne, nicht wie oben,
farblos, und verwandelte sich nach längerem Stehen in eine
prachtvolle, tiefblaue, um jedoch nach einigen Tagen wieder
vollständig farblos zu werden. Jene tiefblaue Färbung soll nach
Claus „rhodiumsaures Kali'* enthalten, allein es gelang uns nicht
dasselbe zu isolieren.
Zum Schlüsse wurde Chlor in der Kälte eingeleitet und die
Beobachtung gemacht, daß der zuerst entstehende schwarzbraune
Niederschlag erst nach geraumer Zeit ausfiel, die Sauers toff-
entwickelung, wenn auch unverkennbar, doch sehr langsam
war und trotz stundenlangem Einleiten von Chlor nur eine
sehr geringe Ausbeute von grünem Rhodiumdioxydhydrat neben
vielem Chlorkalium erzielt wurde, während die überstehende
Lösung eine blaugrüne Färbung behielt, die sich nach einigen
Tagen in jenes auch beim 2. Versuche erhaltene prachtvolle
tiefe Blau verwandelte, um bald darauf zu verschwinden.
— 15 —
Das so anter den verschiedensten Bedingungen gewonnene
grüne Bhodiamdioxydbydrat wurde von der überstehenden Lösung
getrennt, bis zum Verschwinden der Phenolphtalein- und Ghlor-
reaktion mit reinem Wasser ausgewaschen, an der Luft getrocknet
und das Rhodium quantitativ bestimmt.
0,1122g Subst, 0,0695g Rh; 0,1040g Subst, 0,0627g Rh;
0,1047 g Subst, 0,0625 g Rh.
RhaOj.RhOj + eHjO Ber.: 60,26«/oRh. Gef.: 61,94 «/o Rh;
60,29^0 Rh. 59,707o Rh.
Die Tatsache femer, daß das Rhodiumdioxydhydrat mit
Salzsäure, wie ein Peroxyd, Chlor entwickelt, wurde dazu be-
nützt, mit der Substanz einige Analysen zur Bestimmung des
Gehaltes an aktivem Sauerstoff ansznflihren. Unter Zuhilfenahme
des Bun senschen Apparates warder Gang der Analysen derart,
daß das aus der Salzsäure durch Rh^Oj -RhO, + 6H,0 entwickelte
Chlor in Jodkaliumlösnng eingeleitet und die hierbei aus-
geschiedene äquivalente Menge Jod mit ^^ Natriumthiosulfat-
lösung zurücktitriert wurde.
0,2634 g Subst. 8,2 ccm ^ NaÄO,.
0,2582 g Subst. 8,65 ccm ^ Na^SjO,.
0,0922 g Subst. 2,8 ccm ^ Na^S^Oj.
Berechnet: 4,67%; Gef.: 4,97«; 5,3%; iß^j,.
Um die Einwirkung des Hydrazins auf Rhodiumsalzlösungen
zn studieren, wurde eine solche Lösung mit Hydrazin und
alsdann mit Natronlauge bis zur alkalischen Reaktion ver-
setzt. Der sich intermediär bildende gelbe Niederschlag wurde
durch Hydrazin sofort reduziert und als schwarze amorphe
Flocken, die sich beim Erwärmen leicht zusammenballen, das
Rhodium gefällt. Auch die umgekehrte Anordnung des Ver-
suches, zuerst Natronlauge und dann Hydrazin, zeigte das näm-
liche Resultat bei Überschuß der ersteren. Der so erhaltene
Niederschlag wurde auf das sorgfältigste mit reinem Wasser
gewaschen, erwies sich jedoch bei der Analyse nicht als reines
Rhodium, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach als ein Gemenge
verschiedener Oxyde.
— 16 —
Das gleiche Resultat ergab sich bei der Redaktion von
Rhodinmsalzlösungen mit ameisensanrem Natrinm. Der eben-
falls in schwarzen Flocken ausgefallene Niederschlag konnte,
nachdem er vollständig lufttrocken war, bereits beim Erhitzen
im Kohlensäurestrom unter Gewichtsverlust zu reinem Bhodinm
umgewandelt werden.
Reihe I der folgenden Werte sind die Analysen durch
Hydrazin gefällten Produkte, Reihe II dagegen des durch
ameisensaures Natrium gefällten Rhodiummohrs:
L 0,1667 gSubst. 0,1551g Rh; 0,4234 g Subst. 0,3946g Rh.
Gef.: 93,04^0 Rh- 93,20 ^/o Rh.
0,1016 g Subst. 0,0948 g Rh Gef. 93,31 <»/o Rh.
IL 0,1005 g Subst. 0,0926 g Rh. Gef.: 92,14 ^^ Rh-
0,1035 g Subst. 0,0941g Rh. Gef: 90;927o Rh.
Nur im CO^strome erhitzt, im H-Strome konstant.
0,0507g Subst. 0,0499g Rh. Gef.: 98,42^0 Rh-
0,0885 g Subst. 0,0855 g Rh. Gef.: %,61% Rh.
0,1013 g Subst. 0,0979 g Rh. Gef.: 96,64«/^ Rh.
0,0861g Subst. 0,0848g Rh. Gef.: 98,49% Rh.
II. Chloride des Rhodiums und Chlorosalze.
Theoretischer TeiK
Von den bisher bekannten Chloriden des Rhodiums erregte
zunächst das von Claus*) durch Glühen von fein verteiltem
Rhodium im Chlorstrome erhaltene RhClj unsere Aufmerksam-
keit. Dasselbe konnten wir in den beiden bisher bekannten
Modifikationen darstellen. Das wasserfreie, gegen Säuren be-
ständige Rhodiumchlorid erhielten wir auf oben angegebene
Weise, während das wasserhaltige, in Wasser und Säuren leicht
lösliche Salz durch Auflösen von alkalifreiem Rhodiumhydroxyd
in Salzsäure erhalten wurde. Im ersteren Falle war es von
Interesse, die Aufnahme von Chlor durch Rhodium genauer zu
verfolgen; wir erreichten dies dadui'ch, daß wir, wie bei der
Aufnahme von Sauerstoff durch Rhodium, die Gewichtszunahme
an Chlor beim Erhitzen von chemisch reinem, fein verteiltem
Rhodium im Chlorstrome in gleichmäßigen Intervallen feststellten.
— 17 —
Auf diese Weise gelangten wir tatsächlich za dem von Clans
beschriebeneD Produkte, das sich bei endgültiger Gewichts-
koustanz als rosenrotes Palver dem Blicke zeigte. Die Analyse
des Endproduktes entsprach der Formel EhClj. Diese Be-
obachtung war von um so größerem Interesse als A. Outbier
und C. Trenkner beim Erhitzen von Ruthenium im Chlor-
strome die Beobachtung gemacht hatten, daß eine chemische
Verbindung von der Formel RuCIa nicht erhalten werden kann,
vielmehr, wenn überhaupt die Bildung von Rutheniumchlorfir
erfolgt, ein umkehrbarer Prozeß
Ru + Clj;!:RuCl2
stattfindet. Im Gegensatze hierzu konnte beim Rhodium in zwei
übereinstimmenden Versuchen durch die Analyse des Endproduktes
festgestellt werden, daß die wohldefinierte Verbindung RhClj
durch Erhitzen von Rhodium im Chlorstrome erhalten werden kann.
Anschließend an die Untersuchungen über vorstehende
Chloride beschäftigten wir uns mit dem Studium der Chloro-
salze und konnten außer der Bestätigung der schon bekannten
Salze des Kaliums, Natriums und Ammoniums neu die Dar-
stellung der Salze des Rubidiums und Cäsiums hinzufügen.
Während die Lösungen sämtlicher bisher bekannter Salze
des Rhodiumchlorids, wie die Salze selbst, prachtvolle rote Färbung
zeigten, erhielten wir die Salze des Rubidiums und Cäsiums
zu unserem größten Erstaunen als prächtig rosa gefärbte,
in Wasser schwer lösliche Körper, deren Lösungen gleich wohl
die sonst bekannte rote Farbe der Rhodiumsalzlösungen zeigten.
Auch die Darstellungsweise wich von der bisherigen dadurch
ab, daß wir die beiden Salze nicht durch Mischen der Alkali-
chloride mit Rhodium unter Überleiten von Chlor erhielten,
sondern durch Fällung von Natriumhexachlororhodiat mit Rubi-
dium- bezw. Cäsiumchlorid darstellen mußten. Bei der Dar-
stellung des löslichen Rhodiumchlorids trat der Gedanke nahe,
die Salze nicht wie bisher durch Mischen des Alkalicblorids
mit fein gepulvertem Rhodium unter Erhitzen im Chlor-
strom darzustellen, sondern einfach die beiden Komponenten,
Rhodiumchlorid und Alkalichlorid, in wässeriger Lösung zu-
sammenzukuppeln. Einige Vorversuche dieser Art im Reagens-
glase mißlangen zwar, als wir jedoch von molekularen Mengen
Sitznngaberichte der med.-phys. Soz. 39 (1907). 2
— 18 —
beider Körper ausgingen, zeigte es sich, daß diese neue Dar-
stellungsweise der Chloride von Erfolg begleitet war. So war
es uns denn geglückt, beim Studium der Chloride außer dem
Nachweis des Bestehens der unlöslichen Modifikation des Rhodium-
chlorids und der obengenannten Chlorosalze zwei neue Salze
aufzufinden und eine neue Darstellungsweise der ganzen Reihe
anzugeben. Die Erfahrungen, die wir bei den einzelnen Ver-
suchen machten, mögen im folgenden experimentellen Teil Er-
wähnung finden.
Experimenteller Teil.
Da wir zur Darstellung des unlöslichen Rhodiumchlorids
den gleichen Apparat benutzten, den wir stets zum Aufschließen
des Rhodiums durch Mengen mit Natriumchlorid und Überleiten
von Chlor unter starkem Erhitzen wie auch zur Darstellung der
Salze nötig hatten, so mag an dieser Stelle die Beschrei-
bung des nebenstehend abgebildeten Apparates (Fig. 1) Platz
finden und in späteren Stellen der Arbeit hieher verwiesen
werden.
S3 /^
Im Kipp sehen Apparate K wurde Chlor aus Chlorkalk und
Salzsäure entwickelt und durch eine Waschfiasche, die mit
konzentrierter Schwefelsäure beschickt war, geleitet. Weiter-
— 19 —
hin passierte das Oas das EClbchen k, das dnrch einen vor-
znglich schließenden Glasschliff g^ mit dem Apparate verbanden
war. In demselben befand sich, falls Chlor darchgeleitet warde,
nochmals konzentrierte Schwefelsäure; sollte dagegen in einer
Atmosphäre von gasförmigem Brom gearbeitet werden, so
wurde das Eölbcben mit Brom beschickt, das von der in
diesem Falle aus Marmor und Salzsäure im Kipp sehen Appa-
rate entwickelten Kohlensäure, die durch die in der Wasch-
flasche w befindliche konzentrierte Schwefelsäure getrocknet
wurde, in gasförmigem Zustande mitgerissen wurde. An das
Eölbchen k schloß sich schließlich ein schwer schmelzbares
Bohr an, das an seinen beiden Enden ebenfalls mit Glasschliff
ga und gg versehen war und auf diese Weise luftdicht mit dem
Apparate verbunden werden konnte. Das Rohr endete schließ-
lich in einer Waschflasche, deren seitliche Öffnung durch einen
Gummischlauch mit dem Freien in Verbindung gebracht werden
konnte, um die Verbreitung des unangenehmen Geruchs der
Halogene im Arbeitsraume möglichst zu vermeiden. Durch
die Röhre R, in der sich das Schiffchen mit der Substanz be-
fand, konnte nun nach Belieben Chlor oder Brom geleitet werden
und auf diese Weise die im Schiffchen befindliche Substanz im
Chlor- oder Bromstrome auf das heftigste erhitzt werden.
Zur Darstellung des in Wasser unlöslichen Chlorids wurde
nun derart' vorgegangen, daß die Röhre R, in der sich das
Schiffchen mit der abgewogenen Menge chemisch^reinem Rhodium
befand, in einem Sandbade von 50^ ab unter Überleiten von
Chlor erhitzt wurde. Die Dauer des Versuches wurde auf eine
Stunde festgesetzt und dann das in der Röhre befindliche Chlor
durch getrocknete Kohlensäure vertrieben, das Schiffchen mit
der Substanz aus der Röhre genommen, im Exsikkator erkalten
gelassen und nach einer halben Stunde zur Wägung gebracht.
Diese Operation wurde alsdann bei einer um 10^ C. erhöhten
Temperatur wiederholt. Ein Versuch reihte sich an den anderen,
doch konnte keine Gewichtzunahme am Schiffchen d. h. keine
Chloraufnahme durch Rhodium konstatiert werden bis zu einer
Temperaturhöhe von 240—250®. Auf eine höhere Temperatur
konnte das Sandbad nicht mehr gebracht werden ; das Schiffchen
wurde in der Röhre nunmehr über der freien Flamme eines mit
Schwalbenschwanzaufsatze versehenen Teklubrenners erhitzt. Bei
2*
— 20 —
der erhöhten Temperatur fand schon nach dem ersten Versuch eine
Aufnahme von Chlor durch Rhodium statt und wurde die Ope-
ration nun halbstündig in gleicher Weise, wie oben beschrieben,
fortgesetzt, bis dreimal aufeinanderfolgend konstantes Gewicht
erreicht war.
Kurve IV zeigt, in gleicher Weise wie beim Oxyd, die
stetig steigende Aufnahme von Chlor durch Rhodiom in deutlichem
c
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1
— 21 —
Bilde, während die folgenden Zahlenwerte dasselbe erkennen
lassen.
Angewandte Menge: 0,1768 g. Bh.
Zeit
Gewichts-
zunahme
^CJ.
1 Zeit
Qe Wichts-
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Zeit
Gewichts-
zunahme
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40,19
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47,73
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0,1755
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43,53
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50,10
>J
0,1481
45,79
ii
0,1649
48,46
»1
Die Analyse des Endproduktes ergab:
0,0852 g Sbst. 0,0423 g Rh; 0,1729 g AgCl.
RhCla ber.: 49,2% Rh 50,8«/o Cl; nach Tabelle: 49,9% Rh
50,1% Gl.
Gef.: 49,65% Rh; 50,187o d-
Wir ließen diesem Versuche einen zweiten folgen und konnten
dasselbe Resultat verzeichnen. Da im Sandbade wieder keine
Aufnahme von Chlor durch Rhodium erreicht werden konnte,
wurde das in der Röhre befindliche Schiffchen über der freien
Flamme des Teklubrenners erhitzt. Bei diesem Versuche konnte
eine raschere Aufnahme des Chlors vom Rhodium konstatiert
werden. Dies gab sich einerseits an der kürzeren Dauer des
Versuchs, andererseits auch an den rasch höher wachsenden
Prozentzahlen zu erkennen. Kurve V wie die folgenden Zahlen
werte legen auch hiervon Zeugnis ab.
Angewandte Menge: 0,6096 g
Bhodiura.
Zeit
Gewichte-
zunähme
•/o Cl.
Zeit
Gewichts-
zanahme
^/o Cl.
„ .. Gewichts-
^^'^ zunähme
'/o CL
n
1»
0,3076
0,4544
0,4760
0,4825
0,4874
37,64
47,14
48,29
48,64
48,89
1
0,4916
0,4956
0,4978
0,5045
0,5090
49,11
49,30
49,42
49,75
49,97
11
0,5099
0,5099
0.5099
0,5099
50,02
50,02
50,02
50,02
— 22
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1
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5
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6>2
7
Kurve V.
Das Produkt, analysiert, zeigte folgende Werte:
0,1078 g Sbst. 0,0535 g Rh 0,2196 g AgCl.
RhClg ber.: 4:9,2^1, Rh 50,8«/o Cl; nach Tabelle 49,987o Rh;
50,02«/o Cl.
Gef.: 49,63^0 Rh; 50,37% Cl.
Chlorosalze des Rhodiums.
I. Darstellungsweise.
1. [RhClJK^ + H^O
entsteht durch Erhitzen eines Gemenges von chemisch reinem
Rhodium und fein pulverisiertem Chlorkalium unter Überleiten
von Chlor in dem eingangs beschriebenen Apparat (Fig. 1).
Nach einiger Zeit beginnt die Masse dunkler zu werden, bis
sie schließlich zu einer dunklen, schweren Flüssigkeit zusammen-
— 23 —
schmilzt. Beim Erkalten wurde die Masse dankelrot nnd zeigte,
im Achatmörser zerrieben und fein pulverisiert, eine prächtige,
hellrote Farbe. Ein Überschuß von Chlorkalium sowie starke
Hitze sind Faktoren, die den Vorgang beschleunigen. Ist nach
der ersten halben Stunde das Gemenge noch nicht wasserlös-
lich, was zumeist der Fall ist, so ist es von Vorteil, dasselbe
aus dem Schiffchen zu nehmen, im Achatmörser fein zu zer-
reiben, allenfalls nochmals Chlorkalium zuzugeben und die oben
geschilderte Prozedur des Überleitens von Chlor unter starkem
Erhitzen zu wiederholen. Dies Verfahren wird nun so lange
fortgesetzt, bis bei dem Auflösungsprozesse im Wasser nur ge-
ringe Spuren ungelöst zurückbleiben. Die durch Filtration von
ungelöstem Rhodium befreite dunkelrote Lösung wird auf dem
Wasserbade bis fast zur Trockene eingeengt und der entstehende
Körper mehrere Male aus reinem Wasser und einigen Tropfen
Salzsäure umkristallisiert. Der Körper wurde in stark glänzenden,
dunkelroten Blättchen erhalten.
1. 0,3735 g Sbst. 0,0976 g Rh 0,6832 g AgCl.
2. 0,1257 g Sbst. 0,0285 g Rh (Best, mittels Ameisensäure).
3. 0,2288 g Sbst. 0,0595 g Rh 0,4137 g AgCl.
4. 0,2358 g Sbst. 0,0634 g Rh 0,4445 g AgCl.
Ber.: 27,350/0 Rh; 47,07 ^^/^Cl; Gef.: 1. 26,13o/o Rh;45,23«/o
Cl; 2. 22,670/0 Rb; 3. 26,01 Vo Rh; 44,71 «/^ Cl; 4. 26,89 «/^ Rh;
46,6P/o Cl.
Der Körper wurde von neuem auf die gleiche Art, wie oben
beschrieben, dargestellt und hiebei die Beobachtung gemacht,
daß erst nach mehrmaliger Umkristallisation ein einheitliches
Produkt erzielt wurde. Ich hatte aus den Mutterlaugen drei Pro-
dukte erhalten, die alle erst nach nochmaliger Umkristallisation
die nötige Reinheit zeigten.
1. Produkt:
1. 0,1558 g Sbst. 0,0424 g Rh 0,2613 g AgCl. Gef. : 27,28 «/o Rh ;
41,*7^/o Gl.
2. 0,1023g Sbst. 0,0279g Rh 0,1902g AgCl. Gef.: 27,27«/oRh;
45,970/0 Cl.
3. 0,1191g Sbst. 0,0315g Rh 0,2189g AgCl. Gef.: 26,65o/oRh;
46,45«/o Cl.
— 24 —
Umkristallisiert.:
4. 0,1116 g Sbst. 0,0299g Kh0,2107g AgCl. Gef. : 26,80 Voßh ;
46,68»/o CI.
n. Produkt:
1. 0,1087g Sbst. 0,0290g Eh 0,2005 gAgCl. Gef.: 26,67«/, Rh;
45,61 »/„Cl.
Umkristallisiert.:
2. 0,1083 g Sbst. 0,2065 g AgCl. Gef.: 47,21 •/, Cl.
3. 0,1055gSb8t. 0,0285g Rh 0,2000g AgCl. Gef.: 27,02">/oRh;
46,88«/o Cl.
in. Produkt:
1. 0,1057 g Sbst. 0,0288 Rh 0,1760 g Ag CI. Gef. : 27,25«/o Rh
41,17 7o Cl.
2. 0,1035g Sbst. 0,0279g Rh 0,1915 g Ag Cl. Gef.: 26,96%Rh
45,75-/o Cl.
umkristallisiert:
4. 0,0701 g Sbst. 0,0183 g Rh 0,1324 g Ag Cl. Gef.:
26,96«/o Rh 46,70«/o Cl. Ber.: 27,35«/, Rh; 47,07«/, Cl.
Eine Wasserbestimmung, die ausgeführt wurde, sprach der
Formel:
[RhClj] Kj + HjO das Wort:
0,1962 g Sbst. 0,0092 g Verlust HjO. Gef.: 4,69«/, HjO.
Ber.: 4,78«/, H,0.
2. [RhCl,lNa, + 12H,0.
Die Darstellung erfolgte auf gleichem Wege wie bei 1.
Beim Überleiten von Chlor über ein Gemenge von innig zer-
riebenem Rhodium und Chlornatrium unter gleichzeitigem,
starkem Erhitzen schmilzt die Masse allmählich und erstarrt
beim Erkalten zu einem Kuchen. Im Achatmörser zerrieben,
erhielten wir ein rosa gefärbtes Pulver, das sich mit prachtvoll
himbeerroter Farbe in Wasser löste. Die filtrierte Lösung wurde
auf dem Wasserbade eingedampft und aus möglichst wenig Wasser
und einigen Tropfen HCl durch Alkohol gefällt. Das erhaltene
Salz wurde alsdann lufttrocken analysiert. Hiebei ergaben sich
Werte, die unbedingt einem Kristallwassergehalt von 12HjO
das Wort sprechen. Diese Anzahl MolekQle H^O hatte schon
— 25 —
Clans^) dem Salze zngesprocben, während Berzelias') und
Leidi6^) nur 9 Moleküle Kristall wasser gefanden hatten.
Wir müssen uns in diesem Falle an den von Claus gefundenen
Wert halten.
1. 0,1071 g Sbst 0,0180 g Rh 0,1680 g AgCl.
2. 0,0756 g Sbst. 0,0134 g Rh 0,1116 g AgCl.
3. 0,0510 g Sbst. 0,0084 g Rh 0,0741 g AgCl.
Ber.:17,147oRh; 35,39<>/oCL Gef.: 1. 16,8Vo Rh 38,79TC1
2. 17,72^0 ßh; 36,83o/o Cl 3. 16,47«/o Rh 35,937<> Cl.
3. [RhCy(NH,), + l,5H,0.
In eine Lösung von [RhClj] K^ -j- HjO wurde gasförmige
Salzsäure, die durch Eintropfen von konzentrierter Schwefel-
säure in konzentrierte Chlorwasserstoflfsäure dargestellt wurde,
so lange eingeleitet, bis der größte Teil des Chlorkaliums ausge-
fällt war. Die Lösung wurde durch Glaswolle filtriert und nun
mit einer konzentrierten Lösung von Ammoniumchlorid versetzt.
Nach längerem Stehen fiel das Ammoniumhexachlororhodiat in
dunkelroten Kristallen aus. Dasselbe wurde abfiltriert, mit
reinem Wasser gewaschen und der Analyse unterworfen.
0,0955 g Sbst. 0,0242 g Rh 9,2080 g AgCl.
0,1163 g Sbst. 0,0277 g Rh 0,2526 g AgCl.
Ber.: 25,9«/oRh; 53,62^0 Cl ; Gef. : 25,37o/oRh; 53,85«/oCl;
23,82«/o Rh; 53,71«/o Cl.
4. [RhCyCSa + H^O.
Die konzentrierte Lösung des Kaliumpentachlororhodiats
wurde mit einer konzentrierten Lösung von Cäsiumchlorid ver-
setzt. Das Caesiumpentachlororhodiat fiel als prächtig rosa ge-
färbter, schleimiger Niederschlag aus. Derselbe ließ sich ziem-
lich gut filtrieren und wurde mit kaltem Wasser gründlichst
ausgewaschen, obwohl hiebei ein großer Teil des Niederschlags
durch das Filter ging. Der Rest wurde an der Luft getrocknet
und der Analyse unterworfen:
0,0938g Sbst. 0,0172 g Rh; 0,1175g AgCl.
0,0749 g Sbst. 0,0137 g Rh; 0,0936 g AgCl.
'j Fehling, Bd. 5, 1241.
«) Ann. Phys., Bd. 13, 437.
>) Fehling, Bd. 5, 1241.
— 26 —
0,0930g Sbst. 0,0170 g Rh; 01167 g AgCl.
Ber.: 18,55«/o Rh; 31,43o/o Cl; Gef.: l8,34«/o Rh; SO,WU Cl
18,29«/o Rh; 30,91^ Cl; 18,25Vo Rh; 31,02<>/o Cl.
Kristallwassergehalt :
0,1168g Sbst. 0,0037 g Verlust H^O. Ber.: 3,197o. Gef:
3470/0 H,0.
5. [RhCyRba + H^O
wurde analog dem Caesiumpentachlororhodiat erhalteu. Der beim
Versetzen des Kaliumpentachlororhodiats mit Rubidiumchlorid
ausfallende krapprote Niederschlag des obigen Körpers ließ sich
nur schwer filtrieren, da er stark durch das Filter ging. Trotz-
dem wurde derselbe mit H^O gründlichst nachgewaschen, an
der Luft getrocknet und der Analyse unterworfen.
0,0934 g Sbst. 0,0207 g Rh 0,1420 g AgCl.
0,0881 g Sbst. 0,0196 g Rh.
0,0913 g Sbst. 0,0200 g Rh 0,1403 g AgCl.
Ber.: 21,95«/oRh; 37,71o/o Cl. Gef: 22,160/^ Rh; 37,59% Cl;
22,24«/, Rh; 21,91XRb 37,99<>/o Cl.
Kristall Wasserbestimmung :
0,1026 g Sbst. 0,0036 g Verlust H^O. Ber.: 3,84^^/, H^O
Gef.: 3,510/,
0*
II. Darstellungsweise.
Wie im theoretischen Teil schon erwähnt, konnten wir
sämtliche Salze der eben geschilderten Reihe noch dadurch
darstellen, daß wir die Lösungen der Komponenten, Rhodium-
chlorid und Alkalichlorid, in molekularen Mengen zusammen-
brachten. Die einzelnen Glieder dieser Reihe mögen, nun hier
ihre Besprechung finden.
1. [RhCyK, + H,0.
2 g Rhodiumchlorid wurden genau abgewogen, in Wasser
und einigen Tropfen Salzsäure gelöst, und mit der für 4 Moleküle
berechneten Menge Kaliumclilorid zusammengebracht. Als nach
längerem Stehen keine Ausscheidung erfolgte, wurde die Lösung
auf dem Wasserbade bis zur beginnenden Kristallisation ein-
geengt. Der so erhaltene Körper zeigte gleiche Farbe und
gleiches Aussehen wie der nach I. dargestellte. Die Analyseresul-
tate waren folgende:
— 27 —
0,1069 g Sbst. 0,0388 g Rh; 0,2051g AgCl.
0,1149 g Sbst. 0,0315 g Rh' 0,2178 g AgCl.
Ber. : 27,35V„ Rh; 47,07'>/o Cl. Get.: 26,94Vo Rh; 47,44«/, Cl
27,42»/o Rh; 46,87»/, Cl.
2. [RhCyNa, + 12HjO.
2,00 g Rhodiumchlorid, in Wasser gelöst, wurden mit 1,12 g
gelöstem Natrinmchlorid gemengt, nach längerem Stehen auf
dem Wasserbade bis fast znr Trockene eingeengt und aus der
konzentrierten Lösang der Körper mit Alkohol gefällt. Farbe
und Aussehen stimmten mit dem frtlheren über ein.
0,1224 g Sbst. 0,0207 g Rh; 0,1749 g AgCl.
0,1408 g Sbst. 0,0244 g Rh; 0,2020 g AgCl.
Ber.: 17,14Vo Rh; 35,39«/o Cl. Gef. : 17,31»/„Rh 35,33''/o Cl
17,337o Rh; 35,41»/, Cl.
3. [RhCy(NHJ, + H,0.
2,00 g Rhodiumchlorid wurden mit 1,02 g Ammoniumchlorid
gemengt, längere Zeit sich selbst überlassen, auf dem Wasser-
bade bis zur beginnenden Kristallisation eingeengt, der ausge-
schiedene Körper abfiltriert, gewaschen und analysiert. Bei dieser
Darstellungsweise erhielten wir jedoch nicht, wie unter I., [RhCl,]
(NHJa + ljSHjO sondern ein ebenfalls schon bekanntes Ammo-
niumpentachlororhodiat von der Formel [RhCl5](NH^)2-}-H20^).
0,1531g Sbst. 0,0463 g Rh; 0,3263 g AgCl.
0,1658 g Sbst. 0,0495 g Rh; 0,3521 g AgCl.
Ber.: 30,80«/, Rh; 53,01«/, Cl.Gef.: 30,24«/, Rh; 52,70«/, Cl
29,86«/, Rh; 52,51«/, Cl.
4. [RhCyCs^ + H^O.
Beim Zusammengießen der 2,00 g Rhodiumchlorid ent-
haltenden Lösung mit einer Lösung von 3,22 g Cäsiumchlorid,
fiel sofort der prächtig rosa gefärbte Niedei'schlag des Cäsium-
pentachlororhodiats aus. Derselbe ließ sich gut filtrieren,
wurde mit kaltem, reinem Wasser gründlich gewaschen und der
Analyse unterworfen.
0,1039 g Sbst. 0,0196 g Rh 0,1347 g AgCl.
0,1006 g Sbst. 0,0192 g Rh 0,1300 g AgCl.
Ber.: 18,55«/, Rh; 31,43«/, Cl. Gef.: 18,86«/, Rh; 32,06«/, Cl.
19,09«/, Rh; 31,95«/, Cl.
•) Fehling, Bd. 5, 1241,
— 28 —
5. [RhCl^lRbj + H^O.
Der etwas dunkler rot gefärbte Körper fiel beim Mengen
von 2,00 g Rhodiumchloridlösuug mit 2,31 g Rubidinmchlorid-
lösung sofort aus, wurde filtriert, gewaschen und analysiert:
0,1155 g Sbst. 0,0260 g Rh.
0,1123 g Sbst. 0,0260 g Rh; 0,1698 g AgCl.
Ber.: 21,95<>/o Rh; 37,71 «/o Gl. Gef. : 22,51 «/o Rh; 22,62<^/o Rh;
37,39 Vo Cl.
Es hat sich somit gezeigt, daß die auf diese Weise er-
haltenen Körper der Reihe der Chlorosalze des Rhodiums durch
größere Reinheit ausgezeichnet waren.
III. Bromide des Rhodiums und Bromosalze.
Theoretischer Teil.
Anschließend an unsere Versuche über die Verbindungen
des Rhodium mit Chlor, studierten wir das Verhalten des
Rhodium gegen Brom. Über die Verbindungen des Rhodiums
mit Brom liegen bisher noch keine Mitteilungen vor. Wir
stellten daher zunächst Beobachtungen in genau derselben
Weise wie beim Chlorid an, indem wir die prozentuale Auf-
nahme von Brom durch Rhodium festlegten. Die im experimen-
tellen Teile näher geschilderten Versuche führten zu dem
interessanten Resultate, daß wir bei dem durch Überleiten von
Bromdampf über chemisch reines Rhodium unter Erhitzen, dar-
gestellten Produkte es mit den nämlichen Verhältnissen zu tun
haben, die A. Gutbier und C. Trenkner^) beim Ruthenium-
chlorür bezw. bromür angetroffen haben, während wir bei dem
auf gleiche Weise dargestelltem Rhodiumchlorid zu einer wohl-
definierten Verbindung gelangt sind. Wir konnten in zwei Ver-
suchen nachweisen, daß das Rhodium bis zu einem stets schwan-
kenden Prozentgehalte Brom aufnimmt, dann wieder abgibt und
erst nach langer Zeit, während welcher der Prozentgehalt an Brom
stets schwankt, ein konstantes Gewicht erreicht wird. Diese
Verhältnisse zwangen uns zu der Annahme, daß, wenn über-
haupt die Bildung von Rhodiumbromid erfolgt, ein umkehr-
barer Prozeß
*) Gut hier imd Trenkner. Zeitschr. f. anorg. Chemie 46, 166.
— 29 —
2Kh + 3Br2 :^ 2ßhBr3
stattfinden maß. Das Produkt erwies sich als ein in Säuren
wie in Wasser vollständig unlöslicher Körper.
Bei der Darstellung des in Wasser löslichen Bhodiumbromids
durch Auflösen von alkalifreiem Bhodiumhydroxyd in Bromwasser-
stofFsäure erhielten wir zwar einen Körper von schönem,
kristallinischem Aussehen und prachtvoll schwarzroter Farbe,
allein die Analysen dieser Verbindung gaben keine wünschens-
wert genauen Werte.
Weiterhin gelang es uns, sämtliche Bromosalze des Rhodiums
neu darzustellen. Wie beim Chlorid konnten wir die Salze
des Kaliums und Ammoniums durch Erhitzen eines innigen Ge-
menges von Bhodium und Kaliumbromid, bezw. Fällung mit
Ammoniumbromid darstellen und als prächtig schwarzrot ge-
färbte, kristallisierende Verbindungen erhalten, während zu
unserem größten Erstaunen die Doppelsalze des Cäsiums und
Rubidiums als grone Niederschläge aas einer mit dem ent-
sprechenden Alkalibromid versetzten Kaliumbromorhodiatlösung
ausfielen. Das Natriumpentabromorhodiat konnten wir nur
nach der zweiten Darstellungsweise durch Zusammenkuppelang
molekularer Mengen beider Komponenten erhalten, da beim
Überleiten von Brom unter starkem Erhitzen über ein Ge-
menge von feinverteiltem Rhodium und Natriumbromid kein
wasserlösliches Gemenge erhalten werden konnte. Die Ana-
lysen der nach der zweiten Darstellungsweise erhaltenen Pro-
dukte ergaben leider keine so guten analytischen Resultate,
allein dieselben sind doch angeführt, um zu zeigen, daß die
Körper auch auf diese Weise, wenn auch nicht in analysen-
reinem Zustande erhalten werden konnten.
Experimenteller Teil.
Der Versuch, die prozentuale Aufnahme des Broms von
Rhodium festzulegen, wurde vollständig analog den Versuchen
beim Chlorid und Oxyd durchgeführt; ich will hier nur die
kurze Beschreibung der beiden Versuche geben, im übrigen
jedoch auf die dort gemachten Angaben verweisen.
Wie beim Chlor zeigte sich auch hier die Tatsache, daß
in der Wärme des Sandbades, in welchem sich die Röhre
— 30 —
befand und das eine Temperatur von 250^ C. erreichte, kein
Brom von Rhodium aufgenommen wurde. Erst beim Erhitzen
über freier Flamme wurde das Brom an Rhodium gebunden
und bis zu einem gewissen Grade aufgenommen. Dann nahm
der Bromgehalt wieder ab und konnte auch bei geringerer
Temperatur nicht mehr zum Steigen gebracht werden.
Kurve VI veranschaulicht die geschilderten Verhältnisse,
die auch aus den folgenden Zahlenwerten entnommen werden
können:
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3
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Angewandte Menge Bhodium : 0,2220 g.
Zeit
Temperatur
Gewichts-
zunahme
^Br
Zeit
Temperatur
Gewichts-
zunahme
^'oBr
ij
im Sandbad
200—250«
im Sandbad
250-300«
0,3415
0.3462
0,3502
0,3482
0,3420
0,3283
0,3283
34,99
35,88
36,61
36,27
35,09
32,38
32,38
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IKlelnerTek-r
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300-400«
0,3408
0,3334
0,3308
0,3308
0,3283
0,3283
34,86
33,72
32,89
32,89
32,38
32,38
Die Analyse des Produktes ergab die zuletzt erhaltenen
Zahlen der Versuchsreihe:
0,0907 g Sbst. 0,0611 g Rh 0,0686 g AgBr.
Ber.: 67,62«/o Rh 32,38% Br. Gef. 67,36 % Rh; 32,19«/oBr.
Die zweite Versuchsreihe ergab insofern eine Änderung, als
nach einem gewissen Punkte zuerst ein öfteres Schwanken des
Bromgehaltes und dann erst ein Sinken eintrat bis zu dem
Momente, an dem konstantes Gewicht erreicht wurde. Selbst-
verständlich wurde bei beiden Versuchsreihen stets durch
Kohlensäure das Brom vertrieben, bevor das Schiffchen aus der
Röhre genommen wurde.
Kurve VII läßt oben erwähnte Tatsachen gut erkennen,
die den folgenden Zahlenwerten entsprechen.
Angewandte Menge:
0,6305 g Bh.
Gewichts-
Ü
Qewichts-
Gewichts-
Zeit
zu- resp.
»/oBri Zeit
zu- resp.
^Br
Zeit
zu- resp.
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— H3 -
Die Analyse des Produktes ergab jedoch ein voll-
ständig anderes Resultat, als nach den letzten Zahlenwerten
obiger Tabelle erwai-tet werden sollte. Dies kann vielleicht
dem Umstände zugeschrieben werden, daß das Endprodukt
Wasser angezogen hatte, da bei der Analyse eine reichliche
Menge von H^O im Rohre auftrat.
0,1345 g Sbst. 0,0862 g Rh 0,0804 g AgBr.
Ber.: 56,55<^/o Rh; 43,45^0 Br. Gef. 64,09«/o Rh 25,43^1, Br.
Das lösliche Rhodinmbromid stellten wir dar durch Auf-
lösen von alkalifreiem Rhodiumhydroxyd in Bromwasaerstoff-
sänre. Das Hydroxyd löste sich mit schön roter Farbe in
der BromwasserstoflFsäure und wurde auf dem Wasserbade bis
zur vollständigen Trockene eingedampft. Der erhaltene Rück-
stand löste sich leicht in Wasser mit roter Farbe, zeigte ein
kristallinisches Aussehen und war von schwarzer Farbe in
trockenem Zustande.
Derselbe ergab folgende Analyse:
0,1188 g Sbst. 0,1805 g AgBr.
0,1426 g Sbst. 0,0322 g Rh; 0,2120 g AgBr.
Ber. : 24,827o ßh 57,81 <^/o Br. Gef. : 64,66 «/o Br ; 22,58 «/^ Rh,
63,27 <>/o Br.
Bromosalze des Rhodiums.
I. Darstellangsweise.
1. [RhBr^JKj.
Brom wurde in dem eingangs geschilderten Apparate mittels
eines getrockneten Kohlensäurestroms über ein Gemenge von
Rhodium und Bromkalium bei gleichzeitigem Erhitzen geleitet.
Das Gemenge nimmt rasch dunkle Farbe an, schmilzt jedoch
nicht zusammen und behält bei jedesmaligem Erkalten die
gleiche schwarze Farbe. Wie bei den analogen Chlorosalzen
beschleunigten Überschuß an Bromkalium und die Stärke der
Wärmequelle die Reaktion. Nach halbstündigem Glühen wurde
das Gemenge jedes Mal fein im Achatmöi-ser zerrieben und
dann von neuem unter Überleiten von Brom erhitzt. War der
größte Teil des Rhodiums aufgeschlossen, mit anderen Worten
die Substanz wasserlöslich, so wurde das Produkt in Wasser
gelöst, zur Befreiung von unaufgeschlossenem Rhodium filtriert
Sitsangabericbte der phys.-med. Sos. 39 (1907). 3
— 34 —
und anf dem Wasserbade eingedampft. Der erhaltene RQck-
stand wurde dann aas möglichst wenig heißem Wasser und
einigen Tropfen Bromwasserstoffsäure nmkristallisiert und der
Körper in kleinen schwarzen, unregelmäßigen Blätteben er-
halten. Einmal wurde die Konzentration gerade so geti-offen,
daß fiber Nacht prächtige schwarze Kristalle, in Form kleiner,
rechteckiger Täfelchen, ausfielen. Trotz aller Mähe konnte
dies jedoch ein zweites Mal nicht erreicht werden. Die Analyse
dieser Kristalle stimmte leider nur in bezug auf Rhodium auf
die Formel [RhBrj]Kj + 12HjO, während die Brombestim-
mnng stes wechselnde Werte zeigte. Der in unregelmäßigen
Blättchen erhaltene Körper gab erst nach mehrmaligem Um-
kristallisieren richtige Werte:
1. 0,2114 g Sbst. 0,0401 g Rh; 0,3352 g AgBr.
2. 0,0753 g Sbst. 0,0137 g Rh.
3. 0,0610 g Sbst. 0,0109 g Rh; 0,0987 g AgBr.
4. 0,1163 g Sbst. 0,0211 g Rh; 0,1879 g AgBr.
5. 0,1038 g Sbst. 0,0192 g Rh; 0,1669 g AgBr.
Ber.: 17,7«/j Rh, 68,8»/oßr. Gef.: 1. 18,97% Rh, 67,48«/o Br;
2. 18,l9»/o Rh; 3. 17,87«/„ Rh, 68,85»/, Br; 4. 18,14 »/o Rh;
68,76 «/o Br; 5. 18,49»/o Rh, 68,43 »/o Br.
Neudarstellnng des Körpers:
0,0757 g 0,0140 g Rh; 0,1078 g AgBr; 0,0633 g Sbst.
0,0124 g Rh 0,0976 g AgBr 0,0664 g Sbst. 0,0114 g Rh;
0,0500 g Sbst. 0,0092 g Rh; 0,0688 g AgBr.
Ber.: 17,7»/o Rh, 68,85 »/oBr; Gef.: 18,50«/o Rh, 60,60''/oBr;
19,59«/, Rh. 65,62«/, Br; 17,17«/, Rh; 18,4«/, Rh 58,56«/, Br.
Nach zweimaligem Umkristallisieren ergaben sich die Werte:
0,1117 g Sbst. 0,0201 g Rh; 0,1801 g AgBr; 0,1126 g Sbst.
0,0197 g Rh.
Ber.: 17,7«/, Rh; 68,8»/, Br; Gef.: 17,99»/, Rh; 68,61»/, Br;
17,91«/, Rh.
Für den in rechteckigen Tafeln auskristallisierten Köi'per
ergab die Analyse:
0,0967 g Sbst. 0,0127 g Rh; 0,1339 g AgBr.
0,0900 g Sbst. 0,0117 g Rh; 0,1284 g AgBr.
0,0874 g Sbst. 0,0117 g Rh; 0,1331 g AgBr.
Ber.: [RliBr,] Kj + 12 HaO: 12,92«/, Rh, 50,14«/, Br.
- S5 -<
Gef.: 13,U<>/o Rh, 58,93o/o Br; 13,03<>/, Eh, 60,85^/o Br;
13,39^0 Rh; 64,81 Vo Br.
2. [RhBrj] Na^.
Trotz den unter den verschiedensten Versuchsbedingnngen
aasgeführten Arbeiten gelang es nicht, das Gemenge von Rhodium
und Natriumbromid unter Überleiten von Brom und gleich-
zeitigem Erhitzen in eine wasserlösliche Form zu bringen.
Wohl zeigte das Gemenge eine deutliche Veränderung, allein
weder Überschuß an Bromnatrium, noch stärkeres Erhitzen,
weder ein feuchter, noch ein trockener Bromstrom vermochte
zum Ziele zu fuhren. Ebenso scheiterten Versuche das Salz
ans Lösungen des Kaliumpentabromorhodiats durch Fällen mit
konzentrierter Bromnatriumlösung herzustellen. Nach längeren,
mühevollen Experimenten wurde es daher aufgegeben, den
Körper auf obige Weise darzustellen.
3. [RhBr,](NH,V
wurde analog dem entsprechenden Chlorosalze dargestellt In
die Lösung des Kaliumpentabromorhodiats wurde gasförmiger
Bromwasserstofif^) eingeleitet, bis der größte Teil des Brom-
kaliums ausgefällt war. Nach Filtration der Lösung zur Be-
freiung des ausgefällten Bromkaliums wurde dieselbe mit
Ammoniumbromidlösung versetzt. Es zeigte sich nun, daß mit
verdünnteren Lösungen gearbeitet werden mußte, da das beim
Versetzen mit konzentrierter Ammoniumbromidlösung nach
längerer Zeit auskristallisierte Produkt trotz seiner prächtigen,
dunkelroten Farbe nur 1—2®/^ Rhodium enthielt. Wurde aber
jene Lösung mit verdünnter Ammoniumbromidlösung versetzt
') Zur Darstellung des Bromwasserstoffgases gab mau in einen Kolben 100 g
trockenes Benzol und einige Gramm wasserfreies Eisenbromür und ließ durch
einen zu feiner Spitze ausgezogenen Hahntrichter allmählich 135 ccm Brom ein-
tropfen. Die Mischung erwärmt sich sofort und muss daher, damit kein Benzol
oder Brom überdestilliert, in kaltes Wasser eingestellt werden; ist erst die Hälfte
des Broms zugetropft (Bildung von Monobrombenzol), so verläuft die Eeaktion
so ruhig, daß diese Vorsicht nicht mehr notwendig ist. Um das in sehr
gleichmäßigem Strome entwickelte Gas von mitgerissenen Benzoldämpfen und
Bromdämpfen voUständig zu befreien, dient ein an den Kolben angeschlossenes
U-Bohr. Die erste Hälfte dieses Eohrs wird mit EisenbromidFeBr, iingefüllt,
die zweite mit Anthracen. Das Eisenbromid bindet sofort etwa ülxjrgehendes
Benzol, das Anthracen dagegen jede Spur von Bromdampf, welche das Gas
gelblich färbt. Siehe Erdmann, I^hrbuch d. anorg. Chem., 3. Aufl., S.305.
3*
- 36 —
und einige Tage stehen gelassen, so erhielt man ein Produkt,
das obige Formel rechtfertigte. Der Körper kristallisierte in
kleinen unregelmäßigen Blättchen und zeigte schwarze, etwas
ins Grttnliche gehende Färbung.
0,1102 g Sbst. 0,0228 g Rh 0,1923 g AgBr.
0,1011 g Sbst. 0,0200 g Rh 0,1747 g AgBr.
0,1244 g Sbst. 0,0254 g Rh..
0,0767 g Sbst. 0,0152 g Rh 0,1325 g AgBr.
Ber.: 19,12«/oRh 74,19«/o Br. Gef.: 20,69«/o Rh; 74,25^0 Br;
19,78«/o Rh 73,54«/oBr; 20,42<^/o Rh; 19,82^0 ^^' 73,51'/o Br-
4. [RhBr^lCsj.
wurde erhalten als prächtig grüner Niederschlag bei Versetzen
einer Lösung des Kaliumpentabromorhodiats mit einer kon-
zentrierten Lösung von Cäsiumbromid. Der Niederschlag wurde
abfiltriert und auf das sorgfältigste mehrere Male mit reinem
Wasser gewaschen, da die Analysen erst dann richtige Re-
sultate zeigten, wenn das Auswaschen mit Wasser auf das
gründlichste durchgeführt war.
0,0902 g Sbst. 0,0122 g Rh 0,1100 g AgBr.
0,1038 g Sbst. 0,0141 g Rh 0,1251 g AgBr.
Ber.: 13,40Vo Rh; 52,02«/o Br. Gef.: 13,52«/o Rh; 51,90«/o Br.
13,58% Rh; 51,70% Br.
5. [RhBr^lRbjj.
wurde auf analoge Weise wie das Cäsiumsalz dui'ch Fällung
des löslichen Kaliumsalzes mit Rubidiumbromid erhalten.
Der Körper war um eine Nuance dunkler grün gefärbt als
das Cäsiumsalz und zeigte die gleiche Eigenschaft, erst analy-
senrein zu werden nach sorgfältigst durchgeführtem gründ-
lichem Auswaschen. Zum Unterschiede seien hier die zuerst
erhaltenen Resultate und dann die nach nochmaligen gründ-
lichstem Auswaschen erhaltenen wiedergegeben.
0,0933 g Sbst. 0,0144 g Rh 0,1288 g AgBr.
0,1189 g Sbst. 0,0186 g Rh 0,1378 AgBr.
Ber. :15,29ö/, Rh 59,37^0 Br. Gef.: l5,44«/oRh; 58,74«/«Br;
15,64«/o Rh 49,32«/o Br.
Das lufttrockene Präparat, nochmals gewaschen, ergab
folgende Werte:
— 37 —
0,1060 g Sbst. 0,0163 g Rh, 0,1480 g AgBr.
0,1024 g Sbst. 0,0159 g Rh, 0,1429 g AgBr.
Ber.: 15,29<>/o Rh, bdßVj^Br. Gef.: 15,37«/o Rh, 59,42<>/o Br;
15,53«/o Rh; 59,397o Br.
IL Darstelliing8weise.
Wie schon im theoretischen Teil erwähnt, glflckte es nns
nicht auf die zweite Darstellnngsweise, d. h. durch Kuppelung
molekularer Mengen beider Komponenten, des Rhodiumbromids
und Alkalisalzes, reine Produkte zu erhalten. Wir haben die
Darstellung drei verschiedene Male versucht; im folgenden
seien zuerst die allgemeinen unterschiede der drei Darstellungen
unter sich gegeben, während bei den einzelnen Körpern noch
besonderer Verschiedenheiten der Darstellung des Produktes I,
n und ni Erwähnung getan werden soll.
Bei Darstellung I wurde das Rhodiumbromid in Wasser
und einigen Tropfen HBr gelöst, die molekulare Menge des
Alkalisalzes hinzugefßgt, schließlich auf dem Wasserbade ein-
geengt und der Köri^er zur Auskristallisation sicJi selbst über-
lassen. Bei den Produkten II und III wurde nur mit dem
Unterschiede verfahren, daß das Rhodiumbromid in reinem
Wasser ohne Zusatz von HBr gelöst und die gekuppelten Salz-
lösungen auf dem Wasserbade zur Trockene eingedampft wurden,
um den Rückstand alsdann aus heißem Wasser nmzukristallisieren.
I. [RhBrJKj.
L 2 g Rhodiumbromid, in Wasser und einigen Tropfen
Bromwasserstoffsäure gelöst, wurden mit einer Bromkaliumlösung
versetzt, die die für 4 Moleküle Bromkalium berechnete Menge
enthielt. Nach längerem Stehen wurde diese Lösung auf dem
Wasserbade bis zur beginnenden Kristallisation eingeengt, der
in schwarzgrünen Blättchen ausgeschiedene Körper abfiltriert,
mit kaltem Wasser gewaschen und analysiert.
0,1010 g Sbst. 0,0199 g Rh 0,1608 g AgBr.
Ber.: 17,707o Rh; 68,80«/oBr. Gef.: 19,70«/oRh, 67,75^0 Br.
II. Darstellung wie bei I mit den oben erwähnten allge-
meinen Unterschieden.
0,8700 g Sbst. 0,0171 g Rh 0,1394 g AgBr.
Ber.: 17,707« K^) 68,807o Br. Gef.: 19,657o Rh 68,197o Br.
— 38 —
m. wie n.
0,1006 g: 0,0189 g Rh; 0,1668g AgBr.
Ber.i 17,70<»/o Rh, 68,80»/oBr. Gef.: 18,78VoRh; 70,56«/, Br.
2. [RhBr,]Naj + 9HjO.,
I. Diesen nach der I. Darstellungsweise nicht erhaltenen
Körper gelang es folgendermaßen darzustellen: 2,00 g Rhodinm-
bromid wurden mit der molekularen Menge Natriumbromidlösung
versetzt, nach längerem resultatlosem Stehen auf dem Wasser-
bade bis zur Trockene eingedampft, mit einigen Tropfen H^O
aufgenommen und aus dieser hochkonzentrierten Lösung der
Körper in dunkelroten Kristallen erhalten.
0,2011 g Sbst. 0,0283 g Rh; 0,2733 g AgBr
0,1052 g Sbst. 0,0145 g Rh; 0,1441g AgBr
Ber.: [RhBrJ Na, + 9HjO -12,6670 Rh; 58,93
Gef.: 14,070/0 Rh, 57,84 »/o Br; 13,78»/o Rh, 58,37 »/o Br.
II. Darstellung wie unter I.
0,0913 g Sbst. 0,0110 g Rh 0,1253 g AgBr
Ber.: [RhBr,]Na3 + 9HaO-12,66«/o Rh, 58,93 »/o Br.
Gef.: 12,05 »/o ßh, 58,40»/o Br.
m. Siehe I.
0,0792 g Sbst. 0,0118 g Rh 0,1162 g AgBr
Gef.: 14,90»/o Rh; 62,49 o/, Br.
Ber.: [RhBr,] Na, + 9 HjO • 1 2,66 »/o Rh, 58,93 »/o.Br.
3. [RhBr,](NHA.
Wiederum wurden 2,00 g Rhodiumbromid in AVasser und
einigen Tropfen Brom Wasserstoff gelöst, mit einer Ammoniom-
bromidlösung, die die fttr 4 Moleküle berechnete Menge enthielt,
versetzt, nach längerem Stehen aut dem Wasserbade bis zur be-
ginnenden Kristallisation eingeengt und der ausfallende schwarze,
etwas ins Grünliche gefärbte Körper gewaschen und der Analyse
unterworfen.
0,1117 g Subst. 0,0235 g Rh; 0,1829 g AgBr
Ber.: 19,12<»/o Rh; 74,19»/o Br; 21,04«/o Rh; 69,68''/o Br.
n. Darstellung wie unter I, nur mit den im allgemeinen
gemachten Änderungen.
0,1022 g Sbst. 0,0209 g Rh 0,1731 g AgBr.
0,1066 g Sbst. 0,0217 g Rh 0,1817 g AgBr.
- 39 —
Ber.: 19,12«/, Rh; 74,19 »/oBr; Gef.: 20,45 «/„Rh, 72,0870 Br;
20,36«/, Rh; 72,53»/, Br.
m. Siehe ü.
0,1089 g Sbst. 0,0223 g Rh; 0,1826 g AgBr.
Ber.: 19,12«/oRh; 74,19«/, Br; Gef.: 20,47«/,Rh 71,36«/, Br.
4. [RhBrj]CSj.
L Beim Versetzen der Lösung von 2 g Rhodinmbromid in
Wasser and Bromwasserstoffsäore mit Gaesinmbromid fiel sofort
ein schmutzig gelbbraun gefärbter Niederschlag aus. Derselbe
ließ sich schlecht filtrieren, da er stark durch das Filter ging, wurde
trotzdem gründlichst gewaschen und der Analyse unterworfen:
0,1359 g Sbst. 0,0220 g Rh; 0,1718 g AgBr.
0,1218 g Sbst 0,0195 g Rh; 0,1521 g AgBr.
Der Körper wurde nochmals mit verdünnter Bromwasser-
stofbäure gewaschen.
0,1134 g Sbst 0,0179 g Rh; 0,1458 g AgBr.
Ber.: 13,40«/, Rh, 52,02«/, Br. Gef.: 16,19»/, Rh, 53,80«/, Br;
16,01«/, Rh, 53,14»/, Br; 15,78»/, Rh, 54,72«/, Br.
II. Das wiederum sofort ausfallende schmutzig gelbbraune
Salz wurde in überschüssigem Wasser auf dem Wasserbade durch
längeres Digerieren gelöst Durch langsames Einengen auf dem
Wasserbade gelang es, zu einem prächtig flimmernden, wie bei
der I. Darstellungsweise grün gefärbten Produkt zu kommen. Es
ließ sich leicht filtrieren, wurde gründlich gewaschen und analysiert :
0,1141g Sbst 0,0180 g Rh; 0,1444 g AgBr.
0,1377g Sbst 0,0216g Rh; 0,1755g AgBr.
Ber.: 13,40»/,Rh; 52,02«/, Br; Gef.: 15,77«/, Rh; 53,86»/, Br;
15,68«/, Rh; 54,23»/, Br.
m. wie n.
0,1038 g Sbst 0,0165 g Rh, 0,1361g AgBr.
0,1052 g Sbst 0,0163 g Rh, 0,1321g AgBr.
Ber.: 13,40«/, Rh; 52,02«/, Br. Gef.: 15,90«/, Rh, 55,80«/, Br;
15,50«/, Rh; 53,44«/, Br.
5. [RhBrJRbj.
I. Erst nach längerem Stehen der molekularen Mischung
beider Komponenten schied sich das gewünschte Salz als schmutzig
— 40 —
braaner Niederschlag aas. Nach dem Abfilirieren, das wiederum
mit Schwierigkeiten verknüpft war, wurde der Körper grand-
lichst gewaschen und analysiert:
0,U16g Sbst. 0,0250 g Rh 0,1876 g AgBr.
Ber.: 15,29^/oRh; 59,377oBr. Gef.: 17,65«/oRh, 56,38«/oBr.
II. Genau wie beim Cäsiumsalz wurde der Körper in über-
schüssigem Wasser gelöst und ebenfalls als prächtig flimmernder,
voluminöser, grüner Niederschlag beimEinengen auf dem Wasser-
bade erhalten, der sich leicht filtrieren und waschen ließ:
0,1025 g Sbst. 0,0180 g Rh, 0,1433 g AgBr
0,1045 g Sbst. 0,0176 g Rh, 0,1416 g AgBr.
Ber.: 15,29«/oRh; 59,3T«/oBr. Gef.: 17,58«/o Rh, 59,50 «/oBr,
16,84 «/o Rh, 60,26% Br.
III. wie n.
0,1025 g Sbst. 0,0183 g Rh. 0,1443 g AgBr.
Ber.: l5,29«/o Rh, 59,37 VoBr. Gef.: 17,85^0 Rh, 59,9P/oBr.
Das Atomgewicht des Rhodiums.
Schon 1814 hatte Berzelius^) versucht mittels einer kleinen,
vonWüllaston übersandten Menge Rhodiums das Atomgewicht
dieses Metalles zu bestimmen. Im Jahre 1828 wiederholte er
die Bestimmung des Atomgewichtes, nachdem er selbst') seine
früheren Versuche, als auf unrichtigen Voraussetzungen fußend,
als mißlungen bezeichnet hatte. 1825 versuchte Th. Thomson')
durch Analyse des von Wollast on bereiteten Natriumsalzes das
Atomgewicht des Rhodiums festzustellen. Er fand die Zahl 110,9,
die sich im weiteren Verlauf der Untersuchungen als falsch er-
wies. Berzelius wählte zu seinen späteren Versuchen das
Kaliumpentachlororhodiat und bestimmte durch Reduktion des
entwässerten Salzes im Wasserstoffstrome, Ermittlung des Ge-
wichtsverlustes, Ausziehen des Chlorkaliums aus der reduzierten
^) Thomsons Ann. of philos. 3, 352; Schw. 22, 317.
«) K. Vetensk. Akad. Handl. Bd. 36, ö. 21—22. 1828.
*) An attcrapt to etablish the first principles of cheroistry, Bd. 1,
S. 460. London. 1825.
— 41 —
Masse and Wägung des zarückbleibenden Metallschwammes die
Menge des Rhodiums und des an dieses gebundenen Cbloi^ und
damit auch jene des Chlorkaliums in dem Doppelsalze. Aus
mehreren Bestimmungen dieser Art berechnete Berzelius das
Atomgewicht des Rhodiums zu 104,1. Claus^) nahm bei seinen
Analysen zahlreicher Verbindungen des Rhodiums Rh = 104,14
an, ohne jedoch eine eigentliche Atomgewichtsbestimmung dieses
Elementes vorgenommen zu haben.
Clarke*) berechnete das Atomgewicht zu 104,05.
In späterer Zeit hat S. M. Jörgen sen gelegentlich einer
umfangreichen Untersuchung über Ammoniakbasen ^) des Rhodiums
auch eine vorläufige Bestimmung, wie er sich selbst ausdrückt,
dieses Elementes ausgeführt. Er ging nicht, wie die meisten
seiner Vorgänger, von einem Chlorosalze aus, sondern wählte
das von ihm selbst untersuchte Chloropentamminrhodiumchlorid
zu seinen Bestimmungen. Die Gründe, die ihn zu dieser
Wahl bestimmten, setzt er selbst, wie folgt, auseinander*):
„Schon in meinen Untersuchungen über die Ammoniakbasen
des Rhodiums habe ich hervorgehoben, daß das Chloro-
pnrpureorhodiumchlorid und die entsprechende Bromverbindnng
durch ihre ungemeine Beständigkeit gegen Reagentien sich mit
großer Garantie für Reinheit darstellen lassen, weil ihr Rhodium-
gehalt nun anch mit großer Schärfe durch einfaches Glühen
zuerst an der Luft, dann in Wasserstoff und Kohlensäure ge-
funden werden kann, und weil sie außer Rhodium nur Elemente
halten, deren Atomgewichte zu den am sichersten festgestellten
gehören, so habe ich versucht durch Analyse jener Salze vor-
läufig das Rhodiumatom zu bestimmen, um so mehr als Bunsen^)
Zweifel ausgesprochen hat, ob das bisher für chemisch reines
Rhodium gehaltene Metall nicht noch erhebliche Mengen Iridium
enthalten hat." Aus den übereinstimmenden Werten mehrerer
Analysen des Chloropentamminrhodiumchlorides und des ent-
sprechenden Broraids glaubt Jörgensen nun sicher annehmen
') N. Petereb. akad. Bull., Bd. 2, S. 158.
») Clarke. Phü. M. [5] 12, 101.
•) Journ. prakt. Chemie (X. F.) Bd. 27, S. 433—489.
♦) daadbst S. 486.
») Ann. Chem. Pharm. Bd. 146, S. 266.
— 42 —
zu dürfen, daß die Zahl 103 für das Rhodium der Wahrheit
sehr nahe kommt.
Diesen im Jahre 1883 veröffentlichten Bestimmungen
schließt sich 1890 eine von Karl Seubert und K. Kobb6')
verfaßte Arbeit enge an. Dieselben wählten ebenfalls das
Chlorbpentamminrhodiumchlorid, folgten im allgemeinen den An-
ordnungen von Jürgens en und bekamen als Resultat ihrer
Arbeit die Zahl 102,92, bezogen auf Sauerstoff = 16.
Bei den folgenden Atomgewichtsbestimmungen, die, wie
ausdrücklich hervorgehoben werden möge, nur einen vor-
läufigen Charakter haben, machten wir uns die Erfahrungen
von Jörgensen wie von Seubert und Kobbfe zu nutze und
wählten aus den gleichen Gründen wie jene das Chloro-
pentamminrhodiumchlorid als Ausgangsmaterial zur Atomgewichts-
bestimmung.
Analysenmaterial.
Das zu vorstehender Untersuchung ausschließlich verwendete
Wasser war auf folgende Weise gereinigt worden. Das destil-
lierte Wasser des Laboratoriums wurde in einer großen Flasche
etwa eine Woche über reinstem Kalk stehen gelassen und dann
in kleinen Portionen aus einer sorgfältigst gereinigten Platin-
retorte destilliert. Daß hiebet, wie bei allen in dieser Arbeit
vorkommenden Destillationen, nur die mittlere Fraktion auf-
gefangen wurde, braucht wohl kaum erwähnt zu werden.
Dieses schon ziemlich reine Material wurde dann mit etwas
Alkalipermanganat in der Platinretorte, die mit einem eigens zu
diesem Zwecke hergestellten und nur zur Destillation von reinstem
Wasser benutztem Ktihlrohre aus reinem Quarz verbunden
war, zum zweiten Male in kleinen Portionen destilliert. Un-
mittelbar vor dem Gebrauche wurde dann dieses Wasser noch
einer erneuten Destillation unterworfen. Das Kühlrohr aus
Quarz wie überhaupt alle zur Atomgewichtsbestimmung be-
nutzten Geräte aus Glas und aus Porzellan wurden vor jedes-
maliger Benutzung mit Wasser mehrere Tage ausgedämpft;
außerdem sind die benützten Porzellan- und Glasgeräte schon
jahrelang zu demselben Zwecke in Gebrauch. Das auf die ge-
schilderte Weise gewonnene Wasser ergab mit den verschie-
') Ann. Bd. 260, S. 314—325.
— 43 —
densten Beagentien nicht die mindesten Reaktionen und hinter-
ließ, in größerer Menge verdampft, nicht den geringsten wäg-
baren Rückstand.
Die zur Verwendung gelangte Salzsäure war — nach ver-;
schiedenen anderen Versuchen — in der Weise gewonnen worden,
daß wir die reinste, konzentrierte, arsenfreie Salzsäure aus einer
mit Salzsäure stundenlang ausgekochten Retorte aus Jenaer
Glas destillierten. Das mittlere, bei 110^ übergehende Destillat
wurde aufgefangen und; da es weder eine Reaktion auf Arsen
noch auf Eisen gab, zum Arbeiten verwendet. Natürlich war
diese Säure vor dem Gebrauche nochmals durch Destillation
gereinigt worden.
Das schließlich zur Verwendung gelangte Ammoniak wurde
nach verschiedenen Vorversuchen aus reinem, konzentriertem
Ammoniak durch Destillation gewonnen. Das in einer mit
Wasser gründlich ausgedämpften Flasche entwickelte Gas wurde
durch mehrere Trockenapparate, die Natronkalk enthielten, ge-
leitet und in einer vorgelegten Flasche, die reinstes Wasser
enthielt, aufgefangen.
Darstellung des Chloropentamminrhodinmehlorids.
Um das uns von der Firma W. C. Heraeus in Hanau
gelieferte chemisch reine Rhodium aufzuschließen, wandten wir
die Wo hier sehe Methode der AufschließuBg mit Chlomatrium
im Chlorstrom an. Wir benützten hiebei den eingangs der
Arbeit in Figur 1 beschriebenen Apparat und machten hiebei
die Beobachtung, daß von den angewandten 32,5 g chemisch
reinem Rhodium zirka 8 g ungelöst blieben, wir somit mit einem
Verluste von zirka 25 ^/^ arbeiteten. Bei einer weiteren Portion
Rhodium von 10 g, der wir die bei der ersten Aufschließung
restierenden 8 g hinzufügten, belief sich der Betrag des unge-
löst zurückbleibenden Rhodiums nur auf 20^ j^. Wir schrieben
dies dem Umstände zu, daß wir bei der zweiten Aufschließung Chlor-
natrium angewandt hatten, das aus der vorhergehenden Rhodium-
salzlösung durch Chlorwasserstoff ausgefällt war und somit
schon aufgeschlossenes Rhodium enthielt, was auch aus seiner
prächtigen rosa Farbe ersichtlich war. Von den insgesamt
angewandten 42,5 g Rhodium blieben somit im ganzen zirka
4 g ungelöst, so daß der Verlust nur die Höhe von 10®/o
— 44 —
erreichte. Das mit der doppelten Menge reinen Ghlornatriams
innig gemengte Rhodium warde in ein Schiffchen ans Meißner
Porzellan gegeben and dieses im schwer schmelzbarem Glas-
rohre im Chlorstrom erhitzt, wobei die Temperatur bis zur
dunkeln Rotglut gesteigert wurde, bis der Inhalt des Schiff-
chens geschmolzen erschien. Beim Erkalten des Schiffchens
erstarrte die Schmelze zu einem harten Kuchen, der sich
leicht aus dem Schiffchen entfernen ließ. Nach ungefähr
halbstündigem Erhitzen und Überleiten von Chlor wurde
der nach dem Erkalten erstarrte Inhalt des Schiffchens im
Achatmörser auf das Feinste zerrieben, wieder eingefallt und
von Neuem der Einwirkung des Chlorstromes und der Hitze
ausgesetzt. Dies Verfahren mußte im Durchschnitte 4— ömal
wiederholt werden, bis die fast schwarze Schmelze beim Zerreiben
ein prächtiges, rosafarbenes Pulver bildete, das sich mit himbeer-
roter Farbe im Wasser löste. Durch Filtration mittels ge-
härteter ITilter^) wurde die Lösung von dem ungelöstem Rho-
dium befreit und alsdann nach dem von Jörgensen ausge-
arbeitetem Verfahren weiter bearbeitet. Mittels gasförmigem
Chlorwasserstoff wurde das meiste Chlornatrium aus der Lösung
gefällt. Hiebei benützten wir den in Figur 2 ersichtlichen
Apparat, dessen Hauptvorteil dann bestand, daß die zusammen-
setzbaren Teile desselben aus vorzüglich schließenden Glas-
schliffen bestanden* und somit keine Verbindungen aus Gummi
nötig waren. In einem Erlen meyerkolben E, der durch einen
vorzüglich schließenden Glasschliff g mit einem Tropttrichter T
versehen war, wurde durch Eintropfen von konzentrierter
Schwefelsäure in konzentrierte Salzsäure gasförmiger Chlor-
wasserstoff dargestellt. Mittels einer Glasröhre wurde der sich
entwickelnde Chlorwasserstoff durch den Glasschliff g^, der zur
leichteren Handhabung des Apparates beim Auseinandernehmen
angebracht war, in die Waschflasche W geleitet, die mit kon-
zentrierter Schwefelsäure beschickt war und ebenfalls durch
Glasschliff gg verschlossen werden konnte. Von hier gelangte
der Chlorwasserstoff schließlich in den die Rhodiumsalz-
lösnng enthaltenden Erlenmeyerkolben, Eg, um hier in einer
trichterförmigen F^rweiterung, die ein Verstopfen durch ausfal-
^) Diese waren vorher mit öalzBäure erschöpfend behandelt worden.
— 45 —
lendes Cblornatrium verhindern soll, zu enden. Nachdem die
Lösung unter Abkühlung durch Einstellen in Eiswasser mit
gasförmiger Salzsäure gesättigt war, wurde das abgeschiedene
durch Khodium noch rosa gefärbte Chlornatrium abfiltiert. Hiezu
benützten wir durch Kochen mit Salzsäure und Ausdämpfen
mit Wasser gereinigte Glaswolle, nachdem wir den größeren Teil
der Lösung zuvor dekantiert hatten. Die rhodiumhaltige Lösung
wurde sodann in einer Porzellanschale zur Trockene eingedampft,
der Rückstand mit wenig Wasser aufgenommen und mit Am-
moniak im Überschuß versetzt. Nachdem noch einige Male mit
Figur 2.
Ammoniak bis fast zur Trockene eingedampft worden war,
wurde die zuletzt erhaltene Salzmasse mit konzentrierter Salz-
säure versetzt, und mehrere Stunden auf dem Wasserbade er-
hitzt. Hiebei schied sich das Chloropentamminrhodiumchlorid aus.
Dasselbe wurde auf einem Filter gesammelt, mit kaltem, reinstem
Wasser gewaschen und durch Lösen in heißem Wasser und Ein-
filtrieren in konzentriei'te Salzsäure wiederholt gereinigt. Hie-
bei entstanden bedeutende Verluste an der Ausbeute, da ein
— 46 -
großer Teil des Salzes beim Einfiltrieren in Salzsäure in Lösung
blieb und f6r das reinste Endprodukt somit verloren ging. Je
reiner jedoch das Analysenmaterial wurde, desto leichter löste
es sich in siedendem Wasser und desto quantitativer fiel es beim
Einfiltrieren in konzentrierte Salzsäure aus. Infolge der eben-
genannten Umstände benötigten wir große Quantitäten des so
kostbaren und auf so mühselige Weise dargestellten reinsten
Wassers. In der Folge zeigte sich jedoch, daß eine mindestens
dreimalige Reinigung des Produktes auf vorbeschriebene Weise
vollkommen genägte, tadellos reinstes Änalysenmaterial zur Atom-
gewichtsbestimmung zu bekommen, und schließlich resultierte
denn auch das reine Chlorochlorid von dem von Jörgensen be-
schriebenem Aussehen als blaßgelbes, einen schwachen Stich
ins Grünliche zeigendes, kristallinisches Pulver.
BestimmDng des Atomgewichtes.
Das auf die eben beschriebene Art erhaltene reinste Präparat
wurde in eine Platinschale übergeführt, wobei natürlich die am
Filter haftengebliebenen Teile nicht berücksichtigt wurden. Die
Schale wurde dann in einen mit Phosphorpentoxyd beschickten
Exsikkator gebracht, wo sie im Vakuum mehrere Tage belassen
wurde. Darauf wurde sie im Trockenschranke auf 105® er-
hitzt, wobei natürlich peinlich darauf geachtet wurde, daß die
Temperatur nie höher steige.
Das auf die geschilderte Weise vorbereitete Präparat wurde
nun zur Analyse verwendet.
Nun sollte hier eine Beschreibung der Wagen und Gewichte
Platz finden, die uns zur Verfügung standen; allein die Wagen,
die auch wir zu dieser Atomgewichtsbestimmung benützten,
sind erst kürzlich in den aus dem gleichen Laboratorium er-
schienenen Abhandlungen so ausführlich beschrieben worden, daß
ich füglich nicht wieder darauf einzugehen brauche.
Bei der eigentlichen Analyse des Chlorochlorids konnten
wir sowohl die in diesem Laboratorium gemachten Erfah-
rungen bei den mehrfachen Bestimmungen des Palladiums
mit Nutzen anwenden, wie auch die Beobachtungen zu Rate
ziehen, die Seubert und Kobbe in ihrer Abhandlung über
das Atomgewicht des Khodiums niedergelegt haben. Wie beim
Palladium, so bildete auch bei der Atomgewichtsbestimmung
— 47 —
des Ehodiams die größten Schwierigkeiten der Umstand, daß
Rhodinm die Eigenschaft besitzt, Wasserstoff zu absorbieren.
Mithin lag der Gedanke nahe, die Bestimmung genau in der-
selben Weise, ja mit dem nämlichen Apparate wie die Atom-
gewichtsbestimmung des Palladiums auszuführen. Wir ver-
wandten den durch beiliegende Figur 3 veranschaulichten Apparat,
dessen Beschreibung der Zweck der folgenden Zeilen sei:
Das im Kipp 'sehen Apparate entwickelte Gas passiert
die drei Waschflaschen a, b, c und tritt von hier in einen kleinen
Verbrennungsofen d. Die darin befindliche Verbreunungsröhre
ist mit ausgeglühten Kupferspiralen gefüllt, e stellt eine Kugel-
röhre dar, die mit Palladiumasbest gefüllt ist, f ein Ghlorcalcium-
rohr, das mit dem folgenden Röhrenstück durch einen Schliff
verbunden ist, wie überhaupt von hier ab alle Verbindungen
durch tadellose Glasschliffe hergestellt sind. Bei g verzweigt
sich der Apparat: hier mündet der Kohlensäurestrom ein, der
die gleichen Beinigungsapparaturen zu passieren hat wie der
Wasserstoffstrom, was in der Figur nicht ausgeführt ist. Durch
entsprechende Stellung der Glashähne m^, m^, m, kann je nach
Bedarf ein Wasserstoff bezw. Kohlensäurestrom durch den
Apparat geleitet werden, g stellt eine mit Phosphorpentoxyd
gefüllte Röhre dar, die mittels eines Schliffes mit h, dem Er-
hitzungsrohre, verbunden ist. Das Chlorcalciumrohr sowie die
mit konzentrierter Schwefelsäure beschickten Waschflaschen
schließen den Apparat nach hinten ab.
Wasserstoff wurde entwickelt aus chemisch reinem arsen-
treiem Zink und mehrfach destillierter und dann mit Wasser
verdünnter Schwefelsäure. Das Zink war vorher platiniert worden.
Die Kohlensäure entwickelten wir aus Marmor, den wir
durch Auskochen mit Wasser von Luft befreit hatten, und mit
reinster, verdünnter Salzsäure.
Diese Gase traten nacheinander durch konzentrierte Kali-
lauge, — beim Kohlensäureapparate war natürlich statt dieser
eine Lösung von Natriumbikarbonat vorgelegt worden, ~
Kaliampermanganatlösung und chemisch, reine, konzentrierte
Schwefelsäure. In der Verbrennungsröhre sowie durch deji
Palladiumasbest wurden die letzten Reste von Sauerstoff ent-
fernt, und das so gereinigte Gas wurde nochmals durch Chlor-
calcinm und Phosphorpentoxyd scharf getrocknet.
— 48 —
Nach dieser Schilderung des Apparates im allgemeinen
mag nun die Beschreibung einer Atomgewichtsbestimmung selbst
erfolgen.
Große und breite Porzellanschiifcben aus Meißner Porzellan
wurden in Königswasser mehrere Stunden ausgekocht, dann
mit Wasser gereinigt und schließlich in reinem Wasser selbst
nochmals längere Zeit ausgekocht. Nachdem sie sorgfältigst mit
einem seidenem Tuche getrocknet waren, wurden sie je 10 Minuten
vor dem Gebläse geglüht, dann nach kurzem Erkalten in die
bekannten zu diesem Zwecke dienenden Wägeröhrchen, die
mit zwei vorzüglich eingeschliffenen und absolut luftdichten
Glasstopfen versehen waren, eingeschoben, 2 Stunden an der
Wage stehen gelassen und dann zur Wägung gebracht. Dies
wurde so oft wiederholt, bis dreimal hintereinander konstantes
Gewicht erreicht wurde. In das so vorbereitete Schiffchen
wurden nun circa 1^2 S des reinsten Chlorochlorids eingetragen
und im Trockenschranke bei 105® 2 Stunden lang erhitzt.
Nach abermaligem, zweistündigem Stehen im Wägezimmer
wurde das Schiffchen, diesmal mit Substanz, gewogen und
diese Operation so lange fortgesetzt, bis konstantes Gewicht
erreicht wurde. Das Schiffchenwurde nun vorsichtig in das
Glasrohr h übergeführt, die Apparate luftdicht verbunden
und, nachdem zuvor durch Kohlensäure zur Vermeidung von
Knallgas alle Luft verdrängt worden war, ein langsamer Wasser-
stoffstrom hindurchgeleitet.
Jörgensen hat bei seinen Versuchen die Erfahrung ge-
macht, daß die Reduktion des Salzes nicht ohne Stäuben vor
sich geht, und hat, um Verlusten vorzubeugen, das Salz in
Filtrierpapier eingewickelt abgewogen, erst in Luft, dann in
Wasserstoff geglüht und nach beendetem Versuche die ent-
sprechende Menge Filterasche von dem Gewichte des Metalls
in Abzug gebracht. Seubert und Kobbe haben aber gezeigt,
daß das Stäuben vollständig vermieden werden kann, wenn
man die betreffenden Verbindungen, seien sie durch langsame
Kristallisation abgeschieden oder aus Lösungen gefällt, vorher
im Achatmörser möglichst fein zerreibt. In der Tat konnten
auch wir durch Befolgung dieses Ratschlages Verlusten vor-
beugen, doch können wir noch die Erfahrung hinzufugen, daß
man sich am sichersten vor Verlusten schützt, wenn man die
— 49 —
Reduktion nur in einem ganz langsamen Wassersloffstrome oder
gar nur in einer Wasserstoflfatmosphäre vor sich gehen läßt
obwohl im letzteren Fall der weitere Übelstand eintritt, daß
das sich bildende Chlorammonium fortwährend zurücksublimiert.
Wir wählten also den Mittelweg und gingen so vor, daß
wir in einem ganz schwachen Wasserstoflfstrome das Rohr un-
gefähr 2 Finger breit von der Stelle, an der sich das Schilf-
chen befand, mit einem Mikrobrenner schwach zu erwärmen
begannen und durch fächelndes Erhitzen die Zersetzung des
Chlorochlorids allmählich herbeiführten. Die Zersetzung geht
äußerst ruhig vor sich, doch muß man darauf achten, mit dem
Brenner stets einen Zentimeter von der Stelle entfernt zu
bleiben, an der eben die Reduktion vor sich geht. Das Chlor-
ammonium verflüchtigt sich langsam, indem es sich teils auf
dem zersetzten Salze niederschlägt, teils an der Röhre haften
bleibt. Der Prozeß geht so langsam vor sich, daß wir zur
erstmaligen Reduktion des Schiffchens stets volle 3—4 Stunden
benötigten. Eine weitere Schwierigkeit bestand nun darin die
letzten Reste des Chlorammonium aus dem Rhodiumschwamm
zu vertreiben und ein Zurücksublimieren zu vermeiden. Wir
erreichten dies dadurch, daß wir, nachdem das Salz voll-
ständig zersetzt war, einen stärkeren Wasserstoffstrom durch
die Röhre streichen ließen und durch Erhöhung der Tempe-
ratur mittels eines Teklubrenners mit Schwalbenschwanzauf-
satze, beginnend am Ende des mit Phosporpentoxyd beschickten
Rohrs, dafür Sorge trugen, daß ein Zurücksublimieren des
Chlorammoniums zur Unmöglichkeit wurde. Auf diese Weise
trieben wir zugleich das Chlorammonium ein gutes Stück
über das Schiffchen hinaus, so daß beim späteren Heraus-
nehmen des Schiffchens kein Chlorammonium mehr an demselben
haften bleiben konnte. War dies erreicht, so ließen wir die
Temperatur der Röhre auf ungefähr 200® abkühlen, schalteten
den Wasserstoffstrom aus und leiteten Kohlensäure durch die
Röhre durch Schließen von m^ und Öffnen von mg. Dies hatte
den Zweck, einerseits die Absorption von Wasserstoff durch
Rhodium zu verhindern, andrerseits der beim unmittelbaren
Verbringen des feinverteilten Rhodiums aus der Wasserstoff-
atmosphäre in die Luft infolge seiner kalalytischen Eigen-
schaften erfolgenden Bildung eines Besclilaofs von Wasser
Sitxungaberiebte der phys.-med. Soz. 89 (1907). ^
— 50 —
^^-^cr;
vorzubeugen. Wie das mit Wasserstoff beladene Palladium,
im 'JC^tei^äiiifestrom schwach über 150® erwärmt, die ge-
samte -Menge des Wasserstoffs, ohne von der Kohlensäure
irgendwie angegriffen zu werden, abgibt, so konnte auch
im vorliegenden Falle durch die gleiche Behandlung bewirkt
werden, daß das nach der Reduktion ini Schiffchen als zusammen-
hängendes lockeres Stäbchen von hellgrauer Farbe zurfick-
bleibende Metall nach dem Erkalten im Eohlensäurestrom und
Vertreiben der Kohlensäure durch reine, trockene Luft absolut
rein und frei von irgend welchen Grasen war. Nachdem so das
Schiffchen im Kohlensäurestrome nochmals erhitzt worden
war, wurde zum Erkalten eine Stunde lang Kohlensäure durch
die Röhre geleitet; dann die Kohlensäure dui*ch reine, trockene
Luft vertrieben, das Schiffchen aus der Röhre in das luft-
dicht verschlossene Wägeröhrchen übergefiihrt, zwei Stunden im
Wägezimmer belassen und schließlich gewogen. Dieser Prozeß
des Erhitzens im Wasserstoff- bezw. Kohlensäurestrom wurde
so oft wiederholt, bis Gewichtskonstanz eingetreten war, was
zumeist schon mit der 3. und 4. Wägung erreicht wurde.
Schließlich wurde das Schiffchen mit der reduzierten Sub-
stanz im Sprehgelschen Vakuum erhitzt, ohne daß das Ge-
wicht sich verändert hätte.
Nachdem nun alles, was zur Beurteilung der von uns ge-
wählten analytischen Methode von Wichtigkeit ist, in kurzen Zügen
mitgeteilt worden ist, folgen die gefundenen Werte, auf deren
Diskussion wir uns jedoch nicht eher einlassen
möchten, bis weitere Untersuchungen, die im hiesigen
Laboratorium im Gange sind, die Frage endgültig
entscheiden.
Nr.
Angewandte
Substanz
in g
Gefunden
Rhodium
in g
Verlust
= (NH,),Cl3
in g
Gefunden
•/o Rh.
•
Atom-
gewicht
1
2
3
1,60574
1,67310
1,30182
4,58066
0,56124
0,58492
0,45507
1,60123
1,04450
1,08818
0,84675
34,951
34,960
34,956
Mittel
34,956
102,906
102,943
102,925
2,97943
Mittel
102,92
=o=c
«- <='
über Wirbelsäulenperkussion.
Von Oskar de la Camp.
Aus dem pharmakologisch-polikliniscfaen Institut der Universität Erlangen.
Vorgetragen in der Sitzang vom 8. Juli 1907.
Während die Perkussionsmethodik am Thorax selbst allseitig
ausgebildet ist, während man auch hinter dem Stemum, als
solidem Knochen, lufthaltige Organe von luftleeren perkussorisch
abzugrenzen gelernt hat, ist von der Perkussion des Strebe-
pfeilers des Brustkorbes, der Wirbelsäule selbst, bisher wenig
die Rede gewesen.
In neuerer Zeit haben einige Autoren allerdings dem Wert
der Wirbelsäulenperkussion das Wort geredet. Hier sind zu
nennen vor allem Ewart, Bauchfuß, Hamburger und be-
sonders V. Koranyi. — Doch liegen auch recht alte Beob-
achtungen vor:
Skoda übersetzt Auenbruggers „Idem sonus per
tractum Spinae dorsi observatur^ mit: „Derselbe Ton
ergibt sich längs der Wirbelsäule."
Diese Übersetzung erscheint nicht gerechtfertigt; Auen-
brugger meint offenbar, nachdem er den Schall an den Seiten
des Brustkorbes besprochen und den dumpf schallenden Bezirk
der Herzdämpfung hinter dem Sternum erwähnt hat, mit dem
letzten Satz die Perkussion der Wirbelsäule selbst. — Ferner
äußert sich Piorry ausführlicher über die direkte Perkussion
der Wirbelsäule.
Den Wert der Wirbelsäulenperkussion möchte ich an zwei
Beispielen demonstrieren: 1. an der perkussorischen Darstellung
vergrößerter mediastinaler Drüsen; 2. an den Dämpfungsverhält-
nissen pleuritischer Ergüsse, welche der Wirbelsäule sich an-
lagern.
4*
— 52 ~
1. Korabination der vielfachen anderweitigen Symptome
einer Anschwellung der Drüsen im Thoraxinjiem (Abmagerung,
Temperaturbewegungen, skrophulöser Habitus, sonstige Drusen-
schwellungen, positive Tuberkulinreaktion, Druckschmerz, Vagus-
husten, Spinalgie, Neissers Sondierungsmethode, Röntgenunter-
suchung) gestattet intra vitam nicht selten eine sichere Diagnose.
Solche Fälle wurden in erster Linie zur Bewertung der Wirbel-
säulenperkussion herangezogen. — Die Wirbelsäulennähe der
im Bifurkationsknie liegenden Drüsen kann ich Ihnen unter Be-
zugnahme auf die Thoraxquerschnitte im Toldtschen Atlas und
auf eigene Röntgenuntersuchungen an Frontalserienschnittea
durch Gefrierleichen demonstrieren.
Bezüglich der Perkussionstechnik und -befunde an der
normalen Brustwirbelsäule schließe ich mich den v. Koranyischen
Befunden fast ausschließlich an. Daß die einzelnen auf ihren
Dornfortsatz perkutierten Wirbel als Plessimeter wirken, un-
beschadet der schrägen Perkussionsrichtung, kann ich Ihnen
durch Darstellung der absoluten und relativen Herzdämpfung
bei einem erwachsenen Jungen zeigen. (Demonstration.) — Im
Öefüge der Wirbelsäule behält jeder Wirbel seine perkussorische
Selbständigkeit, so daß in der Tat die vor der in kaudal zu-
nehmender Weise zwischen die hinteren Lungenränder einge-
falzten Brustwirbelsäule liegenden Organe maßgeblich werden.
Beweis: 1. Der Wintrichsche Schallwechsel (Trachea) bei
starker Perkussion der oberen Brustwirbelsäule, einmal bei ge-
öffnetem, das andere Mal bei geschlossenem Mund (und Nase).
2. Die Dämpfung auf dem 8. und 9. Brustwirbel (1. Vor-
hofsdämpfung) bei Mitralfehlern.
3. Vorführung von Kindern aus der Kinderklinik und Poli-
klinik mit geschwellten Mediastinaldrüsen.
Die Schwingungsverhältnisse der Wirbelsäule kommen
nun auch für die Entstehung des sogenannten paravertebralen
Dreiecks bei einem nicht zu geringfügigen Pleuraerguß in Frage.
Es gibt nur einen wagerecht stehenden, bei Lage Wechsel
unmittelbar beweglichen Ergußspiegel im Pleuraraum, nämlich
denjenigen bei gleichzeitiger Gegenwart von Luft. — Die
größeren entzündlichen Ergüsse zeigen häufig eine vielfach
schon beschriebene Form ihres Oberflächenspiegels in dem Sinne,
daß d:i: Exsudat neben der Wirbelsäule tiefer steht als in der
— 53 —
Skapularlinie, dann nach seitlich, resp. vorn steil abfällt (E llis-
Damoiseausche Kurve). So entsteht auf der Ergußseite ein
minder dumpf (tympanitisch) schallender^ manchmal geradezu
dreieckiger Bezirk (Oarland, Bauchfuß, Kraus, Krönig
u. a.). Auch auf der anderen Seite resultiert ein noch weniger
dumpf schallender paravertebraler Streiifen durch Verdrängung
des Mediastinums (v. Koranyi, Grocco, Rauch fuß) unter
gleichzeitiger Anteilnahme der Wirbelsäule im Sinne eines auf
die Ergußseite und die gesunde Seite übergreifenden Plessimeters
(Hamburger).
Die einschlägigen Verhältnisse möchte ich Ihnen an Eöntgen-
bildern und den Frontalserienschnitten durch eine Gefrierleiche
mit Pleuraexsudat unter Bezugnahme auf poliklinische Beob-
achtungen an Lebenden demonstrieren.
über die Koagulationsgeschwindigkeit wässriger
Gelatinelösungen,
Von Paul Lampe.
Aus dem physikalischen Institut der Universität Erlangen.
Eingegangen am 27. Juli 1907.
Die Lösungen von kolloidalen Körpern kann man in zwei
Gruppen einteilen. Bei den einen tritt ein Gerinnen ein, bei
den anderen nicht. Zu den ersteren gehören die Gelatine-
lösungen. Über den Verlauf des Erstarrungsprozesses liegt
schon eine Reihe von Untersuchungen vor. Speziell wurde der
Einfluß, den bestimmte Zusätze hervorrufen, untersucht Die
früher verwendeten Methoden zur Bestimmung des Erstarrungs-
verlaufes sind folgende: es wird z. B. der Zeitpunkt bestimmt,
bei dem ein Thermometer oder ein Glasstab von der gerinnen-
den Substanz festgehalten wird oder Quecksilbertropfen nicht
mehr durch die betreffende Substanz durchfallen. Da der
Schmelzpunkt bei den Kolloiden nicht wohl definiert ist,
so sind diese Messungen ungenau. Einer anderen Methode, die
auch nicht genaue Resultate liefern kann (es wird nämlich der
Zeitpunkt bestimmt, bei dem kein Ausfließen der koagulierenden
Substanz beim Stürzen eines Gefäßes eintritt) bedienen sich
Moerner^) und nach ihm S. Levites *) zu eingehenden Unter-
suchungen. Auch diese Methode benützt keinen scharf defi-
nierten Zustand der Gelatinelösung. Ausführliche Messungen
über Erstarrungserscheinungen von Gelatinelösungen sind weiter
von P. von Sehr oe der *) angestellt worden. P. von Schroeder
*) Mo einer. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1899.
«) S. Levites. Journ. d. russ. phys. ehem. Ges. 34, 110—119. 1902.
35, 253-263. 1903. 86, 401-417. 1904. Vergl. Beibl. z. d. Ann. d.
Phys. 28, 1121. 1904
») P. von Schroeder. Zeitschr. f. phys. Chemie 46, 75. 1903,
— 55 —
hat eine wohl definierte physikalische Eigenschaft wässriger
Gelatinelösungen verwendet, nämlich die innere Reibung. Zur
Beobachtung des zeitlichen Verlaufs des Koagulationsprozesses
bei konstanter Temperatur ist seine Methode nur in sehr be-
schränktem Maße verwendbar, da von dem Moment des Er-
starrens ab seine Methode versagt, während der Eoagulations-
prozeß mit dem Erstarren keineswegs beendet ist. Weiterhin
ist seine Methode nur für sehr verdünnte Lösungen brauchbar.
R. Reiger*) hat auf die Verwendbarkeit des Scherungs-
moduls zui* Bestimmung der Koagulationsgeschwindigkeit hin-
gewiesen. Zur Bestimmung des letzteren eignet sich eine
statische Methode von Th. Schwedoff*) und eine von
R. Reiger angegebene „dynamische" Methode. Letztere ist
vor allem im Änfangsstadium brauchbar.
In der nachfolgenden Arbeit soll der Einfluß der Konzen-
tration der Gelatinelösung und der Einfluß von Zusätzen ver-
schiedener Salze, Säuren, Basen zu derselben auf die Koagu-
lationsgeschwindigkeit bestimmt werden. Da zunächst von einer
eingehenden Untersuchung des Anfangsstadiums der Koagulation
abgesehen wurde, so wurde zu den im folgenden mitgeteilten
Beobachtungen die statische Methode von Schwedoff gewählt 3).
Da Vorversuche, die mit Gelatinelösungen von demselben
Prozentgehalt an Gelatine bei verschiedenen Temperaturen an-
gestellt wurden, zeigten, daß der Scherungsmodul in hohem
Maße von der Temperatur abhängt, so wurden die Versuche
in einem Raum von konstanter Temperatur durchgeführt. Die
mittlere Temperatur desselben bei den verschiedenen Versuchen
gibt die auf S. 56 folgende Tabelle wieder.
Bei der Herstellung der Lösungen wurde Rücksicht darauf
genommen, daß sie sämtlich möglichst dieselbe (thermische)
Vorgeschichte erhielten, deren Einfluß auf die elastischen Eigen-
schaften koagulierter wässriger Gelatinelösungen von E. Fraas *)
und P. von Schroeder^) untersucht worden ist.
') R. Reiger. Sitzungsberichte der phys.-med. Soz. in Erlangen 38,
252. 1906.
*) Th. Schwedoff. Journ. d. Phys., 8, 341. 1889 u. 9, 34. 1890.
•) Vergl. hierzu R. Reiger a. a. 0. S. 253.
*) E. Fraas. Wied. Ann. 53, 1074. 1894.
•) P. von Schroeder a. a. 0.
56
Vereuchß-
mittlere
reilie
Temperatur
I.
6,0»
II.
6,0«
III.
7,1°
IV.
6,6<'
V.
6,8"
VI.
7,0"
VII.
7,2«
Die von mir verwendeten A^ufliängungsdrähte besaßen
eine Direktionskraft, welche innerhalb der Grenzen 3,206
• 10«— 1,887-105 Erg lag. Zunächst seien im folgenden die
zeitlichen Änderungen des Scherungsmoduls mitgeteilt.
Beobachtungen des Einflusses der Konzentration und
Beimengungen auf die zeitliehe Änderung des
Scherungsmoduls.
1. Einflufs der Konzentration.
Um den Einfluß der Konzentration auf die zeitliche Ände-
rung des Scherungsmoduls zu bestimmen, wurden 1^/^, 2^/o
und i^JQ Gelatinelösungen untersucht. Am Ende des Versuches
wurde eine genaue Bestimmung der Konzentration durch Ana-
lyse vorgenommen. Dazu wurden kleine, dünne Scheibchen
aus der koagulierten Lösung herausgeschnitten, auf ein Uhr-
glas gebracht und möglichst rasch gewogen. Hierauf wurden
die Scheibchen im Exsikkator getrocknet, bis sich das Gewicht
nicht änderte. Die Abhängigkeit des Scherungsmoduls von
der Zeit geben die folgenden Tabellen, in denen die 1. Ko-
lumne die nach dem Gießen der Lösung verstrichene Zeit t in
Stunden und die 2. Kolumne den Scherungsmodul n in
kg/mm* gibt.
- 57
L Versuchsreihe.
Figur 1.
0 StiudeD
Konzentration 1,128
Konzentration 2,189
Konzentration 4,434
t
n.lO»
t
n . 10*
t
n . 10*
1^
0,007
Ih
0,010
Ih
0,161
2h
0,046
2h 2'
0,073
2h 2'
0,760
3t
0,145
3h
0,199
3h
1,325
4h
0,283
4h
0,303
4h
1,707
r)h
0,402
5h
0,382
4h 58'
2,022
6h
0,491
6h
0,440
6h
2,229
7h 1'
0,575
7h
0,483
7h
2,386
811
0,636
8h
0,517
8h
2,505
9h
0,685
9h
0,542
9h
2,599
10h
0,728
10h
0,561
10h 1'
2,675
11h
0,767
11h 2'
0,579
Uh 1'
2,733
17h 2'
0,911
12h
0.596
12h 1'
2,780
23h 1'
0.982
13h 1'
0,610
20h
3,070
2r)h 1'
0,994
19h
0,663
25h
3,148
29h 1'
1,022
25h 3-
0,693
28h
3,181
31h
1,035
3lh 10'
.0,713
45h 54'
3,376
35h
1,062
37h
0,728
70h 38'
3,537
47h
1,130
49h
0,753
59h
1,225
73h
0,792
61h 1'
1,226
— 58 -
2. Einflufs von yerBOhiedenen Beimengungen.
In den folgenden Untersuchungen wurden zunächst die
Zusätze so gewählt, daß sich Vio ^^^^^^^^^^^^ ^^ einem Liter
der öelatinelösung (4®/o) befand ^). Je 3 Lösungen wurden
gleichzeitig hergestellt, um dieselbe thermische Vorgeschichte
zu erzielen. Ein Versuch mit einer 4prozentigen Gelatinelösuug
wurde stets gleichzeitig mit durchgeführt. Den Einfluß der ein-
zelnen Salze, Basen und Säuren geben die folgenden Tabellen.
Die Anordnung der Tabellen ist in der Weise getroffen, daß
stets die Versuche der Reihe nach aufgeführt sind, wie sie
zeitlich aufeinander folgten.
II. Versuchsreihe.
Figur 2.
3
^— -"
Ji-o-
■
— ^
/
— ^
-—
4%BitlitQ
4% mit KOI
==
3
¥
r
i
(k mit NaCI
1
f
d
0' S4aodeD
60
^) Versuche über deu Einfluß der Konzentration der Zusätze sollen
später mitgeteilt werden.
— 59
4»/o Gelatine
KCl
NaCl
t
n.lO*
t
n.lO*
t
n.lO*
Ib
0,161
Ih
0,234
lh2'
0,167
2h 2'
0,760
2h
0,796
2h 2'
0,652
3h
1,325
31» 3'
1,292
3h 2'
1,133
4h
1,707
4^ 1'
1,626
4h 2'
1,490
4h 58'
2,022
5h 4'
1,847
5h 2'
1,739
6h
2,229
6h 8'
2,029
6h 2' 1,922
7h
2,386
7h 3' 1 2,142 1
7h 2' 2,060
8h
2,505
8h 3'
2,243
8h 2'
2,180
9h
2,599
9h 4'
2,321
9h 2'
2,268
10h V
2,675
10h 4'
2,380
10h 2'
2,343
11h 1'
2,733
11h 6'
2,434
11h 2' 2,401
12hl'
2,780
12h 4'
2,470
12h 2'
2,448
25h
3,148
13h 7'
2,512
21h 2'
2,740
28h
3,181
21h 6'
2,726
25h
2,799
45h 54'
3,376
25h 5'
2,783
47h 2'
3,034
70h 38'
3,537
29h 5'
4Sh
2,821
2,986
71h 41' 3,133
III. Versuchsreihe.
Figur
3.
~ 60 —
4*'/o Gelatine
Na, SO,
K,SO,
t
11.10*
t
n.lO'
t
n.lO*
Ih r
0,381
Ih
0,361
Ih
0,303
2h 1'
0,959
2h
1,031
2h
0,970
3hl'
1,742
3h
1,561
3h
1,478
4h V
2,129
4h
1,921
4h
1,832
6h 3'
2,562
5h 1'
2,168
5h
2,068
7h V
2,692
6h
2,340
6h
2,238
8h V
2,795
7h
2,471
7h
2,359
9h 1'
2,874
8h
2,576
8h
2,457
10h 2'
2,941
9h
2,654
9h
2,533
11h V
2,992
10h
2,711
10h
2,599
12h 1'
3,039
18h
3,027
18h
2,901
20h 3'
3,330
20h 2'
3,048
20h 2'
2,938
45h 54'
3,665
42h 11'
3,318
43h 47'
3,204
IV. Versuchsreihe.
Figur 4.
a
r
O- ,ft-„
^
o
c
•»
*-2=^
^5**^
^T^^^'^'o^w
1
X
V,
s
\
\
Sf"
k \
1
Vi n
\
VT
\
^
\
t
Dlatine
KNO,
NaNOa
11 . 10*
t
11 . 10*
t
n.lO*
lh4' 0,079
Ih
0,040
Ih
0,088
2h 0,455
2h
0.256
2h 2'
0,460
3h 1' 1,187
3h
0,856
3h
1,057
4h 1' , 1,720
4h
1,364
4h
1,519
5h 2'
2,104
5h
1,733
5h 1'
1,832
6h 1'
2,359
6h
1,989
6h 1'
2,044
7h 2''
2,548
7h 2'
2,172
7h 1'
2.206
8h 2'
2,687
8h 1'
2,301
8hl'
2,316
9h 3'
2,783
9h 1'
2,387
9h 1'
2,403
10h 6'
2,859
10h
2,475
lOh 1'
2,473
11h 6' ! 2,932
20h 15'
2,882
11h
2,526
12h 2' 2,987
12h
2,567
21h 2'
3,367
22h
2,893
- 61 -
V. Versuchsreihe.
Figur 5.
4°/o Gelatine
4»;oG(
Blatine
n.lO*
HCl »)
HCl
t
ri.lO*
t
t 11.10*
t
n.lO*
Ih
0,076
8h 1' 2,603
lh3'
0,015
8h
1,830
Ih 35'
0,208
fth y 2,721
2h 5'
0,130
9h
1,940
2^37'
0,824
101» 1' 2,807
3h 1'
0,468
10h
2,020
3h
1,084
lU»
2,868
4h l'
0,916
11h 1'
2,083
4h 1'
1,600
12h 1'
2,915
oh 1'
1,257
12h
2,142
b^
2,011
22h 2'
3,296
6hl'
1,510
22h
2,473
61*2'
2,280
47h 32'
3,599 ,
7h 1'
1,694
46h 53'
2,735
7h i'
2,464
i
*) Die Lösung war nicht genau ^^o norm., sondern 0,1022 norui.
- 62 -
VI. Versuchsreihe.
Figur 6.
4^/0 Gelatine
KOH
HNO,
t
n.lO*
t
n.lO»
t
n.lO*
Ih
0,072
Ih
0,080
Ih
0,026
2h
0,478
2h 2'
0,340
2h 11'
0,223
3h 6'
1,240
3h
0,820
3h
0,566
4h
1,710
4h 3'
1,862
4h
0,945
5h
2,073
5h
2,807
5h
1,219
6h
2,317
6h
3,565
6h
1,419
7h
2,496
7h
4,115
7h
1,562
8h
2,621
8h
4,502
8h 12'
1,677
9h
2,718
9h
4,753
8h 58'
1,759
10h
2,800
10h
4,937
10h
1,818
11h 1'
2,862
11h
5,054
11h
1,886
12h 1'
2,899
12h
5,123
12h
1,912
13h
2,951
13h
5,159
22h
2,195
23h
3,270
14h
5,164
23h 1'
2.208
27h 1'
3,312
23h
5,082
27h
2,255
31h
3,360
26h 57'
4,846
31h
2,281
35h
3,390
30h 58'
4,591
35h
2,314
47h
3.539
35h 5'
47h
95h
4,321
3,687
1,814
59h
2,411
— 63 —
VII. Versuchsreihe.
Rgur 7.
4»/o Gelatine
NaOH
HjfiO*
t
n.lO*
t
n.lO*
t
n.lO*
Ih
0,066
Ih
0 007
Ih
0,057
2h
0,418
2h
0,037
2h 8'
0,424
3h
1,099
3h
0,093
3h
0,790
4h
1,617
4h
0,196
4h
1.181
5h
1,980
5h
0,302
5h 1'
1,460
6h
2,233
6h
0,388
6h
1,658
7h
2,412
7h
0,447
7h
1,803
8h
2,538
8h
0,492
8h 1'
1,907
9h
2,635
9h
0,523
9h
1,988
10h
2,716
10h
0,544
10h
2,052
11h
2,781
11h
0,558
11h
2,104
12h
2,837
12h
0,572
12h
2,152
24h
3,236
13h
0,576
24h
2,474
30h
3,304
24h
0,591
30h
2,541
36h
3,370
30h
0,558
36h
2,584
48h
3,490
36h
0,523
48h
2,677
2,5 Tage
3,568
48h
0,454
2,5 Tage
2,700
3,0 Tage
3,627
2,5 Tage
3,0 Tage
0,391
0,335
3,0 Tage
2,778
^ 64 -
Yerlfluf des Koagniationsprozesses.
Welche Vorstellung man sich anch von dem Koagulations-
prozeß machen mag, so haben wir es jedenfalls hier mit einem
Vorgang zu tun, bei dem eine Umwandlung der gegebenen
Lösung in einen anderen Zustand stattfindet ^). Nach R.Reiger^)
ist der Untersuchung des hier stattfindenden Reaktionsverlaufes
die zeitliche Änderung des Scherungsmoduls zugrunde gelegt.
In welcher Weise jedoch der Scherungmodul von der bei dem
Prozeß umgewandelten Menge abhängt, ist nicht bekannt. Zu-
nächst kann man wohl die Annahme machen, daß die um-
gesetzte Menge proportional dem Scherungsmodul d. h. pro-
portional n ist. A. Leick^) findet bei Untersuchungen über
die Elastizität koagulierter wässriger Gelatinelösungen für die
Konzentrationen zwischen IO^Iq und 40^/^, daß E/c* angenähert
eine Konstante ist, speziell für seine niedrigeren Konzentrationen,
wobei E den Modul der Dehnung und c die Konzentration be-
deutet. Für die Werte der Scherungsmoduln nach ca. 47 Stunden
ist bei der 2*/^^ und 4^/^ Oelatinelösung die vonLeick gegebene
Beziehung gültig. Dagegen finde ich bei der Konzentration
l®/o eine Abweichung. Ebenfalls ergibt die Rechnung, daß
auch für noch niedrigere Konzentrationen, die von C. Rohlof f und
Shinjo *) untersucht worden sind, die Formel E/c* nicht gültig ist.
Welche Beziehungen für diese niedrigeren Konzentrationen gelten,
müssen erst weitere Untersuchungen zeigen. Jedenfalls gilt für
ca. 4®/o Gelatinelösungen noch die Leick'sche Beziehung, und
wir können deshalb noch die Annahme, daß die umgesetzte
Menge proportional der Wurzel aus dem Scherungsmodul, d. h.
proportinal Vn ist, den Berechnungen zugrunde legen. Die ge-
ringe Größe des Geschwindigkeitskoeffizienten einerseits und
die Unkenntnis des Zeitpunktes des Beginnes der Koagulation
andrerseits bedingen für eine Berechnung weitere Schwierig-
keiten. Der erste Umstand macht sich darin geltend, daß
auch nach sehr langer Zeit der beobachtete Wert des Sche-
>) Vergl. W. Pfeffer. Beibl. z. Wied. Ann. 2, 185. 1878; ferner
G. Quincke. Autorreferat in d. Fortschr. d. Phye. im Jahre 1903, Bd. 59,
I, 210.
») R. Reiger a. a. 0. S. 256.
») A. Leick. Ann. d. Phys. 14, 139. 1904.
*) C. Kohloff und Shinjo. Phys. Zeitscbr. 8, 442. 1907.
- 65 —
rungsraoduls von dem theoretisch ffir t = oo berechneten End-
wert erheblich abweicht. Überdies treten dann Fäulniserschei-
nangen auf, wenn man die Beobachtungen auf sehr lange Zeit
ausdehnt^).
Unter den oben erwähnten Annahmen wurde untersucht,
ob eine nnimolekulare, bimolekulare etc. Reaktion dem Eoagu-
lationsprozeß zu Grunde liegt, d. b. ob die Oleichungen
VT- = k(a — x) oder jt = k (a— x)* erfüllt sind. Im folgenden
sind als Beispiel einige Werte des aus den Formeln
und
•2x,-(x,+X3)
(unimolekulare Reaktion)
_x^(Xt + X3)~- 2x^X3
(bimolekulare Reaktion)
2x,-(x,+X3)
berechneten End wertes a gegeben, wobei tj— ti = t3— t2=T
und die x^, Xj, x, die zu den Zeiten t^, tj, tj umgesetzten
Mengen sind, resp. die diesen proportionalen — oder
(O
V-
nach der Annahme, die wir zu Grunde legen.
je
L X = — .
a>
a) Beobachtete Werte.
Hl
beobachteter Endwert
[nach 6 Tagen]
1,511 3,532 4,205 4,566 4,794 4,965 6,304
b) Berec
hnete End'
werte a.
Endwert
berechnet aus
a
uni molekulare
Reaktion
a
bimolekulare
Reaktion
X, X, X,
X, X, X,
X, X, X,
^ X, x„
4,54
4,99
5,19
5,43
5,55
5,76
5,80
6,05
^) Vergleiche hierzu wie zu dem folgenden R. Reiger a. a. 0. S. 258.
Sitxnngaberichte der rocd.-phya. Sox. 89 (1907). g
— 66 —
IL x =
a) Beobachtete Werte.
Diese Werte sind dieselben wie unter I, so daß also
^9 ^11
beobachteter Endwert t
4»»
1,229 1,879 2,051 2,137 2,190 2,228 2,610
b) Berechnete Endwerte a
Endwert,
berechnet aus
a
Ullimolekulare
Reaktion
a
bimolekulare
Eeaktion
X, X, X,
X, X, X,
X, X, X,
Xt X. x„
2,115
2,198
2,303
2,336
2,349
2,366
2,497
2,447»)
Aus diesen Tabellen ergibt sich, daß weder die Formel
einer unimolekalaren noch einer bimolekularen Reaktion den
Vorgang wiederzugeben vermag. Der Wert a wächst mit
der Zeit, der aus den Anfangswerten berechnete Wert ist
kleiner als die später beobachteten Werte.
Dies tritt noch deutlicher hervor, wenn man eine direkte
Berechnung des Oeschwindigkeitskoeffizienten k ausfährt. Es
Beobachtet« Werte
nach 3 Stunden:
1,0999
2,233
2,635
nach 6 Stunden:
'„ 18 „
2,233
2,837
3,086
nach 18 Stunden
„ 27 „
„ 36 „
3,086
3,278
3,370
k m
0,180
0,070
0,037
^) Aus dieser Zahl kann nichts geschlossen werden, da die Differenzen
zu klein sind and infolgedessen die Versuchsfehler zu sehr in Betracht
kommen.
Beobachtete Werte
k m
nach 2 Tagen:
3,490
„ 5 „
3,761
0,0048
» 8 „
3,887
nach 5 Tagen:
3,761
»> 8 „
3,887
0,00223
„ 11 „
3,975
- 67
seien z. B. für einen Versuch (siehe die vorstehende Tabelle)
die Änderung des Geschwindigkeitskoeffizienten unter der An-
nahme einer unimolekularen Reaktion und, daß die umgesetzte
Menge proportional der Wurzel aus dem Scherungsmodul ist,
mitgeteilt, wobei m den Modul der Briggischen Logarithmen
bedeutet und die Einheit der Zeit die Stunde ist.
Diese Abnahme des Geschwindigkeitskoeffizienten mit der
Zeit läßt vermuten, daß wir es eventuell mit einer verzögerten
Beaktion zu tun haben. Legen wir diese Annahme zugrunde,
so läßt sich der Einfluß verschiedener Zusätze auf den Ge-
schwindigkeitskoeflizienten bestimmen. Dabei soll von vorn-
herein auf die Behandlung des Reaktionsverlaufs bei den Zu-
sätzen von Na OH und EOH verzichtet werden, da hier die
Versuche, zeigen, daß außer der Koagulation noch eine Zersetzung
stattfindet, infolge der die Koagulation im Laufe der Zeit voll-
ständig vernichtet wird.
Die folgenden Tabellen geben die berechneten Werte für
die verschiedenen Versuchsreihen unter der Annahme einer uni-
Vereucha-
reihe
Prozentgehalt
an Gelatine
Zusatz
Berechnete W
X prop. n.
a) b)
erte von k m
X prop. \/n.
a) b)
1,128
2,189
4,434
—
0.084
0,124
0,129
0,071
0,068
0,067
0,133
0,158
0,153
0,082
0,075
0,072
II
II
II
4
4
4
n7ci
KCl
0,129
0,116
0,124
0,067
0,064
0,065
0,153
0,140
0,145
0,072
0,072
0,070
III
III
III
4
4
4
Na,SO,
K,SO,
0,140
0,132
0,137
0,063
0,062
0,063
0,157
0,150
0,155
0,066
0,067
0,068
IV
IV
IV
4
4
4
KNO,
NaNO,
0,147
0,151
0446
0,062
0,069
0,065
0,175
0,186
0,174
0,068
0,075
0,071
V
V
4
4
HCl
0,144
0,128
0,063
0,075
0,178
0,177
0,069
0,083
VI
VI
4
4
HNO,
0,143
0,133
0,075
0,072
0,170
0,171
0,080
0,079
VII
VII
4
4
H,SO,
0,150
0,140
0,069
0,069
0,180
0,171
0,070
0,075
- 68 —
molekularen Reaktion, wobei unter a) die Werte berechnet sind
aus den nach 3, 6, 9 Stunden und unter b) aus den nach 6,
12, 18 Stunden beobachteten Werten. Dabei ist „m" der Modul
der Briggischen Logarithmen.
Vergleichen wir die in der Tabelle gefundenen Werte für
k m, so zeigt sich, daß die Werte, die jeweils denselben Zeit-
in tervallen und daher demselben Eoagulationszustand entsprechen,
für alle Zusätze und Konzentrationen konstant sind, speziell
für die Annahme, daß die umgesetzte Menge proportional \/n
ist^). Allgemein zeigen die Versuchsreihen I, II, III etwas
niedrigere Werte als die Versuchsreihen IV, V, VI, VII. Dies
dürfte darauf zurückzufuhren sein, daß zu den letzteren Ver-
suchsreihen eine andere Gelatinesendung von den deutschen
Oelatinewerken in Höchst am Main benützt wurde und diese
eine etwas andere Zusammensetzung hatte.
Wir kommen somit zu dem einfachen Resultat:
Konzentration und Zusätze beeinflussen den
Schernngsmodul, dagegen ist der Geschwindigkeits-
koeffizient des Koagulationsprozesses innerhalb
weiter Grenzen von der Konzentration und von Zu-
sätzen von Säuren und Salzen unabhängig.
Der Versuch, welcher, wie bereits erwähnt, mit Gelatine-
lösuugen von demselben Prozentgehalt bei verschiedenen Tem-
peraturen angestellt worden ist, zeigt ebenfalls eine Unab-
hängigkeit des Geschwindigkeitskoeffizienten von der Temperatur,
dagegen eine Abhängigkeit des Scherungsmoduls von derselben.
Doch soll auf diese Versuche zunächst nicht näher eingegangen
werden, da sie nur Vorversuche sind und es mir mit meinen
bis jetzt verwendeten Hülfsmitteln nicht gelungen ist, die
höhere Temperatur mehrere Tage lang konstant zu halten.
S. Levites^) findet bei seinen Untersuchungen eine Ab-
hängigkeit der Koagulation von Konzentration und Zusätzen.
Wie bereits erwähnt, legt er seinen Messungen denjenigen Zeit-
punkt zugrunde, bei dem kein Ausfließen der koagulierenden
>) Eine Aasnahme zeigt nur die 1. Reihe. Dies rührt wohl daher,
dafi der Endwert nicht mehr der Beziehung -^ = const. genUgt, und daß
man daher diese Annahme über die umgesetzte Menge nicht machen darf.
•) 8. Levites, a. a. 0.
- 69 —
Substanz beim Stürzen eines Gefäßes eintritt, und nennt die
Eoagnlation einer Gelatinelösung mit Zusatz beschleunigt resp«
verzögert, je nachdem die koagulierende Substanz den eben
erwähnten Zeitpunkt früher oder später erreicht als eine reine
Gelatinelösung von derselben Konzentration. Dieser Zeitpunkt
hängt aber wesentlich von den elastischen Eigenschaften der
Gelatinelösung [Scherungsmodul und speziell Elastizitätsgrenze]
ab und muß daher wie diese eine Abhängigkeit von Zu-
sätzen wie auch von Konzentration und Temperatur zeigen.
Ebenso fuhrt P. von Schroeder keine Bestimmung des 6e-
schwindig&eitskoefflzienten durch ^), sondern er bestimmt das Er-
starrungsvermögen, für welches er als Maß ARjAt einführt, wobei
JR die Difierenz der Reibungskoeffizienten zu verschiedenen Zeiten
und At die betreffende Zeitdifferenz ist. Da aber der Reibungs-
koeffizient der Gelatinelösungen eine Funktion von Konzen-
tration, Temperatur und Zusätzen ist, so ist AUjAt wiederum ein
Ausdruck, der von diesen drei Größen abhängt; v. Schroeder
muß also eine Abhängigkeit der Koagulation von diesen drei
Größen finden.
Mit weiteren Versuchen über die Frage der Koagulations-
geschwindigkeit bin ich beschäftigt.
Erlangen, Physikalisches Institut, Juli 1907.
^) Wenigstens nicht für den Prozeß der eigentlichen Koagulation.
Seine Bestimmung des Geschwindigkeitskoefßzienten beziehen sich auf den
von ihm als „Yerseifung** bezeichneten Prozeß, der speziell unter Ein-
wirkung von langem Kochen eintritt. S. a. a. 0.
Ober die Emissionsspektra der Metalidämpfe von
Kadmium und Zink in Entladungsrohren^).
Von E. Wiedemann und A. Pospielow.
AuB dem physikalischen Institut der Universität Erlangen.
Im Anschluß an eine frühere Arbeit von E. Wiedemann
und G. C. Schmidt*) wurden von dem einen von uns
spektroskopische Untersuchungen an den Cd- und Zn-Dämpfen
in Entladungsröhren angestellt. Die Hauptaufgabe der Unter-
suchungen war, die Unterschiede der Spektren in verschiedenen
Teilen des Glimmstromes und die Bedingungen für das Auftreten
der einzelnen Linien festzustellen. Die Untersuchungen wurden
sowohl in Röhren mit inneren wie auch in Röhren mit äußeren
Elektroden angestellt. Um ferner einige Anhaltspunkte bei den
Untersuchungen verschiedener Teile des Glimmstromes im Sinne
der Elektronentheorie zu erhalten, wurden Potentialmessungen
in diesen Metalldämpfen ausgeführt. In der Tat zeigte sich,
daß die Spektralerscheinungen bei den zu untersuchenden Metali-
dämpfen mit den Potentialgefällen längs des Entladungsrohres
in einem engen Zusammenhang stehen: im negativen Glimmlicht,
wo die Geschwindigkeit der Elektronen am größten ist*), war
das Spektrum linienreicher als das der positiven Säule.
^) AusftthrHches siehe in der Inaugural-Dissertation A. Pospielow:
Über die Emissionsspektra des negativen Glimmlicht und der positiven
Säule bei Metalldämpfen von Cd und Zn. Erlangen 1907. Die Aus-
führung der vorliegenden Arbeit wurde durch die liebenswürdige Ge-
währung von Mitteln aus dem Elisabeth Thompson Fund in Boston wesent-
lich erleichtert, wofür auch hier bestens gedankt sei.
*) E. Wiedemann u. G. C. Schmidt. Diese Sitzungsbcr. 27,
136. 1897.
') Beim Cd-Dampf war die Geschwindigkeit der Elektronen im nt*ga-
tiven Glimmlicht ca. 300 Volt/cm,
- 71 -
Die folgenden vier Hauptstadien desLeachtens in denEnt-
ladnngsröhren sind zu unterscheiden:
1. Anfangsstadium bei relativ niedriger Temperatur, bei
kleinen Dampfdrucken. Dieses Stadium des Leuchtens beim
Cd-Dampf im Intervall von ca. 320^—390^ C. (Temperatur des
Ofens), beim Zn-Dampf bis ca. 500® C. zeigte meistens den
normalen Eathodenfall. Die Farbenunterschiede sind wenig
ausgesprochen.
2. Stadium der Schichtenbildung. Die Schichten der posi-
tiven Säule im Cd-Dampf sind grünblau mit rötlich-violettem
Saum nach der Anode zu, im Zn-Dampf dagegen sind sie im
ganzen rot gefärbt (mit bläulichem Saum).
3. Ungeschichtete positive Säule. Die ganze Entladung be-
steht aus zwei scharf voneinander getrennten Teilen, von fast
gleicher Größe, aber sehr verschiedener Farbe. Das negative
Glimmlicht beim Cd-Dampf zeigte rote Farbe, die positive Säule
war zuerst grün, bei höherer Temperatur wurde sie blau und
dann tiefblau. Ziemlich ähnliche Farben zeigte auch der Zn-
Dampf in diesem Stadium des Leuchtens. Der Kathodenfall ist
in diesem Stadium teils normal, teils aber anormal.
4. Oberhalb 550® C. beim Cd-Dampf und bei ca. 600® C. im
Zn-Dampf zeigte sich die „ Endform ^ des Leuchtens, welche
durch sehr starke Entwicklung des roten negativen Glimmlichts
charakteiisiert ist. Der roten Farbe des negativen Glimmlichts
ist jetzt auch Gelb beigemischt (was durch die Na-Linie be-
dingt ist).
Der Eathodenfall ist nicht mehr normal.
Abbildungen der Spektra an verschiedenen Stellen geben
die folgenden Figuren.
Kadminm.
A. Spektrum des negativen Glimmlichts.
r
I — o j
tf
72
B. Spektmm der positiven Säule.
I n
C. Dasselbe mit Banden.
isr
1
ii
?
? "(
: !
?
^1 5
li ä
t 5
.1 §
Zink.
A. Spektrum des negativen Glimmlichts.
B. Spektrum der positiven Säule.
5 « ? ^IJ^J si
C. Dasselbe mit Banden.
Die Hauptresultate der Arbeit können folgendermaßen zu-
sammengefaßt werden:
1. Cd- und Zn-Dämpfe zeigen in der positiven Säule die
Banden, die schon von E. Wiedemann und G. C. Schmidt
beobachtet wurden.
— 73 —
2. Das Linienspektrum des negativen Olimmlichts bei diesen
Metalldämpfen ist liuienreicher als das Spektrum der positiven
Säule.
3. Der noimale Kathodenfall in Cd- und Zn-Dämpfen kommt,
was zu beachten ist, nur bei kleinen Dampfdracken vor und
beträgt in Cd gegen Cd 303 Volt, in Zn gegen Zn 224 Volt.
4. Die Potentialgradienten in der positiven Säule nehmen mit
steigender Stromstärke ab; mit steigendem Druck des Stickstoffs
(ursprünglicher Füllung) wachsen die Gradienten.
Beiträge
zur Geschichte der Naturwissenschaften. XI
Von Eilhard Wiedemann.
Ober aZ FäräMs Anfeählong der Wissenschaften
(De Seientiis).
Die folgenden Seiten enthalten die. Übersetzung eines Teiles
eines Werkes von al Färdbt nebst einer Besprechung desselben.
Angeschlossen sind einige Ausführungen über die Einteilung der
Wissenschaften. — Eine angenehme Pflicht ist es mir, auch an
dieser Stelle Herni Dr. A. A. Björnbo in Kopenhagen und Herrn
Prof. Dr. Bell in Würzburg für ihre zahlreichen aus reichster
Erfahrung entsprungenen Ratschläge in sprachlichen wie sach-
lichen Fragen den verbindlichsten Dank auszusprechen. Bei der
Behandlung des Abschnittes über Musik hat mich Herr Prof.
Collangettes in Beyrut unterstützt.
Unter den arabischen Philosophen nimmt al Färäbt^) eine
hervorragende StelluDg ein; von den Kennern der islamischen
Philosophie wird seine Klarheit gerühmt; eine Reihe seiner
Schriften ist auch schon publiziert.
Von al Färdht rührt eine kurze enzyklopädische Darstellung
») Vgl. Brockelmann Bd. 1, S. 210. AI FdräM starb 339/950, er
stammte aas einer türkischen Familie.
Nach F. Dieterici gehört er zu den sieben Heroen der arabischen
Philosophie vom 9. bis 12. Jahrhundert, nämlich: al Kindi (f ca. 350),
al Farm (f 950), Ihn Sind (Aricenna) (980—1037), al Gazzäli (Algazel)
(1059—1111), Ihn Bdga {Avempace) (t 1138), Ihn Tufail (f 1185), Ihn
BuscM {Averroes) (t 1192) und ihm selbst.
An al Fdrdbi schließen sich direkt an die Ichiodn al 8afd,
— 75 —
der Wissenschaften^) her, die arabisch im EskariaP) und in
alten lateinischen Übersetzungen erhalten ist.
Der Titel der arabischen Schrift ist Ih^ä dl ' Ulüm von
al Färäbt, d. h. Aufzählung der Wissenschaften von al Färäbi.
Derenbourg gibt über dieselbe an, daß sie von fol 27 — 35 der
betreffenden Handschrift reicht, also nicht sehr lang ist. Die
beiden ersten Kapitel handeln nach ihm über die Sprachwissen-
schaft und über die Logik. Der Anfang heißt: Abhandlung
{Maqäla) über die Aufzählung der Wissenschaften. Es sagt
Abu Nct^r Muh. Ibn Muh. al Färäbt: Wir beabsichtigen in
diesem Werk die berühmten {maschhüra) Wissenschaften auf-
zuzählen u. s. w.
Eine lateinische Übersetzung ist in der Pariser Handschrift
9335, Suppl. 49 (fonds latin) (vgl. Bibl. de TEcole des Chartes
[5 ser.] Bd. 3, S. 305) enthalten. Diese sehr wichtige Handschrift,
die zahlreiche Übersetzungen von Gerhard von Cremona*)
enthält, ist eingehend von A. A. Björnbo behandelt worden
^) über diese Schrift hat sich Steinschneider mehrfach geäußert, so
in „die hebräischen Übersetzungen des Mittelalters*^ von M. Steinschneider
Berlin 1908, S. 292. Ferner in ^Al Färabi^ etc. Mem. de l'Acad. St.
Petersbourg (7) Bd. 13, no. 4 (einer Fundgrube von Bemerkungen über
al Färabi und andere Philosophen), weiter in «die europäischen Über-
i(etzungen aus dem Arabischen" in den Sitzungsberichten der Wien. Akad.
PhiL-hist. Klasse Bd. 149, Abt. 4, S. 22, no. 52 u. S. 44 g. -^
Auf die Enzyklopädie al FärabU habe ich auch Beiträge V, S. 393
im Znsammenhang mit Publikationen aus einer solchen von Ibn Sind und
al Änsdri (al SaeMwi oder Ibn al Äfkdni) hingewiesen.
*) Casiri Bd. 1, S. 189, Cod. 648 und H. Derenbourg, Les Manuscripts
de TEscourial Bd. 1, S. 454, Cod. 646, Paris 1884. — Die Handschrift
stammt aus dem Jahre 1310. Sie ist also jünger als Gerhard von Gremona
(t 1187) und Joh. Hispaliensis (Mitte des 12. Jahrhunderts), mit dem
Domin. Gundisalvi arbeitete, denen beiden Übersetzungen des obigen
Werkes zugeschrieben werden.
*) Gerard (Gherardo) von Cremona, der 1187, 73 Jahre alt, nach
einem Aufenthalt in Toledo in seiner Vaterstadt starb, war einer der
fruchtbarsten Übersetzer aus dem Arabischen ins Lateinische. Für die
Weiterentwicklung der Physik ist er vor allem durch seine Übersetzung
der Optik von Ibn al Haiiam (Älhazen) von Bedeutung geworden (über ihn
vgl. F. Wüstenfeld, Die. Übersetzungen arabischer Werke ins Lateinische.
Abb. d. K. Akademie Göttingen 1877 und M. Steinschneider, Die euro-
päischen Übersetzungen aus dem Arabischen. (Wiener Sitzungsberichte,
Philos.-hi8t. Klasse Bd. 149, S. 46. 1904).
— 76 -
(Bibl. Matk. Bd. 3,S.63fif. 1902). Auf fol. 143 v— 151 v steht unser
Text mit dem Anfang: Über Alfarabii de scientiis, translatus
a magistro Girardo cremonensi in toleto de arabico in latinum.
Cuius in eo hec sunt verba. Nostra in hoc libro intentio est
scientias famosas comprehendere . . .
Die Sprache in dieser Handschrift erinnert nach Björnbo
ganz an die sicheren Gerhardschen Übersetzungen, und daß die
Vorrede gekürzt ist (vgl. w. u.), gehört zu den besten Kriterien
für Gerhard (Björnbo, Bibl. math. Bd. 9, S. 364. 1901). Über
Gerhards Latein vgl. seine Überaetzung der „Circuli dimensio",
Heiberg, Zeitschr. f. Mathem. u. Physik Bd. 35, S. 1. 1890.
Durch die gütige Vermittelung des leider verstorbenen großen
Gelehrten M. Berthelot und die Liebenswürdigkeit von Prof.
Omont an der Bibliothöque nationale zu Paris erhielt ich von
den mich interessierenden Seiten der Handschrift schwarz-weiße
Photographien; bei deren Lesung und Abschrift mich mein Er-
langer Kollege Prof. Dr. Heerdegen mit seinem Bat in freund-
lichster Weise unterstützt hat.
Eine andere lateinische Übersetzung ist von G. Camerarius
herausgegeben^), der sagt, er habe sie in der „BibÜQtheca Sancti
Albini apud Andes^ als ein „antiquissimum manuscriptum, cui
praefixus titulus, Alpharabii Compendium omnium scientiarum^ ^)
gefunden und habe sie genau abgedruckt, ohne auch nur die
Fehler zu berichtigen, die ihm aufgefallen waren.
>) In der Bibliothek von Angers, in die ein großer Teil der Hand-
schriften von Saint Anbin (St. Albinus) übergegangen ist, findet sich die
betrefifende Handschrift nicht; vgl. Gatalogae gön^rale des mannscrits
des Bibliotböqnes publiques de France Bd. XXXI, S. 189. Paris 1898.
') Der Titel heißt: Alpharabii vetustissimi Aristotelis interpretis,
opera omnia, quae latina lingua conscripta reperiri potuerunt, ex anti-
quissimis Manuscriptis erata, studio et opera Guilielmi Camerarii, Scoti,
Fintraei, Sacrae Tbeologiae professoris, juris canonici doctoris etc. —
Parisiis Apud Dyonisinm Moreau via J.'tcobaea, sab Salamandra MDCXXXVIII
(1588). Das Werk ist kJeinoktav und enthält nach zwei Widmungen,
erstens Alfarabii philosophi opuscalum de scientiis auf 41 Seiten und
Alfarabii opusculum de intellectu et intellecto auf 20 Seiten.
Der Druck ist sehr selten; ein Exemplar ist in der Biblioth6que
nationale zu Paris, eines in Göttingen, eines muß in England sein, da es
von Bridges bei seiner Bacoausgabe zitiert worden ist (vgl. S. Vogl, Die
Physik Boger Bacos. Dissertation Erlangen 1904, S. 33), wo auch einige
weitere Notizen sich finden.
— 77 —
Dem wesentlichen Inhalte nach stimmen die beiden Über-
setzungen fiberein. Die von Camerarias mitgeteilte ist oft
etwas ausfuhrlicher als die von Gerhard von Cremona; ob
dies auf Zusätzen des Übersetzei*s beruht oder darauf, daß von dem
arabischen Text schon zwei Überlieferungen bestanden, läßt sich
nicht entscheiden. Fttr das letztere wfirde sprechen, daß z. B.
auch von einer Schrift „Über die Notwendigkeit der Kunst*
(Alchemie), uns zwei wesentlich verschiedene Texte erhalten
sind (vgl. J. f. praktische Chemie, [2] Bd. 76, S. 65 und 105.
1907). Da, wie Brockelmann berichtet, sich al Färäbt wenig
um das Schicksal seiner Geisteskinder kümmerte, so ist das
eigentlich nicht überraschend.
Der arabische Text und die lateinische Übersetzung dürften
demselben Werk entsprechen; der Umfang beider ist der gleiche,
ebenso die beiden ersten Kapitelüberschriften, auch der Anfang
entspricht sich nahezu, nur gehen im Lateinischen nach Came-
rarius ein paar Sätze dem Anfang im Arabischen voraus.
Von einer großen Einteilung der Wissenschaften {Ihsä al
'Uiam) von al Färäbt berichtet Ihn al Qifn (S. 277 u. 27*8, die
Stelle ist bei Casiri Bd. 1, S. 190 übersetzt), deren Anordnung
aber nicht mit derjenigen, die in unserer Schrift sich findet,
übereinstimmt, wenn auch manche Anklänge vorhanden sind.
Auch in dem großen Werk wird gezeigt, wie man von einer
Wissenschaft zur andern fortschreitet
Da das arabische Original nur schwer erreichbar ist, so
gebe ich im folgenden eine Übersetzung der Einleitung (S. 1
bis 3) und der auf die mathematischen Wissenschaften (inklusive
Musik^ Astronomie, die sinnreichen Erfindungen) bezüglichen Teile
der lateinischen Übersetzung von Gerhard von Cremona;
manches wird vielleicht bei der Vergleichung mit dem Original
einer Berichtigung bedürfen^).
Da wo sich in dem gedruckten Text von Camerarius
wesentliche Abweichungen finden, habe ich diese in Anmerkungen
mitgeteilt. Einige sehr breite Darstellungen habe ich etwas
gekürzt.
Aus der kleinen Schrift erhalten wir ein Bild, wie am
^) Die Übersetzung mag auch durch die Seltenheit des lateinischen
Druckes gerechtfertigt sein, den z. B. Steinschneider nicht erhalten konnte.
- 78 —
Anfang des 10. Jahrhunderts sich die arabischen Philosophen
unsere Wissenschaften vorstellten. Die vorliegende Schrift ist
anch in durchaas systematischer Darstellung gehalten, was nicht
immer bei al Färäbts Werken der Fall ist.
Im einzelnen sei z. B. darauf hingewiesen, wie die Ein-
teilung der Wissenschaften im wesentlichen die später benutzte
ist. In der Optik steht al Fdräbt noch ganz auf dem Stand-
punkt, daß das Sehen durch Sehstrahlen erfolgt Besonders
ausfuhrlich ist eine sonst nicht erwähnte Wissenschaft „de
Ingeniis^ besprochen, die in gewisser Hinsicht eine ange-
wandte Wissenschaft darstellt.
Von M. Steinschneider ist {dl Fdräbt S. 84) die Frage
aufgeworfen, ob mit der uns beschäftigenden Schrift al Färäbts
die Schrift Ibn Stnas über die Teile der philosophischen Wissen-
schaften {ft Aqsäm al ' Ulüm al aqltja, die auch über die Teile
der Philosophie (ft Aqsäm al Hikma) heißt, zusammenhängt.
Ein Vergleich beider lehrt, daß dies nicht der Fall ist, und zwar
schon ein Vergleich der Kapiteltiberschriften, die in Ibn Sinäs
Schrift lauten: Über das Wesen der Philosophie. — Über die
erste Einteilung der Philosophie (nämlich in spekulative und
praktische). — Über die Teile der spekulativen Wissenschaft ; es
sind deren drei, die niedrigste Wissenschaft ist die Naturwissen-
schaft; die mittlere die mathematische Wissenschaft, die höchste
die metaphysische Wissenschaft (also genau die aristotelische
feinteüung, Metaph. VI 1, p. 1026 a 13). — Über die Teile der
praktischen Wissenschaften (Ethik, Politik und Ökonomie im aristo-
telischen Sinn). — über die Teile der Naturwissenschaft und die
Teile der aus der Naturwissenschaft abgeleiteten. — Grundteile
der mathematischen Wissenschaft und aus den mathematischen
Wissenschaften abgezweigte Teile. — Grundteile der Meta-
physik, abgeleitete Teile der Metaphysik. — Über die Teile der
Logik, es sind deren sieben.
Ibn Sind zählt im wesentlichen die einzelnen Wissen-
schaften auf, während al Fdräbt sie in zusammenhängender
Darstellung chai^akterisiert.
Bemerkt sei. noch, daß sich ttber die Chemie, mit der sich
al Fdräbt eingehend befaßt hat, keine Angabe findet, obgleich
in dem Abschnitt „de scientia naturalis, Über die Naturwissen-
schaften im aristotelischen Sinn, Gelegenheit gewesen wäre,
- 79 —
die Frage za behandeln. Ebensowenig ist der Magnet er-
wähnt.
In der Darstellung scheint manches an R. Baco zu er-
innern, der auch die obige Schrift zitiert (s. S. Vogl. Inaug.-
Diss. Erlangen 1904, S. 33). S. Vogl, dem wir eine eingehende
Stadie über R. Baco s Physik verdanken, beabsichtigt zu unter-
suchen, wie weit sich bei dem englischen Scholastiker Anklänge
an al FänIU finden.
Übersetzung.
Werk al Färäbis Über die Wissenschaften von dem
Magister Gerhard von Cremona in Toledo aus dem
Arabischen ins Lateinische übersetzt.
Seine Worte in dem Werke sind die folgenden^):
Wir beabsichtigen in diesem Werke die berühmten Wissen-
schaften dai*zustellen, und zwar jede einzelne, und den Hauptinhalt
einer jeden zu lehren, sowie die Teile einer jeden, falls sie
solche hat, und das wesentliche, was in jedem Teile enthalten
ist. Das ist nicht so gemeint, daß nicht eine jede Wissenschaft
Teile besitze, sondern daß es solche gibt, die in sich andere
Wissenschaften enthalten, wie die Mathematik, während die
Dialektik keine andere Wissenschaft umfaßt.
Wir wollen sie in 5 Kapitel zerlegen.
Das erste Kapitel handelt von der Sprachwissenschaft und
deren Teilen, das zweite Kapitel von der Dialektik und deren
Teilen, das dritte Kapitel von den mathematischen Wissen-
schaften (de scientiis doctrinalibus)*), d. h. der Arithmetik, der
>) Id dem Druck lautet der Anfang:
nObgleiob es früher mehrere Philosophen gab, so wurde unter allen
nur der kurzweg ein Weiser genannt, von dem man sagte, dafi er die
Wissenschaft von allen Gegenständen mit sicherer Kenntnis umfaßte.
Jetzt aber, wo die Welt alt wird, sage ich, daß keiner verdient ein
Philosoph, geschweige denn ein Weiser genannt zu werden, weil kaum
einer gefunden wird, der sich mit der Weisheit beschäftigen will. Deshalb
glauben wir, daB unserer Kleinheit Genüge geschehe, wenn wir, da wir
nicht alles können, wenigstens von einzelnem einiges und von einigem etwas
oberflächlich berühren*.
Hier beginnt die lateinische Handschrift und der arabische Text
*) De scientiis doctrinalibns, über diese Bezeichnung für die Mathe-
matik 8. S. 100, nach den Unterabteilungen entspricht dies den 'Olüm
(U rijddija.
- 80 -
Geometrie, der Optik, der theoretischen Astronomie, der Musik-
wissenschaft, der Wissenschaft von den Gewichten, derjenigen
von den sinnreichen Anordnungen (scientia ingeniorum) >). Das
vierte Kapitel betrifft die Naturwissenschaften und deren Teile
und die göttliche (divina) Wissenschaft und deren Teile, das
fünfte Kapitel handelt von der bürgerlichen Wissenschaft
(scientia civilis) und deren Teilen, sowie der Wissenschaft des
Urteilssprechens und der Beredsamkeit*).
Der Nutzen, den man aus diesem Buche zieht, besteht
darin, daß, wenn jemand eine Wissenschaft erlernen will und
darüber nachsinnt, er weiß, welche er in Angriff nehmen und
über welche er nachsinnen soll, femer was er bei der Betrachtung
derselben erlangt, welchen Nutzen sie hat, und welchen Vorteil
er durch sie erreicht. Er macht sich an eine Wissenschaft,
gemäß einer richtigen Voraussicht und Kenntnis und nicht gemäß
der Unwissenheit und dem Zufall. An der Hand dieses Werkes
kann der Mensch Vergleiche zwischen den Wissenschaften an-
stellen und erkennen, welche die bessere, nützlichere, sicherere,
fester begründete und kräftigere ist und welche die schlechtere,
schwächere und kraftlosere. Durch das Buch gewinnt man auch
ein Hilfsmittel, um den zu entlarven, der damit prahlt, eine
dieser Wissenschaften zu kennen, bei dem dies aber nicht der
Fall ist. Fordert man ihn nämlich auf, den Inhalt, den sie
umfaßt, ihre Teile und den Inhalt eines jeden derselben an-
zugeben, und kann er dies nicht, so ist die Falschheit seiner
') Das lateinische nlngeniam** entspricht allen aus kluger Überlegung
entspringenden Anwendungen der Arithmetik, Geometrie n. s. w. Einen
Teil bildet die Lehre von den Hijal^ im Sing. Hila, die angewandte
Mechanik u. s. f. Bei den späteren Arabern ist die Wissenschaft von
den ^Ingenien** in den Zweigwissenschaften der Geometrie u. s. w. be-
handelt. Wir werden, da uns ein entsprechendes deutsches Wort fehlt,
das lateinische ^Ingenium" verwenden. Weiter unten ist der Inhalt der
Scientia de ingeniis eingehend erörtert.
*) Aus dem Text geht hervor, daß es sich hier um die Lebensführung,
die Ethik, die Regen tenpfiichten u. s. w. handelt; es ist also Ethik,
Ökonomik, Politik, Rhetorik, d. h. die .praktische Philosophie" nach peri-
patetischer Umgrenzung.
Im Druck ist dies Kapitel als das vorletzte bezeichnet; das letzte
handelt nach ihm von der Wissenschaft der Gesetze. In der Übersieht
ist es nicht erwähnt.
-^ 81 -
Prahlerei klargelegt nnd sein Betrag enthflUt. Ebenso erkennt
man bei dem, der eine Wissenschaft gat kennt, ob das bei der
ganzen oder bei welchen Teilen das der Fall ist, und wie viel
er gnt weiß. Durch das ßueh wird auch der unterstützt, der
eine große Zahl der Wissenschaften erforscht, und dessen Ziel es
ist^ den Inhalt einer jeden in sich aufzunehmen, und der den
Professoren in einer jeden ähnlich werden will, so daß man ihn
für einen derselben hält
Das erste und zweite Kapitel haben fUruns kein Interesse, wir gehen
daher gleich zum dritten über.
Drittes Kapitel. Über die mathematischen Wissen-
schaften.
Sie werden in die sieben großen Teile geteilt, die wir am
Anfang des Werkes aufgeführt haben.
Die Arithmetik
zerfällt in zwei Wissenschaften. Die eine ist die angewandte
(activa), die andere die spekulative (theoretische) Lehre von
der ZahP). Die angewandte untersucht die Zahlen, sofern
als es sich handelt um die Zahlen gezählter Gegenstände,
deren Zahl man braucht, wie diejenigen der Köi-per, der Menschen,
der Pferde, der Solidi (Münzen), der Drachmen und anderer
^) Eine Einteilung der gesamten Philosophie in eine theoretische (spe-
eulativa nazart) und eine angewandte (activa praktische 'amali) finden
wir vielfach. Ihn Sind sagt z. B. etwa in seiner Logiko): Die Aufgabe
der Philosophie ist die Wahrheit aller Dinge, so weit es dem Menschen
möglich ist, zu erkennen. Die Dinge haben nun entweder ihre Existenz
ohne unseren Willen und unsere Tätigkeit oder infolge unseres Willens
und unserer Tätigkeit. Das erste ist die spekulative, das' zweite die
aktive Philosophie. Das Ziel der ersteren ist nur die Vollendung der
Seele, daß sie weiß ; die der zweiten ist, daß sie weiß, was sie tun muß,
und dies tut; die erstere ist würdiger als die zweite.
In der Einleitung zu den philosophischen Wissenschaften /9) druckt
sich Ihn Sind ähnlich aus: „Das Ziel der theoretischen Philosophie ist
die Wahrheit, das der angewandten der Besitz (Chair),
a) Ich habe den Druck von Venedig 1508 eingesehen; die Stelle
wird auch von Horten, Die Metaphysik Avicenna's S. 2 zitiert. Hoffent-
lich erscheinen bald die noch fehlenden Hefte dieser hervorragenden
wichtigen Übersetzung.
ß) Druck von Konstantinopel 129, 8^ S. 72.
Sitsungaboriebte der phys.-mea. Sox. »» (1907). 6
^ 8Ö -
Dtnge, die eine Zahl besitzen. Dieser Wissenschaft bedienen
sich die Menschen beim Handel und im bürgerlichen Verkehr.
Die theoretische untersucht die Zahlen nur in absoluter Hinsicht,
sie sind dabei in der Vorstellung von den Körpern^) und allem,
was mit ihnen gezählt wird, losgelöst. Man stellt an ihnen
nur Untersuchungen an, wenn sie von allem, was an sinnlich
Wahrnehmbaren mit ihnen gezählt wird, losgelöst sind, und zwar
unter den Gesichtspunkten, die allen Zahlen sowohl der sinnlich
wahrnehmbaren wie den sinnlich nicht wahrnehmbaren Dinge
gemeinsam sind. Und diese Wissenschaft tritt in den Inhalt
aller Wissenschaften ein.
Die theoretische Lehre von den Zahlen untersucht
in absoluter Weise alles, was sich auf ihre wesentlichen
Eigenschaften bezieht, sowohl wenn man sie einzeln für sich
betrachtet, als auch sie in ihrer Wechselbeziehung vergleicht:
wie z. B. gerade und ungerade; zur Vergleichung der Zahlen
gehört die Gleichheit (aequalitas) und die Ungleichheit (super-
fluitas)^), ferner daß eine Zahl ein Teil oder Teile einer Zahl
ist^) oder daß sie das doppelte einer anderen oder um einen Teil
oder um Teile größer als eine andere ist, oder daß sie propor-
tional oder nicht proportional ist, ähnlich oder nicht ähnlich,
kommensurabel oder inkommensurabel (sejunctus)').
^) Im Druck ist noch ^die Bewegung'^ erwähnt.
*) Das Wort Superflnitas benutzt Gerhard bald für »Ungleichheit",
bald für „Überschuß" (vJisQoxrj), bald für „Differenz«.
') Daß eine Zahl Zj ein Teil oder Teile einer Zahl z, ist, heißt wohl
z, = — oder z, = — K — , daß Zj um einen Teil oder Teile größer als
eine andere z, ist, heißt wohl z^ = z, -| — oder Zj = z, -j — .
Ähnliche Zahlen 8, b, c, sind solche, welche als Seiten eines recht-
winkligen Dreiecks gezeichnet werden können; es ist also c' = a*-f'b'
(vgl. Cantor Bd. 1, S. 173).
Sejunctns kann auch Teilerfremd heißen (Cantor ibid. S. 252).
*) Im Druck heißt es dann . . . „und all das andere, was m»n in der
Arithmetik des Nikomachus eingehend studieren kann".
Weiter wird die Einteilung der theoretischen Arithmetik aufgeführt,
die im wesentlichen den oben angeführten Operationen entspricht, sowie
die Einteilung der praktischen Arithmetik : „Sie hat viele Arten (scientias
vendendi et emendi, mntuandi et accomodandi, conducendi et locandi,
expendendi et suadendi), die Wissenschaften vom Verkaufen und Kaufen,
^ 8ä -
Öann erörtert sie^), was mit den Zahlen geschieht, wenü
irgendwelche anderen hinzugefügt werden (additio), und [was]
bei ihrer Zusammenlegung (aggregatio) [geschieht], und bei der
Abziehung (diminutio) gewisser Zahlen (von ab) anderen und
ihrer Trennung (separatio) und [was] durch Vervielfältigung
(multiplicatio) der Zahl mittels Zählung (oder Abzahlung) der
Einheiten einer anderen [geschieht] und durch Zerlegung
(divisio in partes) der Zahl in Teile mittels Zählung (Abzahlung)
der Einheiten einer anderen Zahl. Dies ist gerade so, als ob
(oder einfach : ganz wie z. B.) eine Zahl quadratisch oder flächen-
artig oder körperlich oder vollkommen oder unvollkommen ist*).
Diese Wissenschaft untersucht eben all dieses und all jenes,
was sich an ihnen ereignet, wenn sie untereinander verglichen
werden. Sie wird ferner lehren, wie man eine Zahl aus einer
bekannten Zahl ermittelt, und überhaupt wie man irgend etwas
ermittelt, das man durch Zahlen ermitteln kann.
Die Geometrie,
d.h. das, was man unter diesem Namen versteht, zerfällt in zwei
Teile, die angewandte und die theoretische Geometrie. Die an-
gewandte behandelt die Linien und Flächen an einem Holz-
stuck, wenn ein Zimmermann, oder an einem Stück Eisen, wenn
ein Schmied, oder an einer Wand, wenn ein Maurer, oder an be-
bauten Grundstücken, wenn ein Landmesser sie benutzt. Ebenso
gehört jeder Handwerker zur angewandten Geometrie. Denn er
vom Leihen und Verleihes, vom Mieten und Vermieten, vom Auszahlen,
(geben) und vom „Suadere". Eine andere WiBBenschaft ist diejenige von
der Tiefe und Höhe oder der Auffindung von Strecken und viele andere
Dinge, von denen vielfach in einem Werk, das bei den Arabern vor-
handen ist, gesprochen wird.
^) Diese Stelle ist wörtlich übersetzt, um die alten Begriffe, die
mit den unsrigen nicht übereinstimmen, ganz klar darzulegen.
') Zu den Quadrat-, Flächen- und Körperzahlen vgl. Cantor Bd. 1,
S. 152.
Vollkommene Zahlen sind solche, welche wie 6, 28 u. s. w. der Summe
ihrer aliquoten Teile gleich sind (6 = 1 + 2 + 3; 28 = 1 + 2 + 4 + 7 + 14).
Bei unvollkommenen Zahlen, die entweder überschießende oder mangel-
hafte Zahlen sind, liefern diQ aliquoten Teile eine zu große oder zu kleine
Summe (12 <l+2 + 3 + 4 + 6; 8> 1 + 2 + 4).
6*
- 84 -
bildet in sich selbst^) die Linien und Obei-flächen, die viereckige,
runde und dreieckige Gestalt an dem stoflflichen Körper, welcher
seiner praktischen Kunst unterworfen wird. Die theoretische
Geometrie handelt von Linien, Flächen und Körpern nur in abso-
luter Weise. Entsprechend den gemeinsamen Eigenschaften aller
Flächen der Körper gestaltet sie in ihrer Seele die Linien, die
Oberflächen, die viereckigen, runden und dreieckigen Gestalten
in gemeinsamer Weise, ohne Rflcksicht auf den Körper, an dem
sie sich finden, ebenso verfährt sie mit den Flächen; es ist für
sie gleichgültig, ob der Körper ein Stück Holz, eine Wand oder
ein Stück Eisen ist, sie betrachtet vielmehr den Allen gemein-
samen Köi-per (Körpergestalt) ^).
^) 'In sich selbst', d. h. in seinem Geist. Dies ist Nachwirkung der
piatonischen Ansctiaaungen, wie sie in Anwendung auf ihre praktische
und theoretische Wissenschaft z. B. im Anfang des Dialogs Politikos
vorkommt.
*) Der Abschnitt über die praktische angewandte Geometrie ist im
Druck sehr viel ausführlicher. Er lautet dort:
Die praktische Geometrie betrachtet die Linien, Obei*flächen, Körper
nach drei Arten. Einmal nach der Höhe, dann heißt sie Höhenmessung
(altimetria), oder nach der Ebene, dann heißt sie planimetria oder nach
der Tiefe, dann heißt sie Profundimctria. Jede dieser letzteren hat einen
Stoff, eigene Instramente ([lilfsmittcl) und eigene Ausüber (opifices), diese
sind Verraesser oder Handwerker (fabri). — Vermcsser sind solche, welche
irgendeine Oberfläche der Erde messen. Ihre Instrumente sind Spanne,
Fuß, Elle, Stadium, die Meßstange (pertica), die leucaa) und viele andere.
Die Handwerker (fabri) beschäftigen sich entweder mit mechanischen
Dingen (mechanicis)/^) oder mit harten Stoffen (fabri libus); sie mühen sich
ab als Tischler am Holz, als Schmied am Eisen, als Maurer am Ton und an den
Steinen und ebenso jeder Austtber der mechanischen Künste entsprechend
der aktiven Geometrie. Sie selbst aber erörtert für sich die Linien,
Oberflächen, rechteckigen Stellen und Rundungen an Körpern der Materie,
die in ihrer Kunst behandelt werden. Derer gibt es aber, wie man sagt,
viele Arten nach dem unterschied der Materien, an denen sie arbeiten
und nach den verschiedenen Instrumenten, wie dem Lineal, der Trilla (V)
dem Lot und vielen anderen. —
Eine sehr interessante Philosophie und Systematik der Handwerke
bezw. der Künste haben die Ichwän al Safdy) aufgestellt in ihrer Ab-
a) leuca ist ein Reisemaß bei den Galliern wie die Parasange bei
den Griechen •, sie wird z. B. zu 15(X) Schritt angegeben (Forcellini sub verbo).
ß) Hierher gehören wohl die Weber etc.
}') Ichwän al Safd Bd. 1„ S. 25, Dieterici, Logik ^tc., S. 84.
~ 85 -
Und diese Wissenschaft ist es, die in die Summe (den In-
halt) aller Wissenschaften eintritt.
Sie untersucht in absoluter Weise bei Linien, Ober-
flächen und Körpern deren Figuren, Mengen, Gleichheit, Über-
schuß, die Arten ihrer Lagen und Anordnungen, sowie alles
was bei ihnen auftritt, wie Punkte, Winkel u. s. w., sie forscht
nach den proportionalen und nicht proportionalen Größen, nach
dem, was bei ihnen gegeben und nicht gegeben ist, nach den
kommensurablen und inkommensurablen Eigenschaften, nach den
rationalen und den irrationalen und den Arten dieser beiden;' sie
lehrt, wie man bei der Anwendung eine jede derselben anwendet,
nämlich den Weg, so daß einer dies ausführen kann. Sie lehrt
femer, wie man etwas ermittelt, das man ermitteln kann,
weiter die Ursachen von all diesem und warum es sich so ver-
hält mit Beweisen, die uns eine sichere Kenntnis geben, so
handlung von den praktischen KüDsten, die den theoretischen Künsten
gegenüberstehen. Anf die Einzelheiten einzugehen ist nicht nötig, da
die Schrift durch Dietericis Übersetzung allgemein zugänglich ist. Nur
erwähnt sei, daB unterschieden wird zwischen zwei Arten von Hilfsmitteln
zur Ausführung der Arbeit, einmal den verschiedenen Aldty den Gliedern
des Körpers (Dieterici übersetzt Ausrüstung), und den Ädät, den Werk-
zeugen, die sonst auch Aldt heißen.
Es beißt dann weiter: Ein jeder Handwerker benutzt bei seiner
Arbeit Werkzeuge von verschiedener Gestalt und Form. Der Zimmermann
haut die Stämme glatt, dabei ist seine Bewegung von oben nach unten ^
er sägt mit der Sage, dabei ist seine Bewegung von vorn nach hinten.
Mit dem Bohrer bohrt er, dabei ist seine Bewegung eine im Bogen nach
rechts und links, die Bewegung des Bohrers ist aber kreisförmig. So hat
jeder Handwerker sieben Bewegungen, eine kreisförmige und sechs gerade.
(Diese entsprechen den sieben Bewegungen der Himmelskörper, der kreis-
förmigen entsprechend dem ursprünglichen Zweck und sechs akzidentellen.)
Für uns sind noch folgende Bemerkungen des Ichwdn cd Safä von
Interesse: „In bezng auf das erzielte Produkt (Werk) ragt die Kunst
derer hervor, welche die astronomischen Instrumente {Äldt dl Rasad)
anfertigen, wie das Astrolab, Armillarsphäre und Globen, die den Formen
der Sphäre nachgebildet sind.** (Ausgabe von Bombay Bd. 1,, S. 32.
Dieterici, Logik etc., S. 95.)
Wie hoch die Formgebung beim Astrolab geschätzt wurde, zeigt die
Stelle: Der Wert eines Stückes Messing ist 1 Dirham, fertigt man aus
ihm ein Astrolab, so hat es 100 Dirham Wert, Dieser Wert kommt also
nicht von dem Material, sondern von der ihr erteilten Form. (Bombay,
Bd. 1„ S. 32. Dieterici, Logik etc., S. 95.),
- 86 —
daß eine Zweideutigkeit ausgeschlossen ist. Dies ist der Ge-
samtinhalt der Geometrie. .
Diese Wissenschaft zerfallt in zwei Teile, der eine bezieht
sich auf die Linien und die Oberflächen, der andere auf die
Körper. Der letztere wird eingeteilt nach der Art der be-
handelten Körper, wie nach dem Würfel, der Pyramide, der
Kugel, der Säule (Zylinder), den Prismen (serratilia) ^) und den
Kegeln (pinealia) *). Man stellt die Betrachtungen an ihnen in
zweierlei Weise an. Entweder man betrachtet einen jeden für sich,
so je die Linien, die Oberflächen, die Würfel, die Pj^amide für sich,
oder mau betrachtet sie und das, was bei ihnen eintritt, indem mau
sie gegenseitig vergleicht. Das geschieht, indem man sie entweder
einfach vergleicht und ihre Gleichheit, Ungleichheit sowie
andere bei ihnen vorhandene Eigenschaften betrachtet oder aber,
indem man einige derselben mit anderen zusammenbringt und
zuordnet, wie eine Linie in einer Fläche oder eine Fläche
in einem Körper oder eine Fläche in einer Fläche oder einen
Körper in einem Körper. Man muß aber wissen, wie viele
Elemente und Wurzeln die Geometrie und die Arithmetik haben,
und wie viele Dinge aus jenen Wurzeln hergeleitet werden.
Die Wurzeln sind von begrenzter Anzahl, das, was sich aus
den Wurzeln ergibt, aber von unbegrenzter. In dem dem Pytha-
goreer Euklid zugeschriebenen Werk, dem Buch der Elemente,
finden sich die Wurzeln der Geometrie und Arithmetik.
Man kann die Betrachtungen nach zwei Methoden anstellen,
nach der Methode der Analyse (resolutio) und nach der Methode
der Synthese (compositio). Die alten Bearbeiter dieser Wissen-
schaften haben in ihren Werken beide Methoden vereinigt,
außer Euklid, der nur die Synthese betrachtet.
^) GampanoB bat in seiDer EuklidUbersetzung: „Corpus serratilc** heißt
ein Körper, der von fUnf Oberflächen begrenzt ist, von denen drei Parallelo-
gramme sind, zwei aber Dreiecke.
*) Im Druck steht „poenitentialia'', offenbar verlesen filr „pinealia", wie
sicher in der Handschrift steht. Pinealia heißt den Pinienzapfen ähnliche
Gestalten, also Kegel. Entsprechend heißt es bei den Mafätih S. 209: Der
Kegelkörper {al (jrism al machrüt) ist ein Gebilde, das bei einem Pankt
beginnt und in dem Umfang eines Kreises endigf. Es wird begrenzt durch
eine Pinienfläche {Basti Sanaubari) und einen Kreis. ^S'^nau&ar ist der
Pinienzapfen. Es wird S. 225 in den Mafätih von dem Sanauhar des Erd-
schattens gesprochen.
- 87 —
Die Optik 0
untersucht dieselben Gegenstände wie die Geometrie, nämlich Fi-
guren, Größen, Lagen, Anordnung, Gleichheit, Ungleichheit u. s.w.;
doch [die Geometrie] so, daß diese absolut in Linien, Flächen,
Körpern sich finden. Die Betrachtungsweise der Geometrie ist also
allgemeiner. Es wäre also nicht nötig, eine besondere Wissenschaft
der Optik aufzustellen, da ihre Gegenstände unter die Lehren der
Geometrie fallen. Freilich besteht der Unterschied, daß das meiste,
was bei der Geometrie mit Notwendigkeit eintritt, da es einer
bestimmten Anordnung, sei es der Lage, sei es der Anordnung
u. s. w., entspricht, beim Betrachten gegenteilig gestellt erscheint.
So erscheinen Dinge, die in Wirklichkeit viereckig sind, aus
einiger Entfernung gesehen rund*), sehr viele Dinge, die parallel
sind, sieht man konvergieren, gleiche erscheinen ungleich und
ungleiche gleich. Sehr oft erscheinen von den in einer Ebene ge-
legenen Dingen die einen tiefer, die anderen höher; ferner
solche, die mehr nach vorne gelegen sind, weiter hinten u. s. w.
Man unterscheidet daher mit Hilfe dieser Wissenschaft zwischen
demjenigen, was beim Sehen anders erscheint, als es wirklich ist
und demjenigen, was so erscheint, wie es wirklich ist. Sie gibt die
Ursachen für dies alles an und, warum es so ist, mittelst sicher-
stellender Beweise; ferner gibt sie Anweisungen bei allen Fällen,
bei denen man irren kann, und sinnreiche Methoden dafür, daß
man nicht irrt. Endlich lehrt sie entsprechend den wahren Ver-
hältnissen bei dem Angeschauten aus der Sache, der Menge,
Gestalt, Lage und Anordnung und den übrigen Dingen jenes
finden, worin der Blick irren kann.
Durch diese Kunst kann der Mensch eine Kenntnis über
das Maß eines entfernten Gegenstandes aus den Größen er-
^) Zu Optik vgl. Beiträge II, S.33ff.; Beiträge V, S. 399 u. 402, 427,
439. Das ganze schlieBt eich eng an die Optik von Euklid an.
') Mit diesen Ausführungen hängt zusammen eine von mir publizierte
Stelle bei al Gdhie (Eder, Jahrbuch 1905, S. 81). Wenn v^ir ge-
wisse längliche Gegenstände aus der Entfernung rund sehen, so ist viel-
leicht die Sonne kreuzförmig und die Sterne viereckig (die als länglich
bezeichneten Gegenstände hatte ich als Ortschaften und Gebäude über-
setzt, wogegen Nöldekc Bedenken erhoben hat; die Worte sind unpunk-
tiert geschrieben).
Der entsprechende Sat» lautet bei Euklid, Optik, Satz 9: Recht-
winklige Größen erscheinen aus der Eatfernung betrachtet rund.
— 88 ~
halten, falls es schwierig oder anmöglich ist, zu ihm zu ge-
langen, und über die Größen der Abstände [der Gegenstände]
von uns und untereinander; dahin gehören die Höhen hoher
Bäume und Wände, die Breiten von Bächen und Flüssen, die
Höhen der Berge und die Tiefen der Wässer (Brunnen), falls
der Blick auf deren Enden fällt (fallen kann). Ferner erfährt
man die Abstände der Wolken und anderer Gegenstände von
dem Ort, an dem wir uns befinden, und den Ort der Erde, welchem
sie gegenüberliegen [d. h. über welchen sie sich senkrecht be-
finden], femer die Abstände und Größen der Himmelskörper
und alles das, wozu man durch eine Beziehung auf den es betrach-
tenden gelangen kann, und endlich eine Größe, über deren Quan-
tität oder Abstand von irgend einem Standort geforscht wird \),
falls der Blick darauf fällt. Das geschieht bei einem Gegen-
stand mittelst eines Instrumentes, das dazu dient, den Blick
so zu richten; daß er nicht irrt, und bei einem anderen ohne
Instrument.
Alles, was man beschaut und sieht, sieht man nur durch
Vermittelung eines Strahles, der durch die Luft und jeden durch-
sichtigen (pervius) Körper, der unsere Augen berührt, dringt,
bis er auf den betrachteten Gegenstand fällt ^). Die Strahlen,
welche in dem durchsichtigen Körper zu dem betrachteten Gegen-
stand dringen, sind gerade (recti), reflektierte (reflexi), umgekehrte
(conversi) oder gebrochene (refracti) ^). Gerade Strahlen sind
*) Statt „ab aliqua re quaeritur statio*' wäre nach Boll zu lesen
„ab aliqua requiritur statione".
') An dieser Stelle spricht alFäräbidie Anschauung, daß das Sehen
durch Sehstrahlen, die von dem Auge ausgehen, in schärfster Form aus,
während er sonst als Vertreter der entgegengesetzten Anschauung auf-
tritt (vgl. Beiträge II, S. 837). Worauf seine verschiedene Auffassung
hier und sonst beruht, läßt sich nicht sagen. Möglich, daß er sich in
unserer Schrift im Anschluß an das Vorhergehende auch weiterhin der
Euklidischen Auffassung bedient.
') Die drei Ai*ten der reflektierten Strahlen sind wohl die drei bei al
Sachäwi {al Änsäri) erwähnten murCatifa^ mun'akisa und munkasira (vgl.
Beiträge V, S. 402).
In der pseudoeuklidischen Katoptrik finden sich solche Unter-
scheidungen zwischen den verschiedenen Arten der Reflexion nicht.
Ferner ist zu beachten, daß hier ngebrochcnc*" Strahlen sich nicht
auf die Brechung des Lichtes beim Obergang aus einem Medium in ein
anderes bezieht, sondern auf die Richtungsänderung bei der Reflexion,
- 89 -^
8olche, die, wenn sie vom Ange ausgehen, sich längs gerader Linien
bis dahin erstrecken, wohin sie gehen, und wo sie abgeschnitten
werden (endigen). Den reflektierten Strahlen stellt sich auf
ihrem Wege, ehe sie ihr Ziel erreichen, ein Spiegel entgegen, der sie
am Fortschreiten längs gerader Linien hindert; daher werden sie
schräg nach den vom Spiegel seitlich gelegenen Teilen reflektiert;
nach den Seiten, nach denen sie reflektiert werden, dehnen sie
sich dann aus und gehen zu Stellen, die vor dem Betrachtenden
(zwischen den Händen des Betrachtenden) Fi*?. P).
liegen, entsprechend der Figur (1). Die
umgekehrten Strahlen (conversi) kehren
vom Spiegel aus auf ihren ursprünglichen Bahnen zurück, bis
sie auf den Körper des Beschauers, aus dessen Augen sie aus-
getreten sind, fallen. Daher sieht sich der Beschauer selbst
mit ebendemselben Strahl. Die gebrochenen Strahlen kehren
von dem Spiegel zu der Seite des Betrachtenden, von dessen
Auge sie ausgingen; zurück und erstrecken sich an ihm vorbei
(flexuose) nach einer seiner Seiten und fallen auf einen anderen
Gegenstand, der hinter dem Betrachtenden oder auf seiner
Rechten oder auf seiner Linken oder oberhalb des-
selben sich befindet. Deshalb sieht der Mensch das,
was hinter ihm oder auf irgend einer seiner Seiten
ist. Die „Reversio" geschieht^nach der ITigur (2).
Die Medien zwischen dem Auge und dem betrachteten
Gegenstand oder dem Spiegel sind durchweg durchsichtige
Körper, nämlich die Luft, das Wasser oder bei uns gewisse aus
Aneh in der von Heiberg publizierten lateiniscben Übersetzung der pseudo-
euklidischen Katoptrik kommt „refringi", in anderen kommt „reflccti" für
unser „reflektiert werden" vor.
In der Enzyklopädie von Arnoldas Saxonicus (herausgegeben von
£. Stange. Beilage zum Jahresbericht des Gymnasiums zu Erfuit 1904/05
u. 1905/06) ist in dem Abschnitt de Speculis ein Werk von Aristoteles
de speculis zitiert. Dort wird für unser „reflektiert werden" „reflecti" benutzt.
Die betreffenden Stellen entstammen Euklids Optik und Katoptrik. In-
teressant ist, daB Arnuldus auch den Versuch von dem Wiedererscheinen
einer Münze in einem Gefäß berichtet, wenn man Wasser eingießt.
^) Die Figuren 1 und 2 sind der lateinischen Handschrift entnommen,
für die umgekehrten (conversi) Strahlen, d. h. die senkrecht einfsillenden
und dann reflektierten, ist keine Abbildung gegeben.
— 90 -
Glas zasamraengesetzte Körper oder diesem Homogenes*). Die
Spiegel, welche die Strahlen zurückwerfen oder an dem Fort-
schreiten in gerader Richtung hindern, sind entweder die be-
kannten Spiegel, die bei uns aus Eisen und anderem bestehen,
oder dicke feuchte Dämpfe oder Wasser oder ein anderer jenen
ähnlicher Körper'^).
Die Optik untersucht demnach alles, was man mittelst jener
vier Strahlenarten in irgend einem Spiegel sieht, und alles, was
bei dem Betrachteten vorkommt. Sie selbst zerfällt in zwei
Teile. Der erste behandelt die Untersuchung dessen, was man
mit den geraden Strahlen betrachtet, und der zweite das, was
man mit den nicht geraden Strahlen betrachtet. Das letztere
ist etwas, was ganz nahe kommt der Lehre von den Spiegeln.
Die Wissenschaft von den Sternen
bestellt aus zwei Teilen^), von denen der eine die Wissenschaft
von den Einflüssen (significatio) der Sterne auf das Zukünftige,
^) Hierbei ist DatUrlicli nicht an Linaen oder gar Fernrohre zu denken,
sondern an Glas- oderKristailbtlicke, an mit Wasser gefüllte Flaschen a.s.f.
*) Ober das Material der Spiegel vgl. u.a. Yogi, Roger Baco S. 65.
Auch nach MaqrigVs Chitai fertigte man Spiegel aus Stahl au, indem
damals nur solche aus Metali in Gebrauch waren (vgl. von Kremer,
Kulturgeschichte Bd. 2, S. 285). Über Spiegel, die von Astronomen
benutzt werden, sagt oZ Ma'arri (Brockelmann Bd. 1, S. 254; geb. 973,
gest. 1057), der sieber in Bagdad die dortigen Sternwarten benutzt
hat: „Nimm den Spiegel und beobachte die Gestirue** n.- s. w. und „Der
Spiegel des Astronomen, so klein er ist, zeigt ihm alles, sei es nun be-
wohntes oder unbewohntes Land**.
Die feuchten dicken Dämpfe als reflektierende Spiegel spielen eine
große Rolle bei der Theorie des Kegenbogens; bei Nasir al Bin al Tüsi
wird Wasser als typisches Beispiel für einen reflektierenden Körper an-
geführt (vgl. meinen Aufsatz in Eder, Jahrbuch 1907).
*) Nach dem folgenden zerfallt die Astronomie in Astrologie, die
sehr kurz abgemacht wird, und in die wissenschaftliche Astronomie.
(Diese Einteilung ist die am Anfang von Ptolemäus Tetrabiblos ge-
gebene.)
Die Erörterung der Aufgaben der Astronomie und deren Einteilung
entspricht vielfach, wenn auch nicht ganz, der bei Sachawi (Beiträge IX,
S. 184) gegebenen.
Über die Abgrenzung zwischen Astronomie und Astrologie, die,
wie bei dl Färäbij mit der unsrigen nicht übereinstimmt, macht Isidorus
(Etymolog. Migne, Patrol. lat. Bd. 82, S. 170 a.a.O.) folgende Bemerkung:
Zwischen Astronomie und Astrologie gibt es einen gewissen Unter-
— 91 —
auf das meiste Gegenwärtige und das meiste Vergangene ist.
Der zweite ist die mathematische (doctrinalis, abstrakte, theore-
tische) Wissenschaft. Er ist derjenige Teil, der zu den Wissen-
schaften und den Doktrinen gezählt wird. Den ersten Teil zählt
man nur zu den Eigenschaften und Fähigkeiten, durch die der
Mensch angeben kann, was sein wird, gerade wie dies aus der
Deutung der Gesichte, der Wahrsagung aus dem Vogelflug, dem
Niesen und anderem Ähnlichen der Fall ist.
Die theoretische Astronomie untersucht die Himmelskörpei*
und die Erde unter drei Rubriken. Im ersten Fall behandelt
man ihre Zahl, Gestalt, gegenseitige Lage, Anordnung in der
Welt, die Quantität ihrer Körper und das gegenseitige Ver-
hältnis derselben, ihre gegenseitigen Abstände, sowie daß die Erde
sich weder von ihrem Ort bewegt noch an ihrem Ort^). Im zweiten
Fall behandelt man die Bewegungen der Himmelskörper, wie
viele ihrer sind, daß alle sphärisch sind, ferner untersucht man,
welche Bewegungen ihnen allen gemeinsam sind, nämlich den
Sternen und Nichtstenien unter den Himmelskörpern (alsoz. B.
auch den Kometen), sodann welche Bewegung allen Sternen
gemeinsam ist. Femer behandelt man die Bewegungen, welche
jedem der Sterne eigen sind, wie viele Arten der Bewegungen
schied. Denn die Astronomio behandelt die Umdrehung des Himmels, die
Aufgänge, Untergänge und Bewegung der Gestirne [Sonne, Mond und
5 Planeten], und warum sie so genannt werden. Die Astrologie ist zum
Teil eine Naturwisssenscbaft, zum Teil eine wahrsagerische. Sie gehört
zu den Naturwissenschaften, wenn sie den Lauf der Sonne und des
Mondes oder der Sterne verfolgt und die sicheren Bestimmungen der Zeiten
(d. h. die Lehre von der Zeitbezeichnnng im Anschluß an die Bewegungen
der Gestirne, bes. der Sonne und des Mondes). Wahrsagerisch ist aber
jene, welcher sich die Mathematiker widmen, die ans den Sternen wahr-
sagen, und die auch die 12 Zeichen [sc. der Tierkreise] unter die einzelnen
Glieder der Seele oder des Körpers verteilen, und die aus dem Lauf der
Gestii-ne die Nativitäten und Eigenschaften der Menschen vorauszusagen
versuchen.
') Zu beachten ist die sehr starke Betonung der vollkommenen
Kühe der Erde: weder bewegt sie sich von ihrem Ort noch an ihrem Ort;
sie hat also weder eine translatorische noch eine rotatorische Bewegung.
— Offenbar müssen in den Gelehrtenkreiseu des Islam sich starke Ein-
flüsse des pythagoreischen Systems geltend gemacht haben, das mit den
Lehren des Koran unvereinbar war und daher abgelehnt wurde (vgl. Bei-
träge III, S. 243; V, S, 454).
— 92 ^
jeder Stern bat, und die Teile (Gegenden), nach welchen hin
sie sich bewegen, und entsprechend welcher Gegend einem jeden
Sterne jene Bewegung zukommt; sie lehrt den Weg um den
Ort jedes Sternes festzustellen aus den Teilen der [Tierkreis-]
Zeichen zu jeder Stunde zusammen mit allen Arten der Be-
wegung des Sternes. Sie forscht weiter nach allem, was den
Himmelskörpern in den Zeichen zustößt, und welche Bewegungen
sie in ihnen haben, und was ihnen zustößt, wenn man sie gegen-
seitig vergleicht nach der gegenseitigen Konjunktion, Separation ^)
und Abgewandheit^) der Lagen; und zum Schluß behandelt dieser
Teil alleS; was den Sternen infolge ihrer eigenen Bewegungen im
Vergleich zur Erde zustößt, wie die Sonnenfinsternis, und alles,
was ihnen infolge der relativen Lage der Erde ihnen gegenüber
an der Stelle der Welt, wo sie sind, zustößt, wie die Mond-
finsternis*). Sie führt jene Ereignisse an, teilt mit, wie viel es
deren sind, bei welcher Anordnung und zu welcher Stunde sie
sich ereignen und in wie langer Zeit, wie der Aufgang und
Untergang u. s. w.
Im dritten Fall*) untersucht man beider Erde, was bewohnt
und was nicht bewohnt ist, gibt an, wie groß der bewohnte Teil
ist, aus wie viel großen Teilen, den Klimaten, er besteht; man
führt an, welche Wohnstätten in der jeweils für das betreffende
Klima feststehenden Zahl von Stunden für den längsten Tag^)
sich befinden, wo sie gelegen sind und ihre Lage in der
Welt. Man untersucht, was ein jedes Klima und jede Wohn-
stätte charakterisiert, und zwar infolge der gemeinsamen Um-
drehung der ganzen Welt, nämlich den Wechsel von Tag und
Nacht infolge der Lage der Erde an der Stelle, wo diese Wohn-
*) D. h. wenn die Himmelskörper sich voneinander entfernen; „de-
flexus* ist der Ausdruck der Astrologen dafUr.
*) Diversitas ist der Ausdrnck für Opposition.
') Bei der Sonnenfinsternis liegt der Mond zwischen £rde und Sonne,
der Mond bewirkt also die Sonnenfinsternis; bei der Mondfinsternis liegt
die Erde zwischen Sonne und Mond; sie ruft also die Mondfinsternis
hervor.
*) Der dritte Teil ist also die von Eratosthenes und Hipparch aus-
gebildete Geographie, die ganz im Sinne des Ptoiemäus an die Astronomie
angeknüpft ist.
•) Vgl. hierzu Plinius, natur, bist. II, S. 75 und Ptolem. appari-
tiones c. 1.
— 93 —
Stätten sind, wie die Auf- nnd Untergänge, die Länge nnd
Kürze der Tage und Nächte and ähnliches.
Das ist der Hauptinhalt dieser Wissenschaft.
Die Wissenschaft von der Musik ^)
umfaßt die Kenntnis der Arten der Harmonien *), das, woraus
man sie komponiert, wozu sie komponiert werden, wie sie kom-
^) Die Musik ist vun den Arabern vielfach nach den verschiedensten
Richtungen behandelt worden, sie haben sowohl die Theorie wie die An-
wendungen erörtert. Von Originalwerken ist vor allem zu nennen das
große Werk von al Fdräbi über die Musik, aus dem L. Eosegarten in der
Einleitung sn seinem Buche Alii Ispahanensis Liber cantilenarum (Grcifs-
wald 1840) sehr zahlreiche Auszüge gegeben, und zwar aus dem theo-
retischen Teil wie anch aus den Beschreibungen der Instrumente. Be-
handelt hat er das Werk ferner in der Zeitschrift fttr Kunde des Morgenlandes
Bd. 5, S. 137. 1844.
Vor allem ist weiter zu beachten eine Schrift von Saß al Din, die
von C. de Vanx eingehend behandelt worden ist. Sie enthält zahlreiche
physikalisch-akustische Bemerkungen, die z. T. wohl höher als diejenigen
von al Fdräbi stehen (J. asiat. [8] Bd. 18, S. 279. 1891).
Die verschiedenen arabischen Enzyklopädien widmen der Musik ein-
gehende Besprechungen, so die Mafatih al 'ülüm (S. 285), ein erstes
Kapitel behandelt die Musikinstrumente. Ferner die Schriften der Ichwctn
oZ Safd (Bombayer Druck Bd. 1, S. 84. Propädeutik der Araber von
F. bietcrici S. 100); ferner das Werk von dl Sachdwi (dl Änsdri) (S. 92).
Auch H. Chalfa hat zwei Artikel, einen über die musikalischen Instrumente
Bd. 1, S. 399, einen über die Wissenschaft der Musik Bd. 6, S. 255.
Eine ganze Reihe von Fragen über die Musik, die Erfinder der ein-
zelnen Instramente, die Töne u. s. w. stellt al Ödhiz an 'Abd al Wdhhdb
in dem Werk von der runden und viereckigen Gestalt (Tria opuscula ed.
VIoten S. 141 ff.).
Noch hingewiesen sei auf R. G. Kiesewetter, Die Musik der Araber.
Leipzig 1842, wo auch zahlreiche Musikinstrumente aufgeführt sind, ebenso
auf Casiri Bd. 1, 8. 528, der 31 Instrumente aufzählt.
Sehr eingehend hat sich mit der arabischen Musik selbst M. Gollangettes
(J. asiat. [10] Bd. 4, S. 365. 1904 u. Bd. 8, S. 149. 1907) befaßt, der nach
einer kurzen Geschichte derselben eine sehr vollständige Bibliographie
mitteilt und dann die Musik selbst behandelt.
Grundlegend hat unser großer Physiker und Physiologe H. von
Helmholtz die arabisch-persischen Tonsysteme in seinen Tonempfindungen
behandelt (2. Auf. S. 440. 1870).
Fast ebenso heiBt es bei dl Sachdwi (S. 93) : Die praktischen Musiker
stellen sich die Töne, die aus ihnen sich ergebenden Harmonien und, was
mit ihnen zusammenhängt, nur insofern vor, als sie von [bestimmten] In-
strumenten gehört werden, durch die ihr GehOrtwerden bedingt ist. Die
- 94 -
poniert werden, und welche Arten man anwenden muß, damit
sich ihre Wirkung möglichst eindringlich und weittragend ge-
staltet. Sie besteht aus zwei Wissenschaften, der angewandten
und der theoretischen Musikwissenschaft.
Bei der angewandten Musikwissenschaft ermittelt
man die Arten der Harmonien, welche man wahrnimmt an den
Instrumenten, welche, sei es durch die Natur, sei es durch die
Kunst, dafür bestimmt sind. Die natürlichen Instrumente sind
der Kehlkopfdeckel (epiglottis) und das Zäpfchen und, was sich
in diesen befindet, ferner die Nase. Zu den künstlichen gehören
die Flöte, die Kithara u. s. w. Der Künstler der angewandten
Musik bildet die Töne (neuma Nagma), Melodien und alles, was mit
ihnen zusammenhängt insofern als sie in den Instrumenten vor-
kommen, die man bei ihrer Erzeugung anzuwenden pflegt. Die
theoretische Musikwissenschaft behandelt die Lehre von
jenen Dingen, dabei sind diese vorgestellt; sie gibt weiter die
Ursachen von allem, woraus die Melodien zusammengesetzt
sind, und zwar nicht insofern, als sie in der Materie auftreten,
bezw. selbst Materie sind, sondern in absoluter Weise und un-
abhängig von einem jeden Instrument und einem jeden Stoff.
Sie behandelt sie entsprechend dem, wie sie in gleicher Weise
bei jedem Instrument und bei jedem Körper [jeder Substanz]
gehört werden.
Die theoretische Musikwissenschaft zerfällt in fünf
große Teile. Der erste handelt von den Prinzipien und den
ersten Dingen, die bei der Erfindung der Gegenstände dieser
Wissenschaft angewandt werden, er handelt femer davon, wie
IiiBtrumente sind entweder die natUrlicheD, wie der menschliche Kehlkopf,
oder die künstlichon, wie die musikalischen Instrumente. Die theoretische
Musikwissenschaft betrachtet die Töne u.s.w. nur, insofern man sie allgemein
von irgendeinem beliebigen Instrument hört, und nicht insofern, als sie bei
einer bestimmten Materie oder einem bestimmten Instrument auftreten.
Bei der Bearbeitung dieses Abschnittes hat mir, wie schon er-
wähnt, Herr Prof. Gollangettes in Beyrut in ausgiebigem Maße seine
Hilfe geliehen und mir die unten mitgeteilten Bemerkungen zur Ver-
fügung gestellt. Da der lateinische Übersetzer nicht immer das Arabischo
verstanden hat, so muß oft der Sinn erraten werden, bezw. muß man
durch Konjekturen den ursprünglichen Text rekonstruieren.
•) (Zu S, 93.) Das Wort harmonia entspricht dem griechischen dygovia^
dem nrabischcn LaJin und unserem Melodie.
- 95 -
man bei der Anwendung dieser Prinzipien verfährt, wie diese
Kunst erfanden wurde; aus welchen und wie vielen Dingen
sie zasammengesetzt ist, und wie der, der ihren Inhalt er-
forschen will, beschaffen sein muß. Der zweite Teil handelt
von den Aufgaben^) (der Grammatik) dieser Kunst, nämlich
von der Erfindung der Töne, der Kenntnis der Zahl der Töne,
wie viel ihrer sind, wie viele Arten sie besitzen; weiter gibt
er an die Intervalle^) der einen zu den anderen und erläutert
all jenes, weiter bespricht er die Arten ihrer Geschlechter und
Systeme '), aus denen sie so zusammengesetzt werden, daß man
ans ihnen das, was man will, empfängt und ans ihnen Melodien
komponiert. Der dritte Teil handelt von der Übereinstimmung,
welche in den Wurzeln*) (radices, Usiil) dargelegt wird, mit
den Ausffihrungen und Darlegungen über die Arten der künst-
lichen Instrumente, welche für sie [die Töne] hergestellt werden,
und darüber, wie sie alle bei ihnen auftreten und gelagert sind,
entsprechend der Abmessung und Anordnung^), die in den
Wurzeln dargelegt werden. Der vierte Teil handelt von den
Arten der natürlichen Rhythmen •), welche die Maße ') (Zeit, mesnre)
der Töne sind. Der fünfte Abschnitt handelt allgemein von
der Komposition der Melodien^), dann von der Komposition der
^) Dispositionibns bujus artis. Falls dies ein technischer Ausdruck
ist, so ]äBt sich seine Bedeutung nicht feststellen; doch gibt die obige
Übersetzung guten Sinn.
*) Proportiones (Nishdt) sind die masikalischen Intervalle, Bu'd^
die sich aus ihnen ableiten.
') Speeiebus ordinis earum et situum ipsarum. Hier handelt es sich
ohne Zweifel am die Ton- oder Klanggcschlechter, welche durch die
Reihenfolge der Intervalle gegeben sind and mit dieser sich ändern ; ferner
am die Systeme, welche von Gruppen der Geschlechter gebildet sind«
bei denen eine Note einen Wert nicht nur durch das Geschlecht, sondern
auch durch die Lage im System hat (xarä ^iaiv und xaia Svvafiir).
*) Radices. Der Aal ist das Geschlecht des ersten Vierklanges
eines Systemes.
*) Mensurationem et ordinem qni declaratur in radicibus. Es handelt
sich wahrscheinlich um die jedem System eigene Applikatur (doigt6), die
durch die „Wurzel** bestimmt ist.
•) Casuum. Der Übersetzer hat ohne Zweifel verwechselt Waqa'
und Iqa\ er hat «Fälle" statt „Rhythmen** genommen.
') Pondera. Der Übersetzer abersetzt Wazn mit Gewicht.
*) Der 5. Teil behandelt die Kompositionslehre, sei es, daB sie sich
auf die Musik fllr sich bezieht, sei es, daß die Musik mit der Poesie vcr-
-^ 96 —
reinen Melodien, welche in den metrischen Gedichten verwendet
werden. Er behandelt ferner, wie die Knnst beschaffen sein muß
entsprechend den speziellen Zielen der Melodien; er lehrt die
Maßnahmen kennen, durch die man sie eindringlicher macht, so
daß sie möglichst vollkommen den Eindruck erwecken, für den
sie geschaffen sind.
Die Wissenschaft von den Gegenständen mit Gewicht^)
umfaßt von der Wissenschaft der schweren Körper zwei Gebiete ;
erstens betrachtet sie diese Gegenstände, insofern man sie mißt
oder mit ihnen mißt, es ist dies eine Untersuchung über die
Prinzipien entsprechend den Bewegungen an den Gewichten,
oder zweitens sie behandelt die schweren Gegenstände, welche
bewegt werden, oder mit welchen man bewegt. Dies ist eine
Untersuchung über die Prinzipien der Instrumente, mit welchen
man schwere Gegenstände hebt, und aufweichen sie von Ort zu
Ort bewegt werden.
bnnden ist, weiter die Hilfsmittel, welche man bei der Komposition an-
wenden muß, um die verschiedenen Wirkungen auf die Seele zu erzielen.
AI Fdräbl behandelt »e in seinem Werk über Munik sehr ansftihriich.
Die Musikwissenschaft behandelt also in 5 Abschnitten folgende
Gegenstände: 1. Prinzipien der Akustik and Physiologie, Geschichte,
Eigenschaften des Musikers. 2. Grammatik der Musik, Intervalle, Ge-
schlechfery Systeme. 3. Konkordanz der Geschlechter, Instrumente, AppH-
katur entsprechend den Geschlechtern. 4. Rhythmus. 5. Komposition,
Musik für sich, Musik und Poesie, Anpassung an die Empfindungen.
'} Zu der Wissenschaft von den Gewichten u. s. w. vgl. Beiträge V,
S. 427 und Beiträge VI, S. 7 ff. Eine Übersicht über die Wagen enthält
die Programmschrift (Forchheim 1906) von Dr. Ibel, die demnächst in er-
weiterter Gestalt erscheinen wird.
Zu der Wissenschaft von dem Bewegen der Lasten vgl. Beiträge V,
S. 407, sowie VI, S. 18. Gelegentlich einer Betrachtang über die ver-
schiedenen Arten des Ruderns kommt 'Ahd dl Lauf (Relation de T^gypte)
(Text von White. Göttingen 1789, S. 97. Obersetzung von S. de Sacy
S. 300) auf diese Wissenschaft zu sprechen : In 'IrdqYixx^ so geradert, daO sich
das Boot nach dem Punkt bewegt, nach dem die Ruderer blicken, in Ägypten
in entgegengesetzter Richtung. Dafür, welche der Methoden die bequemere
ist, den Beweis za liefern, ist die Aufgabe der Naturwissenschaft (Physik)
nnd der Wissenschaft vom Bewegen der Lasten (Um Tahrik al Atqäl),
— 97 -
Die Wissenschaft von den EuDStgriffen (Ingeniamj
lehrt, me man es anstellt, damit all das, dessen Beschaffenheit
in den oben nach Inhalt und Beweis behandelten Doktrinen
anseinandergesetzt ist, bei den natürlichen Körpern tatsächlich
in Wirksamkeit tritt, wobei es von ihnen aufgenommen wird.
Diese spezielle Wissenschaft ist nötig, weil jene Wissenschaften
nur Betrachtungen an Linien, Oberflächen, Körpern und den
fibrigen Dingen, die hier in Frage kommen, insofern anstellt,
als sie gedacht und von den naturlichen Körpern losgelöst sind.
Wir wenden jene Lehren an, indem wir sie kraft unseres
Willens und mit Hilfe unserer Geschicklichkeit in den natür-
lichen Körpern zur Erscheinung kommen lassen. Dazu müssen
sowohl die obigen Eigenschaften als auch die Körper selbst in
passender Weise vorbereitet werden. — Dies zu tun ist die Auf-
gabe der Wissenschaft der Ingenia^).
Zu der Wissenschaft der Ingenia gehören die Ingenia bei
den Zahlen; deren gibt es mehrere Arten, so die bei jenen zu
unserer Zeit mit den Namen Algebra und al Mvrhalata^) benannte
Lehre und dieser ähnliches, obgleich diese Wissenschaft der
Zahl und der Geometrie gemeinsam ist. Sie selbst umfaßt die
Arten, wie man sich beim Auffinden von Zahlen anstellt, die
bei den Dingen angewandt werden, deren Gnindlage Euklid
von den rationalen und irrationalen Größen in seinem zehnten
Buch über die Elemente gab, und darin was nicht in jedem Buch
erwähnt wird. Dies ist der Fall, weil das Verhältnis der
rationalen und irrationalen Größen gleich dem Verhältnis einer
Zahl zu einer Zahl ist. Jede Zahl steht in Beziehung (compar,
relatns) zu irgendeiner rationalen oder irrationalen Größe.
Findet man daher Zahlen, welche den Proportionen der Größen
entsprechen, so findet man auch jene Größen auf irgendeine
Weise. Daher nimmt man an, daß gewisse rationale Zahlen
rationalen Größen entsprechen und gewisse irrationale Zahlen
irrationalen Größen.
Hierher gehören ferner die geometrischen Ingenia,
deren es sehr viele gibt, ein Teil derselben bildet die Grundlage
') Dieser Absatz ist im Original viel weitschweifiger dargestellt, wie
dies bei solchen Betrachtungen bei den mittelalterlichen Philosophen so
oft dpr Fall ist.
*) Das Wort ist natürlich Muqabala,
Sitsnngsberiebte der phys.-med. Sos. 39 (1907). 7
— 98 —
der Architektur (ars cementaria). Weiter gehört hierher das
Ingenium bei der Messung der verschiedenen Arten der Körper
und bei den zum Heben dienenden Instrumenten, weiter geholfen
hierher die Musikinstrumente sowie die Herstellung der In-
strumente mehrerer praktischer Künste, wie der Bogen und
anderer Arten von Waffen. Hierher gehört das Ingenium beim
Sehen (Ingenium aspectuale), bei def Kunst, welche die Augen
zur Erkenntnis der wirklichen Beschaffenheit entferater Gegen-
stände führt, bei der Kunst der Spiegel und der Wissenschaft
von den Spiegeln, wenn es sich um die Stellen handelt, welche die
Strahlen^) zurückgeben, reflektieren, umkehren oder brechen;
hierdurch erfährt man auch die Stellen, welche die Sonnen-
strahlen nach anderen Körpern zurücksenden; daraus entsteht
die Kunst der Brennspiegel und der Ingenia bei ihnen. Hier-
her gehört auch das Ingenium bei der Kunst der wunderbaren
Gewichte*) und der bei sehr vielen Künsten benutzbaren In-
strumente.
Das oben erwähnte und die dabei eine Rolle spielenden
Ursachen bilden daher die Wissenschaften der „Ingenia"; sie
sind die Grundlagen der praktischen bürgerlichen Künste, welche
Anwendung finden bei den Körpern, Figuren, der Ordnung, den
Lagen und bei der Messung; dahin gehört die Architektur und
die Zimmermeisterei u. s. w.
Das obige sind also die Doktrinen und deren Arten.
Bemerkangen.
Die von al Färäbl und den späteren, wie Ibn Stnä, al
An:ärt, Hagt Chalfa, gegebene Einteilung der Mathematik geht
auf griechische Vorbilder zurück, und zwar wahrscheinlich auf
Geminusj dessen Ausftthningen uns hei Pfvdiis erhalten sind').
Er teilt die Gebiete der Mathematik in solche, welche die Fragen
^) Wohl hier die vom Auge ausgehenden Strahlen.
*) Hier ist wohl an die Schnellwage gedacht.
') Prodi Commentarii ed. G. Friedlein. Leipzig 1873, vor allem
S. 38 ff. — Vgl. hierzu femer Tittel, De Gemini Stoiei etc. Dissert.
Leipzig 1895 und J. G. van Pesch, De Prodi Pontibus Dissert. Leiden 190a
Dabei ist auch erörtert, welche Stellen bei Proclns von Geminus entnommen
sein können. Cantor, Gesch d. Math. 2. Aufl., Bd. 1, S. 145. — Geminns
von Khodus lebte im letzten Jahrhundert vor Christus.
- 99 -
rein abstrakt behandeln, und in eine solche, welche sich mit
sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen befassen. Zu den ersten
gehören die beiden wichtigsten Gebiete, die Arithmetik and die
Geometrie. Zn den zweiten Mechanik, Astronomie (Astrologie),
Optik {ÖTtTüed), (Perspektiva), Geodäsie, Musik (Canonica) und
angewandte Arithmetik {loyiarixi^)^ denen sich noch die Mechanik
anschließt. Ausgeschlossen ist die Eriegswissenschaft, die Ge-
schichtschreibung und die Medizin, obwohl diese mannigfach die
Mathematik verwenden und verwenden mfissen.
Die Geometrie behandelt entweder ebene oder räumliche
Gebilde (Stereometrie), die Arithmetik entweder lineare oder
ebene oder räumliche Zahlen. Die Geodäsie und die Logi-
stik wenden die Resultate der ersten zwei Gebiete auf Vermessung
der wirklichen körperlichen Gebilde und die praktischen Aufgaben
an« Die Optik teilt sich erstens in eine im engeren euklidischen
Sinne; sie behandelt die Sehstrahlen (Stpig) wie Linien und die
Winkel; welche aus diesen Sehstrahlen entstehen. Die weiteren
Ausf&hrungen über die optischen Täuschungen sind denen von
al Färdbt ähnlich. Ein zweiter Teil behandelt die Spiegel, ein
dritter die Skenographia oder Perspektive, sie lehrt wie in den
Bildern die Dinge nicht entsprechend unförmlich erscheinen, trotz
deren Entfernung und Höhe.
Hierzu kommt die Mechanik ; zu beachten ist, daß diese von
Proclus fast an das Ende gestellt wird. Die Mechanik, ein
Teil des Gebietes, das sich mit den sinnlich wahrnehmbaren
und materiellen Dingen befaßt. Sie zerfällt wieder in drei Teile.
Die Herstellung von Instrumenten (dgyavojiouxi^), so der
Kriegsinstrumente nach Archimedes.
Die Herstellung von Wunderinstrumenten, die durch Luft
(nach Heron und Ktesibios), durch Gewichte (deren Nicht-
gleichgewicht die Bewegung, deren Gleichgewicht die Ruhe nach
Timäus*) bedingt) oder durch Sehnen und Stricke bewegt
werden.
Zu der Mechanik gehört dann die Lehre vom Gleichgewicht
und dem Schwerpunkt, die Lehre von der Bewegung der Sphäre
*) Vielleicht der Pythagoreer Timaeus, vgl. Christ, Griech. Litteratur-
geschichte. 4. Aufl., S. 426 u. 461. Cantor, Gesch. d. Math. Bd. 1 ; vgl.
auch Prodi commeutarias in Piatonis Timaeum C. I, 1, wonach dieser
eine Schrift tipqI q>vos(og geschrieben haben soll.
7*
— 100 —
(die von ArcMmedes konstruierte Vorrichtung) und von allem,
was die Materie bewegt.
Daran schließt sich die Besprechung der Astronomie, zu
der auch die Gnomonik (die Lehre von den Gnomonen) (Schatten-
instrumenten) und deren Verwendung gehört, weiter die Mete-
oroskopia, welche die Höhe und Abstände der Gestirne mißt,, die
Dioptriki die die Gestirne mit dioptrfecfaen Instrumenten untersncht
Die sechs mathematischen Wissenschaften werden oft zu
zweien zusammengefaßt. Geometrie und Arithmetik, Optik und
Musik; Mechanik und Astronomie. Sextus Empiriciis'behBJiAelt
Geometrie, Arithmetik, Astrologie (d. h. Astronomie) und Musik.
Die Araber haben die obige Einteilung noch etwas genauer
im einzelnen durchgeführt. Das eine oder andere Gebiet, das für sie
keine Bedeutung hatte, wie dieSkenographia, ist auch fortgefallen.
Die Einteilung der mathematischen Wissenschaften in die
vier Teile Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie findet
sich im Mittelalter immer wieder. E^ür sie ist zum ersten Male
von Boethius (t525) das Wort Quadruvium benutzt, um den
Kreuzweg der viergeteilten mathematischen Wissenschaften zu
bezeichnen, während Cassiodörus (f ca. 575) sie die vier Pforten
der Wissenschaften genannt hat. Mit dem Quadruvium zusammen
bildet das Trivium, nämlich Grammatik, Rhetorik und Dialektik,
die sieben freien Künste*).
Bei Cassiodörus^) und im Anschluß daran fast wörtlich bei
Isidorus^) (f 636) heißt es etwa: Die Mathematik, welche wir
lateinisch eine „scientia doctrinalis" nennen können, ist eine
Wissenschaft, welche die abstrakte Menge betrachtet. Eine
abstrakte Größe ist eine solche, welche wir mittelst des Ver-
standes von der Materie oder anderen Akzidentien trennen, wie
^gleich, ungleich" oder andere dergleichen, und allein durch
Vernunftschlüsse behandeln. Sie hat vier Arten, nämlich die
Arithmetik, die Geometrie, die Musik und die Astronomie. Die
Arithmetik ist die Wissenschaft von der zählbaren Größe an
sich. Die Geometrie ist die Lehre von der unbeweglichen Größe
*) Vgl. z. B. liierzu Cantor, Gesch. der Mathematik, 2. Aufl., Bd. 1,
S. 529 ff. Vgl. auch A. Appuhn. Erlanger Diasert. 1900.
') Cassiodörus. Migne, Series latina Bd. 10, S. 1203ff,
') Isidorus. Migne, Series latina Bd. 82, S.. Iö3; vgl. auch Rabanns
Maurus (776—856) in De clericorum institutionibus lib. III, cap. XXI und
folgende. Migne, Series latina Bd. 10, S. 398 und folgende.
- 101 -
und den Gebilden (formanim). Die Musik ist die Wissenschaft,
welche von den Zahlen handelt, die man bei den Tönen findet.
Die Astronomie ist die Wissenschaft, die den Lauf der Himmels-
körper, deren Figuren und das Verhalten (habitudines) der Sterne
betrachtet. — (Hier fehlt also gegenüber von al Färäbt die
Lehre von der Optik, den Gewichten und den Ingeniis; die erste
haben die Araber, wohl veranlaßt durch die Optik des Euklid,
die zweite infolge der wachsenden Bedeutung des WÄgen& bei
dem Handel und die letzte im Anschluß an die Schriften Herons
und Proklus eingeführt.)
Eingehende Betrachtungen über die Beziehungen der ein-
zelnen Wissenschaften zu den natürlichen Körpern, der reinen
Geometrie und Arithmetik, von denen die letztere als die ein-
fachere bezeichnet wird, zu der Lehre von den Gewichten, der
Musik, den bewegten Sphären, der Optik, der Astrologie finden
sich in Ibn Stnd's Schifä^) (Genesung)*).
^) Nach dem Druck in VenediK 1508. Safficientia lib. I, Cap. 8, fol. 18 v.
unter dem Titel: ^Was die Scientia naturalis erstreben muß und worin
sie mit anderen Wissenschaften zusammenhängt/ Sufficientia ist hei
lateinischen Obersetzungen der Titel des obigen Werkes von Ibn Sind.
Hertens treffliebe Übersetzung ist noch nicht so weit gediehen.
*) Eine sehr eingehende Einteilung der Wissenschaften, die sich mannig-
fach von den sonstigen unterscheidet, geben die Ichwän al Sofa. Sie
ist in der 7. Dissertation über die theoretischen {^ümija) Künste ent-
halten (Dleterici, Logik S. 1 und 10; Bombayer Ausgabe S. 13). Dieselbe
im einzelnen wiederzugeben hat keinen Zweck. Erwähnt sei nur, daß
zu den Vorstudien die Bildnngswissenschaften, von denen die meisten
dazu dienen, um dem Lebensunterhalt nachzugehen und die Angelegen-
heiten des Lebens wohl zu ordnen, gerechnet werden: die Wissenschaft
der Zauberei, der Beschwörung, der Chemie und der Hijal (Kunstgriffe)
nnd was diesen ähnlich ist.
Die Künste, die an sich vorzüglich sind, sind die Künste der Taschen-
spieler {Mu8ch(imd)j der Maler, der Musiker u. s. w. Die Taschenspieler-
kunst ist nichts anderes als Schnelligkeit der Bewegung und Verbergen
der Ursachen, so dsft, während die Toren lachen, der Verständige sich
über die Schlauheit des Künstlers freut. (Bombay 1,, S. 33. Dietericl,
Logik S. 94.)
Die mathematischen Wissenschaften zerfallen in : 1. die Mathematik,
2. die Geometrie (bald als (jrumatrijd, bald als Handasa bezeichnet),
3. die Astronomie, 4. die Musik, 5. die Geographie, 6. das Verhältnis in
der Arithmetik, der Geometrie und der Komposition {Ta*lif).
Ober LösuDgeo in Gemischen von Alkohol und
Wassen
Von Ernst Cuno.
Aus dem phyBikaliachen Institut der Universität Erlangen.
Es wurden Versuche angestellt nber die Zusammensetzung
zweier flüssiger Schichten, wie sie beim Lösen gewisser Salze
in Alkohol Wassergemischen auftreten. Untereucht wurden Kalium-
karbonat und Mangansulfat. Bezieht man den Salzgehalt und
den Alkoholgehalt dieser Schichten auf 100 g Wasser, und
wählt den Alkoholgehalt als X-Achse und den Salzgehalt als
Y-Achse eines rechtwinkeligen Koordinatensystems, so erhält
man, wenn man die verschiedenen oberen und unteren Schichten
aufträgt (bei derselben Temperatur), eine Kurve, die im ei^sten
Quadranten verläuft, nach unten konvex ist und sich den beiden
Achsen nähert, um schließlich, wie sich aus den theoretischen
Arbeiten von Schreinemakers^) und den experimentellen von
B. R. de Bruyn*) ergibt, in die Kurve überzugehen, die das
Gleichgewicht zwischen gesättigten Lösungen und dem Salz
oder festen Hydraten darstellt. Fig. 1 zeigt diese „Schichtungs-
kurven" für Kaliumkarbonat bei 25^.
Eine Lösung, die zwischen der X- und Y-Achse und dieser
Kurve liegt, ist ungesättigt; liegt aber die Lösung innerhalb
der Kurve, so zerfällt sie in die beiden Lösungen, deren Zu-
sammensetzung durch die Endpunkte der durch den betreffen-
den Punkt gehenden Strecke gegeben ist.
Aus den Versuchen hat sich ergeben, daß die Temperatur
bei Kaliumkarbonat und Mangansulfat sehr wenig Einfluß so^-
1) F. A. H. Schreinemakers. Zeitschr. f. phys. Gbeni. 22, 93 u.
515. 1897, sowie 25, 305. 1898.
*) B. R. de Bruyn. Zeitschr. f, phys. Chem. 32, 63. 1900.
103
CjHjOH
Figur 1.
wohl auf dei) Eintritt der Schichtenbildang, als auch auf die
Zusammensetzung der beiden Schichten ausübt.
Die kritische Lösung, d. h. die Lösung^ bei der die beiden
Schichten einander gleich werden, die also durch den Punkt
dargestellt wird, wo die beiden Kurventeile für die obere und
untere Schicht zusammentreffen, hat bei Kaliumkarbonat für
die untersuchten Temperaturen (25®, 40® und 60®) die gleiche
Zusammensetzung.
Die Änderung der Schichtungskurven mit der Temperatur
erfolgt bei Kaliumkarbonat derart, daß für die oberen Schichten
die Schichtungskurve für eine höhere Temperatur höher liegt
wie für eine niedrigere Temperatur. Für die unteren Schichten
mit sehr großem Salzgehalt ist dasselbe der Fall. Bei mittlerem
Salzgehalt schneiden sich die Kurven, und gehen dann alle durch
den kritischen Punkt.
Sehr verschieden verhalten sich Kaliumkarbonat und Mangan-
sulfat beim Lösen in Alkohol- Wassergemiscben. Während das
erstere sich auch dann noch löst, wenn bereits Schichtenbildung
eingetreten ist, erhält man beim Lösen von Mangansulfat nie-
mals Schichtenbildung, indem das Salz ungelöst bleibt. Man
erhält bei letzterem Scbichtenbildung, indem man einer Lösung
des Salzes in Wasser Alkohol zusetzt.
W M
Der Bodländersche Ausdruck 3 .- , sowie der von W.
Herz und M. Knoch -^iA^-f^'^ (A, W und S sind die
S + A-f- W '
») G. Bodländer. Zeitschr. f. phys. Chem. 7, 314. 1891.
*) W. Herz u, M. Knoch. Zeitachr. f. anorg. Chem. 46, 193. 1905.
— 104 —
Mengen Alkohol^ Wasser und Salz in 100 ccm der Lösung)
zeigen sich fUr mittleren Alkoholgehalt ziemlich gut konstant.
Leitfähigkeitsbestimmungen ergaben, daß sich das Maximum
der Leitfähigkeit, das bei Lösungen von Kaliumkarbonat und
Mangansulfat in reinem Wasser auftritt, sich mit steigendem
Alkoholgehalt zu Lösungen mit sinkendem Salzgehalt verschiebt.
Die Leitfähigkeit nimmt mit wachsendem Alkoholgehalt bei
gleichem Salzgehalt sehr rasch ab. Fig. 2 zeigt die Leitfähig-
% Alkohol
MnSO«
Figur 2.
keitskurven für Lösungen von Mangansulfat in Gemischen von
Alkohol und Wasser bei 15^. Dabei bezieht sich der Alkohol- und
Salzgehalt auf 100 g der Lösung, und als Einheit der Leit-
fähigkeit K wurde die Leitfähigkeit eines Körpers angenommen,
von dem eine Säule von 1 cm Länge und 1 qcm Querschnitt den
Widerstand 1 Ohm besitzt.
Chlorretention bei künstlich erzeugtem Fieber.
Von Edgar Grünbaura.
Aus dem physiologischen Institut der Universität Erlangen.
Wäre es auch irrig, die Bedeutung eines Stoffes für den
Haushalt des menschlichen Körpers allein nach seiner Umsatz-
größe abzuschätzen, so weist doch die Unveränderlichkeit der
hohen Werte des Kochsalzes im Harn — 11 bis 15 g pro die,
das ist fast die Hälfte des Harnstoffwertes — auf eine große
Bedeutung. dieses chemisch anscheinend so gleichgültigen Körpers
für den menschlichen Stoffwechsel hin. Und mit größter Zähig-
keit — das gehört zu den physiologisch festgestellten Tatsachen
— hält der tierische Körper einen- gewissen eisernen Bestand an
Kochsalz fest. Alle bisher gemachten Erfahrungen auf dem Gebiet
des Mineralstoffwechsels haben diese Tatsache immer wieder
bestätigt. ,jEs besteht . . . eine gewisse Breite des Kochsalzes in
den Säften und Geweben; ebendieselbe bewegt sich in engen
Grenzen; das Minimum und Maximum liegen sich so nahe, daß
der Prozentgehalt kaum eine Änderung erfährt" ^). Hält so
der Tierkfrper mit großer Zähigkeit den relativen Chlorgehalt
seiner Gewebe unter normalen Umständen konstant, so ist um
so auffallender und merkwürdiger die Tatsache, daß unter den
veränderten Bedingungen, unter die die Lebensvorgänge bei
vielen fieberhaften Infektionskrankheiten gestellt werden, der
Ghlorstoffwechsel eine obigem Gesetz anscheinend gründlichst
widersprechende Änderung erfährt.
Soviel ich sehe, hat zuerst Redtenbacher im Jahre 1850
auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß bei Pneumonie eine
außerordentliche Verminderung der Harnchloride, die bis zu
deren völligem Verschwinden sich steigern kann, statthat. Er
führte das für den speziellen Fall der Pneumonie auf die Re-
tention des Chlors bei Bildung des Lungenexsudates zurück.
>) C. V. Voit, Handb. d. Physiol. des StoffwechselB. Bd. VI von
Hermanns Handb. d. Physiologie, S. 365.
— 10(5 -
Unter Retention ist in unserem Falle kein dauernder Vor-
gang, sondern nur das zeitweilige Zurückbleiben der ausgefQhrten
Chloridmengen hinter der Einfuhr zu verstehen, eine Differenz,
die in einer der krankhaften Störung folgenden Periode durch
länger oder kürzer dauernde Mehrausfuhr wieder zum Ausgleich
gebracht wird.
Die weitere Literatur, eine Kasuistik, die das Phänomen
der Chlorretention während des Fiebers und der Mehraus-
scheidung des Chlors nach der Entfieberung auch für andere
fieberhafte akute und subakute Infektionskrankheiten nachweist,
ist nicht umfangreich.
Eine Übersicht dieser Literatur für die Zeit bis 1906 ist
dem kurzen Abschnitt über unser Thema angefugt; der, von
F. Kraus bearbeitet, sich in v. Noordens Handbuch der Patho-
logie des Stoffwechsels findet. Eingehendere Literaturangaben,
insbesondere auch unter Berücksichtigung der ausländischen
Veröffentlichungen neuerer Zeit, bringt Schwenkenbecher in
seinem ausgezeichneten kritisch sichtenden Aufsatz: Über den
Kochsalzstoffwechsel bei Infektionskrankheiten. (Medizinische
Klinik 1907, Nr. 28 und 29.)
Nach dieses Autors Angaben ist die charakteristische Ände-
rung der Cl-Ausscheiduug bisher festgestellt außer bei Pneu-
monie bei Typhus abd., Typhus exanthem., Febris recurrens,
Masern, Scharlach, auch Angina und Erysipel. Nach einer neueren,
im letzten Halbjahr veröffentlichten Arbeit von A. Mayer ^)
zeigt auch eine so eminent chronisch verlaufende Infektions-
krankheit wie die Phthise eine Retention der Chloride.
Etwas näher eingehen möchte ich noch auf die viel an-
geführte Arbeit von Röhmann^), weil noch öfter Gelegenheit
sein wird, auf diese sehr sorgfältige Untersuchung und die
daraus gezogenen Schlußfolgerungen zurückzukommen.
Röhmann hat in der medizinischen Klinik der Charit^
(v. Leyden) drei Fälle von Pneumonie und je einen Fall von
Typhus exanthem., Masern, akutem Gelenkrheumatismus und Ileo-
typhus auf ihren Chlorstoffwechsel unter Berücksichtigung des Ge-
^) A. Mayer, Zur EenotDis des Mineralstoffwechsels der Phthisiker.
Deutsches Archiv für klinische Medizin, Bd. 90, Heft 8 und 4.
') Röhmann, Über die Ausscbeidung der Chloride im Fieber. Zeit-
schrift für klinische Medizin 1880, Bd. 1.
- 107 —
haltesder Nahrung, der Fäzes und des Harnes an Chlor untersucht.
In allen fünf Fällen von akuter Infektion mit Fieber ist eine sichere,
zuweilen bis zu einer Höhe von ll^/j g sich steigernde Chlorreten-
üon nachzuweisen, bei zweien davon, bei denen aus äußeren
Grunden*die Untersuchung nicht gründlich genug durchgeführt
werden konnte (Typhus exanth. und Morbilli), drückt sich eine
sichere Tendenz zur Ghlorretention im Versuchsergebnis aus.
Die beiden subakuten Fälle (Gelenkrheumatismus und Ileotyphus)
zeigen nicht das charakteristische und eindeutige Verhalten der
akuten Fieberkrankbeiten. Immerhin sind während des längeren
Verlaufes abwechselnd Perioden von Ghlorretention und Mehr-
ausscheidung deutlich zu erkennen.
Warum kann nun die Frage von der Ghlorretention bei fieber-
haften Erkrankungen noch nicht mit unbestrittener Sicherheit
bejaht oder verneint werden ? Die vorhandene Möglichkeit einer
ganz unzweideutigen Fragestellung und der klar vorgezeichnete
einfache Weg der Methodik lassen diese immer noch bestehende
Unsicherheit in der Deutung der Untersuchungsresultate ver-
wunderlich erscheinen. In seiner oben schon erwähnten Arbeit
gibt Schwenkenbecher eine Zusammenstellung und Be-
sprechung der Gründe für diese Tatsache. Vor allem mangelnde
Kenntnis des physiologischen Kochsalzwechsels beim Menschen,
der ja der Beurteilung pathologischer Veränderungen unbedingt
als für den Vergleich maßgebend zugrunde gelegt werden muß,
und Außerachtlassung wichtiger Faktoren des Ghloridwechsels,
wie z. B. des Wasserwechsels, und von erheblichen Ausfnhr-
quellen, wie Schweiß und Sputum, außerdem und niclit zuletzt
die Unmöglichkeit einer so genauen Versuchsanordnung, wie sie
von e.V. Voit für derartige Experimente vorbildlich angegeben
und verlangt worden ist, beim Menschen und namentlich beim
kranken, vielfach sogar delirierenden oder somnolenten Menschen
sind die hauptsächlichsten davon. Trotzdem kommt Schwenken-
becher am Schlüsse seiner Arbeit auf Grund eingehendster
Würdigung aller Tatsachen und der vorliegenden Versuchsergeb-
nisse zu der Annahme, „daß im Verlaufe zahlreicher Infektions-
krankheiten (hinzuzufügen wäre »fieberhafter') eine Ghlorretention
stattfindet, die in der Regel gering ist und bald wieder aus-
geglichen wird". Mehr zu folgern wäj'e bis heute nicht erlaubt.
Aber ist die Ghlorretention eben nur vielen Infektionen als
- 108 —
solchen spezifisch eigen — nicht allen, z. B. fehlt sie beim
Malariaanfall, in dem eher eine Chlor-Anssehttttung beobachtet
ist — , oder ist es der fieberhafte Prozeß als solcher,, dem die
Zurückhaltung der Chloride zuzuschreiben ist? * Diese Frage-
stellung wies auf den experimentellen Weg hin, und gA*n folgte
ich der giUigen Anregung des Herrn Prof. Dr. O. Schulz, die
Lösung der Frageuntersolchem Gesichtspunkt in Angriff zunehmen.
Während ich noch mit den Vorarbeiten der weiter unten
folgenden Versuche beschäftigt war, wurde mir durch die Güte
des Herrn Prof. 0. de la Camp Gelegenheit geboten, an
einem hierzu geeigneten klinischen Fall, einer subakuten Er-
krankung beim Menschen» den Kochsalzstoffwechsel zu verfolgen.
Der fünf Jahre alte Knabe B. St. erkrankte am 29. IV. und wurde
am 30. IV., mit typischen Skarlatina- Exanthem bedeckt und
39,2® Temperatur, in der Üniversitäts-Kinderklinik isoliert. Das
Fteber (siehe Kurve) erreichte mit 40,6** am 2. V. seine höchste
Spitze, um dann innerhalb vierzehn Tagen mit Ausnahme einer
kurzen nochmaligen Steigerung am 11* und 12. V. stetig ly tisch
abzufallen. Die Nahrung des Kranken bestand aus Milch, Eiern,
Kakao (bereitet aus Kakao, Hafermehl, Milch, Wasser und
Zucker in stets gleichem Verhältnis), Zwieback, Orangen- und
Zitronenlimonade, Bouillon (auch mit Ei), Kaffee und Tee (mit
Milch), Kirschenkompot. Hiervon wurde Cl-frei oder so gut wie
Cl-frei gefunden das Kakaopulver, das Hafermehl, das Wasser,
der Zwieback, Orangen- und Zitronenlimonade, Kirschenkompot,
Kaffee, Tee und selbstverständlich der Zucker; quantitativ be-
stimmbares Ghlor (alle Chlorbestiramungen sind nach Volhard-
Salkowski ausgeführt und auf Kochsalz berechnet) enthielten:
Milch im Durchschnitt 0,1559 g NaCl in 100 ccm, Bouillon 0,812 g
NaCl in 100 ccm, 1 Ei 0,14765 g NaCl (berechnet nach J. König).
Der 24stündige Harn des Kranken wurde jeden Morgen um die-
selbe Zeit fortgenommen und ebenfalls nach Volhard-Salkowski
titriert (Ausfällen des Chlors aus der salpetersauren Lösung mit
überschüssiger Yio "-Silbernitratlösung und Zurücktitrieren des
Überschusses an Silberlösung mit Vio^-I^liö^^ß*^"^^^'^!^"^ unter
Beihilfe von Ferridammoniumsulfat als Indikator. Vgl. Späth,
Untersuchung des Harnes. 2. Aufl. 1903.
Der Kranke hatte mit Ausnahme dreier Tage ganz im Be-
ginn der Beobachtung täglich normal defäziert. Der Kot wurde
- 109 -
nicht analysiert, weil er erfahrungsgemäß nar ganz geringe nnd
dämm ohne erhebliche Beeinträchtigung des Versachsergeb-
nisses zu vernachlässigende Mengen an Kochsalz enthält. Über
das Verbalten des Kochsalzes im Verdauungskanal sagt Magnus-
Levy in von Noordeus Handbuch der Pathologie des Stoff-
wechsels in dem Abschnitt über die Physiologie des Stoffwechsels:
„Natrium und Chlor werden außer bei heftigen Durchfällen,
bei denen größere Mengen NaCl mit den Fäzes ausgeschieden
werden, fast vollständig resorbiert. Im normalen Kot erscheinen
höchstens Dezigramme Gl und Na; es wird also nicht nur das
Kochsalz der Nahrung, sondern auch die Salzsäure des Magens,
das saure kohlensaure Natrium und das Kochsalz der Ver-
dauungssäfte zum größten Teil wieder resorbiert, — Die Auf-
saugungsfähigkeit für Natriumsalze ist fast unbeschränkt.^ Und
weiter an späterer Stelle: „bei dem Studium derartiger (NaCl)-
Bilanzen sind wir ausnahmsweise in der Lage, auf Chlor-
bestimmungen in den Fäzes verzichten zu können, außer bei
Durchfällen erscheinen nur Spuren, höchstens Dezigramme Chlor
im Stuhl.«
Geschwitzt, hat der Patient nie erheblich, dagegen erbrach
er am dritten, vierten, fünften und sechsten Beobachtungstage,
so daß damit nicht nur Kochsalz der Nahrung, sondern auch
Chlor des Magensaftes in unbestimmter Menge der Aufzeichnung
verloren ging.
ünteraieht man nun das Ergebnis der Beobachtung einer Be-
trachtung, so stellt sich heraus, daß es anscheinend der An-
nahme einer NaCl-Retention während der Fieberperiode wider-
spricht. Dem ist aber nicht so. Allerdings bei Subtraktion der
Ausgabe von der Einnahme stoße ich auf die Tatsache, daß der
Patient 1,214 g NaCI mehr ausgeschieden hat als eingenommen,
und zwar das insgesamt aus der Bilanz von dreizehn Fiebertagen,
während er innerhalb der drei folgenden fieberfreien Tage
allein 2,546 g mehr ausscheidet als einnimmt. Immerhin könnte so
vielleicht schon von relativer Retention und nachheriger Mehr-
ausscheidung gesprochen werden. Aber diese Einschränkung des
Urteils scheint mir durchaus nicht notwendig zu sein. Es kann,
ja es muß trotzdem hier eine absolute Retention von Chloriden
angenommen werden anter Berücksichtigung eines Umstandes^
der mir, nach der vorliegenden Literatur zu schließen, viel zu
— 110 —
wenig oder keine Beachtung gefunden zu haben scheint: das
ist die während jeder fieberhaften Erkrankung von
nicht zu kurzer Dauer erfolgende meist recht be-
trächtliche Abnahme des Körpergewichts. Leider ist
es bei unserem Patienten versäumt worden, das Gewicht bei
seiner Einlieferung ins Krankenhaus kurz nach Beginn seiner
Erkrankung festzustellen. Nehmen wir aber beispielshalber an,
der Kranke habe während seiner fast dreiwöchentlichen Fieber-
zeit um 2 kg Körpergewicht abgenommen, — der rapide Anstieg
der Gewichtskurve von 13,2 auf 15,86 kg innerhalb zweier Wochen
Rekonvaleszenz läßt diese Annahme als nicht unberechtigt er-
scheinen — und weiter, daß der durchschnittliche Kochsalz-
gehalt der Körpersubstanz der höheren Säugetiere mit nur
0,25 ^/o in Anschlag zu bringen sei, was wohl sicher zu niedrig ist,
so hätten wir bei 2 kg Körpergewichtsverlust schon 5 g frei
gewordenen Kochsalzes, das bei Nichtausscheidung als retiniert
angesehen werden muß. Wie gesagt, diese Zahlen sind bloß
angenommene; ich habe sie nur ungefähr der Wirklichkeit anzu-
passen gesucht. Immerhin sind sie geeignet, ein Bild von der
Wichtigkeit des Gewichtsverlustes für die Beurteilung der Chlor-
retention im Fieber zu geben. Genau die Größe der durch
Einschmelzung von Körpersubstanz bedingten Ghlorretention zu
bestimmen ist vorläufig wohl überhaupt noch nicht möglich,
einmal weil nur spärliche und deshalb noch nicht allgemein für
Berechnungen verwertbare Analysen der einzelnen Organe des
menschlichen Körpers vorliegen, und weiter, weil aus unseren
Bestimmungen der Endprodukte des Stoffwechsels kein Schluß
darauf gezogen werden kann, aus welchen Organen die quanti-
tativ ermittelten organischen und anorganischen Ausscheidungs-
produkte hervorgegangen sind, und besonders, in welchem Ver-
hältnis die einzelnen Organe, Gewebe und Gewebsflüssigkeiten
das Material zu den Ausscheidungsprodukten geliefert haben.
Betrachten wir jetzt die Zusammenstellung der Temperatur-,
Kochsalzeinnahme- und Kochsalzausscheiduugskurve, so fällt auf,
daß, ausgenommen die ersten Beoachtungstage, bei denen wir es
noch mit einer Nachwirkung der vorher noch nicht geregelten
Kost zu tun haben, die Kurve der NaCl- Ausscheidung mit zwei
Ausnahmen sich unter der der Kochsalzeiufuhr hält. Die eine
Ausnahme ist die Kochsalzmehrausscheidung nach dem end-
— 111 -
gültigen Fid)ei'abfall. Die andere, interessantere ist der exakte
Ansdmck des Teroperaturabfalls nnd -Wiederanstiegs am zehnten
und elften Krankheitstage in den Kochsalzknrven. Denn ganz ent-
sprechend, nur um 24 Stunden verschoben, erhebt sich die Kurve
der Ausscheidung des Kochsalzes über die der Einfuhr, um dann
ein wenig verzögert von neuem unter die Einfuhrkurve abzu-
Staib, Bernhard, 5 Jahre alt.
Fieberperiode.
. s
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^1
5|-
Bemerkungen
1.
2.V.
40,6»
335
1018
0,4002
1,341
0,935
2.
3.V.
40,5 <>
520
1016
0,3364
1,749
0,780
3.
4.V.
40,1 •
1410
10065
1010
0.1508
2,126
1,871
Erbrechen !
4.
5.V.
39,5«
1180
0,1624
1,975
0,394
Erbrechen!
5.
6.V.
39,6«
340
1015
0,1392
0,473
1,066
Erbrechen !
6.
7.V.
39,4«
765
1007
0,116
0.887
1,686
Erbrechen I
7.
S.V.
39,0*
470
1012
0,174
0.818
1,885
8.
9.V.
38,6«
700
1010
0,232
1,624
1.949
9.
10. V.
38,1«
445
1013
0,3828
1,703
1.928
10.
U.V.
39,0«
665
1010
0,4528
3,011
1,966
11.
12. V.
39,5«
620
1010
0,3364
1.426
1,111
Erbrechen !
12.
13. V.
38,2«
535
1013
0,3944
2,110
2,045
13.
14. V.
38«
320
1020
0,7018
2,246
3,159
Im f
ganzen
in 13 '
ragen:
21,489
20,275
Nachperiode.
l.r.l5.V.
2. 16.V.
3. 17. V.
37,3«
37,4«
37,3«
712
700
1035
1012
1012
1010
0,6612
0,5916
0,638
4,708
4,141
6,699
4,607
2,838
5,557
Im ganzen in 3 Tagen:
15,548
13,002
sinken. Diese Promptheit der Reaktion, mit der die Kochsalz-
bilanz auf Temperaturschwankungen antwortet, scheint mir sehr
bemerkenswert.
Als Ergebnis der Beobachtung ist, trotz der Schwächen, die
aus den bereits in der Einleitung ganz allgemein ffir ähnliche
Untersuchungen besprochenen und hier deshalb nicht noch ein-
mal zu wiederholenden GrOnden ihr anhaften, doch unzwei-
deutig wenigstens die Tendenz zur Chlorretention zu erkennen.
112 —
Unser Fall ist deshalb den subakaten F&llen RObmanns an
die Seite zu stellen und nähert sich dem Typhusfall von Garrat
(siehe bei Seh wenkenbe eher 1. c.) sowie dem Phthisisfall
A. Mayers.
Jedenfalls wies auch die Bearbeitung dieses klinischen
Falles durch die aus dem Fehlen strenger Versuchsbedingungen
Knabe B. St.
BeobachtuDgstage.
1. 2. 3.
H.
s.
6. 7. 8. 9. 10
Dafum 2y. 37. «f.
b.
6.
7. 8. 9. 10, 11.
11.
12.
13.
11.
15.
16
12.
13.
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15.
16.
17.
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sich ergebende Lückenhaftigkeit der Resultate auf die Not-
wendigkeit von Tierversuchen, die ja gerade die Möglichkeit
einfachster und genau zu kontrollierender Versuchsanordnung
bieten, hin.
Ist es der fieberhafte Prozeß als solcher, der die Chlor-
retention bedingt? Diese Fragestellung setzte ein reines Fieber
ohne jede entstellende Komplikation voraus. Durch Einspritzung
- 113 -
putrider oder in Zersetzung begriffener tierischer Substanzen
haben schon Pitha und Billroth künstliches Fieber bei Tieren
erzeugt. Aber das war kein reines, kein aseptisches Fieber.
Unsere Aufgabe verlangte vor allem, daß jede Störung des
Stoffwechsels, wie sie durch lebende, dem tierischen Körper ein-
verleibte fiebererregende Bakterien hervorgerufen wird, sowie
Abszeß- und Exsudatbildung vermieden und eine Lebensgefährdung
der Versuchstiere durch zuverlässige Dosierbarkeit des einzu-
spritzenden Fiebermittels soweit als irgend angängig ausge-
schlossen werde. Besonders auf diesen zweiten Punkt mußte ich
Gewicht legen: die Tiere durften dem Fieber nicht erliegen;
denn gerade die Gesündungsperiode gehörte ja zu den wichtigsten
Versuchsabschnitten.
Aus weiter unten anzugebenden Granden benutzte ich als
Versuchstiere Hunde.
Zunächst bin ich in der Gewinnung eines aseptischen pyrogenen
Stoffes dem Vorgehen W. Rosen thals ^) gefolgt und habe an einer
von Herrn Prof. 0. Schulz aus seinem Versuchsmaterial gütigst
zur Verfügung gestellten thyreoidektomierten etwa 6 kg schweren
Hündin, die später nicht mehr verwendet wurde, mit einem aus
Phthisikerspütum durch Alkoholfällung und Glyzerinextraktion
hergestellten Material Fieber zu erzeugen versucht. W. Rosen -
thal hatte das Extrakt allerdings nur für Kaninchen verwendet
und dabei, wie auch ich, gute Erfolge erzielt. Beim Hund ver-
sagte das Mittel. Die Schwierigkeit, bei Hunden Fieber zu
erzeugen, ist bekannt. Vom Tuberkulin, an das man hätte
denken können, wurde deshalb von vornherein Abstand ge-
nommen, weil, wenn das Mittel überhaupt beim Hund I?ieber
erzeugt hätte, sicher sehr große Mengen davon nötig geworden
wären bei der notwendigerweise länger auszudehnenden Versuchs-
dauer; die Kosten wären unverhältnismäßig groß geworden. Nach
Ausscheidung dieser Mittel wurde auf Veranlassung des Herrn Prof.
0. Schulz, dem früher bei der künstlichen Erzeugung von asep-
tischem Fieber sterilisierte Pyocyaneus-Kulturen die besten Dienste
geleistet hatten, mit solchen Kulturen vorgegangen, mit gutem
Erfolge, wie ich gleich voraus nehmen will.
*) W. Rosenthal, Thermoelektr. Untersuchungen über die Tempe-
ratarverteünng im Fieber. lunug.-Diss. Erlangen 1893.
SitKÜngiiberichte der raed.-phys. Soz. 39 (1907). g
- 114 —
Nach Lexer*) „bildet der Pyocyaneus im Tierkorper, ohne
sich stark zn vermehren, heftige Gifte . . . Der sabkatanen
und intravenösen Einspritzung geringer Mengen virulenter
Kulturen folgt eine schwere, in 24 Stunden oder in vielen Wochen
tödliche Erkrankung (mit Nephritis und Hämorrhagien im
Magendarmkanal) . . . Auch Lähmungen und Degenerationen
der Organe kommen bei chronischem Verlaufe vor. Ganz
ähnlich wirken in genügenden Dosen sterile Kulturen, da sie
die GiftstoflFe der Bakterien enthalten." Von einer Agar-
kültur, die mir Herr Prof. L. Heim gütigst zur Verfügung
stellte, wurden Röhrchen und Kolben sterilisierter Rindlleisch-
bouillon (600 g fett- und bindegewebsfreies Rindfleisch mit
1200 ccm Wasser kalt extrahiert, durch Kochen enteiweißt, neu-
tralisiert, filtriert, dann nach Zufügen von 10 g Pepton und 5 g
Kochsalz im strömenden Dampf sterilisiert) geimpft und acht Tage
im Brutschrank belassen. Immer schon nach 24 Stunden war
deutlich schöne grüne Fluoreszenz zu bemerken, die sich von
Tag zu Tag bis zu einer gewissen Grenze intensiver gestaltete.
Die Kolben, deren Inhalt zur Einspritzung verwendet werden
sollte, wurden nun zu wiederholten Malen zwei bis drei Stunden bei
60^ im Wasserbad gehalten und Abimpfungen von diesen Kolben
dann immer steril befunden. Die Bouillon zeigte sich jetzt in
eine schleimig zähe, kaum fadenziehende, tief blaugrüne Masse
verwandelt; diese wurde vor Licht geschützt und kühl auf-
bewahrt und zur Injektion verwendet.
Die Wirkung des Mittels auf die Versuchstiere war eine
prompte. Nach drei Stunden meist war die Temperatur, wenn
vorher normal, — sie hält sich nach meiner Erfahrung beim
normalen Hund zwischen 37,8** und 38,6®, selten höher, bis
höchstens 39® ~ um IV2 Ms 2 Grad hinaufgeschnellt; auf den
schon fiebernden Hund war die pyrogene Wirkung unseres
Fieberstoffes — Pyocyanin soll er im folgenden der Kürze halber,
vielleicht nicht ganz korrekt, genannt werden — zwar keine
so große, aber immerhin eine deutliche und erhebliche. Eine,
wenn auch geringe, so doch deutliche Angewöhnung an das
Mittel machte sich im Laufe der Versuche bemerkbar, derart,
daß auf gleiche Mengen desselben Präparats die Fiebersteige-
') Lexer, Allgemeine Chirurgie I, 156. 1. Aufl. 1904.
~ 115 ~
rangen geringer wurden, so daß zur Erzielung gleich hoher
Temperatur größere Injektionsdosen des Pyocyanins nötig worden.
An Nebenwirkungen wurde jedesmal zwei bis drei Tage nach Ein-
setzen der Fiebertemperatur bei beiden Versuchshunden allgemeine
Mattigkeit, verminderte Freßlust, die bei dem einen Hund so-
gar zur Änderung der Nahrung zwang, Schwäche und Zittern
am ganzen Körper, eine hochgradige Parese und merkliche
Abmagerung der Hinterextremitäten bemerkt, Zeichen, die ganz
ähnlich auch bei Inanitionshunden, z. B. von C. v. Voit, be-
obachtet wurden. Die Tiere, die sich vorher sofort beim Ab-
nehmen des Käflgdeckels mit Leichtigkeit auf den Hinterbeinen
aufrichteten und über den Käfigrand mit den Vorderpfoten em^
porhoben, waren nunmehr kaum zum Aufstehen zu bewegen,
zeitweise bedurfte es sogar, um sie bei der Fütterung auf die
Beine zu bringen, der Nachhilfe.
Die geringen Mengen von Eiweiß im Harn, wie sie durch
Essigsäure-Ferrocyankalium und durch die Kochprobe sehr oft im
normalen Hundeharn angezeigt werden, vermehrten sich um ein
geringes bei unserm Hund ü, während bei Hund I sich ganz
akut, wie weiter unten näher zu schildern sein wird, die Zeichen
einer hämorrhagischen Nephritis einstellten.
Zu berücksichtigen ist bei alledem, daß bei beiden Hunden
zur Aufrechterhaltung des Fiebers die Injektionen oft wieder-
holt werden mußten (Hund I 5 Injektionen in 5 Tagen mit im
ganzen 29 ccm und Hund II innerhalb 10 Tagen 7 Injektionen
mit insgesamt 44 ccm sterilisierter Pyocyaneus-Bouillon). Jetzt,
zur Zeit der Niederschrift dieser Zeilen, befinden sich beide
Tiere vollkommen wohl und bewegen sich ganz normal. Doch
hat es bei Hund II immerhin mehrere Wochen gedauert, bis
sich die Unsicherheit auf den Hinterbeinen völlig verlor.
An der Injektionsstelle selbst blieben, abgesehen von länger
dauernder Schmerzempfindlichkeit, beträchtlichere Reizerschei-
uungen bis auf eine Ausnahme ganz aus. Die injizierte Menge
war, soweit fühlbar, immer nach wenigen Stunden restlos resor-
biert Nur ein einzigesmal blieb bei Hund I an der Injektions-
stelle — es wurde in der Regel an den Flanken nach dem Bauche
zu, wo die Haut locker und leicht verschieblich ist, eingespritzt —
eine schmerzhafte, undeutlich fluktuierende Beule 24 Stunden
lang bestehen; nach weiteren 24 Stunden war sie verschwunden.
8*
— 116 -
Notwendig wareu Versuchstiere, deren Stoffwechsel sich in
nicht zu kleineu Verhältnissen bewegte, und deren Ernährung da-
bei unter möglichst einfachen und gleichmäßigen Bedingungen
gehalten werden konnte. Diese Anforderungen erfüllten die
Hunde, wie ich sie zur Verfügung hatte (ca. 9 kg schwer) aus-
gezeichnet. Bei der Wahl des Hundes als Versuchstier ergab
sich noch ein weiterer Vorteil. Da die Hunde auch bei fieber-
hafter Körpertemperatur nur Dunstschweiß abgeben, so fiel da-
mit eine beim Menschen die Versuchsbedingungen komplizierende,
nicht unerhebliche Kochsalzausfuhrquelle weg, was die Ver-
suchsanordnung sehr erleichterte. Die Tiere konnten bequem
in den hier im physiologischen Institut für solche Zwecke ge-
bräuchlichen runden Zinkblechkäfigen gehalten und, nachdem
sie sich innerhalb weniger Tage an den Aufenthalt im engen
Raum gewöhnt hatten, zu regelmäßiger Aufnahme der Nahrung
und ziemlich regelmäßiger Entleerung von Harn und Kot ab-
gerichtet werden. Die B'ütterung erfolgte in der fieberfreien
Zeit stets abends zwischen 5 und 6 Uhr. Während der Fieber-
periode zwang die verminderte Freßlust, die Futterration in
zwei gleiche Teile geteilt mittags und abends zu verabreichen.
Die Temperaturmessungen erfolgten regelmäßig morgens gegen
9 Uhr und abends ungefähr eine Stunde nach der Fütterung;
während der Fieberperioden wurde, soweit es an den einzelnen
Tagen erforderlich schien, die Temperatur auch tagsüber öfter
kontrolliert. Die Harn- und Kotentnahme geschah stets morgens
möglichst um dieselbe Stunde.
Die Nahrung der Versnchshunde bestand ausschließlich aus
gewogenen bezw. gemessenen Mengen von Spratts Hundekuchen
und immer aus derselben Quelle bezogener Kuhmilch. Da Hund IE
in der ITieberperiode die Aufnahme des Hundekuchens ver-
weigerte, habe ich ihm während dieser Zeit gewogene Mengen
gekochter Kartoffeln, mit Milch zu einem Brei verrührt, gegeben,
um dadurch den reinen allzu diarrhoischen Milchkot konsistenter
zu gestalten. Trotzdem war der Kot noch weichbreiig und
hellgelb, und es geschah zu wiederholten Malen, aber nur
während der Fieberperiode, daß der Hund sofort nach der Ent-
leerung sich herumdrehte und den frischgesetzten Kot säuber-
lichst wieder auffraß, trotzdem er meist nur mit Mühe dazu
bewogen werden konnte, seine Tagesration restlos aufzuzehren.
- 117 —
Die BestimmaDg des Kochsalzes im HundekacheD, die als
höchsten Wert 0,1755 ^j^ NaCl ergab, wurde folgendermaßen
ausgeführt. Es wurde von vielen in kleine Stücke zerschlagenen
Kuchen eine gewisse beträchtliche Menge, in der Kinde und
Inneres in annähernd richtigem Verhältnis vorhanden waren,
wiederholt durch eine kleine Schrotmühle durchgetrieben, dann fein
gesiebt und die gröberen Reste im Mörser pulverisiert, so daß nun
für die Analyse ein genügend gemischtes feines Pulver vorlag,
von dem die einzelnen Proben entnommen werden konten.
10 g davon, bis auf Milligramme genau in der Platinschale ab-
gewogen, wurden nun langsam bei höchstens dunkler Botglut
verascht; die noch grau aussehende Asche in destilliertem Wasser
aufgenommen, die noch Kohle enthaltende Lösung durch ein
aschßarraes Filter filtriert, das Filter mit Rückstand wiederholt
gewaschen, dann bei 105® getrocknet und am Platindraht über
der Platinschale verbrannt, darauf die nun verbleibende Asche
bei mäßiger Rotglut bis zur Erreichung gleichmäßig heller
Färbung erhitzt. Nach Abkühlung wurde das Filtrat unter
Nachspülen in die Platinschale zurückgebracht und auf dem
Wasserbade stark eingeengt. Die nach dem Eindampfen ver-
bleibende geringe Flüssigkeitsmenge wurde in der Platinschale
mit ca. 30^/oiger Salpetersäure angesäuert, wobei Karbonate und
Phosphate sich lösten, dann in einen Meßkolben übergeführt,
auf 50 oder 100 ccm aufgefüllt und endlich diese Lösung zur
schon oben kurz skizzierten Kochsalztitrierung nach Volhard-
Salkowski benutzt^).
Die Milch, aus ganz anderer Bezugsquelle stammend als
die der Kinderklinik, ergab im Mittel aus wiederholten gut
übereinstimmenden Analysen 0,233 ®/o NaCl. Auch hier wurde
das Kochsalz in der Asche bestimmt. Eine mit der Pipette genau
abgemessene Menge (25 ccm) derselben frischen und frisch ab-
gekochten Milch, wie sie die Hunde zur Nahrung erhielten,
wurde in die Platinschale gegeben, auf dem Wasserbad zur
') Die wesentlichen in Anwendnng kommenden Lösungen: Vio^*
Silbernitrat und Vjo n-Khodanammoniumlösung, von denen noch ein älterer
Vorrat Yorhanden war, standen anfangs wie 10 ccm : 9,9 ccm aufeinander
ein, später, aas Normallösungen von Merck (Darmstadt) frisch bereitet,
differierten sie bei 10 ccm höchstens um 0,05 ccm von einander.
- 118 -
Trockne verdampft und die weitere Veraschung und Kochsalz-
bestimmung dann wie oben beim Hundekuchen vorgenommen.
Bei der Kochsalzarmut dieser beiden Nahrungsmittel er-
schien es zweckmäßig, die Nahrung künstlich etwas kochsalz-
reicher zu gestalten, um den Chloridstoffwechsel nicht auf zu
kleine Maße sinken zu lassen. So wurden der jedesmaligen
Tagesration 50 ccm einer ca. 3*/^ Kochsalzlösung (der genauere
Gehalt an Kochsalz wurde bis auf Milligramme durch Titration
bestimmt) hinzugefügt.
Das quantitativ nicht in Betracht kommende Mengen von Koch-
salz enthaltende Wasser der städtischen Wasserleitung wurde
in abgemessener Menge der Nahrung zugesetzt und das nun
aus Hundekuchen, Milch, Kochsalzlösung und Wasser bestehende
Gemenge vor dem Verabreichen kurz aufgekocht und abgekühlt
den Tieren verfüttert.
Begonnen wurde der erste Versuch, nachdem das Tier, ein
männlicher kurzhaariger deutscher Schäferhund, unter meinen
Augen Harn^) und Kot, allem Ermessen nach vollständig, ent-
leert hatte; schon einige Tage vorher war er im Käfig bei der
ihm zugedachten Kost gehalten worden. Die Nahrung bestand
in den ersten tünf Versuchstagen aus je 100 g Spratts Hunde-
kuchen, 100 ccm Milch und 300 ccm Wasser. Vom sechsten
Versuchstage ab wurden dieser täglichen Nahrung aus schon
weiter oben dargelegtem Grunde 50 ccm einer ca. S^l^igen Koch-
salzlösung hinzugefügt (hergestellt durch Auflösen von 30 g Koch-
salz in 1 1 destillierten Wassers; der durch Titration bis auf
Milligramme bestimmte genaue und beim wiederholten Anfertigen
der Lösung jedesmal in Berechnung gezogene NaCl-Wert
schwankte um 2,9 ®/o herum). Vom siebenten Versuchstage ab
erhielt der Hund, da die stetige Gewichtsabnahme die Nahrung
als unzureichend anzeigte, täglich 20 g Hundekuchen mehr. Der
hierauf folgenden kurzen Zeit der Gewichtszunahme (6., 7., 8. Juli)
schloß sich dann wiederum eine weitere Zeit des Gewichtsver-
lustes an, den ich aber, um die Gleichmäßigkeit der Ernährung
nicht mehr zu stören, nicht noch durch neuerliche Zulage aus-
zugleichen versuchte.
^} Die Katheterisierang war wiederholt versucht worden, hatte sich
aber wegen vorliegender Urethralschleimhautfalten nicht ausfnhren lassen.
- 119 -
Am zehnten Versachstag (8. Juli) warde es unabsichtlich
unterlassen, der Nahrung die bestimmte Menge Kochsalzlösung
zuzusetzen. Mit größter Genauigkeit registriert die Kochsalz-
ausscheidung dieses Tages die Versäumnis mit einem quantitativ
bis auf die Zentigramme entsprechenden Rückgang des Harn*
NaGl, eine für die Promptheit des normalen Kochsalzwechsels
beim Hunde sehr wichtige Tatsache. Die zwölftägige Vorperiode
schließt ab mit einer Kochsalzeinnahme von 13,813 g und einer
Kochsalzansgabe von 14,598 g, also einer Mehrausscheidung von
0,785 g. Berücksichtigen wir dabei den Gewichtsverlust von
520 g, so finden wir diese Mehrausscheidung im Sinne der schon
oben bei der klinischen Untei*suchung dargelegten Auffassung
durch das bei der Gewebseinschmelzung frei gewordene Koch-
salz (1,30 g) reichlichst gedeckt.
Am dreizehnten Versuchstag erhielt der Hund 10 ccm Pyo-
cyanin eingespritzt, an den drei folgenden Tagen je 6 ccm, am
siebzehnten Versuchstag 4 ccm des Fiebermittels. Gleich nach der
ersten Injektion stieg die Temperatur von 38,3« früh 7*® auf 39,6 <»
um 11** vormittags. Auch noch am folgenden Morgen hielt sie sich
auf 39,9 ®. Trotzdem wurde wieder injiziert, ohne daß dadurch
das Fieber höher hinaufgetrieben worden wäre. Dagegen er-
zielte die dritte Einspritzung am folgenden Tage eine Fieber-
temperatur von 40,4**. Die weiteren Injektionen hielten die
Temperatur innerhalb der oben angegebenen Grenzen. Der Harn
war während dieser Zeit im Durchschnitt konzentrierter als in
der Vorperiode, wie aus der Angabe des spezifischen Gewichtes
zu ersehen: Fieberham, trotzdem die Hammenge nicht wesent-
lich vermindert war. Die Kochsalzwerte des Harnes bleiben
deutlich hinter den Zahlen der NaCl-Einfuhr zurück, im Durch-
schnitt auch die der beiden letzten Tage, bei denen infolge un-
regelmäßiger Harnentleerung die auf den einzelnen Tag ent-
fallenden Harnmengen erheblich voneinander abweichen.
Seine Nahrung nahm der Hund, der alle oben schon ge-
schilderten Folgen des Pyocyaninflebers ausgeprägt zeigte, täg-
lich auf zwei Portionen verteilt, anstandslos ohne Rest.
Der Kot war während der Fieberperiode, ebenso wie während
der Vorperiode'J^ stets geformt und von normaler Konsistenz.
In der Nacht vom sechsten zum siebenten Versuchstag nun
trat anscheinend plötzlich eine Erkrankung auf, die die weitere
— 120 —
B'ortsetzung der Pyocyanininjektionen zu unterlassen gebot, wenn
nicht das Leben des Versuchstieres gefährdet werden sollte.
Von 39,0** am vorhergehenden Abend fiel die Körpertemperatur
über Nacht auf 38,6 ^ Begleitet war dieser Temperaturabfall
von der Entleerung einer unverhältnismäßig großen Harn-
menge. Die genauere chemische und mikroskopische Unter-
suchung des Harns ergab den Eintritt einer hämorrhagischen
Nephritis: reichlichster Gehalt an roten Blutkörperchen und Ei-
weiß, wohingegen während der Fieberperiode die schon normaler-
weise vorhandene Eiweißreaktion nur um weniges stärker ge-
worden war. Gleichzeitig erfolgte damit eine die NaCl-Einfuhr
um eiu beträchtliches übersteigende Eochsalzausscheidung (siehe
Tabelle und Kurve). Die hämorrhagische Nephritis klang in
den folgenden Tagen allmählich ab, um am achten Tage nach
Beginn vollständig aufzuhören.
Wie schon für die einzelnen. Tageszahlen der NaCl-Aus-
fuhr im Harn erwähnt, bleibt selbstverständlich auch deren
Gesamtsumme für die sechs Fiebertage hinter der Gesamteinfuhr
an Kochsalz zurück. Eingeführt wurden (die mit dem Pyocyanin
eingeführte NaCl-Menge blieb, weil ganz unerheblich, unberück-
sichtigt; sie würde alles in allem noch nicht über 0,2 g aus-
machen)
im Futter 11,350 g NaCl
Ausgeführt wurden im Harn . 9,174 g NaCl
Bleiben also retiniert . . . 2,176 g NaCl.
Wiederum aber muß noch berücksichtigt werden, daß das
Tier während der Fieberperiode weiter an Gewicht verlor, und
zwar um 180 g. Die wahre Kochsalzaufspeicherung würde durch
die analytisch gefundene Retention von 2,176 g NaCl nur dann
unmittelbar ausgedrückt werden, wenn das Körpergewicht während
der Fieberperiode konstant geblieben wäre. Denn Körpergewichts-
erhöhung, wenn durch Anbildung von Körpersubstanz bedingt,
führt an sich schon zu einer Zurückhaltung von Kochsalz im
Körper, und umgekehrt Körpergewichtsverminderung, wenn durch
Einschmelzung von Körpersubstanz bedingt, führt an sich schon
zu einer Mehrausscheidung von Kochsalz. Tritt bei Einschmel-
zung von Körpersubstanz die zu erwartende Melirausscheidung
von Kochsalz nicht ein, so bedeutet das nichts anderes, als daß
— 121 -
die dem Gewichtsverlust entsprechende Kochsalzmenge gegen
die Norm retiniert worden ist. Im vorliegenden Fall ist diese
dem Gewichtsverlust von 180 g entsprechende, sozusagen frei
gewordene Kochsalzmenge auf 1,80 X 0,26 = 0,45 g zu veran-
schlagen. Diese 0,45 g NaCl wurden außer den analytisch nach-
gewiesenen 2,176 g retiniert, so daß also die Gesamtretention
an Kochsalz 2,176 -|- 0,45 = 2,626 g betragen würde. Mit diesem
Ergebnis werden wir weiter unten noch zu rechnen haben.
Die Nachperiode, in die der Versuchstag, der den kritischen
Temperaturabfall enthält, raiteingerechnet ist, erstreckt sich über
neun Tage; ich habe sie so lange ausgedehnt, um einigermaßen eine
Gleichgewichtseiustellung zwischen NaCl-A.usfuhr und -Einfuhr zu
erreichen. Ganz konnte diese Einstellung aus äußeren Gründen
nicht abgewartet werden. Der Hund erholte sich während
dieser Zeit zusehends, wenn er auch zu dem Zeitpunkt, an dem
der Versuch abgebrochen wurde, die normale Gebrauchsfähig-
keit seiner Beine noch nicht vollkommen wiedererlangt hatte.
Die Futterration war nur insofern etwas vermehrt, als der
Hund seiner Nephritis wegen 100 ccm Wasser im Tag mehr
bekam. Daß diese Vermehrung der Flüssigkeitszufuhr ceteris
paribus keinen wesentlichen Einfluß auf die NaCl-Ausscheidung
haben konnte, beweist der dritte Versuch, bei dem in der Fieber-
periode trotz viel größerer Steigerung der Flüssigkeitszufuhr
eine Kochsalzzurückhaltijng zustande kam.
Das spezifische Gewicht des Harns schwankt wieder inner-
halb der normalen Breite.
Die Werte für die Kochsalzausfuhr zeigen sich nun beson-
ders in den ersten sechs Tagen der Nachperiode erheblich größer
als die der Einfuhr. Unter allmählicher Steigerung wird die
Ausfuhr am vierten Tag mft 3,446 g am größten, um dann
wieder allmählich abzusinken.
Insgesamt eingeführt in den neun Tagen der Nachperiode
wurden 17,024 g NaCl
Insgesamt ausgeführt wurden im Harn . . . 21,946 g NaCl
Also wurden mehr ausgeschieden i.d. Nachperiode 4,922 g NaCl.
Hatten wir oben eine Retention von im ganzen 2,626 g NaCl,
so braucht die Mehrausscheidung von 4,922 g NaCl, also einer
um 2,296 g zu großen Menge wiederum deshalb nicht zu be-
— 122 -
fremdeu, weil das Versuchstier in den neun Tagen der Nachperiode
wiederum um 720 g an Gewicht verlor, ein Gewichtsverlust, der
ja unserer Berechnung nach einer mehr auszuscheidenden Koch-
salzmenge von 7,20 X 0,25 = 1,8 g entsprechen würde.
Hund I.
Vorperiode.
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1
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3. VII.
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38,5«
6.
4. VII.
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5. VII.
8800
38,6«
|620
8.
6. VII.
8870
38,35«
9.
7. VII.
8890
38,65«
340
10.
8. VII.
8830
38,35«
186
11.
9. VII.
8750
38,8«
470
12.
10. vn.
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38,5«
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1^
1015
1020
1015
|l016
1013
|l018
1018
1020
1012
1020
B
|0,1856
0,117
|0,1989
0,3686
|0,6201
0,6552
0,3218
0,3627
0,6728
mm
0,724
0,450
1.273
1,622
3,845
2,228
0,598
1,705
2,153
0.4105
0,4105
0,4105
0,4105
0,4105
1,8585
1,8916
1,8916
1,8916
0.4436
1,8916
1,8916
BemerkuDgeD.
Vom 4. VII. ab wurdeo der
Nahrung 50 com einer
ca. 3«/o NaCl-Lösang
! Am 8. Vir blieben die
50 ecm NaCl-Losung
aus der Nahrung weg.
Im ganzen in 12 Tagen:
14,598
13,8126
Fi
eberperiode.
1.1 11. VII.
8850
39,6«
220
1025
0,544
1,197
1,8916
10 ccm Pvocyanin.
2.
12. VII.
8663
39,9«
345
1025
0,5207
1,796
1,8916
ö »j >i
3.
13. VII.
8700
40,4«
335
1018
0,4797
1.607
1,8916
'^ 1, »
4.
14. VII.
8730
40,2«
365
1019
0,3861
1,409
1,8916
•^ » >»
5.
15. VII.
8670
39,65«
192
1020
0.4446
0,854
1,8916
** »> 1}
6. 11 16. VII.
8520
40,1«
395
1021
0,585
2,311
1,8916
Im
^anzei
a in 6
Tagen:
. 9,174
11,3496
imgans. 29 ccm PjocyaDin.
Nachperiode.
17. VII. 8350
18. VII.
19. VII.
20. VII.
21. VII.
22. VII.
23. VII.
24. VII.
25. VII.
8050
8250
8120
7950
8040
7950
7820
7800
40,25''
515
38,6«
462
.38,65"
358
38,1 «
547
38,45«
290
38,05«
315
38,4«
427
38,6«
405
.38,2«
390
1015
1016
1018
1014
1022
1014
1019
1018
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0,522
0,7605
0,6318
0,8307
0,6552
0,4505
0,4914
0,5675
2,412
2,723
3,446
2,409
2,063
1,923
1,990
2,213
1,8916
1,8916
1.8916
1,8910
1,8916
1,8916
1,8916
1,8916
1,8916
Kritischer Temperaturab-
fall von 40,2« auf 38,6«.
Hämorrhag. Nephritis.
Hämorrhagische Nephritis
ausgeheilt.
Im ganzen in 9 Tagen:
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Hund I.
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- 123 —
Überblicken wir noch einmal unsern Versuch! Ein Hund,
durch länger dauernde gleichmäßige Ernährung in Kochsalz-
gleichgewicht gebracht, mit dauernd normaler Verdauung, wird
unter vollkommen gleichen Bedingungen und, ohne daß irgend
welche Störungen der Darmtätigkeit, der Kotbildung und -ent-
leerung eintreten, sechs Tage lang unter aseptischem Fieber ge-
halten und weitere neun Tage nach kritischem Abfall des Fiebers
unter vollkommen gleichen Verhältnissen (bis auf ein geringes
Mehr an Wasserzufuhr) beobachtet. Während der ganzen Zeit,
d. h. 27 Tage lang, wird sein Kochsalzwechsel quantitativ ana-
lytisch verfolgt. Dabei ergibt sich mit Sicherheit und unzwei-
deutig: Vom Eintritt des aseptischen Fiebers an und
während der Dauer des Fiebers hielt der Hund Koch-
salz in seinem Körper zurück, und zwar im ganzen
2,6 g. Diese aufgespeicherte Salzmenge wurde in der
fieberfreien Nachperiode allmählich und nahezu voll-
ständig in neun Tagen wieder ausgeschieden.
Bemerkenswert für die Mechanik des Kochsalz wechseis ist
hierbei der allmähliche Gang der Ausscheidung des retinierten
Salzes im Gegensatz zu der Schnelligkeit, mit der, wie oben
hervorgehoben, der Hund auf eine Verminderung der Kochsalz-
zufuhr am zehnten Tage der Vorperiode antwortete.
Der zweite Versuch am Hund gestaltete sich etwas umfang-
reicher, weil bei ihm auch der StickstoflFwechsel berücksichtigt
wurde. Die Versuchsbedingungen waren im allgemeinen die
gleichen wie im ersten Tierversuch. Der größeren Genauigkeit
wegen, besonders hinsichtlich des Stickstoffumsatzes, wurde hier
für die Fieber- und die Nachperiode auch der Kot analysiert.
Alle Stickstoffbestimmungen wurden nach Kjeldahl aus-
geführt. Dabei geschah die Zerstörung der organischen Sub-
stanz mit PaCj-haltiger konzentrierter Schwefelsäure stets in
großen langhalsigen Jenenser Kolben von ^/^ 1 Rauminhalt unter
Zuhilfenahme von Kupfersulfat als oxydationsbeschleunigendem
Mittel und die Übertreibung von Ammoniak nicht durch Destil-
lation über offenem Feuer, sondern im strömenden Dampf. Zur
Oxydation waren für die verschiedenen Substanzen ganz ver-
schiedene Mengen von Phosphorschwefelsäure nötig: 25 ccm Harn
erforderten höchstens 20 ccm der Säure, 25 ccm Milch 35—40 ccm
davon, mindestens ebensoviel 10 g Hundekuchen und 10 g trocknen
- 124 —
Kütpulvers. Die Menge der Schwefelsäure richtet sich eben
nicht so sehr nach dem Gehalt der Substanz an Proteinstoffen
als an Fett und Kohlenhydraten.
Vom Sprattschen Hundekuchen wurden Proben des gleichen
Materials der Analyse unterzogen, das schon, wie oben be-
schrieben, zur NaCl- Analyse gedient hatte. Es ergab sich aus
sechs Analysen ein Mittelwert von 2.268 ^/^ N.
Die Milch, die dem Hunde gekocht und schon teilweise
entrahmt zum Futter gegeben wurde, zeigte einen verhältnis-
mäßig niedrigen N-Wert: 0,3024 <>/o N.
Des Stickstoffgehaltes der Kartoffeln, die in der Fieber-
periode aus schon erwähntem Grunde gegeben wurden, wird
weiter unten gedacht werden.
Die oben angeführten Kochsalzwerte der Nahrungsmittel
haben auch für die Berechnungen dieses Versuches Geltung, da
die genannten Mittelwerte auch aus den während der Zeit des
zweiten Hundeversuches ausgeführten Analysen von Stichproben
gezogen wurden. Betrachten wir nun die einzelnen Versuchs-
abschnitte gesondert!
Begonnen wurde der Versuch nach gelungener Katheterisation,
und nachdem das Tier schon vier Tage lang vorher unter dem
ihm zugedachten Regime gehalten worden war. Die Nahrangs-
menge wählte ich bei dem ungefähr dem ersten gleichschweren
Hund, einem kleinen braunen, kurzhaarigen Hühnerhund von
etwa einem Jahr, etwas größer, um einer physiologischen Unter-
ernährung von vornherein vorzubeugen, was auch gelang. Das
Tier erhielt 150 g Spratts Hundekuchen, 100 ccm Milch, 400 com
Wasser und 50 ccm der schon oben erwähnten, ca. 3 ^j^igen
Kochsalzlösung. Die Verdauung war bei dieser Ernährung voll-
kommen ungestört, die Entleerung und Beschaffenheit des Kotes
normal. Der Hund war während der sieben Tage dauernden Vor-
periode äußerst lebhaft, so daß das Wägen oft Schwierigkeiten
machte. Sein Gewicht war am Ende der Vorperiode das gleiche
wie am Anfang. Die Temperatur hielt sich innerhalb der nor-
malen Grenzen. Höchst auffällig war es deshalb, als sich am
Ende der Vorperiode herausstellte, daß die Kochsalzausfuhr die
Einfuhr um 1,53 g überstieg- Bei der, wie sich an einem Tage
des ersten Hundeversuchs erwies, so großen Promptheit des
Kochsalz wechsels mußte diese Mehrausscheidung auffallen. Einen
- 125 —
Fehler oder Irrtum habe ich nicht ausfindig machen können; auch
nach sorgfältiger Nachprüfung aller analytischen Zahlen blieb
das Resultat ohne erklärenden Grund bestehen. Längere Ver-
suchsreihen über den normalen NaCl- Wechsel beim Hund müßten
es ausweisen, ob eine solche spontane Unregelmäßigkeit im NaCl-
Wechsel ein häufigeres Vorkommen ist. Jedenfalls wird in
unserem Fall das Versuchsergebnis von der beobachteten Mehr-
ausscheidung nicht berührt. Das Minus der Stickstoffausschei-
dung von im ganzen 0,847 g N während der siebentägigen
Periode ist ohne weiteres erklärt und gedeckt durch den N- Ver-
lust im Kot, so daß demgemäß der Versuchshund als im Stick-
stoffgleichgewicht befindlich angesehen werden konnte.
Am achten Versuchstag (2. VIII.) früh zur gewöhnlichen
Stunde der Harnentnahme wurde der Hund katheterisiert und
erhielt darauf eine Injektion von 11 ccm Pyocyanin. Von 38,6®
unmittelbar nach der künstlichen Blasenentleerung stieg die
Körperwärme in drei Stunden auf 38,9® und blieb so bis Abend.
Eine halbe Stunde vor der Katheterisation war die Temperatur
39® gewesen; solche Steigerungen kamen ohne sichtbaren An-
laß öfter vor, hielten sich aber dann nur ganz kurze Zeit. Eine
unmittelbar am folgenden Tag gegebene Spritze von 5 ccm trieb
die Temperatur noch weiter, bis 40,35® in die Höhe (siehe
Kurve). In dieser Höhe hielt sie sich bis zum 7. VIII., dem sechsten
Fiebertag, wo ihr Sinken auf 38,95® eine neue Einspritzung
nötig machte. Nunmehr wurden täglich bis zum 11. VIII., dem
zehnten Fiebertag, einschließlich wechselnde Mengen von 5—8 ccm
eingespritzt und damit eine Reihe von vierzehn Fiebertagen mit der
höchsten Temperatur von 40,5® am 10. VIII., dem neunten Fieber-
tag, erzielt. Die Temperatur hielt sich dann noch länger über
39®, um schließlich, lytisch abklingend, in die normalen Breiten
abzusinken. Im ganzen wurden auf siebenmal verteilt 44 ccm
Pyocyanin injiziert.
Der Eiweißgehalt des Harnes, in der Vorperiode schon ganz
geringfügig, steigerte sich während des Fiebers nur um ein un-
bedeutendes. Alle übrigen Nebenwirkungen des Fiebermittels
waren die gleichen wie bei Hund I.
Am zweiten Fiebertage verweigerte der Hund vollkommen die
Aufnahme des Hundekuchens. Er nahm von der ersten Hälfte
der in zwei gleichen Teilen verabreichten Nahrung lediglich
— 126 —
die Flüssigkeit zu sich und ließ die Hundekuclienbrocken un-
berührt. Die in diese Brocken eingedrungene Flüssigkeit ging
der Berechnung verloren; der geringe Verlust wurde unberück-
sichtigt gelassen. So mußte ich ihm durch Milch, die er gewöhnlich
gern nahm, zu ei^etzen suchen, was ihm im Hundekuchen entging.
Jedoch waren hier durch das unverhältnismäßige Anwachsen
der Flüssigkeitsmenge und die bekannten Wirkungen der aus-
schließlichen Milchkost sowie durch die auch gegenüber der
Milch geminderte Freßlust des Hundes Schranken gesetzt; an
ein Erreichen der früheren Stickstoffmenge in der Nahrung war
nicht zu denken. 700 ccm Milch konnten gerade noch, ohne daß
der Hund einen Rest ließ, verabreicht werden. Alsbald nach
dem Übergang zur ausschließlichen Milchernährung lieferte der
Hund den bekannten dünnbreiigen Milchkot, bei dem eine Ver-
unreinigung des Harns sich nicht hintanhalten ließ. Um die
Konsistenz des Kotes etwas fester zu gestalten, setzte ich der
Milch täglich ca. 250 g mit der Schale gekochter, dann geschälter
und mit etwas Milch zu einem Brei verriebener Kartofieln zu. Diese
Futterform hatte in der Tat den gewünschten Erfolg, d. h. der
Kot wurde hinreichend konsistent. Von der täglichen bis auf
wenige Gramm sich gleich bleibenden Kartoffelmenge habe ich den
Kochsalzgehalt nicht in Rechnung gesetzt, da nach J. König
(Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genußmittel) die Kar-
toffeln durchschnittlich nur 0,05265 ®/o NaCl enthalten; dagegen
habe ich den etwas erheblicheren Stickstoffwert: 0,3114 ^/^ N
mitberechnet. Einigemale während der Zeit, in der immer noch
weichbreiiger Kartoffel-Milchkot produziert wurde, geschah es,
daß der Hund sich unmittelbar nach der Entleerung herumdrehte
und den ganzen frischgesetzten Kot reinlichst wieder auffraß.
Den Vei'such störte das natürlich nicht.
Einige Tage nach der letzten Pyocyanin-Injektion, nach-
dem das Tier wieder etwas munterer und freßlustiger sich ge-
zeigt hatte, wurde allmählich wieder zur Ernährung mit Hunde-
kuchen übergegangen. So erhielt der Hund das erstemal wieder
am 14. Vni. (dreizehnten Fiebertag) 75 g Hundekuchen, 400 ccm
Milch, 200 ccm Wasser, 50 ccm Kochsalzlösung, am folgenden
Tage 125 g Hundekuchen, 200 ccm Milch, 200 ccm Wasser,
50 ccm NaCl-Lösung. Vom 16. VIII., dem ersten Tag der Nach-
periode, ab erfolgte die Ernährung wieder wie in der Vorperiode
- 127 -
mit" 150 g Hundekuchen, 100 ccm Milch, 300 ccm Wasser,
50 ccm Kochsalzlösung.
Wie schon oben erwähnt, wurde für die Fieberperiode und
die Nachperiode auch der Gehalt des Kotes an Kochsalz und
Stickstoff bestimmt, und zwar nur der Gesamtgehalt für zwei
aus folgendem Grunde etwas anders abgeteilte Zeitabschnitte:
da nämlich eine Mischung von Kartofiel-Milchkot mit Hunde-
kuchen-Milchkot bei der gi^oßen Verschiedenheit ihrer Beschaffen-
heit und Zusammensetzung — der eine fast diarrhoisch, der
andere fest und geformt — keinen der Wirklichkeit entsprechen-
den Durchschnittsgehalt an Stickstoff und Kochsalz für den
einzelnen Tag ergeben hätte, so wurde der Kot für die Zeit
der Kartoffel-Milchfütterung, einschließlich aber des ersten Fieber-
tages, d. i. vom ersten bis zwölften Fiebertag, und weiter der Kot
für die beiden letzten Fiebertage und die gesamte Nachperiode für
sich analysiert, und zwar auf folgende Art: Aller innerhalb der ge-
nannten Zeit gesetzte Kot wurde vom Boden des Käfigs sorgfältig
mit Spatel aufgenommen, in gewogenen flachen Porzellanschalen
gesammelt, der gesamte Kot dann im Trockenofen bei 105—110®
mehrere Stunden lang getrocknet und mit Schale gewogen. Aus
der Schale wurde nun der trockene Kot in kleinen Portionen
entnommen, im Mörser grob und weiter in der Schrotmühle
feiner zerkleinert, dann durch ein Drahtsieb gesiebt, gröbere
Eeste weiter zerkleinert, wiederum gesiebt, bis schließlich ein
genügend gemischtes gleichmäßiges Pulver zur Verarbeitung
vorlag. Von dem Pulver wurden bis auf Milligramme genau ge-
wogene Mengen zur Kochsalz- und Stickstoff bestimmung verwendet.
Für den Kartoffel-Milchkot ergab sich ein durchschnittlicher
täglicher Gehalt von 0,049 g NaCl und 0,338 g N; für die Zeit
des Hundekuchen-Milchkots ein täglicher Gehalt von 0,013 g
NaCl und 0,766 g N. Abgesehen davon, daß diese Zahlen eine
schlechtere Ausnützung des Hundekuchens gegenüber der Milch ^)
beweisen, fällt auf, wie gering die im Kot zur Ausscheidung
kommende Menge Kochsalz, selbst auch bei diarrhoischen Ent-
leerungen, ist. Für die erste Zeit (Kartoffel-Milchkot) ging
nämlich nur rund 1,5 7o der aufgenommenen Kochsalzmenge
^) Die StickstoflfmeDgen in den verabreichten Rationen Hundekuchen
nnd Milch verhielten sich nahezu wie 3:2.
— 128 —
und für die Zeit des Handekuchenkotes gar nur rund 0,6 ^/^ in
den Kot über. Insgesamt wurden mit dem Kot während der
Fieberperiode 0,613 g NaCl und 5,589 g N ausgeschieden.
Die Endzahlen der Fieberperiode (siehe Tabelle) ergeben
für das Kochsalz eine Retention von 5,213 g. An dieser Zahl
ist nach zwei Richtungen hin eine Korrektur vorzunehmen: ab-
zuziehen ist die im Kot ausgeschiedene NaCl-Menge; zuzuzählen
aber ist die Kochsalzmenge, die der stattgehabten Gewichts-
abnahme von 470 g, gemäß unseren oben ausgeführten Über-
legungen, entsprechen würde, d. h. 4,70 X 0,25 = 1,175 g, so
daß eine wirkliche Retention von 5,213 — 0,613 + 1,175
= 5,775 g zu verzeichnen wäre.
Bemerkenswert ist, ähnlich wie bei der klinischen Unter-
suchung an dem scharlachkranken Knaben, der Anstieg der Koch-
salzausscheidungskurve 24 Stunden, nachdem die Temperatur bis
an die Grenze des Normalen sich gesenkt hatte, ein Beweis,
wie rasch und empfindlich der Kochsalzhaushalt auf den Um-
schlag des Fiebers reagiert.
Die Mehi'ausscheidung an Stickstoff ist, entsprechend der
Gewichtsabnahme und dem B^'ieber, eine bedeutende (insgesamt
im Harn und Kot 23,997 g), eine Tatsache, die schon in
Traubes und Jochmanus und in Senators Untersuchungen
über den Fieberstoffwechsel gewürdigt ist.
Von Interesse ist auch wiederum, zu sehen, wie der Koch-
salzwechsel am zweiten Fiebertag sofort die -starke Abweichung
von der bisherigen Zufuhr anzeigt, während beim Stickstoff sich
das gar nicht ausprägt; der Organismus war auf einen gewissen
Verbrauch N-haltigen Materials eingestellt und blieb dabei, ob-
wohl die Zufuhr an einem Tage äußerst gering wurde und am
folgenden Tage kaum zur Hälfte dem Bedarf entsprach.
In der Nachperiode bewegte sich die Temperatur des Ver-
suchstiere^ß, abgesehen von einem einmaligen Anstieg bis auf 39,5®
am 17. VIIL, d. h. am zweiten Tage dieser Periode, mit geringen
innerhalb der physiologischen Grenzen liegenden Schwankungen
dauernd um 38,5®.
Die Nahrung während der Nachperiode setzte sich zusammen
aus 150 g Hundekuchen, 100 ccm Milch, 50 ccm Kochsalz-
lösung und, für die ersten vier Tage, 300 ccm Wasser, später,
vom 20. VIII. ab; 400 ccm Wasser, w^eil der Hund Durst
- 129 -^
zeigte. Vom 26. Vin., dem elften Tag der Nachperiode,
ab warde eine neae Sendung Hundekncben verwendet, deren
Analyse einen um wenig höheren Stickstoffgehalt, nämlich
2,88 ®/o N, ergab, während sich die Differenz in dem an und
f&r sich schon so geringen Eochsalzgehalt als so geringfügig und
innerhalb der Fehlerquellen liegend erwies, daß sie unberück-
sichtigt bleiben konnte.
Der Versuch wurde am 5. IX., d. h. am einundzwanzigsten
Tag der Nachperiode, abgebrochen, da die Übersicht über die
täglichen Eochsalzwerte des Harns und die unten folgende Be-
rechnung ergaben, daß die Periode der Ausscheidung des im
Fieber retinierten Kochsalzes beendet sei. Von einer so lange
sich hinziehenden Ausscheidung spricht auch Schwenken-
becher (1, c).
Das zahlenmäßige Ergebnis der Nachperiode stellt sich
folgendermaßen (siehe Tabelle und Kurve).
Für den Kochsalzwechsel stellt sich eine Mehrausscheidung
im Harn von 5,624 g heraus; nach Hinzurechnung der im Kot
der Nachperiode ausgeschiedenen Menge von 0,25 g NaCl ergibt
sich so ein Plus der Ausscheidung gegenüber der Einnahme
von 5,87 g. Während der Fieberperiode waren 5,775g
NaCl zurückgehalten worden. Wir sehen also, daß in
21 Tagen nach dem Ablauf des Fiebers ein völliger
Ausgleich im Kochsalzwechsel eingetreten ist.
Die Stickstoffbilanz der Nachperiode ergibt folgendes. Zu-
geführt wurden im Futter 75,66 g N, ausgeschieden im Harn
52,995 g N, im Kot 15,323 g N. Hieraus folgt also insgesamt
eine Eetention von 7,342 g N, die durch das Bestreben des
Organismus, seinen durch die Fiebervorgänge gestörten und über
die Norm beanspruchten Stickstoffwechsel wieder ins Gleich-
gewicht zu bringen, erklärt wird. Eine Gewichtszunahme ist zur
Erklärung dieser N-Retention nicht absolut erforderlich, da Änder-
ungen im Wasserhaushalt in der Rekonvaleszenz eine das Gewicht
im entgegengesetzten Sinne beeinflussende Rolle spielen können.
Das Gesamtergebnis des Versuchs ist hinsichtlich des Koch-
salzwechsels allein das gleiche, wie es schon für den ersten
Hundeversuch zusammengefaßt wurde. Nur sind die Zahlen für
Betention und nachherige Ausschwemmung größer, schon an
und für sich größer und besonders vergrößert durch die längere
Sitsnngtberiehte der pbya.-med. Sox. 39 (1907). 9
- 130 -
Ausdehnung der Versuchsperioden. Günstiger für den Ausfall
des zweiten Versuchs war auch die Herstellung des N-61eich-
gewichts zu Beginn der Fiebei*zeit.
Insbesondere beachtenswert aber sind bei diesem Versuch
die Beziehungen, die sich zwischen Kochsalz- und Stickstofif-
umsatzaus unseren Zahlenreihen erkennen lassen. Es besteht
hier offensichtlich ein Gegensatz zwischen Kochsalz- und Stick-
stoffbilanz. Obwohl dieser Gegensatz hier nur in einem lange
genug durchgeführten Versuch festgestellt ist, so scheint mir
doch schon jetzt die Folgerung berechtigt, daß ihm beim Fieber
allgemeinere Geltung zukommt. Die Ableitung dieser Folgerung
ergibt sich aus folgender Überlegung. Mannigfach ist durch
klinische Untersuchungen bei fieberhaften Krankheiten nach-
gewiesen — mit nur der einzigen Ausnahme der Malaria, auf
die ich weiter unten noch zu sprechen kommen werde — und
ist durch die vorliegenden Versuche an aseptisch fiebernden
Hunden einwandfrei bestätigt worden, daß im Fieber eine ab-
solute Eetention von Kochsalz statthat, der dann in der Periode
der Entfieberung oder nach kritischem Abfall des Fiebers eine
entsprechende Mehrausscheidung des Salzes folgt. Andererseits
ist, wie schon oben erwähnt, bereits durch T raub es und
Jochmanns Arbeiten, besonders aber durch Senators wert-
volle Untersuchungen „Über den fieberhaften Prozeß** die Tat-
sache sichergestellt, die auch deutlichst aus dem letzten Versuch
am Hunde hervorgeht, daß im Fieber infolge größeren Verbrauchs
an stickstoflhaltigem Körpermaterial eine bedeutende Mehraus-
scheidung an Stickstoff im Harn stattfindet gegenüber fieber-
freier Zeit: aus diesen beiden experimentell und durch Erfahrung
erwiesenen Tatsachen muß geschlossen werden, daß bei vielen
fieberhaften Erkrankungen ein solcher Gegensatz zwischen NaCl-
und N-Ausscheidung eine typische Erscheinung ist. Es wäre
sicher wünschenswert, durch weitere Versuche und klinische
Beobachtungen festzustellen," wie weit diese Erscheinung bei
den verschiedenen Arten von Fieber als Regel gelten kann.
Auch die Kurven des zweiten Hundeversuches zeigen deut-
lich, daß, während die Kurve der NaCl-Ausscheidung während
der Pieberperiode sich im Mittel durchaus unter der Linie der
Kochsalzeinfuhr hält, dies Verhältnis für die Stickstoffkurve
(N-Ausscheidung: N-Ein fuhr) ein gerade umgekehrtes ist.
Hund II.
Vorp
1. 26. VII.
9230
38,6 •
478
1014
1 0,5031
2,405
1,941
1 0,756
2. 27. VII.
9300
38,4«
322
1015
0.509
1,639
1,941
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3. 28. VII.
9400
38.55'
295
1017
0.5031
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14. VIII
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8700
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39,45"
39,1 «
39.6«
39,15«
39,2«
618
243
313
348
501
655
802
645
500
615
()60
550
450
355
1016
1019
1016
1017
1018
1012
1012
1012
1018
1017
1017
1019
1018
1025
0,2691
0,1989
0,3744
0,5382
0,6738
0,409
0,5.324
0,3803
0,5031
0.3744
0,4329
0,4973
0,5324
0,7781
1,663
0,483
1,272
1,873
3.375
2,679
4.365
2,452
2,516
2,3(^3
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2,709
2.396
2,762
1,941
0,839
3,100
3,076
3,208
3,213
3,219
3,213
3,219
3,233
3,217
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1,6352
1,316 I
1,2824 1
1,0808
0,5264
0,5068 I
0,5656 I
0,7272
0,5208
0,56
, 0,()944
i 0,7336
: 0,9744
Im ganzen in 14 Tagen: 33,705 38,918
1. 16.
2. 17.
3. 18.
4. 19.
5. I 20.
6. 21.
7. 22.
8. 23.
9. [ 24.
10. 25.
11. 26.
12. 27.
13. 28.
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0,5733
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0,5207
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0,53S2
0,4251
0,6435
0,4973
0,6494
0,3861
0,6347
0,5324
1,931
1,949
2,108
1,949
2,913
1,949
2,069
1,949
1.561
1,949
2,882
1.949
2,681
1.949
1,.504
1,949
2,6S3
1,949
2,800
1,9()5
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2,072
1,965
0,799
1,965
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1,965
2,253
1,965
2,318
1,965
0,822
1,965
3,529
1,965
2,465
1,965
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0,9296
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0,728
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0,616
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' 0,5264 I
0,6496 '
0,1624
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I 0,4648 I
Im ganzen in 20 Tagen: 44,780 39,166
Vorperiode.
Hund II.
Bemerkungen.
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0,952
3,614
2,579
2,974
5,351
2,383
3,218
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3,694
3,694
3,694
3,694
3,694
3,694
3,694
Käthe terisation.
150 g Hundek , 100 ccm Milch, 50 ccni NaCl-Lösung,
40(j ccm Wasser.
25,011 ' 25,858
Fieberperiode.
i 1,0352 3,974
,^ ,r,j?24 4.463
)c 1,0808 5,415
^ ,V5.;64 3,448
^^':j<,<58 4,065
q 05P> '^'^48
3,203
3,696
& 3,819
0.733Ö '"^'
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3301
3,459
3.694 I
0,152 !
1,207 ;
2,117
2,827
2,848
2,900
2,861
2,895
2,802
2,880
2.370
2,911
3,44
n n
n n
Katheteri««tion. li ccm Pyooyanln.
5 ccm P,\ocyanin. 50 ccm Milch, 25 ccm NaCl-Lösg.
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700 „ n 5) „ „ ,
701 „ , 50
5 ccm Pyocyanin. 70") „ „ 50
8 n r, 7.)0 „ „ 50
5 „ „ 700 „ „ 50
5 n « 700 „ „ .50
700 „ „ 50
700 „ , 50
510 , „ 50
400 „ „ 50
200 „ , 50
[verweigert.
Allea übrig« Futtur
228 g KartoiTelD.
238 „
250 „
239 „
850,
275 „
245 ^
2(iO „ „
75 „ Hunrtik.
125 „
54,312 35,904
VacbP^riode.
Vo36 2,848 1
2,86-1
2,680
3,296
1,949
4,130
3,652
2,228
2,988
^'^F^ 2,9(i6
0.016
!,628
2,.371
2,156
1,032
3,790
2,387
2,320
0,346
4,203
2,161
52,996 ,
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3,872
3.872
3,872
3,872
3,872
3,872
l 150 g Hundek., 100 ccm Milch,
l[ 300 ccm Wasser.
50 ccm NaGl-LösuDg.
75,660
150 g Hundek., lUO ccm Milch,
4fM) ccm Wasser.
50 ccm NaCl-Lüsung,
8.
II. l
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8. d. 10. 11. 12. 13. IV. 15. 16. 1
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- 131 -
Es bliebe nach Darlegang des Tatsächlichen nunmehr noch
die Frage zu erörtern : Wie ist diese beim Fieber stattfindende
Kochsalzretention zu erklären? Bei unsrer heutigen geringen
Kenntnis über das Wie und Wo der feineren Stoffwechselvor-
gänge auch beim normalen Organismus ist hier der Aufstellung
von Hypothesen ein weites Feld gegeben. Redtenbacher
legte der Ghlorverminderung im Harn bei seinem Pneumonie-
fall einfach eine Chlorretention im Lungenexsudat zugrunde.
Abgesehen von anderen Gegengrflnden, die Schwenkenbecher
(1. c.) anfahrt, spricht vor allem die Erfahrung dagegen, daß
ja auch viele Infektionskrankheiten, die sicher ohne Exsudat
oder Ödem verlaufen (auch der von mir untersuchte Scharlach-
fall) die Chlorretention zeigen. Terray (zitiert nach Kraus
1. c.) glaubt in einer das Fieber begleitenden Wasserretention
auch für die Chloraufspeicherung genägenden Grund zu finden.
Aber nach den auf Versuche gestützten Darlegungen von Kraus
(1. c.) findet im Fieber überhaupt keine Wasserretention statt.
Ebensowenig kann nach Kraus eine vikariierende Chlorretention
als ausgleichendes Moment für eine Steigerung der P^O^-Aus-
scheidung zur Erklärung herangezogen werden, „um die Isotonie
des Blutes aufrecht zu erhalten^, weil die P^O^- Ausscheidung,
deren Bedingungen begreiflicherweise im allgemeinen wohl sehr
kompliziert sind, bei verschiedenen Infektionen noch mehr als
diejenige des Chloi*s zu schwanken scheine.
Es ist ferner noch die Annahme gemacht worden, daß die
Chlorretention durch eine mangelhafte Funktion der Niere be-
dingt sein könne, für die bekanntermaßen beim Fieber genügend
Anhaltspunkte vorliegen (febrile Albuminurie, andrerseits Chlor-
retention bei nephritischer Albuminurie, mit Ödem allerdings l).
Diese Annahme widerlegt Röhmann (1. c), und im gleichen
Sinne spricht mein erster Hundeversuch, bei dem ja mit Ein-
setzen gerade der hämorrhagischen Nephritis die NaCl-Aus-
schwemmung begann. Nach Köhmanns Versuchen werden
sehr große, spontan auf einmal aufgenommene NaCl-M engen
durchaus prompt auch im Fieber wieder ausgeschieden. Zur
Erklärung greift er weiter auf intermediäre Stoffwechselvorgänge
zurück und bringt die NaCl-Retentiou im Fieber in Zusammen-
hang mit dem während des Fiebers erfolgenden gesteigeii;en
Obergang des Organeiweißes in zirkulierendes Eiweiß; dieses
9*
- 132 -
letztere binde, wie aus Versuchen von Forst er bervorzagehen
scbeine, schon im normalen Stoffwechsel locker eine gewisse
Menge von Gblorniitriam, und diese Adsorption von Cblornatriom
erfahre natürlich, entsprechend der größeren Menge zirkulieren-
den Eiweißes, im Fieber eine Steigerung. Scheint es nun auch
durchaus richtig, die Stätte der NaCl-Retention dahin zu ver-
legen, wo eben die im Fieber eintretenden Veränderungen des
Stoffwechsels ihren Sitz haben, so muß doch die Annahme der
Bindung des Kochsalzes durch das zirkulierende Eiweiß ange-
zweifelt werden auf Grund dessen, was Magnus-Levy (I.e.)
als Tatsache anfQhrt: daß „das Gl sich im Blut und vielleicht
auch in den Geweben nicht in lockerer Verbindung mit Eiweiß-
körpern, sondern ausschließlich in anorganischer Form befindet."
Also nicht durch Exsudatbildung, nicht durch mangelhafte
Resorption (geringer NaCI-Gehalt des Kotes!), nicht durch mangel-
hafte Ausscheidung in den Nieren, auch nicht durch abnorme
Zunahme des Bestandes an NaCl-bindendem zirkulierendem Eiweiß
ist die während des Fiebers zustande kommende Chlorretention
zu erklären. Nach Schwenkenbecher haben auch Analysen
von Fieberblut keinen erhöhten Salzgehalt dieser Flflssigkeit er-
kennen lassen. Da heißt es eben den Weg des Stoffwechsels noch
weiter zurttckverfolgen. Irgendwo im Körper muß doch das
Kochsalz, das von der Salzbilanz als retiniert angezeigt wird,
stecken ; es müßten ja sonst in allen hierher gehörigen Versuchen
bei der Analyse der Exkrete beträchtliche Kochsalzmengen der
Bestimmung entgangen sein.
Oben ist schon auf den Gegensatz in dem Verhalten des
Stickstoff- und des Kochsalzwechsels beim Fieber hingewiesen
worden : während Kochsalz zurückgehalten wird, geht die Stick-
stoffausgabe beträchtlich über die Einnahme hinaus. Erhöhung
der Stickstoffausscheidung bedeutet aber Steigerung des Stoff-
wechsels^ vermehrten Abbau des Eiweißes, der höchstkomplizierten
organischen Stickstoffverbindungen der lebenden Gewebe. Dieser
gesteigerte Stoffwechsel spielt sich in den Zellen selbst ab, nach-
gewiesenermaßen besonders in den Zellen der großen drüsigen
Organe. Und auf alle diese kann man sich die retinierte NaCl-
Menge gleichmäßig oder auch in gewissen Abstufungen verteilt
denken. Es brauchte dann, wie auch Schwenkenbecher
meint, selbst bei einer relativ starken Gesamtretention der
— 133 -
Prozentgehalt an Kochsalz im einzelnen Organ nicht einmal so
hoch zu steigen, daß die Chlorzanahme darch Analyse fest-
gestellt werden könnte. Andererseits erscheint ein Gelingen
dieser analytischen Aufgabe keineswegs ausgeschlossen. Was
aber die Ursache der angenommenen und vielleicht nachweis-
baren Anhäufung von Kochsalz in den großen drfisigen Organen
betrifft, so wäre sie zu suchen in der ,,fieberhaft^ gesteigerten
Tätigkeit, die jene Organe zur Bekämpfung des Fiebers ent-
falten, in den chemischen Umsetzungen, die an die Gegenwart
von Kochsalz geknüpft sind. Hier scheint mir ein Zusammen-
hang sich aufzutun, auf den ich, weil vorläufig vollkommen
hypothetisch, nur kurz als- Erklärungsmöglichkeit für die auf-
fällige Tatsache der Chlorretention im Fieber hinweisen möchte.
Albu und Neuberg stellen in ihrem Buch „Physiologie
und Pathologie des Mineralstoffwechsels'' folgenden vierten Haupt-
satz über die Aufgaben der Mineralstoffe im tierischen Körper
auf (S. 108): „Sie wirken als Katalysatoren für eine große Reihe
chemischer Vorgänge im Organismus, sie wirken z. B. als Sauer-
stoffflberträger für die Oxydationen, sie erzeugen die Verände-
rungen der Eiweißköii)er im Zellprotoplasma, die mit den Funk-
tionen derselben untrennbar verbunden sind." Aus dieser Auf-
fassung läßt sich auch die Vorstellung ableiten, die wir uns von der
Rolle des Kochsalzes im Fieber machen können. Also: Erhöhte
chemische Zelltätigkeit im Fieberzustand, dessen
Mehrproduktion an Wärme den Ausdruck vergrößerten
Energieverbrauchs darstellt, also Steigerung der
oxydativen Prozesse innerhalb der Zellen und in
enger Verknüpfung damit notwendigerweise ein ver-
mehrtes Bedürfnis an Katalysatoren in Form von
Mineralstoffen, insbesondere des Kochsalzes. In
diesem Gedankengang glaube ich eine Deutung der merkwür-
digen Kochsalzretention im Fieber und seiner Ausschüttung
nach der Entfieberung finden zu können.
Der Ausnahmefall der Malaria würde sich dann vielleicht mit
dem besonderen Sitz der Infektion und wohl auch der gegen die Ma-
lariaparasiten sich richtenden Abwehrkräfte erklären. Zur wei-
teren Stützung dieser Vorstellung wäre zu prüfen, ob immer bei aus-
schließlichen Blutinfektionen die Kochsalzretention im Fieber einer
NaCl-Mehrausscheidung — wie bei der Malaria — Platz macht.
— 134 —
Daß natürlich die Funktion des Kochsalzes als Kataly-
sator nicht allein für die Chlorretention im Fieber maßgebend
zu sein braucht, sondern daß auch andere Faktoren^ wie Aus-
gleichung des durch die erhöhten Zersetzungen im Fieber ge-
störten osmotischen Gleichgewichts und^ wie Schwenken-
becher meint, die im Fieber veränderte Verteilung der Wasser-
ausfuhr (verminderte Diurese), eine beachtenswerte Bolle spielen
können, ist durchaus nicht in Abrede zu stellen. Aber ich
glaube nicht, daß sie allein für die festgestellte verhältnismäßig
hohe Chlorretention verantwortlich zu machen sind.
Vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1907 in der
chemischen Abteilung des physiologischen Instituts auf Anregung
und unter Leitung des Herrn Prof. Dr. 0. Schulz ausgeführt.
Ich möchte auch an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Schulz
meinen herzlichsten Dank aussprechen für die gütige und immer
hilfsbereite Förderung, die er mir bei meinen Untersuchungen
zuteil werden ließ. Ebenso bin ich Herrn Prof. Dr. J. Rosen-
thal für sein gütiges Interesse an der Arbeit zu großem Dank
verpflichtet.
Aus Alexander v. Humboldts Verwaltungspraxis
in Franken.
Von Lothar Reuter.
•
•Alexander v. Hnmboldt wurde Dach Vollendung seiner
nennmonatlichen Studienzeit in Freiberg von Minister von
Heinitz beauftragt, das Bergwesen und die verwandte Industrie
in den von Preußen neu erworbenen fränkischen Fürstentümern
zu untersuchen. Bereits im Herbst 1792 erstattete er einen
umfangreichen Bericht über seine Beobachtungen und die mög-
lichen Mittel zur Hebung der genannten Industriezweige.
Infolge dieses Berichtes wurde er im Herbst desselben
Jahres zum Oberbergmeister in Bayreuth und Ansbach ernannt.
In einem Brief an Goethe aus Bayreuth vom 21. Mai 1795 be-
zeichnet er sein Dienstverhältnis dahin, der König habe ihn zum
Oberbergrat gemacht mit der Erlaubnis, ihm in seinen Provinzen
zu dienen oder durch wissenschaftliche Reisen nützlich zu
werden. Tatsächlich suchte er im Auftrag des Berliner Berg-
departements 1793 die Salzburger und die galizischen Salz-
bergwerke auf, 1794 den Netzedistrikt und das preußisch ge-
wordene Polen. 1795 erhält er Urlaub zu einer geognostischen
Privatreise durch Oberitalien und einen großen Teil der Alpen.
Gleichzeitig beschäftigen ihn geognostische und physikalische
Probleme der umfassendsten Art.
Hier möge indessen nur von Humboldts Verhältnis zum
Bergwesen im Fichtelgebirge die Rede sein.
Der Niedergang des dortigen Bergbaues war eine Folge der
seit langer Zeit betriebenen Erzausbeutung und der sich stets
steigernden Abbaukosten. Die Erze, die in den oberen Teufen
infolge von Zersetzung und Verwitterung einen konzentrierteren
Edelmetallgehalt besessen hatten und durch die auffällig ge-
färbten Zersetzungsprodukte auch für den weniger kundigen
— 136 —
.Bergmann leicht erkennbar gewesen waren, hatte man längst
abgebaut. Je weiter der Bergbau in die Tiefe vordrang, um
so geringer und unedler wurden die Gänge. Die Masse des
gewonnenen Erzes war im Verhältnis zu dem zu fördernden
Gestein sehr gering; die Stollen und Schachtbauten, die auf
der Suche nach neuen Erzmitteln oder solchen, die sich zer-
schlagen hatten, meist nur taubes Gestein durchfuhren, waren
sehr kostspielig, und ebenso waren die mit der Zunahme der
Tiefe sich vermehrenden Kosten für Förderung der Erze, der
tauben Berge und namentlich für Wasserhaltung unverhältnis-
mäßig groß. Es war deshalb für einzelne Eigentümer aus-
geschlossen und für Gewerkschaften nur noch unter Aufbringung
großer Opfer möglich, einige Bergbaue im Betrieb zu erhalten.
Humboldt erkannte dies alles bei Untersuchung der ein-
zelnen Bergwerke nur zu gut, fand aber dennoch, daß ein rationell
betriebener Bergbau nicht nur bestehen, sondern in verschiedenen
Teilen des Fichtelgebirges die aufgelassenen Betriebe wieder zu
neuem Leben erwecken könnte.
Dazu war es aber nötig, zunächst ein brauchbares Berg-
mannsvolk heranzubilden. Wie A. v. Humboldt dies zu ver-
wirklichen suchte, möge folgender Bericht des genialen Forschers
ans Bergdepartement in Berlin dartun, der zugleich zeigt, wie
Humboldt die dienstlichen Aufgaben seines Verwaltungsbezirkes
bis ins kleinste Detail verfolgte und in einem den sozial-poli-
tischen Anschauungen seiner Zeit weit vorauseilenden Grade
den menschlichen Verhältnissen der seiner Verwaltung anver-
trauten Personen die eingehendste Sorgfalt widmete.
Dieser Bericht hat folgenden Wortlaut:
Stehen, auf dem Nailaer Revier,
den 13. März 1794.
Ganz gehoi'samstes Promemoria,
die Errichtung einer königlichen
freien Bergschule zu Stehen be-
treffend.
Wenn es gleich meine Pflicht gewesen wäre, Einem Hoch-
löblichen Ober-Berg-Departement der königlich Obergebirgischen
Kammer jedes bergmännische Unternehmen früher anzuzeigen.
~ 137 -
als es angefangen wird, so glaube ich doch in dem vorliegenden
individuellen Falle durch meine gute Absicht hinlänglich ent-
schuldigt zu sein, den entgegengesetzten Weg eingeschlagen zu
haben. Die einfache Erzählung des ganzen Vorganges wird am
ersten zu meiner Rechtfertigung dienen.
So lange ich dem prakt. Bergbau näher getreten bin, war
es immer auffallend, wie wenig von oben herein auch mit dem
scheinbar größten Aufwände von Geld und Kräften auf das
Ganze gewirkt wird. Der Grund davon ist leicht zu finden.
Was können Anordnungen, Befehle fruchten^ wenn die Empfäng-
lichkeit bei denen fehlt, die sie empfangen sollen! Es bleibt
dann nur ein Ausweg übrig, den die meisten Administratoren
wählen, der, die Zahl der Aufseher so vermehren, daß es fast
so viele Offizianten als Bergleute gibt, daß die Besoldungen den
größten Teil der Betriebskosten ausmachen und daß die ganze
Maschine unter der Friktion der vervielfachten Teile erliegt.
Das Mittel selbst wird dann zum Hindernis.
Der einfache Weg scheint auch hier der beste. Man ver-
mehre die Bezeptivität des gemeinen Bergvolks, suche es nach-
denkend und verständig, das heißt, weder grübelnd noch gelehrt,
zu machen, bringe ihm richtige Ideen über die Gegenstände
bei, die es zunächst umgeben, so wird es mehr zum Selbst-
bandeln gereizt, so wird die Tutel endlich aufhören, hinter die
eine armselige Politik sich so gerne verbirgt.
Der Wert der Erziehung des gemeinen Volks ist längst
erkannt. Die Gewalt, mit der man die Sache auf einmal hat
angreifen wollen, und die abenteuerliche Überepannung, mit
der man die vorreifen Früchte erwartete, haben die meisten
Unternehmungen scheitern gemacht. Ich hielt es für besser,
etwas zu leisten, als nichts zu versuchen, weil man nicht alles
leisten kann.
In einem Gebirge, wo so vielerlei Erze einbrechen, und wo
die Bewohner oft aus Aberglauben und bergmännischer Unwissen-
heit durch törichte Unternehmungen ihren Wohlstand untergraben,
in einem solchen Gebirge ist es doppelt wichtig, deutliche und
vernünftige Begriffe zu verbreiten. Noch im Herbst 1793 hat
man in der Dürrenweid geschürft, wo der „goldene Hirsch**
(ein vierfttßiger Berggeist) weidete, — bei Schauenstein auf
Schwefelkies statt Golderze gebaut, — torabakbraunen Glimmer
— 138 -
bei Gefrees durchschmelzen wollen nnd mir Eisenglimmer ftir
Bleiglanz gebracht!! — Wer. wie meine Amtsgeschäfte mich
daza veranlassen, dem gemeinen Bergyolke näher tritt, wird
über diese Beispiele nicht erstaunen. Es sind alltägliche Er-
scheinungen.
Als ich im Sommer vorigen Jahres nach Befahrung der
Gruben nur einige Muße hatte, faßte ich daher den Entschluß
(und wenn ich auch selbst hätte den Unterricht geben sollen),
schlechterdings für den Winter eine Schule für gemeine Berg-
leute zu eröffnen. Wem ich meine Ideen mitteilte, riet mir ab.
Das Volk habe keine Lembegierde hieß es: die Vorurteile
schienen eingewurzelt, es sei kein Lehrer zu finden, den die
Kinder verständen, u. s. w., u. s. w. — Diese Einwendungen
schreckten mich nicht ab, bewogen mich vielmehr, sogleich die
ganze Einrichtung vorläufig ans meinem Beutel als Privatsache
zu betreiben, bis ich Einem hochlöblichen Oberbergdepartement
der Obergebirgischen Kammer Anzeige von einem guten Fort-
gang würde machen können.
Einen Lehrer für die Bergschule kommen zu lassen, war
aus dreifachen Gründen unratsam; einmal, weil es einen Kosten-
aufwand machte, der tür unseren jetzigen Fonds zu groß war, dann
weil jede fremde Mundart den Knaben hier schlechterdings unver-
ständlich ist, und endlich drittens, weil es nicht sowohl auf
Rechnen und Schreiben, als auf Unterricht in der Gebirgskunde
und inländischer Bergwerksverfassung ankam, die ein Ausländer
nicht lokal genug vorträgt. Es blieb also nichts übrig, als sich
nach einem Einheimischen umzusehen, der Lebhaftigkeit, Lokal-
kenntnisse und Lust genug hatte, im Lehren selbst noch zu
lernen. Meine Wahl traf den jungen Schichtmeister Georg
Heinrich Spörl, dessen Tätigkeit und Eifer sich nützlich zu
machen ich bisher nicht genug rühmen kann. Ich besprach mich
selbst täglich mit ihm über die Art des Unterrichts, fing gleich
an, eigene Anweisungen auszuarbeiten, gab ihm Bücher zu seiner
eigenen Belehrung und tat alles, was in meinen Kräften stand,
meine Absicht zu erreichen. Ich versprach ihm 30 fl. Gehalt,
1 Simmer Korn, Holz und Licht unter der Bedingung, sie ihm
aus eigenen Mitteln fortzuzahlen, im Falle das Institut die aller-
höchste Genehmigung nicht empfinge.
Die freie königliche Bergschule ward Ende No-
— 139 —
vember 1793 eröffnet. Ihre wesentliche Einrichtung besteht
in folgenden Punkten, die ich aber gehorsamst bitte, noch nicht
in eine Norm oder Instruktion zu bringen, da die größte Be-
hutsamkeit dabei nötig ist, und da alles durch die Erfahrung
noch modifiziert werden muß und eine Erziehungsanstalt nicht
wie eine Klasse behandelt werden kann.
1. Der Zweck der kgl. Bergschule zu Stehen ist
zwiefach :
a) Das junge Bergvolk in dem Nailaer Revier zu verständigen
und brauchbaren Bergleuten auszubilden,
b) ihm von Kindheit an Liebe für unser Metier und berg-
männisches EhrgefBhl einzuflößen.
2. Der erste Zweck wird dadurch en'eicht, daß ihnen von
allen physischen Gegenständen, mit denen sie als Bergleute zu
tun haben, und von den Verhältnissen, in die sie als Bürger
treten, die einfachsten und deutlichsten Begriffe beigebracht
werden. Was das Praktische des Metiers betrifft, so müssen
wohl die Gründe angegeben werden, warum man so oder so
verfährt, — das Verfahren selbst, die Handgriffe müssen aber
schlechterdings kein Objekt ^der mündlichen Unterweisung sein,
weil dadurch der Sinn für das Praktische geschwächt wird und
leicht die Meinung entsteht, man lerne in der Bergschule Zimmern,
Bohren, Schießen wie in der Grube. Letzteres ist ein Haupt-
punkt in der Erziehung des gemeinen Bergvolks.
3. Liebe zum Metier braucht nicht direkt gepredigt zu
werden. Man liebt jede Sache, die man nach Gründen kennt,
die man mit Wichtigkeit behandeln sieht. Auch wirken die
Absonderungen der Bergjugend von den anderen Kindern, öffent-
liche Prüfungen und Geschenke für die fleißigen wohltätig genug
auf das Ganze.
4. Die Zahl der Bergschüler erstreckt sich gegenwärtig
bereits auf etliche 40. Sie haben sich durch freiwillige Sub-
skription dazu gemeldet, gewissermaßen gedrängt. Kein Knabe
unter 12 Jahren, der nicht vorher die Dorfschule besucht hat,
wird als Bergschüler aufgenommen. Dagegen steht das Institut
jedem Knecht und Lehrhäuer offen, und ich sehe mit Freuden
Männer von 24—26 Jahren es fleißig besuchen. Ich habe bisher
absichtlich allen Zwang vermieden, um die Sache nicht gehässig
zu machen. Künftig müssen die Steiger dafür einstehen, daß
- 140 —
alle BergjuDgeD die Bergschule besuchen und das kgl. Ober-
bergdepartement soll dann auch jährlich eine Liste der Schüler
erhalten.
5. Um mit der Dorfschule in keine Kollision zu kommen,
und damit nicht die falsche Idee entstehe, als mache die Berg-
schule jene entbehrlich, so wird dieselbe Mittwochs und Sonn-
abends nach Mittag gehalten ; damit den armen Einwohnern die
Kinder nicht der Arbeit entzogen werden (ein Haupthindernis
so mancher Schulanstalt), so ist die Bergschule eine bloße
Winterschule, die am 9. November anfängt und bis in den Mai
fortdauert.
6. Das verschiedene Alter und die verschiedenen Fähig-
keiten der Bergjungen und Knechte haben Abteilungen in
2 Klassen notwendig gemacht. Der Unterricht fttr die kleineren
ist von 1—4 Uhr, für die größeren von 6— 9. Die Lenibegierde
der letzteren und der gute Wille des Lehrers ist bisher so groß,
daß ich die Schule schon bis 11 Uhr nachts habe fortsetzen
lassen, ohne irgendein Mißvergnügen zu bemerken.
7. Die Objekte des Unterrichts sind in diesem Institute
mannigfaltiger als in andern Bergschulen.
a) Schön- und Rechtschreiben. Ich habe schon saubere Vor-
schriften in Bayreuth schreiben und auf Pappe ziehen lassen.
Sie enthalten in kurzen Aphorismen alles, was ein ge-
meiner Bergmann zu wissen braucht, von Gebirgskunde,
vom Kompaß, dem Vorkommen der Erze, den vaterländischen
Gesetzen, Landesbeschreibung. Sie haben den Zweck, den
Knaben nicht nur beim Schreiben nützlich und angenehm
zu beschäftigen, sondern ihm etwas mit nach Haus zu
geben, was er dort wiederholen kann. Das letztere ist
sehr wichtig, weil es noch schlechterdings kein Lehrbuch
für gemeine Bergschulen gibt und die vorhandenen unvoll-
kommen und ohne dies zu teuer sind. Da es überaus
schwer ist, solche Vorschriften zusammenzusetzen, so sind
davon noch nicht so viele vorhanden, als ich wünsche.
Im Rechtschreiben werden die Knaben durch Diktieren
geübt
b) Bergmännisches Rechnen, — alles in angewandten Zahlen
und mit Beispielen aus unserm Revier. Dazu etwas vom
Kompaß, vom Streichen und Fallen, wie man bei Tag und
— 141 —
sternheller Nacht den Norden sucht nnd die Standen der
Oänge ans dem Kopf ohne Kompaß angibt; andre Auf-
gaben aus dem bürgerlichen Leben, die Breite der Bretter
aus dem Umfang des Blocks zu finden, den Inhalt eines
Feldes nach Tagwerken abzuschreiten u. s. w.
c) Allgemeine Kenntnis der Erde, bes. Gebirgslehre, — von
dem festen Boden, dem Meere, den Wolken, dem Ursprung
der Flüsse und Grubenwasser, den Wettern, den Gebirgen,
welche keine Erze führen, von den Wünschelruten, von
den Lagerstätten der Erze, von Gängen, Flötzen und
Stockwerken u. s. w. — Hierbei werden auch deutliche
von mir bestimmte Muster der gemeinsten Erze und anderer
nutzbarer Fossilien vorgezeigt. Sie sind wenigstens 6—8 Zoll
lang. Ich habe sie teils aus Sachsen kommen lassen, teils
hier gesammelt.
d) Vaterländische Gesetze und Observanz. — Gewerkever-
fassung in den fränk. Fürstentümern, Rechte und Pflichten
gegen das Bergamt, Lehre vom Abtrag, Stollgerechtigkeit
u. s. w. Nichts erscheint mir wichtiger als diese Kenntnis,
um Einigkeit in einer Gegend herzustellen, wo Streitsucht
nur eine Folge der Unwissenheit ist.
e) Geschichte des vaterländischen Bergbaus, welche Erze
jetzt, welche sonst brachen, genaue Aufzählung derÖrter,
wo sie brachen. Produkte des Bodens, Beschreibung des
Fichtelgebirges, warum es keine Salzquellen am Ochsen-
kopf gibt. Solche Notizen vermehren die Liebe zum Vater-
lande, die überdies noch immer ein schöner Zug in dem
Charakter der hiesigen Einwohner ist.
8. Alle 14 Tage werden die Schüler examiniert, was sie
bisher haben lernen sollen. Ein öffentliches Examen wünsche
ich alle Jahre im Frühjahr anzustellen, bei dem die fleißigsten
Knaben beschenkt würden mit einem Grubenkittel, dem Not-
und Hilfsbüchlein u. s. w.
9. Bei einer Lehranstalt ist die Zweckmäßigkeit der inneren
Einrichtung ein wesentliches Moment In dieser Hinsicht bin
ich' daher so sorgfältig als möglich gewesen. Die Kinder dürfen
z. B. dem Lehrer nicht den Rücken zukehren, sich nicht an-
sehen u. dgl., alles dies stört die Aufmerksamkeit. Die Berg-
schule wird in dem sehr geräumigen, lichten Zimmer des Georg
- 142 ^
Heinrich Spörl*) gehalten. Ich habe Bänke, wie in den
Göttinger Auditorien vorrichten lassen, wo der Racken der
einen am Pult der andern ist. Zwischen zwei und zwei Knaben
steht immer ein Licht
Da es schlechterdings kein Lehrbuch gibt, welches für ge-
meine Bergjungen faßlich genug wäre, um daraus zu unterrichten,
so habe ich mich sogleich entschlossen, selbst Hand ans Werk
zu legen und nach den sub 7 enthaltenen Sätzen fünferlei An-
weisungen auszuai*beiten. So schwer ein solches Unternehmen
ist und so unvollkommen ich es auch aasfähren wfirde, so hielt
ich es doch für Pflicht, nichts unvei*sucht zu lassen. Ich nehme
mir die Freiheit Einem Hochlöbl. Kgl. Oberbergdepartement
einige Proben meiner Arbeit vorzulegen mit der gehorsamsten
Bitte, sie mir mit Bemerkungen zurückzuschicken:
1. Wie die Gänge fallen und streichen,
2. Von der Beschaffenheit unserer Erde überhaupt,
3. Wie die Erze brechen,
4. Proben meiner Vorschriften.
So ist dermalen die Lage des Instituts, das erst seit kaum
4 Monaten existiert. Es ist ein bloßer roher Versuch. Auch
habe ich es vielleicht mehr geschildert, wie es sein sollte, als
wie es auf dem Wege . ist zu werden. Fünffacher Unterricht
wird freilich schon erteilt, aber noch nicht regelmäßig, weil
die Anweisungen noch fehlen^ auch bei meinen andern Geschäften
(so gern ich mich auch der Sache unterziehe) erst gegen den
nächsten Winter fertig sein können. Bis dahin helfen wir
uns durch Auszüge aus älteren Schriften, aus Lampes berg-
männischem Rechenbuch^ dem Freyberger bergmännischen
Kalender, Mitterpachers physikalischer Erdbeschreibung, Geylers
physikalischem Wörterbuch, dem Art. vom Bergbau^ Dingel-
städt von der Zimmerang, Gmelins Geschichte des deutschen
Bergbaus u. s. w.
Hält es Ein Hochlöbl. kgl. Oberbergdepartement für ratsam,
den Fortgang des Institats auf kgl. Kosten zu wagen, so über-
gebe ich diesen kleinen Anfang gern der öffentlichen Direktion.
Bttcher> Vorschriften, Fossilien fordere ich nicht wieder. Was
ich gehorsamst erstattet bitte, sind bloß:
•) t 30. I. 1S30, G6 Jahre alt.
- US -
14 Flor 8 kr für Schreinerarbeit
2 Flor 10 kr far Buchbinderarbeit,
ivofur die Beläge akkladiert sind. Bei den vielen Arbeiten, die
der junge Schulmeister Spörl bisher mit so vielen Knaben ge-
habt, ist eine Remuneration von jährlich 40 Flor, fränkisch und
2 Klafter Brennholz, gewiß sehr mäßig. Ich wage es daher
ganz gehorsamst darauf anzutragen:
dem Georg Heinrich Spörl wegen seiner bisherigen
rühmlichst bewiesenen Tätigkeit den Titel „Lehrer bei
der kgl. freien Bergschule zu Stehen^ beizulegen und
ihm alljährlich 40 Gulden Frank, samt 2 Klafter Brenn-
holz dergestalt zu dekretieren, daß selbige ihm bereits
für das verflossene Etatsjahr 1793/94 (laut Tit. VI des
Nailaer Stticketats) bis I.Juni 1794 gezahlt werden.
Die sämtlichen Kosten, welche die Bergschule im laufenden
Etatsjahr verursacht, betragen demnach:
14 Fl 8 kr für Schreinerarbeit
2 Fl 10 kr für Buchbinderarbeit
40 Fl — Besoldung für den Lehrer
~W FTlS kr und 2 Klafter HolzT
wovon 50 fl. laut Tit. VI, der Rest aus dem Fond ad extraord.
des Stücketats gezahlt werden können.
Noch möchte ich gehorsamst darauf antragen, daß dem
Bergschullehrer Spörl in dem Dekret gesagt würde:
man wolle seine förmliche Instruktion noch bis zum Herbste
ausgesetzt sein lassen, weil dann erst die Bergschule ihre völlige
Einrichtung erhielte.
Humboldt.
Der vorstehende Bericht wurde im Jahre 1866 zum
97. Jahrestag der Geburt des großen Forschers durch Löwen-
berg in einer Tageszeitung veröffentlicht. Er kam dem Ver-
fasser dieser Zeilen nur in Form eines Ausschnittes unter die
Hände. Das ursprüngliche Dokument war nicht mehr aufzu-
finden, ebensowenig die Belehrungen, welche Humboldt für
seine Stebener Freischule zusammengestellt hat. Dagegen ver-
schafften die diesbezüglichen Nachforschungen einige Briefe aus
dem Jahre 1795, die hier anhangsweise folgen, denn sie geben
— 144 -
einen Einblick, wie anregend Humboldts Einfluß auf seine Um-
gebung gewirkt hat. Herrn Bürgermeister Kockelroann in
Steben, der mir diese Briefe leihweise ttberließ, sei an dieser
Stelle bestens gedankt.
Bergmeister Eillinger in Goldkronach an den Hofrat
Strauch in Schleiz.
Ooldkronarhy den 2S. März 1793
Woklgebomer Herr,
Hocfnuverehre7ider Herr Hofrat c& Berg- Direktor,
des regierenden Herrn Orafen xu Schleix, Hoehgräfl. Ex-
cellenx Ansuchen an unsern Oberbergmeister Herrn v. Humboldt
gemäfsy Höchstdenselben einen Bergoffidayiten hiesiger Fürsten-
tümer XU schicken, welcher ein Outachten über die Sehmelx-
Würdigkeit der Schleifer Kupfererxe abgeben soll, habe die Ehre
Ew. Wohlgebo7'en. gehorsamst xu benachrichtigen, dafs ich vom
Herrn Oberbergmeister ro?i Humboldt die Anfrage bekommen,
ob ich mich diesem Geschäfte unterxiehen wollte, worein ich auch
sogleich tvilligte. So sehr ich nun auch tvünschte, diesen Auf»
trcuf lor Osterei erfüllen xu können, so hielt mich doch die Auf-
bereitung und Untersuchung der Scfimelx Würdigkeit der Fürsten-
xecher Oold- und Silbererze fliesiger Revier länger auf, als ich
vermutete, wodurch ich also erst im Stande bin, den Tag nach
denen Osterfeiertagen, als den S'*** April von hier abxurei^en und^
den 9^^ in Schleix einxutreffen. Indes hohe die Ehre mit der
ausgexeichnctsten Hochachtung xu verharren
Euer Wohlgeboren
gehorsamster Diener
Fr, Killinger,
A. V. Humboldt an den Hofrat Strauch in Schleiz.
Sr, Wohlgeboren
dem Herrn Hofrat Strauch m Schleix,
Bayreuth, den 15. Juni 1795
Wohlgeborefier Herr,
Hochgeehrtester Herr Hofrat,
Es ist mir eine lebhafte Freude getvesen, xu sehen, dafs des
Reg. Herrn Reichsgrafeu Excellenx soicohl, als Ew. Wohlgeborcfi
- 145 —
mir Ihre Zufriedenheit über die Sendung des Herrn Killinger
bezeugt haben. Je wichtiger Ihr Bergbau mir xu sein scheint,
desto behutsamer mufs man freilich auch in der Anlage einer
Hütte sein. Ob ich gleich überzeugt bin^ dafs Herr Killinger
ruich seinen gründlichen Oemisch-kenntnissen ll^7ien tmchiige
Aufschlüsse über die Zugutniachung Ihrer Erxe geben tvird, so
bin ich doch unparteiisch genug, selbst in Ihren Vorschlag, ein
auswärtiges Hüttenamt xu befragen, einzugehen. Ich schlage
Ihnen dazu das K, Pr. Oberbergamt zu Stolzenburg vor, welches
Ihren Wunsch gern befriedigen unrd, und da ich das Olück habe,
mit einigen Gliedern desselben, dem Herrn Oberbergrat Bückling,
dem Herrn Bergrat und Oberbergmeister Gerhardt in Verbindung
:xu stehen, so wird das Beilegen dieser Zeilen Ihnen zur Em-
pfehlung dienen. Ich darf Ew, Wohlgeboren nicht eri.nnern,
dem Kgl. Oberbergamt hauptsächlich E?'xsorten beixtilegen, nach
deren Natur auf den Schmelxproxefs im Qesteiii geschlossen^
werden kann.
Der Bericht des Fleischer selbst ist unter aller Kritik U7id
macht mir selbst von seinen praktischen Ken7itnissen, zu denen
doch immer Deutlichkeit und Klarheit der Ideen gehört, wenig
Zutrauen, Er ist recht getreu aus Schlüters Hüttenbuch zu-
sammengeschrieben und nirgends auf kleine Proben, auf die
Quantität der Erze, auf die xu rechnen ist, auf ihre Schmelz-
barkeit Rücksicht geglommen. Von darren Saigern und Garmachen
finde ich gar nichts und das Saigern mufs doch in einem Ofen
geschehen. Aber es gibt Menschen, die besser handeln als schreiben.
Ich wünsche, dafs Herr Fleischer von dieser Art sei. Ohne Über-
schläge aber geht man in Betrieben nirgends sicher. Ich Irin in
diesen Taigen, da ich ebeii von der Generalbesehung der Wun-
Siedler Revier zurückkomme, und tHr mit der Goldkronacher
Amalgamation beschäftigt sind, so xers freut, dafs ich hier
schliefsen mufs.
Ich bitte Euer Wohlgebore?i, mich dem Herrn Grafen unter-
tänig zu empfehlen und bin mit ausgezeichneter Hochachtung
Eu£r Wohlgeboren
gehorsamster
Humboldt,
Sitsungaberlehte der phya.-ined. Sos. 89 (1907). 10
— 146 —
Bergmeister Killinger in Goldkronach an Hofrat Stranch
in Schleiz.
Ooldkronach, den 25, Juni 1795
Wohlgeborener Herr,
Insonders hochxuehrender Herr Hofrat und Bergdirektor,
Ew. Wohlgeboren drücken sich voUkomme7i passend aus,
wenn dieselben sagen, dafs sieh bei der xuriickfolge?iden Arbeit
von Flfeischer] nichts besseres erwarten läfst. Indessen zweifle
ebensosehr, denn sonst würde er in seiner ohnedies möglictist
schlechten Arbeit doch das Saigern der Kupfererze und das Ab-
treibest nicht gänzlich übergangen haben : auch ist mir unbegreif-
lich, ude dieser Mann die Bearbeitung getvisser Erze bestimmen
ivill, deren Oehalt er noch nicht einmal kennt und als Hütten-
•mann nicht einfnal selbst probieren kann. So lange Hot Fl^scker
dem künftigen Betrieb der Hütte vorstehen soll, erscheinen mir
alle Anmerkungen überflüssig, weil — soviel ich für mich über-
zeugt bin — er solchen nicht versteht, und nie Kupfererze hat
schmelzen sehen, am wenigsten selbst geschmolzen hat, daher auch
die Anmerhmgen nicht verstehen kann. Ich fürchte daher sehr,
dafs selbst der Bergbau — des guten Ausfalls der Proben ohn-
geachtet — unter einem schlechten Hüttenbetrieb leiden möchte.
Mein Rat wäre der, dafs Euer Wohlgeboren suchten einen Kupfer-
und Silberhüttenmann, vielleicht aus Preusischen Landen zu
bekommen, deren es auf verschiedenen Hütten doch immer ge-
schickte mitunter gibt, die gerne weiter zu komfnen wünschen.
Bevor die Hütte vollendet wird, scheint es mir doch wohl not-
wendiger zu sein, zuvor das Pochwerk zu bauen, oder hat Herr
Fleischer vielleicht gar Lu^st, die Erze, toie sie aus der Erde
kommen und ohne alle Aufbereitung zu verschmelzen?
Mein Berieht über die Schleifer Revier ist vollendet U9id
werde ihn ehester Tage an Herrn Oberbergrat v, Humboldt schicken.
Meine zeitherige Reise mit Herrn v, Hfumboldi], dessen baldiger
Weggang von hier, die neu anzufertigenden Rechnungen und
Betriebspläne und dergl, Veränderungen waren Ursache, dafs ich
mein Gutachten nicht ehender als jetxt vollenden konnte, weshalh
ich recht sehr um Verzeihung bitte. Beifolgender Bericht von
Herrn v. HfumboldtJ wird auch dessen Outachten entlmUen,
Hätte Fleischer zum we?iigsten nur Schlüters Hüttenwesen nach-
— 147 —
gelesen^ so würde er s-ich doch, ob er gleich alt ist, noch mancherlei
Rats daraus erholt haben. Dem regierenden Herrn Orafen und
Ihro Durchlaucht bitte gehorsamst, mich untertänigst xu empfehlen,
ingleichen aveh dero Frau Gemahlin und werten Familie meine
gehorsamste Empfehlung abzustatten, Denenselben aber habe die
Ehre xu versichern, dafs ich mit besonderer Hochachtang verharre
Euer Wohlgeboren ergebenster Diener
Fr, Killinger.
A. V. Humboldt an Hofrat Strauch in Scbleiz.
Bayreuth, 20. Nov. 1795
Die freundschaftliche Oeioogenheit, init der Ew. Wohlgeboren
mir bereits mehrmals geschrieben, läfst mich hoffen, dafs Sie und
des Herrn Orafen Excellenx es mir verzeihen^ wenn ich es wage,
Urnen einen meiner Freunde, Herrn Freiesleben aus Freyberg
xu etnp fehlen.
Ich habe 7nit diesem erfahre?ien und gelehrten Bergmann
eine Reise durch die Schweix gemacht und er wünscht auf seiner
Heise nach dem Erzgebirge Ihre schänen Schleixer Gruben be-
sehen xu dürfen.
Ich bin stolz genug xu glauben, dafs meifie Fürsprache ihm
bei Ihnen nütxlich und dafs Sie ihm gern Gelegenheit verschaffen
werden, sich seinen Schleixer Aufenthalt nütxlich xu machen.
Darf ich Sie um die Gewogenheit bitten, mich dem Herrn
Reichsgrafen Excellenx untertänigst xu empfehlen und von den
Gesinnungen der dankbarsten Hochachtung überxeugt xu sein,
mit denen ich verharre
Ew. Wohlgeboren
gehorsamster
Humboldt
K, Pr. Oberbergrat,
In dem jüngst erschienenen trefflichen Werk Hartungs
„Hardenberg und die preußische Verwaltung in Ansbach-Bay-
reuth von 1792—1806" finden sich Seite 236—238 weitere
Angaben über die Verwaltung der Bergwerke in jenen Jahren,
die ich bei späterer Gelegenheit vielleicht ergänzen kann.
10^
Ursachen und Bekämpfung der Säuglings-
sterblichkeit.
Akademische Antrittsrede
gehalten am 7. Dezember 1907.
Von Friedrich Jamin.
M. H.! Zweifach ist in unseren Tagen die Aufgabe des
Arztes. Er soll, wie es immer war> dem einzelnen auf seinen
Wunsch Rat und Hilfe bringen. Diese individuelle Seite der
ärztlichen Tätigkeit überwiegt bei weitem, besonders in manchen
spezialistischen Disziplinen mit ihren sieht- und greifbaren Er-
folgen. Ihr steht gegenüber die generelle Pflicht des Arztes,
dafür Sorge zu tragen und unablässig daran zu arbeiten, daß die
Fortschritte wissenschaftlicher Forschung der Gesamtbevölke-
rung — ob sie es wünscht oder nicht — in der Gesundheits-
pflege und in der Krankenfürsorge zu gute kommen. Doch
bieten sich da dem ärztlichen Wirken nicht selten große
Schwierigkeiten und unüberwindlich scheinende Hindernisse.
Vielfach gilt es, alteingewurzelte Vorurteile in allen Schichten
der Bevölkerung zu überwinden und Meinungen entgegenzu-
treten, die um so energischer verfochten werden, als sie sich
auf frühere ärztliche Irrtümer stützen können. Und doch
stammen diese aus einer längst überwundenen Periode, in der
in der Medizin auf Spekulationen begründete Vermutungen
noch gleichbedeutend gelten durften mit den Ergebnissen einer
nüchternen und kritischen Naturbeobachtung. Dank des all-
seitigen Fortbildungseifers und der stetig sich vergrößernden
Aussaat akademischer und praktischer Belehrung brauchen wir
freilich nicht mehr wie der Jenenser Professor Baidinger am
Ausgang des 18. Jahrhunderts zu klagen, daß es „zum Erstaunen
noch eine Menge solcher Ärzte** gebe, wie sie um 200 Jahre
— U9 —
froher waren. Sorgt doch schon die Tagespresse dafür, daß
jeder bemerkenswerte Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis
und technischer Fertigkeit in der Medizin auch der Laienwelt
rasch — oft nur zu früh — bekannt wird. Aber mit der
wachsenden Zahl der Arbeiter und mit der Verbesserung der
Forschungsmethoden, der immer innigeren Verknüpfung nicht
rastender Kräfte in allen wissenschaftlich hochstrebenden Ländern
ist das Tempo der Entwicklung ein schnelleres und damit der
Wechsel der Meinungen häufiger geworden. So mag es be-
rechtigt erscheinen, wenn der ärztliche Praktiker und mit ihm
der verständige feinfühlige Laie, die nicht in der Lage sind,
selbst mit prüfender Hand jedem Fortschritt nachzutasten, mit
einem gewissen Mißtrauen den Neuerungen gegenüber stehen
und auf die Erhaltung dessen bedacht sind, was ihnen als
sicherer Erfahrungsschatz dünkt. Wohl ist solches Verhalten
besser als ein kritikloses Vorwärtsstürmen; doch dürfen wir
nicht vergessen, daß recht häufig die eingesessenen Anschauungen
vor den sogen, modemen wirklich nichts mehr voraus haben,
als ihr ehrwürdiges Alter.
Und es gibt für die öffentliche Gesundheitspfiege und für
die Krankenfürsorge Epochen, in denen auf der einen Seite die
Not eine unerträgliche Höhe erreicht, auf der anderen Seite
die Forschung so klar uns die Wege zur Abhilfe gewiesen und
die Hilfsmittel dazu so blank und brauchbar bereit gestellt hat,
daß Kritik und Zurückhaltung nur mehr Hemmung und Auf-
enthalt bedeuten, und daß es Zeit wird, mit allen Kräften die
praktische Arbeit aufzunehmen, ein jeder an seinem Posten,
die Gebildeten ohne Ausnahme, die Ärzte voran!
Solche Arbeit hat ungeahnte Erfolge gebracht in der Wund-
behandlung, in der Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten,
in der zielbewußten Verwertung der natürlichen Heilkräfte des
menschlichen Organismus. Einen erfreulichen Beweis für diese
Erfolge dürfen wir im Deutschen Reiche in dem wesentlichen
Rückgang der Sterbeziffer seit den 70 er Jahren erblicken.
Sie werden größer und schöner noch werden, je weitere Kreise
der Bevölkerung sich zur Mitarbeit und für die notwendigen
Maßnahmen der Krankheitsverhütnng werden gewinnen lassen.
Auf ein ähnliches Feld voraussichtlich fruchtbarer Betätigung
wissenschaftlicher Überzeugung will ich Sie heute führen, das
- 150 —
sich eröffnet in den beklagenswerten Zuständen der Gesundheits-
pflege der kleinen Kinder, in der Bekämpfung der enorm hohen
Säuglingssterblichkeit !
Wenn ich Sie bei dieser Gelegenheit dazu aufrufen will,
vereint mit den in unserem Vaterland gerade in den letzten
Jahren wach gewordenen Bestrebungen auf diesem Gebiet an
die Erwägung zweckentsprechender Maßnahmen heranzutreten, so
wird es zunächst meine Aufgabe sein, den Schaden zu beleuchten,
den es zu beseitigen gilt. Weitaus die beste Belehrung freilich
gibt ein Einblick in die Verhältnisse der Säuglingspflege in den
unbemittelten Bevölkerungsschichten und ein Vergleich dessen,
was wirklich für die hilfsbedürftigen Kleinsten geschieht, mit
dem, was nur nach allgemein hygienischen Grundsätzen für sie
geschehen sollte. Richtige Vergleiche wird aber auch da nur
der anstellen können, der mit den Bedürfnissen der Säuglinge
mehr als nur durch Familientradition vertraut ist. Demjenigen
aber, dem die Gewinnung persönlicher Erfahrung auf diesem
Gebiet versagt bleibt, wird trotz aller Bedenken gegen die
Beweiskraft der Zahlen das statistische Material zu denken
geben, das wir den Erhebungen unserer Sanitätsbehörden, be-
sonders des kais. Keichsgesundheitsamtes, und zahlreichen mühe-
vollen Einzelforschungen verdanken.
Daraus ersehen wir, daß bis in die letzten Jahre fast regel-
mäßig im Deutschen Reich von 100 lebendgeborenen Kindeiii
schon im ersten Lebensjahr wieder rund 20, also ein Fünftel
gestorben ist. Mehr als ein Drittel aller Sterbefälle überhaupt
betrifft Kinder unter einem Jahre.
Daß es aber keineswegs etwa so sein muß, lehrt ein Ver-
gleich mit anderen Ländern, in denen die sozialen und Rassen-
verhältnisse kaum besser sind als bei uns, wohl aber erfahrungs-
gemäß die Sänglingspflege rationeller und vorsichtiger gehand-
habt wird. So finden wir in Frankreich eine Säuglingsmortalität
von 16®/o, in England 14*^/^, in Schweden 10^ Iq der Lebend-
geborenen, in Irland und Norwegen noch geringere Zahlen, und
nur Rußland mit 29®/o und Österreich mit 25*^/o haben den
traurigen Vorrang vor Deutschland.
Ganz besonders ungünstige Verhältnisse zeigen sich aber,
wenn wir die Säuglingssterblichkeit in unserer engeren Heimat,
in bayerischen Landen betrachten. Bayern steht schon mit der
- 151 —
darchschnittlichen Kindersterblichkeit von 26—28 *^/o neben Sachsen
auch in den letzten Jahren noch an der Spitze der deutschen
Bundesstaaten. Aus einzelnen Gebieten Ober- und Niederbayerns
wird von über 40 ®/o Mortalität im ersten Lebensjahr und damit
von der größten bisher überhaupt bekannt gewordenen Säug-
lingsmortalität berichtet. Dort geht also bei einer keineswegs
den Durchschnitt überragenden Geburtenzahl fast die Hälfte
der Kinder in den ersten Lebensmonaten wieder zugrunde.
Nur eine minimale Besserung ist darin während der allerletzten
Jahre eingetreten.
Am günstigsten stehen die Sterblichkeitsziffern mit etwas
unter 20^0 noch in der Pfalz, in Oberfranken und ünterfranken ;
in Mittelfranken haben wir auch in den letzten Jahren noch
rund ein Viertel der Lebendgeborenen im Säuglingsalter verloren.
Was im besonderen die Stadt Erlangen betrifft, so ist hier die
Beurteilung der Säuglingssterblichkeit in ihrer wahren Bedeutung
für die Stadtbewohner erschwert durch die verhältnismäßig große
Zahl von Geburten ortsfremder Kinder in der Entbindungsanstalt
der hiesigen Frauenklinik, die ca. ein Drittel der Geburten in
Briangen ausmacht. Berücksichtigt man bei der Berechnung
nm* die Gesamtzahl der Geburten, so ergibt sich für die Stadt
Erlangen, ganz abweichend von den übrigen mittelfränkischen
Orten, ein auffällig günstiger Prozentsatz der frühen Sterbefälle
mit 12 — lö^/o- Zieht man aber die Zahl jener Kinder ab, die
bald nach der Geburt die Stadt wieder verlassen . so zeigt sich,
daß auch in Erlangen immerhin noch etwa ein Fünftel der
Kinder der Säuglingsmortalität verfällt.
Ganz abgesehen davon, daß wir keinen Grund haben, für
die Bezirke höchster Säuglingssterblichkeit eine Minderwertig-
keit der Rasse anzunehmen, geht aus weiteren statistischen
Nachweisen klar hervor, daß äußere Umstände viel mehr als
innere Veranlagung der Kinder die hohe Mortalität in der ersten
Lebenszeit herbeiführen: so sind bekannt die Steigerung der
Kindersterblichkeit in den Sommermonaten und die sehr viel
höheren Sterbeziffern der unehelichen Kinder und der Kinder
der Armen. Ferner ist es beachtenswert, daß gerade in den
am schwersten betroffenen Ämtern bei der Pflege gesunder und
selbst kranker Kinder fast durchwegs auf ärztlichen Beirat
verzichtet wird. Größer als auf dem' Lande ist in den Groß-
— 152 -
Städten die Zahl der frflh zugrunde gehenden Kinder, wenn
auch dank der zuerst in den größten Gemeinden einsetzenden öffent-
lichen Fürsorge noch am deutlichsten in dieser Differenz allmählich
eine Verschiebung zugunsten der Großstädte zu beobachten ist.
Größte Bedeutung kommt den Ergebnissen der dankenswerten
Untersuchungen Boeckhs und Westergaards zu, die an der
Hand der Berliner Statistik die — fast möchte man sagen selbst-
verständlicherweise — sehr erheblich geringere Sterblichkeit
der Brustkinder im Vergleich zu den künstlich ernährten Kindern
nachweisen konnten.
Würdigt man so die Statistik der Säuglingsmortalität, so
könnte man fragen, ob denn nun wirklich diese hohe Sterblich-
keit eine nationale und soziale Gefahr bedeutet! Wissen wir
doch, daß bei uns in Deutschland im Gegensatz zu der ungünstigen
Lage Frankreichs der Geburtenüberschuß über die Zahl der
Verstorbenen mit über l^o d^r Bevölkerung dennoch ein sehr
erfreulicher, auch trotz einer geringen Abnahme der Geburten-
zahl und dank der Verminderung der Gesamtsterbeziffer in den
letzten Jahren immer noch ansteigender ist? Müssen wir wirk-
lich die Dezimierung der schwächlichen Säuglinge so lebhaft
bedauern und sie einzudämmen suchen, wenn wir sehen, daß die
Bevölkerungszahl stetig wächst? Es ist für den Arzt nicht
schwer, darauf die richtige Antwort zu finden! Wo Menschen-
leben bedroht sind, da ist es unsere Pflicht, helfend und'schützend
einzugreifen, selbst dann, wenn wir nicht voraussagen können,
ob das gerettete Leben für die Gesellschaft noch nützlich werden
kann. Haben wir aber schon kein Recht, selbst in scheinbar
verzweifelten Fällen nach der Brauchbarkeit der bedrohten
Menschen zu fragen, wie viel weniger steht uns das zu, wenn
wir, wie es bei den kleinen Kindern tatsächlich der Fall ist,
gar nicht ahnen können, was aus den Verlorenen noch werden
könnte; wenn wir schon aus der Massenzahl der Opfer schließen
können, daß darunter mit den Schwächlingen auch die Kräftigen
und Besten fallen müssen.
Und weiter — wir wollen ja nicht nur die Mortalität be-
kämpfen! Die Mängel und Fehler sollen aufgedeckt und beseitigt
werden, die eine derartige Mortalität unter einer gesunden
Bevölkerung ermöglichen können, die außer den Todesopfern
wohl noch viel mehr Opfer an Gesundheit und Widerstands-
- 153 -
fähigkeit unter den Überlebenden fordern. Dazu gehören alle
die Torheiten und Fehlgriffe, mit denen die Matter geplagt und
die kleinen Kinder gequält werden, alle die Umstände, die bei
den Überlebenden so häaüg Anlaß und Grundlage werden fOr
jahrelanges Siechtum, ffir Krankheitsnot und Krttppelelend. All
das sind Faktoren, für die wir in Ermangelung einer genaueren
Krankheitsstatistik kaum einen schärferen Maßstab haben als
eben die Säuglingsmortalität.
Mit dem, was wir zur Bekämpfung der Säuglingssterblich-
keit tun, wird neben der Rettung vieler unschuldiger Opfer
unzweckmäßiger Kinderpflege gleichzeitig überhaupt erst die
Anregung gegeben zu einer vemänftigen Gesundheitspflege der
kleinen Kinder. Das kann man auch auf einen weiteren Ein-
wand entgegnen, der wie der erwähnte vielleicht nicht oft laut
ausgesprochen, aber wohl öfters im Stillen von denen erwogen
wird, die gern bei derartigen Bestrebungen beiseite bleiben
wollen: das ist die Meinung, daß die hohe Kindersterblichkeit
nur eine zweckmäßige Auslese im Kampfe ums Dasein darstelle,
mit dem Endzweck, ein um so kräftigeres und widerstandsfähigeres
Geschlecht der Erwachsenen heranzuziehen.
Mit Recht ist Gruber unter anderen aufs schärfste dieser
verkehrten Anwendung darwinistischer Theorien entgegenge-
treten, die uns glauben machen will, daß die kräftigen und
widerstandsfähigen Kinder mangelhafter Pflege, verfehlter Er-
nährung und den durch Ansteckung drohenden Gefahren trotzen,
während die schwächeren dabei zugrunde gehen. So sollte eine
Auswahl der Tüchtigsten zur Fortpflanzung, ein Schutz der Rasse
vor Entartung gewährleistet werden.
Könnte die Säuglingssterblichkeit wirklich in diesem Sinne
anter den kleinen Kindern eine Auslese treffen, dann mttßte
man erwarten, daß die Sterblichkeit in den späteren Kinder-
jahren und im reiferen Alter in jenen Gegenden und in jenen
Bevölkerungsschichten eine merklich geringere wäre, wo sich
der Tod unter den Säuglingen schon die meisten Opfer geholt
hat. Das ist aber keineswegs der Fall. Gerade in den durch
hohe Säuglingssterblichkeit berüchtigten Gegenden, wie in
manchen Bezii^ken des rechtsrheinischen Bayerns ist auch die
Sterblichkeit des arbeitsfähigen Mannesalters eine besonders
hohe. Die Minderbemittelten stellen ebensogut zur Säuglings-
- 154 —
inortalität wie zur Sterblichkeit der Kindheit und der späteren
Altersperioden das größte Kontingent. Die Großstädte verlieren
nicht nnr im ersten Lebensjahr, sondein auch im reifen Alter
verhältnismäßig die meisten Bewohner. Ermessen wir endlich
die Volksgesnndheit an dem Maß der Militärdiensttauglichkeit,
so können wir immer wieder den Nachweis führen, daß die
Landbezirke mit verhältnismäßig geringer Kindersterblichkeit
eine größere Zahl zum Heeresdienst tauglicher Rekruten zu
stellen vermögen als die Oroßstäde. Um nur ein Beispiel an-
zufahren, sei erwähnt, daß gerade in der bayerischen Rheinpfalz
mit der kleinsten Säuglingsmortalität in Bayern auch stets die
kleinste Zahl der zum Militärdienst Untauglichen zu finden ist.
Nicht nur bei uns, auch in außerdeutschen Ländern bestätigt
sichs, daß fast immer gerade im Gegensatz zu den Erwartungen
der an geführten Theorien günstige Sterblichkeitsziffern der höheren
Altersklassen mit relativ geringer Kindersterblichkeit einher-
gehen. Es werden also bei guter Säuglingsfürsorge nicht mehr
Schwächlinge erhalten als bei schlechter, wohl aber werden
lebenskräftige Kinder durch die mangelhafte Fürsorge unnütz
hinweggerafft, und diejenigen, die alle die Schädlichkeiten der
ersten Lebensperioden tiberwunden haben, werden für ihr
späteres Dasein noch nachteilg beeinflußt. Wenn man auch
noch berücksichtigt, daß die in den heißen Monaten geborenen
Kinder mit viel größerem Prozentsatz sich an der Mortalität
beteiligen als die in den kalten Jahreszeiten geborenen, so
kann man doch nicht mehr annehmen, daß die Unterliegenden
entartet seien oder aus entarteten Familien stammen. Das
gleiche gilt für die Unterschiede zwischen den Brustkindern
und den künstlich ernährten Säuglingen, zumal sich die von
Bunge vertretene Lehrmeinung von dem Rückgang der Still-
fähigkeit durch Entartung, wie wir später sehen werden, nicht
mehr aufrecht erhalten läßt.
Nicht nur die Sterblichkeit infolge schlechter Verpflegung
und ungünstiger Ernährungsverhältnisse hängt größtenteils von
äußeren Umständen und nicht von der angeborenen Widerstands-
fähigkeit ab, auch die Sterblichkeit an Infektionskrankheiten
untersteht äußeren Zufälligkeiten der Möglichkeit und Art der
Ansteckung, der hygienischen Verhältnisse und wiederum der
Ernährungsweise. Dabei sind aber die für die späteren Lebens-
— 155 —
Zeiten gefährlichsten Infektionskrankheiten für die jQngsten
Kinder nur von verhältnismäßig geringer Bedeutung: Mehr als
ein Drittel aller Säuglinge stirbt an Magen- und Darmkrankheiten,
nur ca. 2^^ ^^ entzündlichen Krankheiten der Atmungsorgane,
darunter auch Diphtherie und Krupp (37oo)-
Man darf demnach als sicher behaupten, daß die hohe Säug-
lingsmortalität uns nicht von nützlicher und artfördernder Aus-
lese spricht. Sie ist vor allem anderen der Ausdruck einer
mit allem Nachdruck zu bekämpfenden Nachlässigkeit in der
Pflege und Ernährung der Neugeborenen und Säuglinge.
Wer da Wandel und Besserung schaffen will, wird nach
den Ursachen fragen müssen, die es bedingen, daß das Kind
im ersten Lebensjahr ganz besonders schwer unter ungünstigen
hygienischen Verhältnissen zu leiden hat. Im allgemeinen be-
kannt, werden sie doch vielfach nicht nur in schlecht unter-
richteten Kreisen praktisch zum mindesten nicht in ihrer vollen
Bedeutung gewürdigt. Jeder sieht, daß ein Säugling ein hilf-
loses, auf die mütterliche Fürsorge verwiesenes Wesen ist, aber
nicht jeder beachtet es, daß die kleinen Kinder monatelang
nach ihrem Eintritt ins Leben auch gegen scheinbar harmlose
oder geringfügige Einwirkungen der umgebenden Welt in viel
geringerem Grade widerstandsfähig sind als die Erwachsenen.
Diese schützt vor der Mehrzahl der Beschädigungen die erstaun-
liche Resistenz der Körperbedeckung, der Haut. Gerade die
Haut ist aber beim Säugling so zart und leicht verletzlich, daß
sie durch die geringsten traumatischen Einflüsse, wie durch den
Druck der Kleidung, schwer beschädigt werden kann und auch
chemischen Einwirkungen, der Mazeration durch die Körper-
sekrete, der Benachteiligung durch eingreifende Reinigungsmittel,
Puder und Salben leicht unterliegt. Viel mehr auch als beim
Erwachsenen ist die Haut des Säuglings dem Eindringen von
Krankheitskeimen zugänglich, wie die betrübenden Erfahrungen
mit dem äußerst ansteckenden Pemphigus der Säuglinge, mit
der hartnäckigen Furunkulose eindringlich lehren. So kommt
es, daß es schon einer ganz besonders sorgsamen Pflege
bedarf, wenn das Kind in den ersten Monaten ganz frei
von Hautkrankheiten bleiben soll. Diese sind um so folgen-
schwerer, als die Haut des kleinen Kindes mit seiner im
Vergleich zum Erwachsenen 2— 3mal größeren Körperober-
— 156 —
fläche wichtige Funktionen im Energiehanshalt des Organismus
zu leisten hat.
Wohl noch bedeutungsvoller ist beim Säugling die geringe
Widerstandsfähigkeit der Schleimhäute, besonders der At-
mungs- und Verdauungsorgane^ die viel leichter als beim Erwach-
senen zur Eingangspforte für Erankheitsstoffe werden. Rechnet man
dazu, daß der Säugling, sobald er der Teilnahme an den Schutz-
stoffen des mütterlichen Blutes entbehren muß, auch nur in
verhältnismäßig sehr geringem Grade die Fähigkeit besitzt, aus
Eigenem Schutzstoffe gegen die von Krankheitserregern erzengten
Gifte und gegen die Infektionskeime selbst zu bilden, so wird es
begreiflich, daß das Kind in den ersten Lebensmonaten als ein
besonders günstiger Nährboden für pathogene Keime jeder Art
durch jede Infektion im höchsten Grade gefährdet ist. Nnr zu
häufig schließt sich der Infektion der Nabelwunde oder an der
Haut und den Schleimhäuten ohne die beim Erwachsenen and
beim älteren Kinde gewohnten Zwischenstufen der Lymphgang-
und Lymphdrüsenentzündung die verderbliche allgemein septische
Erkrankung an.
Diese Minderwertigkeit wird nun oft noch gesteigert durch
Störungen in der Ernährung. Ganz allgemein gesprochen ge-
staltet sich die Ernährung in den frühesten Lebensstadien des-
halb besonders schwierig und ist so häufig der Anlaß zu
Störungen und Krankheit, weil im Verhältnis zum Erwachsenen
und zum heranwachsenden Kinde beim Säugling viel höhere
Ansprüche an die Ernährung einer viel geringeren Anpassungs-
fähigkeit an die verschiedenen zur Verfügung stehenden Nähr-
stoffe, einer schwächeren Verdauungsarbeit gegenüber stehen.
Die früher vielfach vertretene Meinung, daß das verhältnis-
mäßig große Nahrungsbedürfnis der kleinen Kinder durch das
rasche Wachstum in den ersten Monaten bedingt sei, läßt sich nach
den vielseitigen und zielbewußten Untersuchungen Camerers,
Rubners und Heubners nicht mehr ganz halten. Sie haben
uns gelehrt, das Nahrungsbedürfnis des Säuglings nicht nur
nach der chemiscli-physiologischen Seite, sondern in Berück-
sichtigung des Kraftwechsels des Kindes zu betrachten. Die
Bestimmung des Verbrennungswertes der Zufuhr und Ausfuhr,
die Verwendung des Energiequotienten Heubners, d. h. des
Kalorienbedarfs pro Kilo Körpergewicht, hat nicht nur theore-
- 157 —
tisch interessante Aufklärung in die Beobachtung gesunder und
kranker Kinder gebracht, sondern auch praktisch brauchbare
Anhaltspunkte für die Säuglingsernährung geboten. Bei Unter-
suchungen an Kindern in der 10. Lebenswoche fanden nun
Heubner und Rubner, daß das Kind zwar pro Kilo Körper-
gewicht einen dreimal höheren Kalorienbedarf hat als ein Er-
wachsener, daß aber nur etwa 9^0 d^i' zugeftthrten Energie in
Form des Anwuchses im kindlichen Körper zurückbleiben. Drängt
sich angesichts solcher Beobachtungen die Annahme auf, daß
die üi'sache des relativ großen Nahrungsbedarfs in Besonder-
heiten des kindlichen Körpers zu suchen ist und nicht nur im
Zuwachs, so findet sich dafür auch eine Erklärung, wenn man
berücksichtigt, daß die in annähernd gleichem Verhältnis größere
Hautoberfläche des Kindes durch die größere Wärmeabgabe auch
den größeren Energieverbrauch bedingt. Auch konnte Bubuer
im exakten Vei*$:uch bei Hunden tatsächlich nachweisen, daß
die Kohlensäureausscheidung verschiedener Tiere gleich groß
war, berechnet auf die Einheit der Körperoberfläche, sehr ungleich
dagegen bei Berechnung auf die Körpergewichtseinheit, mit anderen
Worten, daß die relative Größe des Nahrungsbedarfs abhängig
ist von der relativen Größe der Körperoberfläche.
Im Verhältnis zu dem durch die relativ große KöiT)erober-
fläche gesteigerten Energie- und Nahrungsbedarf und zu den
durch den Zuwachs bedingten Erfordernissen machen sich beim
gesunden Kinde die durch Verdauungsarbeit und Muskeltätig-
keit gestellten Anforderungen nur wenig geltend. In den späteren
Wochen, in denen das Kind beweglicher wird, treten sie um
ein Gei-inges mehr hervor als in der ersten Lebenswoche, in
der die in dieser Hinsicht vom Kinde geleistete Arbeit noch
eine minimale ist. Sehr viel mehr und in einer für die Beur-
teilung des Kostmaßes sehr erschwerenden Weise machen sich
die Faktoren der Darmtätigkeit und der Muskelunrnhe aber
geltend, wenn die Säuglinge infolge von unvorteilhafter Er-
nährung, Überlastung des Darms und Krankheitszuständen un-
ruhiger werden und viel schreien und so auf anderem Wege
zu einem größeren Stoffverbrauch und stärkerer Wasserverarmung
kommen.
Die verschiedenartigen vom Verhalten des Erwachsenen
abweichenden Ansprüche des Säuglings an die Ernährung in
- 158 -
bezug aaf Erhaltung des Körperbestands, Zuwachs und Energie-
verbrauch im Wärmehaushalt bedingen auch ein besonders ab-
gestimmtes Ausmaß der Nährstoffe, je nachdem sie, wie Eiweiß
und Mineralstoffe^ mehr dem Aufbau des Körpers oder als
Energiespender und Ersatzstoffe, wie Fette, Kohlehydrate und
Wasser, zu dienen haben. Entsprechend ist pro Kilo Körper-
gewicht der Eiweißbedarf des Säuglings nur recht wenig höher
als der des Erwachsenen, während der Bedarf an Fett den
fünffachen, an Wasser den vierfachen, an Kohlehydraten den
doppelten Betrag der für den Erwachsenen gefundenen Weite
einnimmt.
Bei all diesen großen Ansprächen ist die Leistungsfähigkeit
des Säuglings in der Vorbereitung der Nahrung im Verdauungs-
trakt; in deren Verarbeiten, Aufsaugen und Umbilden nur eine
recht beschränkte, wenn auch frühzeitig der Darmkanal sogar
in besonderer Länge mit allen zugehörigen Drüsenfunktionen
ausgebildet ist. Das geht aus allen Beobachtungen an Säug-
lingen hervor, daß auch ein nur geringes Abgehen von der
natürlichen Zusammensetzung und Beschaffenheit der Nahrung
allzuleicht und fast sicher zu schweren und nachhaltigen
Schädigungen der Gesundheit führt.
Demnach wird sich die Säuglingsfürsorge vor allem nach
zwei Richtungen hin zu betätigen haben : im Schutze der Kinder
vor Infektionen und in der Beschaffung einer der Schwäche und
den großen Bedürfnissen des Säuglings angepaßten Ernähinng.
Die Behütung vor Ansteckung wird, abgesehen von den
im folgenden zu erwähnenden Infektionen des Verdauungskanals,
am besten wahrgenommen durch eine nach den Regeln der
Asepsis geleitete Säuglingspflege, wie sie in modernen Säuglings-
anstalten gehandhabt wird und erlernt werden kann. Man geht
kaum zu weit, wenn man verlangt, daß der Körper des Säug-
lings und besonders des Neugeborenen ebenso als ein Noli me
längere betrachtet werden soll wie vom Chirurgen eine frische
Wunde oder eine offene Körperhöhle. Wenn auch nicht immer
die Infektionsmöglichkeit eine so große ist wie in den Findel-
häusern mit ihrer Ansammlung gesunder und kranker Kinder,
die in der vorantiseptischen Zeit ähnlich große Opfer an septischen
Erkrankungen forderten wie die Entbindungsanstalten, so bleiben
doch die meisten Erwachsenen mit ihren Händen und mit der
— 159 —
Flora ihrer Mund- and Nasenrachenschleimhaut für den Säug-
ling Erankbeitsträger. Natürlich gilt das ganz besonders in
Zeiten epidemischer Krankheiten; die Erfahrungen von der jttngst
vergangenen Oenickstarreepidemie geben dafür erschreckende
Beispiele.
Darum ist die größte Reinlichkeit und die größte Zurück-
haltung mit Zärtlichkeiten für alle geboten, die mit den kleinen
Kindern in Berührung kommen müssen, während die übrigen
den Körper des kleinen Kindes als ein unantastbares Heiligtum
zu betrachten haben. Fernhaltung der Infektionserreger ist viel
wichtiger als die Reinigung etwa der Mundhöhle des Säuglings,
die mit Recht jetzt wegen der Gefahr einer Schleimhautver-
letzung und dadurch hervorgerufener hartnäckiger Mundkrank-
heiten verpönt wird. Aus gleichen Gründen ist es widersinnig,
das Kind an den Gebrauch des sogen. Schnullei*s zu ge-
wöhnen. Er kann auch bei sorgfältigster Behandlung unmög-
lich aseptisch, d. h. keimfrei gehalten werden und hat zudem
noch den Nachteil, daß er die für die Saugarbeit so notwendige
Muskulatur des Kindes unnütz und zur Unzeit ermüdet.
Für die Ernährung des Säuglings aber gibt es kein
Mittel, das allen Ansprüchen an Keimfreiheit, an chemische
Znsammensetzung und biologische Eigenschaften, an Qualität
und Quantität so vollkommen entspricht als die Muttermilch.
Sie fahrt dem Säugling zu, was er zu seiner Erhaltung, zu
gedeihlichem Wachstum und für seine Arbeit und innere Er-
wärmung braucht, ohne ihn unnötig mit Verdauungsarbeit zu
tiberlasten. Sie gibt ihm Wasser und Nährstoffe im richtigen
Verhältnis, ohne die Gefahr einer Infektion des empfindlichen
Verdauungskanal zu bergen, wenn man von ganz seltenen und
nur vom Arzte erkennbaren Ausnahmefällen absieht. Nach
neueren Untersuchungen leistet sie aber noch mehr: Mit der
Muttermilch wird dem Kinde eine artgleiche, lebende Flüssig-
keit, ein weißes Blut einverleibt, deren Nährstoffe seinen Zellen
nur physiologische Reize bieten und darum leichter verarbeitet
werden. Zudem bringt sie eine Reihe von fermentativen Eigen-
schaften mit, die bei der Verdauungsarbeit helfen können, und
tiberliefert dem Kinde spezifische Schutzstoffe gegen Infektionen
ans dem Bestand der Mutter, und damit wird sie zu einem
rechten Schutz- und Heilmittel.
- 160 -
Aach quantitativ trifft die Ernährung an der Mutterbrust
meist gerade das richtige. Das liegt an den merkwürdigen
Wechselbeziehungen zwischen Brustdrttsenfunktion und Nahrungs-
bedttrfnis des Kindes. Sie sind von größter Bedeutung für die
Überwachung und insbesondere die Erhaltung des Stillgeschäftes
während der Zeit, in der ein Säugling dessen bedarf, also
mindestens während des ersten Halbjahrs seines Lebens. Die
Milch ist das Produkt einer Drtis^ensekretion. Noch haben wir
nicht genügend die Einflüsse kennen gelernt, die in eigenartiger
Beziehung zu den Vorgängen in den Genitalorganen die Drüsen-
zellen der Mutter zur Bereitung der an Eiweiß, Zucker und
besonders Fett reichen Milch aus den Blut- und Lymphsäften
des Körpers anregen. Doch wissen wir, daß die Erhaltung und
Fortdauer dieser abscheidenden Tätigkeit abhängig ist von der
Entfernung des Sekrets und von einem nervösen reflektorischen
Vorgang, der durch die mit der Saugarbeit des Kindes an der
Brustwarze gesetzten Reize ausgelöst wird. Sobald das Sekret
der Brustdrüse gar nicht mehr oder zu wenig in Anspruch ge-
nommen wird, verändert sich sofort die Milch. Es treten von
neuem die anfangs reichlich vorhandenen Kolostrumkörperchen
auf, bewegliche Zellen, die sich mit den Bestandteilen der Milch
und den Fettröpfchen beladen und sie wieder in die Körper-
säfte zurückleiten. Ist dieser Rückbildungsprozeß einmal im
Gang, so dauert es auch nicht mehr lange bis zum völligen
Versiegen der spezifischen Tätigkeit der Brustdrüsen. Dagegen
wird diese angeregt durch das Saugen des Kindes; darum läßt
nicht selten spontan, wenn das Kind an eine Brust angelegt
wird, die andere Milch ausströmen. Könnte man das auch noch
auf eine reflektorische Kontraktion der Muskulatur der Milcb-
gänge und damit eine mehr mechanische Entleerung beziehen,
so zeigen doch die mit den Ammen an den Säuglingsanstalten
von Schloßman, Finkelstein u. a. gemachten Erfahrungen,
daß die Saugarbeit, überhaupt die gesteigerte Inanspruchnahme
die Milchproduktion fördert. Bei vielen Frauen läßt sich unter
guten Ernährungsverhältnissen durch systematisch geregeltes
Anlegen einer größeren Zahl von Kindern die Milchsekretion
weit über das gewöhnliche Maß von etwas über 1 Liter bis zu
über 4 Liter am Tag steigern. Auf gleiche Weise kann die
Stillfähigkeit durch andauernde und ausgiebige Beanspruchung
- 161 ^
fast beliebig lange weiter erhalten werden, wobei der Wieder*
eintritt der Menstraation keineswegs eine Störung hervorruft,
wie es bei neu eintretender Schwangerschaft häufiger der Fall
ist. Die Gefahr einer Überernährung an der Brust ist fast nur
bei Ammenernährung zu furchten, wenn die Förderung der
Milchsekretion schon Aber die Bedürfnisse des Säuglings hinaus«
gegangen ist und die Milch zu mühelos dem Kinde zuströmt.
Bei der eigenen Mutter reguliert der Nahrangsbedarf des Kindes
und damit dessen Saugen durch die direkte Beeinflußung der
Milchsekretion auch die Menge der Nahrung. Dazu muß sich
das kleine Kind aber selbst redlich bemühen, und so ist die
Arbeit als heilsamer Regulator schon an den Anfang des Lebens
gesetzt.
Bedenken wir, daß die Muttermilch für den Säugling uner-
setzlich ist, daß das Stillen die Kinder vor Nährschaden und
vor Krankheit am besten schätzt, und ziehen wir in Betracht,
daß man das alles schon lange weiß: so sollte man doch kaum
glauben, daß es noch viele Mütter geben könnte, die aus Leicht-
sinn, aus Eitelkeit in Sorge um die gute Figur oder um die
Gelegenheit zu Vergnügungen ihren Kindern dieses Schutzmittel
vorenthalten und sie den Schädlichkeiten künstlicher Ernährung
preisgeben. Allerdings schaffen sie sich dadurch selbst die
Ursache neuer Sorgen und Mühen und peinvoller Nächte. Es
mag wohl solche Mütter geben und ihre Scheu vor dem Stillen
mag auch begründet sein, wo man es auf Grund uralter irriger
Meinungen noch für nötig hält, die stillende Mutter mit einer
komplizierten und ihr wenig zusagenden Kostverordnung zu
behelligen. Dazu gesellt sich die meist übliche, unnötige und
für Brusttätigkeit wie Säugling unzweckmäßige Quälerei der
häufigen, etwa alle 2 Stunden Tag und Nacht wiederholten
Brustmahlzeiten. Belehrt man statt dessen die Mutter, daß sie
sich bei etwas vermehrter Flüssigkeitszufuhr im übrigen ganz
nach Geschmack und früherer Gewohnheit ausgiebig ernähren
darf, und daß für das Gedeihen des Kindes 5—6 ordentliche
Mahlzeiten in 24 Stunden mit langen Trinkpausen genügen, so
wird die Mutter sich schon leichter entschließen, ihren Ver-
pflichtungen gegen ihr Kind nachzukommen, und beide Teile
werden dabei am besten aufblühen.
Wir würden aber nicht das richtige treffen, wenn wir allein
äitKUSKsbericbte der m<>d.-phyti. Soz. »9 (11*07). 1 1
^ 162 -^
der Leichtfertigkeit der Mütter die Schuld an dem Bäckgang
des Stillens und damit den größten Teil der Schuld an der hohen
Säuglingsmortalität aufbürden wollten. Gerade hier in Erlangen
haben wenigstens in den unbemittelten Bevölkemngsschichten
die Mütter vielfach das ehrlichste Bestreben, ihre Kinder zu
stillen; oft trotz der ungünstigsten äußeren Verhältnisse, trotz
der durch den Arbeitszwang der Not gebotenen Einschränkung
in der Rücksicht auf die Pflege des Kindes. Von den ca. 90^ j^
der Mütter, die hier gleich nach der Geburt das Kind stillen
oder doch die löbliche Absicht dazu haben, halten aber nur
sehr wenige länger als einige Tage, höchstens wenige Wochen
bei dem Stillgeschäft aus. Die Schuld daran liegt am wenigsten
in der Dürftigkeit; am meisten in der Unkenntnis der Mütter
und vor allen Dingen in der verkehrten Beratung durch schlimme
Bekannte, durch Hebammen und Kinderfrauen und leider auch
unter Umständen der Ärzte. Als Gründe für das vorzeitige
Absetzen der Kinder werden dann angegeben: Milchmangel,
ungenügende Entwicklung der Brustwarzen, schlechte Beschaffen-
heit der Milch, die zu dünn oder zu fett sei und vom Kind
nicht vertragen werde^ Schwächlichkeit, Blutarmut, allerhand
Schmerzen und Beschwerden bei den Müttern. Aber so gut
wie niemals kann man finden, daß seitens der Berater alles
oder nur etwas getan worden wäre, um die Stichhaltigkeit
dieser Gründe zu prüfen, die Menge der Muttermilch durch
Wägnng des Kindes vor und nach dem Trinken zu bestimmen,
überhaupt die Entwicklung des Kindes durch Bestimmung des
Gewichts nur zu kontrollieren — kurz alles daran zu setzen,
daß die Muttermilch dem Kinde nicht ohne zwingende Not
entzogen wird. Das erfordert Ausdauer und Geduld auf allen
Seiten: die Mutter soll auch in den ersten Tagen, wenn alles
noch im Werden ist und gelernt werden muß, trotz ihres Schwäche-
zustandes ausharren, sollte auch das Kind nicht gleich die er-
sehnte Zunahme zeigen. Der Säugling muß lernen, das Seine
sich zu verschaffen. In der Saugarbeit soll er durch günstige
Haltung und jedes mögliche Entgegenkommen unterstützt werden,
aber nicht auf das erste Geschrei in seiner Bequemlichkeit, die
er, wenn er erst einmal die Behaglichkeit der häufigen Mahl-
zeiten und die Mühelosigkeit des Trinkens aus der Flasche
gekostet hat, so leichten Kaufs nicht wieder auffeibt Das Pflege-
^ im -
und Wartpersonal endlich soll bedenken, wie rascli das kostbare
6nt der mfitterlichen Brust verloren geht, wenn es niclit von
Anfang an nachhaltig und gründlich beansprucht wird. Auch
der Arzt soll trotz der mannigfachen zu überwindenden Schwierig-
keiten nicht wegen Schwächlichkeit der Mutter, geringer oder
unkontrollierbarer Beschwerden, kleiner Brustschäden und Unter-
ernährung des Kindes die Darreichung der Mutterbrust unter-
brechen, so lange man irgend noch hoffen kann, eine mütter-
liche Ernährung in Gang zu bringen. Nur ganz zwingende
Gründe, wie Tuberkulosegefahr, schwere Ernährungsstörungen
a. dgl., können ein Einhalten gebieten. Bei unermüdlicher Aus-
dauer ist oft noch nach langer, ja über Wochen hingeschleppter
Erwartung eine genügende Brustnahrung zu erzielen oder doch
ein Allaitement mixte, die Zwienahrung von Muttermilch mit
ergänzender künstlicher Beinahrung, die aber sorgfältigster
Überwachung seitens des Ai'ztes bedarf, wenn nicht schließlich
doch noch die künstliche Ernährung mit allen ihren Nachteilen
vorzeitig die Überhand gewinnen soll.
Wenn man nach manchen Äußerungen und Beobachtungen
aus der Praxis urteilen wollte, so sollte mai^ meinen, daß es
eine große Zahl von Mütteiii gebe, die überhaupt trotz leid-
lichen Allgemeinzustandes von Haus aus unfähig sind, ihre
Kinder zu stillen. Dem widersprechen aber die nun doch schon
ans einer größeren Zahl von gut geleiteten Säuglingsheimen
und Entbindungsanstalten von Finkelstein, Mesnil, Marfan
n.a. mitgeteilten Beobachtungen, nach denen man füglich annehmen
kann, daß es eine wirkliche Agalaktie kaum gibt. Fast ausnahms-
los kann, wenn auch zuweilen mühsamer und schwerer, jede Brust
so weit gefördert werden, daß sie zuletzt ganz oder doch teil-
weise die Ernährung des Kindes zu übernehmen vermag. Wie
viel in dieser Hinsicht durch energische Nachhilfe erreicht
werden kann, das zeigen Erfahrungen über die Stillfähigkeit
der Frauen in der Stuttgarter Hebammenschule: dort stellte
Herdegen im Jahre 1882 fest, daß von den in der Anstalt
entbundenen und nach der Geburt dort noch 12 Tage verweilenden
Frauen nur 23^/^ imstande waren, ihre Kinder zu stillen; eine
Zahl, die eine Hauptstütze bildete für die bekannten Anschauungen
Bunges über den zunehmenden Milchmangel der Frauen durch
Entartung. Im Jahr 1904 konnte Martin an der gleichen
11-
0/
. 0
Anstalt bei gleichgeartetem Material nachweisen, daß fast 100
der Frauen mit Erfolg ihr Kind an die Brust anlegten.
Das eine ist sicher: viele Frauen, die wohl dazu fähig
wären, stillen auch heute ihre Kinder nicht oder nicht lange
genug aus Mangel an Einsicht, aus Mangel an Ausdauer und
oft geradezu von ihrer Umgebung gegen den eigenen Willen
zur künstlichen Ernährung gedrängt, deren Nachteile sie dann
selbst, vor allem aber die Kinder zu tragen und zu b.Qßen
haben.
Die Meinung aber, daß die künstliche Ernährung bei dem
heutigen fortgeschrittenen Stande der Wissenschaft und Technik
die Muttermilch ersetzen und entbehrlich machen könne, darf
nicht Geltung bekommen und weiter Mütter und Pflegerinnen
verleiten.
Gerade die in den letzten Jahren gemachten Fortschritte
lassen die Kluft zwischen natürlicher und künstlicher bezw. un-
natürlicher Ernährung unüberbrückbar erscheinen. Viele Kinder
müssen, wenn ihnen die Mutterbrust A'ersagt bleibt, verderben
oder doch ernstlich erkranken, um so eher, je ungünstiger die
äußeren Verhältnisse sind, unter denen sie aufwachsen.
Immerhin lassen sich die Gefahren der künstlichen Er-
nährung einschränken, wenn man sie kennt. Da aber die Ver-
lassenen und Verwaisten unter den Säuglingen, die Unehelichen
und Kostkinder erst recht des Schutzes bedürfen, so muß durch
Aufklärung und Beihilfe eine Verbesserung der künstlichen Er-
nährung im weitesten Umfang angestrebt werden für alle, die
ihrer bedürfen.
Die größte Gefahr der Ersatznahrung liegt in der Möglich-
keit einer Verschleppung von Krankheitskeimen mit der Nahrung
in den kindlichen Körper. Vielfältig ist diese Möglichkeit ge-
boten beim Bereiten, Aufbewahren und Darreichen der Säug^
lingsnahrung. Das gilt insbesondere für das Hauptersatzmittel
der Muttermilch, die Kuhmilch. Nicht deren chemische Zusammen-
setzung mit ihrem höheren Kaseineiweißgehalt und geringereu
Fett-. Zucker- und Salzgehalt veranlaßt die größten Schäden.
Auch mit unverdünnter frischer Kuhmilch ohne Zusatz kann
man gesunde Kinder aufziehen, kranken aufhelfen. Die Zer-
setzungen der Milch durch Spaltpilze und ihr Gehalt an solchen
bringt den Kindern vor allem Unheil, ein Keimgehalt, der um so
— 165 —
rascher und höher steigt, je höher die Außentemperatar ist:
daher die große Kindersterblichkeit in den Sommermonaten.
Unzählig sind die Gelegenheiten zur Verunreinigung der Milch
in diesem Sinne auf dem langen Wege vom Euter der Kuh bis
znm Munde des Säuglings; und es kann nicht genug betont
werden, daß die gefährlichste Etappe auf diesem Wege bei der
Gewinnung des Rohmaterials, im Stalle liegt. Dort werden
von den Ausscheidungen des nicht selten erkrankten Tieres,
von den unreinen Händen der melkenden Personen, von schlecht
gereinigten Auffanggefäßen und von vielen anderen Brutstätten
her die Keime in der Milch versammelt. Sie werden sich um so
lebhafter in diesem vörtreiflichen Nährboden breit machen, je
länger es bis zur endgültigen Verwendung dauert Dann ist
die Milch durch die Lebenstätigkeit der Keime schon erheblich
verändert und zudem noch der Überbringer von gefährlichen
Krankheiten geworden, und die peinlichste Weiterverarbeitung
vermag den durch die primäre Stalleinsaat anfänglich gesetzten
Schaden nicht mehr ganz gut zu machen; auch die nachträg-
liche Sterilisation durch Kochen nicht. Theoretisch und technisch
ist das Problem der hygienischen Milchgewiunung unter Beobach-
tung größter Reinlichkeit und Kühlhaltung der Milch bis zum
Verbrauch längst gelöst. Praktisch kommt dieser Fortschritt
bisher nur sehr wenigen Glücklichen zugute.
Auch eine frische Kuhmilch hat fermentative Eigenschaften,
die beim Kochen allerdings vernichtet werden. Aber sie bietet
diese dem Säugling nicht zum Vorteil, er kann die lebenden
Eigenschaften der artfremden Nahrung nur zum geringsten Teil
ausnützen. So geht nach den Untersuchungen Salges das
Diphtherieantitoxin wohl aus der Muttermilch, nicht aber aus
der Kuhmilch in die Säfte des Säuglings über. Neben den von
den Bakterien in der Milch erzeugten Giften und den Einwirkungen
der auch nach dem Kochen in ihr verbleibenden Bakterienleiber
machen sich die artfremden Eigenschaften der in der Kuhmilch
enthaltenen Eiweißstoife als unnatürliche Beize in dem empfind-
lichen Darm des Säuglings geltend. Sie machen das Kind krank
oder erhöhen doch seine Verdauungsarbeit. Darin liegt die
Quelle zu weiteren Nachteilen, die sich oft in der Art eines
Circulus vitiosus entwickeln: das künstlich ernährte Kind ist
unruhiger, schreit viel, vermehrt damit seinen Energieverbrauch
— 16« -
und die Wasserabgabe. Die natürliche Folge ist ein gesteigertes
NahrangsbedOrfnis, das in der Regel von den besorgten Ange-
hörigen nur zu rasch wieder mit reichlicherer Zufuhr der un-
zweckmäßigen Nahiiing befriedigt wird. Aus solcher schneller
Berücksichtigung der ungeberdigen Wünsche des schon leidenden
Kindes geht eine dann immer mehr steigende Überfüllung des
Verdauungskanals mit steigender Zersetzung seines Inhalts her-
vor. Bald folgt ein yölliges Versagen der Darmtätigkeit, der
Beginn langdauernder Leiden. Es ist nicht leicht, unter diesen
Umständen die richtige Beschränkung in der Nahiiingszufuhr
einzuhalten.
Im täglichen Leben ist das Endprodukt aller Bemühungen
bei der künstlichen Ernährung nur zu oft die Überfütterung
des Kindes, die keines weges nur in den begüterten Familien
vorkommt, sondern quantitativ bei freilich meist qualitativ recht
fragwürdiger Beschaffenheit der Nahrung auch in den ärmsten
Kreisen die Regel bildet.
Fast mehr noch als durch die Sterilisation der Milch hat
sich das Soxhletsche Verfahren da nutzbringend erwiesen,
weil es durch die leicht zu überwachende und schematisch durch-
führbare Einteilung des Tagesquantums in einzelne Portionen
dem Übermaß der Zufuhr an Nahrung zu steuern vermag.
Auch bei scheinbar gut genährten Kindern bleibt der
Schaden der Übeifütterung in den späteren Lebensmonaten
nicht aus und zeigt sich in träger Darmtätigkeit, mangelhafter
Knochenentwicklung, in ungenügender Blutbildung mit den
berüchtigten Störangen zur Zeit der Zahnungsperiode, von denen
schon der römische Schriftsteller Celsus schreibt, daß Ver-
schwärungen des Zahnfleischs, Fieber, klonische Krämpfe und
Durchfälle am meisten die sehr stark genährten und zur Ver-
stopfung neigenden Kinder betreffen.
Dieser Gefahr des quantitativen Übermaßes entgeht man
auch nicht bei Anwendung der besten Nährpräparate. Diese
seitens der chemischen Industrie in ihrer Zusammensetzung nach
den bei der Brustnahmng gewonnenen Erfahrungen hergestellten
und dem Energiebedarf des Säuglings angepaßten Kindermehle
trifft jedoch nicht der Vorwurf der einseitigen und darum un-
zweckmäßigen eiweißarmen Nahrung, wie er mit Recht gegen
die in Bayern vielfach noch übliche Methode das Meblmus-
— 167 —
Aufpäppelns erhobeu wird. Auch haben die meisten künstlichen
Präpai'ate bei vorsichtiger und reinlicher Verwendung vor der
in der Regel zur Verfügung stehenden Marktmilch den Voi*zug
relativer Keimfreiheit.
Nicht unerwähnt soll aber bleiben, daß sich die Kuhmilch
nach neueren Untersuchungen für eine nicht geringe Zahl von
Kindern direkt als giftig erweist: so in den häufigen Fällen von
sogen, spasmophiler Diathese. Diese äußert sich allgemein
in einer erhöhten Erregbarkeit des gesamten Nervensystems,
klinisch in der nachweisbar gesteigerten elektrischen und mecha-
nischen Erregbarkeit der Nerven und Muskeln, in Anfällen
von Kehlkopfkrampf und in eklamptischen Krampfzuständen.
In diesen Fällen geht fast regelmäßig die Erregbarkeitssteige-
rung genau parallel mit der Kuhmilchfütterung, und sie sinkt
ab zu normalen Verhältnissen bei Brustnahrung oder bei Mehl-
fütterung. Nicht so sehr selten hat schon «in Kind den Ver-
such, bei mangelnder Muttermilch die ungenügende Mehlkost
durch Kuhmilchzusatz wieder zu verbessern, unmittelbar mit
einem tödlichen Krampfanfall büßen müssen. Pjine andere Krank-
heit ist hier anzureihen, die auch bei vorsichtiger künstlicher
Ernährung, besonders mit sterilisierter Milch, darum meist in
wohlhabenden Kreisen, aber nie bei Brustkindern vorkommt:
die skorbutähnliche Barlowsche Krankheit. Sie ist charakteri-
siert durch anämische Erscheinungen, durch das Auftreten von
Haut-, Schleimhaut- und Beinhautblutungen und durch eigen-
artige Störungen des Knochenwachstums. Sie hat zwar viele
Todesopfer schon gefordert, glücklicherweise kann sie aber,
wenn rechtzeitig erkannt, durch eine entsprechende Kostände-
rnng zur Heilung gebracht werden.
Überblicken wir so an wenigen aus der Fülle der Schäd-
lichkeiten herausgegriffenen Beispielen die Gefahren, die das
Kind in den ersten Monaten bedrohen, so erkennen wir, daß
es unmöglich genügen kann, wenn der Arzt allein bei seinen
Klienten durch Rat und Hilfe tätig ist, an der Verbesserung
der Säuglingsfürsorge zur Verminderung der Säuglingssterblich-
keit zu arbeiten. Behörden und Gemeinwesen müssen zur Mit-
arbeit aufgerufen werden und die Gesamtheit muß ermuntert
werden zur Beihilfe an dem Werk, das der Gesamtheit, dem
Volkswohl zugute kommt.
— 1(3« -
Vor allem gilt es, die Vorurteile und irrigen Meinungen
zu beseitigen, so weit sie einer zweckmäßigen Säuglingspflege
direkt im Wege stehen. Das kann am besten durch die Be-
lehrung derjenigen Kreise geschehen, die am nächsten bei der
Einderpflege beteiligt sind und die erfabinngsgemäß einen großen
Einfluß auf die Mütter haben. Nächst den Ärzten selbst, denen
mehr und mehr Gelegenheit zur Beobachtung einwandsfreier
Säuglingspflege und Ernährung mit Einschluß der natürlichen
Ernährung geboten werden muß, kommen die Hebammen in
Betracht. Sie wei*den gewiß am häufigsten und zuerst bei un-
gestöitem Befinden des Kindes, aber auch in Krankheitsfällen
von der Mutter um Rat gefragt. Im Hebammenunterricht bietet
sich Gelegenheit, den gerade unter ihnen verbreiteten irrigen
Meinungen über Stillfähigkeit, Entwöhnung und die Beziehungen
zwischen Laktation und Wohlbefinden der Mutter vorbauend
mit Nachdruck entgegenzutreten. Kinderpflegerinnen und nicht
minder die mit der Beaufsichtigung der Kostkinder betrauten
freiwilligen Helferinnen sollten die Befähigung für das verant-
wortungsvolle Amt erst durch eine geeignete Vorbildung in
Säuglingsheimen moderner Art, mindestens in einem der Be-
deutung der Frage angemessenen ärztlichen Unterricht erwerben
und erweisen. Für die Mütter und Pflegemütter wird der Be-
such der auch zu praktischen Unterweisungen eingerichteten
Beratungsstellen unter ärztlicher Leitung nach Art der
französischen Cousultations von Vorteil sein. Es wäre nur
zu begrüßen, wenn von Seiten der polizeilichen Überwachung
der Kostkinder deren Vorführung vor die als Berater berufeneu
Ärzte in bestimmten Zeiträumen überall erzwungen und kon-
trolliert würde. Auf diese Weise würde allmählich der Erfolg
auch die zaudernd zurückbleibenden Kreise zur Mitarbeit an-
regen. Was von Staatswegen den mutterlosen armen Kindern
erwiesen würde, das würden die Besitzenden auch ihren Kindern
nicht vorenthalten wollen : die auch bei den geringsten Unstimmig-
keiten nötige ärztliche Beratung. Die Fürsorge für die notdürftigen
Wöchnerinnen, die heute noch vielfach wenig mehr als eine
Woche nach der Entbindung ins Erwerbsleben treten müssen,
wird freilich noch auf lange Zeit der privaten Wohltätigkeit
überlassen bleiben, die jetzt schon, wenn auch nur in einigen
größeren Städten, Säuglings-, Mütter- und Wöchnerinnenheime
- Iß9 -
zur Erfüllung dieser Aufgabe eröfiuet hat. Krankenkassen und
Versicherungskassen werden mehr noch als bisher Einrichtungen
schaffen können^ die der Mutter, so lange sie ihr Kind stillen
muß, die notwendige Befreiung von der Arbeit ohne fühlbaren
Entgang an Verdienst gewähren. Fünf tägliche Mahlzeiten an
der Mutterbrust lassen sich für den Säugling recht gut bei einer
beschränkten Arbeitsleistung der Mutter durchführen, zumal
wenn dabei die Ernährung der Mutter eine Unterstützung findet.
So lange die Neigung zum Stillen noch eine so wenig aus-
dauernde ist wie in unseren Gegenden, werden zweifellos
Stillprämien an die Mütter Gutes schaffen, aber auch hier
wie bei allen derartigen Maßregeln wird man, wenn wirklich
mehr als ein Scheinerfolg erzielt werden soll, der ärztlichen
Obhut nicht en traten können. Es ist selbstverständlich, daß^
dabei auch der Fürsorge für die kranken Kinder gedacht
werden muß, von denen viele noch bei rechtzeitigem Eingreifen
and bei sorgsamer klinischer Behandlung gerettet und zu voller
Gesundheit durchgebracht werden können. Als ein nachahmens-
wertes Beispiel können in dieser Hinsicht die in Ungarn durch
Gesetz vom Jahr 1898 getroffenen staatlichen Einrichtungen
gelten, wo jedes Kind, das hilfsbedürftig ist oder von den An-
gehörigen nicht versorgt werden kann, ein Recht auf öffentliche
Hilfe in Kinderasylen oder ärztlich organisierter und überwachter
Außenpflege hat, und wo man es gewagt hat, die dadurch an-
fallenden Kosten durch eine allgemeine Zusatzsteuer aufzubringen.
Sorgt mau so für eine verständige Pflege und Belehrung
der Mütter, so braucht man nicht zu befürchten, daß der Eifer
zu natürlicher Säuglingsernährung nachläßt, wenn gleichzeitig
Einrichtungen dafür getroffen werden, daß die künstliche Er-
nährung der unbedingt darauf angewiesenen Kinder so gehand-
habt wird, wie es nach hygienischen Regeln geboten ist. Dazu
gehört vor allem die Beschaffung einer eiwandsfreien Kinder-
milch. Sie ist nur möglich in Stallungen, die von Grund aus
darauf eingerichtet sind. Auch darin sind gioße Städte mit
ihren ganz nach modernen Prinzipien eingerichteten Molkereien
mit Kühlanlagen, Filtern und geschultem Personal vor den
kleineren Gemeinden sehr im Vorteil. Wo nicht ohne weiteres
erwartet werden darf, daß der Absatz dem Produzenten die
verhältnismäßig großen Kosten der Erzeugung einer tadellosen
- 170 -
Kindermilch einbringt, da bleibt es in der Eegel — wie auch
hier — bei dem alten Brauch, daß die Milch aus unreiner
Stallung auch in der Sommerhitze ohne Vorkühlung und ohne
Eis auf dem Wagen weither über Land als ein mehr oder
weniger verseuchtes und verdorbenes Präparat zum Verkauf
gebracht wird. Gemeinnützige Einrichtungen, Gemeinde und
Wohltätigkeitsvereine werden da zugunsten der Bedürftigen
erst die Grundlagen beschaffen müssen zur Gewinnung einer
möglichst unschädlichen Kindermilch, die nach ärztlicher Kon-
trolle gegen erhöhten Preis an die Wohlhabenden, unentgeltlich
oder zu ermäßigten Preisen an die Bedürftigen abgegeben
werden kann. Für die Verteilung der richtigen Mischungen
in abgemesseneu Einzelportionen, wiederum nach ärztlicher
Verordnung, sorgen manchenorts schon die Stadtverwaltungen,
wie in Halle, Straßburg, Köln u. a. Anderwärts haben private
Unternehmungen oder klinische Anstalten Milchküchen geschaffen.
Die Lieferung gebrauchsfertig gemischter Portionsflascben
ist deshalb nötig, weil auch die beste und kostbai^ste Milch
natürlich durch nachträgliche unzweckmäßige Aufbewahrung
und Behandlung noch verdorben werden kann.
La Peyroux hat gegen die ähnlichen Einrichtungen der
Gouttes de lait in Frankreich den Einwand erhoben, daß die
Gratismilch Verteilung geradezu einer Belohnung des Nichtstillens
gleichkomme. Das kann doch nur da Geltung haben, wo man
wahllos die Milch verteilt. Gerade die Vergünstigung der Ab-
gabe eines besseren Präparates zu geringerem Preis gibt Recht
und Möglichkeit zu schärferer Überwachung der Verwendung.
Zudem ist gar nicht daran zu denken, daß die Brustkinderzahl
erhöht werden könnte, wenn man den Müttern die gute Kinder-
milch vorenthält, die schon für die Zeit der Entwöhnung und
für die Kinder im zweiten Halbjahr nach der Geburt unbedingt
erforderlich ist.
Was gegen den Ausfall der Ernährung an der Mutterbriist
geschehen kann, das muß die Aufklärung, und unermüdliche
Ermunterung, die soziale Fürsorge für die Armen, eine ver-
nünftige Diätetik der zum Stillen geneigten Frauen, ernste Er-
mahnung in Fällen von Tod und Krankheit bei Säuglingen und
nicht zum mindesten das Beispiel und der Erfolg der ver-
ständigen Mütter leisten!
— 171 -
Sie sehen, groß ist der Schaden, aber mannigfach sind anch
die Wege und Mittel, ihn abzuräumen. Wenn auch vieles noch
der Erforschung und Aufklärung bedarf, es ist genug Anlaß
und Gelegenheit zum Einsetzen der praktischen Arbeit da. Und
die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit scheint mir ein Werk
zu sein nicht unwürdig dessen, daß wir es dem Protektorat
und der Führung der Alma mater anheimgeben, die allzeit
bestrebt war, das Beste zu erforschen und zu betätigen, der
Universitas litterarum.
Erscheinungen bei der Elektrolyse von
Wismutsalzlösungen.
Nach Versuchen von L. Birckenbach^) und E. Bilnz^).
Mitgeteilt von A. Gutbier.
Aus dem chemischen Laboratorium der Universität Erlangen.
Gelegentlich der elektrolytischen Abscheidung von reinem,
zu Atomgewichtsbestimmungen zu verwendenden Wismut wurde
beobachtet, daß sich die Anode beim Beginne der Elektrolyse
mit einem bronzefarbigen Beschläge bedeckte, von welchem
sich bald kleine, glänzende Blättchen loslösten und auf dem
Boden des Gefäßes ansammelten, während sich auf der Kathode
metallisches Wismut in schönen Kristallen abschied; im weiteren
Verlaufe der Elektrolyse verschwand der anodische Beschlag
und die losgelösten Teilchen wurden von der Flüssigkeit wieder
aufgenommen.
Eine derartige Beobachtung ist an und für sich nicht neu:
schon Schucht*), Classen und Reiß*), Classen^), Deich-
ler®), Wimmenauer'^), Brunck^), Luckow**) u. a. haben
über ähnliche Erscheinungen bereits berichtet. - Da aber alle
früheren Arbeiten lediglich dem Auffinden einer Methode zur
elektrolytischen Wismutbestimmung — bekanntlich hat erst
Brunck ein brauchbares Verfahren hierzu geschaffen — , bezw.
*) Vgl. dessen Dissertation, Erlangen 1905, S. 34 ff.
-) Vgl. dessen Dissertation, Erlangen 1905, S. 165 ff.
») Berg- u. Hüttenm.-Ztg. 39, 121. 1880.
*) Ber. 14, 1626. 1881.
*) Ber. 23, 951. 1890.
•) Z. anorg. Chem. 20, 117. 1899.
') Z. anorg. Chemie 27, 1. 1901.
•) Ber. 35, 1871. 1902.
•) Dingl. pol. J. 1865, 2:U.
_-_ 173 --
zur Trennung des Wismuts von anderen Metallen gewidmet
waren, wurde die anodiscbe Abscheidung als höchst unan*
genehme Nebenerscheinung angesehen; ohne daß man die ent-
stehenden Produkte einer näheren Untersuchung ffir wert hielt,
suchte man vielmehr ihre Bildung nach Möglichkeit zu ver-
hindern. •
Da Schucht den anodischen Beschlag als „gelbe Wis-
mutsäure'' bezeichnet hatte, während man später dafür immer den
Namen „ Wismutperoxyd ** findet, und da Deichler, welcher
zum ersten Male ein derartiges Produkt analysiert hat, den
Beschlag für „wasserfreies Wismuttetroxyd" hält^), haben wir
im Verfolge unserer Studien über die Peroxyde des Wismuts^)
eine eingehendere Untersuchung über diese Erscheinungen an-
gestellt. Die erhaltenen Resultate mögen hier in aller Kürze
mitgeteilt werden^).
a) Mit einer in 100 ccm 10 g reinstes Wismut und 20 g
freie Salpetersäure enthaltenden Lösung konnte unter Anwendung
zweier Elektroden von Platinblech — mit einer Gesamtober-
fläche von je 20 qcm — bei den verschiedensten Stromdichten
und bei verschiedenen Temperaturen kein anodischer Beschlag
hervorgerufen werden.
b) Unter Verwendung einer Lösung von 20 g Wismut in
200 ccm Salpetersäure vom spezifischen Gewicht 1,4, die mit
Wasser, das in 2 1 300 ccm konzentriertes Ammoniak ent-
hielt, auf 1500 ccm verdünnt war, bedeckte sich die Anode bei
Einschaltung eines Stromes von 1,0 bis 1,5-* Amp/qcm mit
einem rötlich gefärbten, glänzenden, festhaftenden Beschläge,
der jedoch, ohne daß sich einzelne Teilchen losgelöst hätten,
bald wieder verschwand und sich auch bei weiter fortgesetzter
Elektrolyse nicht wieder bildete.
c) Da die Gegenwart von Ammoniumsalzen sowie eine
nicht allzu starke Salpetersäure die Bildung des Beschlages zu
>) Merkwürdigerweise hat Lorch (Inaugaraldissertation, MüDchen
1903) trotz aUer Bemübungen bei der Elektrolyse von V^isinutsalzlösnngen
weder in saurer, noch in alkalischer Lösung einen Beschlag auf der
Anode erhalten.
=) Vgl. A. Outbier u. R. Bünz. Z. anorg. Chem. 48, 162 und
294. )90ö; 49, 432. 1906; 50 210. 1906; 52, 124. 1906.
') Die ausführliche Schilderung der Versuche findet man in den
Dissertütionen meiner Mitarbeiter.
— 174 -
begünstigen schien, wählten wir diejenigen Arbeitsbedingungen,
welche uns zuerst den Beschlag geliefert hatten.
Eine Lösung von 40 g reinem Wismut in 100 com
65^/oiger Salpetersäure wurde mit verdünntem Ammoniak bis
zur Abscheidung eines geringen Niederschlages, der sofort
wieder durch einige Tropfen Salpetersäure gelöst wurde, ver-
setzt und, mit 50 ccra Salpetersäure und etwas Wasser ver-
mischt, bei 40^ bis 50® der Elektrolyse unterworfen. Sofort
nach Einschaltung eines Stromes von 1,2 bis 1,5-* Amp/qcm
und bei einer Spannung von 2,5 bis 3 Volt trat die anodische
Abscheidung auf; der Beschlag löste sich bald ab und sammelte
sich am Boden des Qefäßes.
Als sich die Menge des Produktes nicht mehr zu ver-
mehren, sondern augenscheinlich zu verringein schien, wurde
der Strom unterbrochen, die Flüssigkeit nach Entfernung der
Elektroden abgegossen und das Reaktionsprodukt mit Salpeter-
säure von zunehmender Verdünnung ausgewaschen; als die letzten,
anhängenden Spuren von Salpetersäure mit einigen Tropfen Wasser
von gewöhnlicher Temperatur entfernt werden sollten, verschwand
der metallische Glanz und die charakteristische Form der Blätt-
chen, so daß schließlich eine geringe Menge eines durchaus
amorphen, hellbraun gefärbten Pulvers vorlag.
Zu einer quantitativen Untersuchung reichte die Menge
nicht aus, doch konnten wir nachweisen, daß ein Peroxyd vor-
lag, denn das salpetersäurefreie Präparat entwickelte beim Be-
feuchten mit Salzsäure Chlor ^); die Prüfung auf Blei fiel, wie
bei allen anderen darauf untersuchten Präparaten, negativ aus.
d) Um eine bessere und womöglich vollständige Trennung
des kathodisch niedergeschlagenen Wismuts von dem anodischen
Beschläge zu erzielen, führten wir eine neue Elektrolyse unter
den bei c) angegebenen Bedingungen aus, umgaben aber die
Kathode mit einem Tondiaphragma.
Tatsächlich resultierte eine größere Menge des Beschlages,
der wieder mit Salpetersäure von zunehmender Verdünnung und
^) Allerdings löste es sich in der Salzsäure beim £rwärmen nicht
vollständig auf, sondern es blieb eine geringe Menge von metallischem
Wismut zurück; diese, später nie wieder beobachtete Erscheinung ist
darauf zurückzuführen, daß sich beim Herausnehmen der Elekti'oden eine
Spur von metallischem Wismut von der Kathode abgelöst hatte.
— 175 -
schießlich mit etwas Wasser ausgewaschen und im Vakuum
ttber Phosphorpentoxyd getrocknet wurde.
Die Analyse der Substanz — es wurden 0,75 g erhalten
— ergab:
0,2490 g: 8,9 ccm n/lO-Na^S^Oa = 2,86 <>/o akt. 0.
0,2322 g: 0,2253 g Bi^ = 97,03 «/o BijOg.
e) Die unter den gleichen Bedingungen erfolgte Wieder-
holung des Versuches lieferte in einer Ausbeute von 0,6 g ein
hellbraun gefärbtes Reaktionsprodukt, dessen Analyse folgende
Zahlen ergab:
0,1206 g: 3,0 ccm n/lO-Na^S^Oj = 1,93 «/o akt. 0.
0,1161 g: 0,1137 g Bi^Og = 97,93 V^ Bi^O«.
0,1000 g: 2,5 ccm n/lO-Na^S^Og = 2,00 «/o akt. 0.
Die so entstandenen Peroxyde waren, was sehr wichtig
ist, bleifrei; sie enthalten keine Stickstoffverbindungen, aber
wohl einen geringen Oehalt an Wasser; dessen Menge war
aber so gering, daß wir zu einer quantitativen Bestimmung
sicher die zehnfache Menge der Substanz, welche wir bei den
Versuchen im ganzen erhielten, hätten anwenden müssen.
Tatsächlich entstehen also unter den von uns gewählten
Bedingungen Wismutperoxyde, wie sie auch Deichler im
Gegensatze zu Lorch bereits erhalten hat; nur scheint es uns,
als seien diese Produkte nicht ganz so gleichmäßig zusammen-
gesetzt wie das von Deich 1er erhaltene. Charakteristisch ist
für das auf elektrolytischem Wege erhaltene Peroxyd seine
Löslichkeit in verdünnter Salpetersäure.
Wenn wir auch sonst die von De ich 1er gegebene Schilde-
rung bestätigen können, so vermögen wir uns doch seiner An-
sicht, daß diese Produkte „wasserfreies Wismuttetroxyd" dar-
stellen, nicht anzuschließen.
Ober die Bildung des Formensystems der ternären
biquadratischen Form.
Von Emmy Noether.
(Auszug: aus der DiBsertation der Verfasserin.)
Mit dem Formensystem der ternären biquadratischen
Form beschäftigen sich Arbeiten von Gordan, Maisano und
Pascal^). Herr Gordan stellt das vollständige, aus 54 Bil-
dungen bestehende, Formensystem der speziellen automorphen
Form: f = Xi'Xj-|-X2% + X3*Xi «nter Zugrundelegung ähn-
licher Prinzipien auf, wie er sie fiir die Formensysteme im
binären Gebiet gegeben hat.
Bei Herrn Maisano sind für die allgemeine biquadratische
Form die i'ormen bis zur 5. Ordnung*) einschließlich aufge-
stellt, sowie einige Invarianten, Kovarianten und Kontravari-
anten höherer Ordnung, nach der von Herrn Gordan in Band I
der Math. Annalen für die ternäre kubische Form angewandten
Methode. Herr Pascal beschäftigt sich, unter Benützung der
*) P. Gordan, Ober das volle Formensystem der ternären biqua-
dratiachen Form f = x^'x, -f x^'x, + x,»Xj (Math. Annalen Bd. XVII, S. 217
bis 233. 1880); G. Maisano, 1. Sistemi com^leti dei primi cioqne gradi
della forma ternaria biquadratica e degF inyarianti, covarianti e cootra-
varianti di sesto grado (Giom. di Battaglini XIX). 2. Sui covarianti in-
dipendenti di (n^ grado nei coefficienti della forma biquadratica ternaria
(Rend. Giro. Mat. di Palermo I. 1887); £. Pascal, Gontributo aUa teoria
della forma ternaria biquadratica e delle sue varie decomposizioni in
fattori (Memoria premiata dalla R. Accademia delle scienze fisiche e mate-
matiche di Napoli. 1905).
^) Unter „Ordnung"" soll die Dimension in den Koeffizienten, unter
-Grad** die in den Variablen verstanden werden.
- 177 -
Mais an 0 sehen Resultate hauptsächlich mit der Frage nach
dem Zerfallen der biquadratischen Form in Faktoren^).
Das Ziel meiner Untersuchungen ist die Auf-
stellung des Formensystems für die allgemeine ter-
näre biquadratische Form; und zwar werden zunächst
nnr die Hauptgrundlagen gegeben, ein sogenanntes
^relativ vollständiges System"*) aufgestellt.
Der Grundgedanke der Systembildung temärer Formen ist
dei*selbe wie im binären Gebiet. Ausgehend von einem ersten
relativ vollständigen System — dem System der aus dem
Binären übernommenen Formen — gelangt man nach be-
stimmter Gesetzmäßigkeit zu Systemen mit immer höherem
Modul, solange bis das System eines Moduls — der Modul als
Grundform genommen — endlich und bekannt wird, oder auch
bis ein Modul sich reduzieren läßt auf Formen, die Invarianten
znm Faktor haben. Durch Überschiebung des relativ voll-
ständigen Systems über das System des Moduls entsteht im
ersten Fall das absolut vollständige System, während im zweiten
Fall relativ vollständiges und absolut vollständiges System
identisch werden. Infolge der durch Herrn Hilbert allgemein
bewiesenen Endlichkeit der Formensysteme muß dies Verfahren
notwendig zu einem Abschluß führen.
In unserm Fall läßt sich der Modul (abc) des ersten
relativ vollständigen Systems zurückführen auf die Moduln
J =: (abc)*a3t*bx*Cx* undy = (abu)*; daraus ergibt sich leicht
das relativ vollständige System mod v. Als Reihe der Moduln
wählen wir nun die Formen: v; v(v) = {vv{jiy = Sx*,
^) In der zweiten kurzen Note versucht Herr Mais an o eine lineare
Abhängigkeit der 3 Kovarianten 6. Ordnung und 6. Grades nachzu-
weisen. Im Gegensatz zu diesem nicht ganz vollständigen Beweis glaubt
Herr Pascal die lineare Unabhängigkeit der 3 Kovarianten 6. Ordnung,
ebenso wie diejenige der 3 Invarianten 9. Ordnung bewiesen zu haben. Daß
aber in der Tat eine lineare Relation zwischen den 3 Kovarianten einer-
seits, den 3 Invarianten andererseits existiert, hat sich im Laufe meiner
Bechnungen ergeben; und zwar lauten die expliziten Formeln in der Be-
zeichnungsweise Pascal's:
0 = 20^1+ 6ß,— 3Ö, + 4f. Cj-12f-C,— 4A:^.
0=:4A»— löA-B + SOC-SOD + SE.
') Fttr die Bezeichnung vgl Gor dan-Kers ebenste in er, Vor*
lesungen über Invariantentheorie, Bd. II, S. 227.
8ltBiiosib«riohte der phyi.-iiMd. Sox. 89 (1907). ]^2
s^l'u^u"
X X a T
s,t, u„u.
8x«a
resp. durch (stu) (orx)
%
Faltung I n
- 178 —
v(s) it= (s8*u)* . . : und adjungieren als weitere Moduln zwei
bei der Bildung des relativ vollständigen Systems mod s auf*
tretende quadratische Formen, u^^ und t^^ Es läßt sich dann
zeigen, daß der auf s folgende Modul (ss'u)* reduzibel ist auf
den Modul (^, t). Da aber das simultane System zweier qua«
dratischer Formen endlich und bekannt ist, ist damit der oben
gekennzeichnete Abschluß erreicht. Als relativ vollständiges
System mod {q, t) ergeben sich 331 Bildungen. —
Noch mache ich einige Angaben bezüglich der angewandten
Methode.
Der Grundprozeß zur Erzeugung von Formen, der ITäl-
tungsprozeß, läßt sich im ternären Gebiet folgendermaßen
definieren:
Ersetzt man in einem symbolischen Produkt
die Faktorenpaare
oder s^u^ t^u^ oder t^u^
oder s, t, oder t^
ni IV
ao sind die entstehenden Formen durch Faltung aus der ur-
sprfinglichen hervorgegangen^).
Dabei kann noch stets: s^ = o; t, = o gesetzt werden.
Für den Zusammenhang der einzelnen Faltungen gilt da-
bei der Satz:
Die Faltungen I und II sind Grundfaltungen, aus
denen sich, unabhängig von der Beihenfolge der Zn-
sammensetzung, die Faltungen III und IV zusammen-
setzen lassen. In anderen Worten: Um alle aus einem
gegebenen Ausdruck durch Faltung entstehenden
Formen zu bilden, hat mau nur die Faltungen lundll
anzuwenden*).
Als „Formen reihe "definieren wir eine Anfangsform mit
allen durch Faltung in sich aus dieser hervorgehenden Formen.
Nach dem Satze läßt sich eine Formenreihe s" t\^nl in ein
rechteckiges Schema anordnen. Man erhält beim Fortschreiten:
*) Gordarn; Math. ' Annalen, Bch XVII, S. il9.
*) Eine Ausnahme erieidet der Satziln idem Fall, wo n und /i, resp.
m und V gleichzeitig verschwinden ; die „ Formenreihe " rednstert sich
dann auf das Diagonalglied.
- 179 —
1. uro eine Kolonne nach rechts, alle darch Faltung I aus
den nebenstehenden Formen entstehenden Formen,
2. am eine Zeile nach unten, alle dnrch Faltung n aus
den obenstehenden Formen entstehenden Formen, und
somit alle durch Faltung entstehenden Formen.
Unter diesen Voraussetzungen lassen sich die Sätze Aber Be-
dnzenten in ihrer allgemeinsten Form und unter der Definition
„Ein Beduzent ist eine reduzible Formenreihe^
so aussprechen:
Ist die Anfangsform einer Formenreihe re-
duzibel dadurch, daß eines ihrer Glieder durch
Faltung mit einem Beduzenten hervorgegangen
ist, und ist die Schlußform der Formenreihe aus
eben diesem Glied durch Faltung entstanden, so
ist die Gesamtformenreihe reduzibel.
Als weitere Beduktionsmethoden sind zu nennen:
1. Die sogenannte „doppelte Beduktion^; d. h. die Be-
duktion einer Form auf doppelte Art zur Erzielung
einer Belation zwischen den höheren Formen,
2. die „Faltung mit zerfallenden Formen^, die teilweise
den Charakter der Beduktion durch Beduzenten, teil-
weise den der „doppelten Beduktion" zeigt.
12*
Ober das Atomgewicht des Palladiums.
Von Paul Haas.
Aus dem chemischen Laboratorium der Universität Erlangen.
Einleitung.
Obwohl in letzter Zeit, wie wir später sehen werden,
mehrere Neubestimmangen des Atomgewichts von Palladiam
aasgeführt worden sind^ ist diese wichtige Konstante bisher
doch noch nicht mit genügender Sicherheit festgelegt.
Die nachfolgende Experimentalantersuchung stellt sich die
Aufgabe, zur exakten Ermittlung dieser Eonstante beizutragen.
Ehe ich auf die Beschreibung meiner Versuche eingehe,
möchte ich die wichtigsten Methoden erwähnen, vermittels welcher
das Palladium aus dem Platinerze rein erhalten werden kann.
V. Schneider^) empfiehlt folgendes Verfahren. Die Lösung
der Platinmetalle in Königswasser wird längere Zeit mit einem
bedeutenden Überschuß von Ätznatron gekocht, wodurch alle
höheren Chloride der Platinmetalle mit Ausnahme des Platins
selbst in niedere Chloride übergeführt werden. Man säuert mit
Salzsäure an, fällt mit Salmiak den größten Teil des Platins
aus, und scheidet aus dem siedendheißen Filtrat die übrigen
Platinmetalle durch Einstellen eines Kupferblechs ab. Nachdem
man durch Behandeln mit Salpetersäure aus dem Metallpulver
Palladium und Kupfer gelöst hat, wird das erstere durch Schütteln
mit Quecksilber aus der Lösung entfernt.
Bunsen^) verfährt auf folgende Weise. Die durch Eisen
niedergeschlagenen Platinmetalle glüht er mit Chlorammonium
im hessischen Tiegel und dampft dann das Produkt mit dem
zwei- bis dreifachen Gewichte roher Salpetersäure bis zur
Syrupkonsistenz ein; aus der Lösung, die Platin als Chlorid,
Palladium als Chlorür enthält, fällt er Kaliumhexachoro-
platineat. In das Filtrat leitet er Chlor bis zur Sättigung
») Lieb. Ann. Suppl. 5 (1867), 264.
«) Lieb. Ann. 146 (1868), 265.
— 181 —
ein, wodurch das Palladium als zinnoberroter Niederschlag
abgeschieden wird, der noch mit geringen Mengen Ton
Platin-, Rhodium- und Iridinmdoppelsalz gemengt ist, daher in
in siedendem Wasser gelöst, mit Oxalsäure eingedampft und
wieder mit Ghlorkaliumlösuug aufgenommen wird, wobei fast
reines Platinsalz zurQckbleibt. Aus dem braunen Filtrat kristalli-
siert zunächst Kalium tetrachloi-palladoat; der größte Teil des
Palladiums bleibt in Lösung und wird nach Entfernung von
kleinen Mengen Eisen und Kupfer mittels Natronlauge durch
vorsichtige Fällung mit Jodkalium als schwarzes Palladojodid
niedergeschlagen. Der Niederschlag hinterläßt beim Erhitzen
im Wasserstoffstrom grauschwarzen, reinen Palladiumschwamm.
Boeßler^) fällt aus der mit Chlor gesättigten Lösung der
Metalle Platin und Palladium gemeinschaftlich durch Kalium-
chlorid aus. Nach Reduktion der Chlorosalze im Wasserstoff-
strom wird durch Auswaschen mit Wasser das Ghlorkalium
entfernt und aus der Lösung in Königswasser das Palladium
durch Quecksilbercyanid als Cyanür gefällt. Größere Mengen
der Chlorosalze werden durch Glühen bei Luftabschluß zersetzt,
die Rückstände in Wasser gelöst und die Metalle durch Zink
gefällt; bei der Behandlung mit Salpetersäure geht Palladium
in Lösung.
Eine ziemlich einfache Methode zur Reingewinnung des
Palladiums schlug Wi Im ^) vor. Das Platin wird aus der Lösung
durch Kaliumchlorid gefällt, das Filtrat mit ttberschässigem
Ammoniak gekocht und nach nochmaligem Filtrieren mit Salz-
säure gesättigt. Nach einiger Zeit scheidet sich ein Nieder-
schlag ab, der entweder — wenn rein gelb — aus fast reinem
Palladosamminchloridbesteht, oder — wenn schmutzig gelb —
noch durch geringeMengen von Rhodium verunreinigt ist. Durch
wiederholtes Behandeln des Niederschlages mit Ammoniak und
Salzsäure erhält man außerordentlich reines Palladosammin-
chlorid, das, im Wasserstoffstrom geglüht, reines Palladium
binteriäßt.
Henri Sainte-Claire Deville und H. Debray^) stellten
») RoeBler. W. J. 1866, 175.
«) Wilm. Ber. 1880, 1198; 1881, 629; 1882, 241.
*) Du Platine et des Mötaux qui raccompagnent. Ann. Chim.Phys.
[33 56 (1850), 386.
- 182 -
das Palladinm folgendermaßen rein dar. Zunächst werden Os-
minm und Iridium mit Silber entfernt und dann aus der Lösung
Platin und Iridium als Ammoniumchlorosalze gefällt. Das einge-
dampfte Filtrat; das noch Palladium, Rhodium; Gold, Eisen und
Kupfer enthält, wird mit Schwefelammonium und Schwefelblumen
behandelt und nach dem Eintrocknen in reduzierender Atmos-
phäre geglüht, wobei die Edelmetalle als solche, Kupfer und
Eisen dagegen als Schwefelverbindungen erhalteb werden.
Palladium, Kupfer und Eisen werden in konzentrierter
Salpetersäure bei 70^ gelöst. Beim GlUhen des BQckstandes der
eingedampften Lösung erhält man die Oxyde, aus denen sich
Kupfer und Eisen mit Salzsäure extrahieren lassen, während
das Palladium zurfickbleibt.
Cox^) veröffentlichte ein Verfahren, um Palladium aus dem
palladiumhaltigen Golde zu isolieren. Man schmilzt den brasili-
anischen Goldstaub mit dem gleichen Gewichte Silber und etwas
Kaliumnitrat zusammen, gießt die erhaltene Legierung in Stangen
und schmilzt sie noch einmal im Graphittiegel mit dem gleichen
Gewichte Silber unter umrühren zusammen ; hierauf wird die Legie-
rung durch Granulieren zerteilt und die feinen Metallkörner werden
mit verdünnter Salpetersäure in einer Porzellanschale erwärmt,
bis keine Einwirkung mehr erfolgt Gold bleibt zurück, während
aus der salpetersauren Lösung Silber mit Kochsalz und Palladium
nebst Kupfer und Blei durch Zink gefällt wird. Hierauf wird
das schwarze Pulver wieder in Salpetersäure gelöst und das
Palladium aus dieser Lösung durch wiederholtes Übersättigen
mit Ammoniak und Salzsäure als Palladosamminchlorid ausge-
schieden.
F. Mylius und B. Dietz behaupteten mit Recht noch im
Jahre 1898, daß die Verwendung der Platinmetalle zu wissen-
schaftlichen Zwecken durch die Unreinheit der käuflichen Prä-
parate wesentlich erschw-ert sei, welche eine weitere, sehr zeit-
raubende Reinigung im Laboratorium notwendig mache. Dem
entgegen möchte ich darauf hinweisen, daß das zu unseren Ver-
suchen dienende Palladium sich durch größte Reinheit auszeichnet,
daß aber auch die übrigen Platinmetalle, Iridium, Rhodium,
^) Cox. Phil. Mag. 23, 16; Da mm er, Anorgan. Chemie 3, 875.
*) Beiträge zur Chemie der Platinmetalle. S. IQ^. Porpat 1854.
-^ 188 —
Batheniam und Osmium fdr besondere Zwecke jetzt in höchster
Reinheit von der Technik geliefert werden.
Leider ist es nicht möglich, die Beindarstellung des uns über-
lassenen Materials zu schildern, da uns die Firma W. C. He raus
in Hanau, der wir das eigens zu dem Zwecke einer Atom-
gewichtsbestimmung hergestellte Palladium verdanken, mitteilte,
daß sie die Beindarstellung der Platinmetalle als Fäbrikgeheimnis
betrachte.
Geschichtliches.
Die ersten Versuche, das Atomgewicht des Palladiums zu
bestimmen, stellteBerzelius^) an, der aus dem Verhältnis Pd : S
im Jahre 1813 die Zahl 113,8 und im Jahre 1826 das Atom-
gewicht 114,3 ermittelte.
Aus dem Verhältnis Pd : HgCla fand er im Jahre 1813
die Zahl 112,6.
Einige Jahre später emeueii;e er seine Versuche durch die
Reduktion des Ealiumtetrachloropalladoats mit Wasserstoff und
berechnete das Atomgewicht aus dem Gehalt des Salzes an
Metall und an Ghlorkalium zu 106,5.
Die nächste Neubestimmung wurde erst 61 Jahre später
von E. H. Keiser'"*) ausgeführt. Reiser reduzierte das
reine, gelbe Palladosamminchlorid im Wasserstoffstrom, ver-
flüchtigte das Chlorammonium durch stärkeres Erhitzen und
ersetzte nach Eniiedrigung der Temperatur das Wasserstoff-
gas durch einen trockenen Luftstrom bis zum vollständigen
Erkalten. Das auf diese Weise reduzierte Palladium ergab
das Atomgewicht 106,54. Da die Verfasser die Temperatur,
bei der sie die ümwechslung des Wasserstoffs mit dem
trockenen Luftstrom vornahmen, nicht genau angeben, so läßt
sich kritisch aber ihre Versuche nur wenig sagen; immerhin
wäre es denkbar, daß diese Vei*suchsanordnung größere Fehler-
quellen in sich einschließt, als sie dem Fernerstehenden direkt
auffallen möchten.
Drei Jahre später haben G. H. Bailey und Th. Lamb*)
>) BerKelins. Pogg. Ann. 13 (1828), 45.
*) £. H. Keiser. Amer.Chem. J.ll (1889), 398 und Chem. News 59
(1889), 262.
') G. H. Bailey und Tb. Lamb. J. chem. Soc. 61 (1892), 745 und
ehem.. News. 66 (1892), 85.
- 184 -
ebenfalls Palladosamminchlorid zu Metall redaziert, nachdem
sie gefunden hatten, daß sowohl Palladocyanid als anch
Kalinmtetrachloropalladoat and andere Verbindungen f&r Atom-
gewichtsbestimmangen unbrauchbar sind. Sie stellten zum
Zwecke ihrer Bestimmung das im Wasserstoffstrom redu-
zierte Metall mit dem Schiffchen in ein Porzellanrohr, welches
evakuiert und dann in einem Holzkohlenofen auf Rotglut er-
hitzt wurde; die Gase, die sich in dem Rohr entwickelten,
wurden mit einer Pumpe abgesaugt. Die auf diese Weise er-
haltenen Resultate wichen für eine Ätomgewichtsbestimmung zu
stark voneinander ab und ergaben als Mittel den Wert 105,731.
Noch im gleichen Jahre publizierten Harry F. Keller
und F. Smith^) eine Neubestimmung, in der sie mit Hilfe
einer elektrolytischen Bestimmungsmethode den Palladiumgehalt
im Palladosamminchlorid ermittelten ; das Mittel aus ihren Ver-
suchen ist 107,191.
A. Joly und E. Lei die*) erhielten im Jahre 1893 durch
Elektrolyse der Ealiumtetrachloropalladoats als Mittelwert von
nur vier Versuchen die Zahl 105,709 als vorläufiges Ergebnis.
Edward H. Keiser und Mary B. Breed*) wiederholten
im Jahre 1894 durch Reduktion des Palladosamminchlorids
Eeisers frühere Bestimmungen mit der größten Sorgfalt und
erhielten im Mittel von fünf Analysen fast genau den früheren
Wert, nämlich 106,518.
Willet Lepley Hardin*) analysierte im Jahre 1899 das
Pallado-di-Anilin-Chlorid, bezw. -Bromid und das Ammonium-
tetrabromopalladoat und erhielt im Mittel von 16 Versuchen den
hohen Wert 107,014.
Bevor ich nun des näheren auf die in allerneuester Zeit
ausgeführten Versuche eingehe, möchte ich in Kurze auf einige
Fehlerquellen hinweisen, die den Methoden der erwähnten
Forscher anhaften und vielleicht die Ursache bilden können^
daß die einzelnen Werte der früheren Bestimmungen so große
Abweichungen untereinander zeigen.
») Harry F. Keller u. F. Smith. Amer. Chem. J. 14 (1892), 423.
*) A. Joly und £. Leidiö. Compt. rend. 116 (1893), 146.
') Edward H. Keiser und Mary B. Breed. Amer. chem. J. 16
(1894), 20.
«) Willet Lepley Hardin. Amer. Chem. J. 21 (1899), 943.
— 185 —
Da bekanntlich Palladiamschwamm bis zum 1000 fachen
seines Volumens Wasserstoff aufzunehmen vermag, da bei den
meisten der beschriebenen Versuche der Wasserstoff des redu-
zierten Palladiums durch einen Luftstrom anstatt durch ein
indifferentes Gas verdrängt wurde, und da femer niemals ange-
geben worden ist, bei welcher Temperatur der Wasserstoff durch
Luft ersetzt worden ist, so könnte katalytisch Wasser gebildet
und so das Gewicht des zurückbleibenden Palladiums erhöht
worden sein. Der überaus hohe Wert von Hardin dürfte viel-
leicht daraus %n erklären sein, daß, worauf die im hiesigen
Laboratorium gesammelten Erfahrungen hinweisen, das Palladium
durch Verbrennung von organischen Palladosamminverbindungen
nicht absolut rein zu erhalten sein wird. Eine Hauptursache
der großen Abweichungen scheint mir vor allem in der Ver-
schiedenheit der analytischen Methoden zu liegen; ferner gibt
keiner der genannten Autoren die Beinigungs- und Darstellungs-
weise der benützten Reagentien an, deren Kenntnis von höchstem
Interesse für die Beurteilung der Bestimmungen wäre.
In neuester Zeit, im Jahre 1905, veröffentlichte R.Amb er g^)
eine Arbeit über das Palladium, in der er das Atomgewicht
106,7 fand. Er ging vom Palladosamminchlorid aus und schied
das Metall auf elektrolytischem Weg aus dieser Verbindung ab.
In demselben Jahre wurde nun im hiesigen Laboratorium
von A. Gutbier und A, Kr eil*) eine Bestimmung des Atom-
gewichtes des Palladiums ausgeführt, welche als Mittelwert
106,72 ergab.
A. Gutbier und A. Krell benützten zu ihren Unter-
süchungen wieder das Palladosamminchlorid, das im Wasser-
stoffstrom reduziert wurde und als metallisches Palladium zur
Wägung kam.
Diebeiden vonR.Ambergundvon A.Gutbierund A*Krell
erhaltenen Resultate zeigen eine befriedigende Übereinstimmung,
obwohl sie mit ganz verschiedenem Ausgangsmaterialien und
nach verschiedenen Methoden erhalten worden sind.
A. Gutbier nahm deshalb am Anfange dieses Jahres in
Gemeinschaft mit M. Woernle eine weitere Revision des Atom-
^) Richard Am b erg. Lieb. Ann. 341 (1905), 235,
*) DisBertation voq A. Krell. Erlangen 1906.
186
gewichtes vor und benutzte za diesem Zwecke dieselbe Methode
wie B. Amberg zar Zerlegang des Palladosammincblorids.
Der nach diesen Verfahren erhaltene Wert 106,708 stimmt
ebenfalls sehr befriedigend mit den von R. Amberg und von
A. Gutbier und A. Krell gefundenen Werten nberein.
Die Tabelle gibt eine klare Übersicht aber die bis jetzt
erfolgten Bestimmungen.
Jahr
Autor
Aus dem Verhältnis
H = 1.008
0 = 16,00
1813
Berzelius
Pd:8
Pd : HgCI,
113,8
112,6
1826
BerzeliuB
Pd:8
114.3
1828
Berzelius
K,PdCl,:Pd
K,PdCL:CI,
K^PdCl^iK^Cl,
106,5
1889
Keiser
Pd(NH,Cl,):Pd
106.54
1892
G. H. Bailey u. Th.
Lamb
Pd(NH,Cl), : Pd
Pd(NH,Cl),:Cl,
105,731
1892
Keller und Smith
Pd(NH,Cl), : Pd
Maximum
107,191
1893
Joly uod E. Leidig
K,PdCl,:Pd
Minimum
105,709
1894
Keiser und Breed
Pd(NH.Cl),:Pd
106.518
1899
W. L. Hardin
Pd(CeH,NH,Cl),:Pd
Pd(C,H,NH,Br),:Pd
(NH,),PdBr,:Pd
107.014
1905
R. Amberg
Pd(NH,a),:Pd
106.7
1905
A.Gutbieru.A.Krell
Pd(NH,Cl),:Pd
106.72
1907
A. Gutbier und
M. Woernle
Pd(NH,Cl), : Pd
106.708
Um nun ein endgültiges Urteil über die Richtigkeit der
Werte von R. Amberg und von A. Gutbier, A. Krell und
M. Woernle zu liefern, war mir von Herrn Professor Dr. A, Gut-
bier die Aufgabe gestellt worden, das analoge Palladosammin-
bromid ebenfalls im Wasserstoffstrom zu reduzieren und aus
dem Verhältnis des verflüchtigten Bromammoniums zu dem ab-
geschiedenen Metall das Atomgewicht festzulegen.
- 187 -
Die angewandten Beagentien.
Das zu vorliegender Untersuchung ausschließlich verwendete
Wasser war auf folgende Weise gereinigt worden. Das destil-
lierte Wasser des Laboratoriums wurde in einer ca. 8 1 fassenden
Flasche ungefähr eine Woche über reinstem Kalk stehen ge-
lassen und dann in kleinen Portionen aus einer sorgfältigst ge-
reinigten Platinretorte destilliert.
Selbstverständlich wurde hierbei nur die mittlere Fraktion
aufgefangen. Dieses schon ziemlich reine Material wurde dann
mit etwas Kaliumpermanganat in der Platinretorte, die mit
einem eigens zu diesem Zweck hergestellten und nur zur Destil-
lation von reinstem Wasser benutzten Kühlrohre aus reinem
Quarz verbunden war, zum zweiten Male in kleinen Portionen
destillieii;.
Das Kfihlrohr aus Quarz wie überhaupt alle zur Atom-
gewichtsbestimmung benützten Glas- und Porzellangeräte wurden
vor jedesmaliger Benützung erschöpfend mit Wasser ausgedämpft.
Überdies sind die benützten Gefäße, mit Ausnahme des neuen
Quarzkühlers, schon jahrelang zu demselben Zwecke im hiesigen
Laboratorium im Gebrauch.
Dieses so bereitete Wasser erwies sich chemisch als rein
und hinterließ, in größerer Menge verdampft, nicht den geringsten
wägbaren Rückstand. Zur Aufbewahrung des reinsten Wassers
wurden ausgedämpfte, braune Flaschen mit gut eingeschliffenen
Glasstöpseln verwandt; selbstverständlich wurde das Wasser
unmittelbar vor dem Gebrauche nochmals destilliert.
Das zur Verwendung gelangte Ammoniak wurde aus reinem,
konzentriertem Ammoniak durch Destillation gewonnen. Das in
einem ausgedämpften Kolben entwickelte Gas leitete man durch
mehrere mit Natronkalk gefüllte Trockenapparate und fing es
in einer vorgelegten Flasche, die mit reinstem Wasser gefüllt
war, auf.
Die Darstellung der in großen Mengen benötigten Brom-
wasserstoffsäure geschah auf folgende Weise. Es wurde zu
diesem Zwecke reines, von der Firma Merck geliefertes Brom
benützt, das zunächst von mir nach einem von G. P. Baxter^)
angegebenen Verfahren gereinigt wurde. Aus einem Teile des
>) G. P. Baxter. Z. Anorg. Chem. 50 (1906), 389.
— 188 —
Broms warde zunächst mit Hilfe von reinstem Kalk und Ammoniak
Galciumbromid dargestellt; in welchem dann der Rest des Broms
gelöst wurde. Darauf wurde die Lösung abdestilliert, das
Destillat mit Wasser bedeckt und durch Einleiten von reinem,
arsenfreiem Schwefelwasserstoff in Bromwasserstoffsäure über-
geführt. Das zur Entwicklung von reinem Schwefelwasserstoff
notwendige Schwefeleisen wurde durch Fällen einer reinen Fen^o-
sulfatlösung mit reinem Schwefelamraonium erhalten; nachdem
der Niederschlag mit destilliertem Wasser gründlich ausgewaschen
worden war, zersetzte man das Schwefeleisen mit reinster, ver-
dünnter Schwefelsäure und wusch das entweichende Gas sorg-
fältig mit reinstem destillierten Wasser.
Die folgende Figur veranschaulicht den Apparat, in dem
aus Brom und Schwefelwasserstoff die Brom wasserstoffsäure
dargestellt wurde; a ist der Schwefelwasserstoffapparat, b der
Kolben, in dem sich das mit Wasser bedeckte Brom befindet.
Der Schwefel, der sich bei der Bildung von Bromwasser-
stoffsäure abscheidet, wurde durch wiederholtes Filtrieren durch
doppelte, säurefeste Filter von der Säure getrennt. Nach der
Filtration vom gefällten Schwefel und Schwefelbromid wurde
die Säure unter gelegentlichem Zusatz von. geringen Mengen
Kaliumpermanganat zur Entfernung des Jods gekocht, Endlich
- 189 —
wurde die Bromwasserstoffsäure mit der äquivalenten Menge
yon kristallisiertem Permanganat erhitzt, wodurch das Brom in
Freiheit gesetzt wurde; es wurde in einem mit Eis gekühlten
Kolben aufgefangen.
Da sich bei der ersten, soeben beschriebenen Reinigung des
Broms herausgestellt hatte, daß die durch Einleiten von Schwefel-
wasserstoff erhaltene Säure nur sehr schwer von dem sich aus-
scheidenden Schwefel zu trennen war, so benützte man weiterhin
folgende Methode zur Beindarstellung der Bromwasserstoffsäure.
In einem gut ausgedämpften Erlenmeyerkolben w^urde eine
Portion sorgfältigst gereinigten, durch Erhitzen dargestellten roten
Phosphors in unserem reinstem Wasser aufgeschlämmt. Dann wurde
unter beständigem Schütteln des Kolbens reinstes Brom mittels
eines Tropftrichters hinzugegeben. Das Brom mußte sehr vor-
sichtig und langsam zugefugt werden, da die Einwirkung spontan
und unter Wänneentwicklung, ja sogar manchmal unter Feuer-
erscheinnng vor sich geht, wenn man zu rasch arbeitet. Trotz des
sehr langsam erfolgenden Zusatzes des Broms erhitzte sich nach
längerer Einwirkung der Inhalt des Kolbens so stark, daß eine
Kühlung erforderlich war, die man durch fließendes Wasser
erreichte. Etwa entweichender Bromwasserstoff wurde durch
eine mit reinstem Wasser gefüllte Vorlage aufgenommen.
Nachdem die so erhaltene Bromwasserstoffsäure etwas ver-
dünnt worden war, wurde sie zur Entfernung des überschüssigen
Phosphors durch ein säurefestes Filter filtriert.
um die auf so mühsamem Wege erhaltene Bromwasser-
stoffsäure von der noch mit in Lösung befindlichen phosphorigen
Säure und. Phosphoi-säure zu befreien, destillierte man sie
aus dem Ölbade, da bei der Verwendung eines Asbestdraht-
netzes infolge des starken Stoßens der Flüssigkeit, das auch
durch die bekannten Vorsichtsmaßregeln nicht verhindert werden
konnte, ein Springen des Destillationsgefäßes zu befürchten war.
Natürlich wurde auch jetzt nur die mittlere Fraktion des
Destillats aufgefangen und weiter destilliert, nachdem man sich
durch sehr sorgfältig und von verschiedenen Beobachtern mit
großer Geduld angestellte Prüfungen davon überzeugt hatte,
daß das Destillat frei selbst von den geringsten Spuren einer
Pbosphorverbindung war und außer Brom kein anderes Halogen
enthielt.
- 190 —
Da es jedoch möglich gewesen wäre, daß trotzdem Sparen
von Chlor, die mit den bekannten Methoden nicht mehr nachzu-
weisen sind, in der Säure vorbanden gewesen wären, wurde
sie anter Zugabe einer geringen Menge einer Vioo'^^^^^^"
kaliumpermanganatlösung nochmals destilliert, wobei wiederum
nur die mittlere Fraktion aufgefangen wurde. Der Destillations-
apparat bestand aus einem großen Fraktionierkolben mit langem
Halse und Tropfenfänger, um ein Überspritzen von Flüssigkeit
in die Vorlage zu verhindern, und aus einem Liebigschen Efihler.
Der ganze Apparat war längere Zeit mit Wasser und Brom-
wasserstoffsäure ausgedämpft worden; die Verbindungen und Ver-
schlüsse bestanden bei diesem, wie beisämtlichen anderen Appa-
raten, nur aus gut schließenden Olasschliffen und Glashähnen.
Um eine Zersetzung der heißen Bromwasserstoffdämpfe durch
Licht zu verhindern, waren sämtliche Glasteile des Apparates
mit schwarzem Papier in mehrfacher Lage umwickelt.
Bezüglich der Konstante des Broms scheint irgendwelche
Unsicherheit nicht zu bestehen. Denn Richards, der im Verein
mit mehreren Mitarbeitern durch Analyse von Bromiden mehrere
durch außerordentliche Exaktheit ausgezeichnete Atomgewichts-
bestimmungen verschiedener Elemente ausführte, hat bei seinen
vergleichenden Bestimmungen immer einen mit der St asseben
Eonstante identischen Wert erhalten, und er selbst bevorzugt
jederzeit die Analyse der Bromide gegenüber anderen Bestim-
mungsmethoden.
Die von der Firma Merck gelieferte reinste Salpetersäure
zeigte wieder als einzige Verunreinigung eine ganz minimale Spur
Eisen. Die Säure wurde, um auch dieses zu entfernen, in kleinen
Portionen aus einer Platinretorte destilliert, wobei nur die mittlere
Fraktion weitere Verwendung fand. Obwohl nach der Destillation
nicht die geringste Spur einer Verunreinigung mehr nachge-
wiesen werden konnte, wurde die Säure nochmals fraktioniert
und schließlich unmittelbar vor dem Gebrauche abermals diesem
Beinigungsprozeß unterworfen.
Darstellung des Analysenmaterials.
Das Palladium wurde auf dem Wasserbade in einem sorgfältig
gereinigten Erlenmeyerkolben in Brom wasserstoffsäure unter
Zugabe einiger Tropfen reinster Salpetersäure zu Palladobromid
- 191 —
gelöst nnd hierauf in einer ausgedämpften Porzellanschale einige
Male mit Bromwasserstoffsäure abgeraucht, um die noch vor-
handene Salpetersäure vollständig zu entfernen. Das Palladium
löste sich nach und nach vollständig auf.
Das Abrauchen der Säure nahm ziemlich viel Zeit in An-
sprach, da sich die letzten Reste von Flüssigkeit auf dem Wasser-
bad nur schwer vertreiben ließen; eine höhere Temperatur konnte
aber naturlich nicht zugelassen werden. Das Palladobromid wurde
sodann in möglichst wenig Bromwasserstoffsäure wieder gelöst
and diese Lösung durch ein gehärtetes Filter direkt in eine
Platinschale filtriert^ die reines Ammoniak enthielt. Hierbei
entstand ein rötlich brauner Niederschlag, das dem Vauquelin-
schen Salz analoge Bromid, das nach den Untersuchungen
von Jörgensen^) als eiiie Verbindung von Palladodiammin-
bromid und Palladobromid aufzufassen ist, und dem die Formel
Pd(NH3)4Br2 • PdBrj zukommt. Bei längerem Erhitzen mit
Ammoniak auf dem Wasserbade färbte sich dieses Salz gelb,
indem es in Palladosamminbromid überging,- letzteres war in
Ammoniak klar löslich.
Das Palladosamminbromid, das dieselbe prozentuale Zu-
sammensetzung wie die dem Vauquelin sehen Salz analoge
Bromverbindung besitzt, hat nach Werner") folgende Struktur:
NHj^ _Br
^^
Br^— \NH3
Die schwach gelb gefärbte Lösung des Palladosamminbromids
wurde in einen Erlenmeyerkolben filtriert, der Bromwasserstoff-
säure enthielt, wodurch wiederum rein gelbes Palladosammin-
bromid gefällt wurde.
Nachdem das Salz durch Dekantieren mit Wasser möglichst
vom Bromammonium befreit worden war, wurde der Nieder-
schlag mittelst der Saugpumpe filtriert und des öfteren mit
reinem Wasser ausgewaschen. Der Lösungs-, Fällungs- und
Auswaschungsprozeß wurde dreimal wiederholt, um ein reines
Präparat zu erhalten.
*) Gjnelin-Kraut 3, 1235.
*) Werner, Neuere Anschauungen aaf dem Gebiete der anorgan.
Chemie. Brannsehweig, Yieweg & Sohn. 1905.
— 192 —
Da die zur Verf&gung stehenden Platingefäße nicht groS
genug waren, um die ganze Menge des Bromids auf einmal zu
verarbeiten, wurde auf dieselbe Weise mit einer zweiten und
dritten Portion des durch Auflösen des Palladiums erhaltenen
Palladobromids verfahren.
Das zuletzt, d. h. nach dreimaliger Wiederholung des
oben beschriebenen Prozesses gewonnene Produkt wurde durch
Dekantieren sorgfältig gewaschen, dann in kleinen Portionen
auf säurefeste Filter gebracht und ohne Anwendung der Sang-
pumpe intensiv mit reinstem Wasser ausgewaschen, das mindestens
zwanzig Mal erneuert wurde, um die letzten Spuren des Ammo-
niumbromids sicher zu entfernen. Der Niederschlag wurde
schließlich mittels der Saugpumpe möglichst trocken gesaugt
und dann mit einem ausgeglühten Platinspatel in eine Platin-
schale ubergeffihrt, wobei natürlich die am Filter haften
gebliebenen Teile nicht berücksichtigt wurden. Die Schale
wurde dann in einen mit Schwefelsäure beschickten Exsikkator
gebracht, wo sie längere Zeit im Vakuum belassen wurde.
Darauf wurde sie im Trockenschrank noch einige Tage lang auf
105^—110® bis zur Gewichtskonstanz erhitzt, wobei natürlich pein-
lich darauf geachtet wurde, daß die Temperatur nie höher stieg.
Das auf die geschilderte Weise dargestellte Präparat war
äußei*st rein. Natürlich gingen durch das häufige Auswaschen
beträchtliche Mengen des Palladosamminbromids verloren, doch
konnten wir uns diese Verschwendung infolge der relativ großen
Mengen von Palladium> die uns zur Verfügung standen, gestatten.
Die zum Abfiltrieren des Palladosamminbromids angewandten
säurefesten Filter waren vorher längere Zeit mit bromwasser-
stoffhaltigem, reinem Wasser digeriert und dann quantitativ mit
reinstem Wasser ausgewaschen worden.
Die Reindarstellung des Analysenmaterials erfolgte in einem
Zimmer^ welches vollständig für meine Untersuchungen reserviert
war; so wurde verhütet, daß das Präparat mit Salzsäuredämpfen
oder mit anderen schädlichen in der Laboratoriumsluft gewöhn-
lich sich findenden Produkten in Berührung kommen konnte.
Wage und Gewichte.
Zur Wägnng benützte ich die von W. Spoerhase gelieferte
Wage, deren Einrichtung hier kurz geschildert werden möge.
- 193 -
Die Wage ist derart eingerichtet, daß die Auflegang der
Gewichte mittels eines Hebels von außen erfolgt, so daß die
Wage während der Wägung geschlossen bleiben kann. Zu
diesem Zwecke ist die rechte Schale der Wage durch ein Ge-
hänge ersetzt, in dem fftr jedes der cylinderförmigen Gewichte
eine Auflegestelle vorhanden ist. Die Gewichte werden in
schwebender Lage über ihren Auflegestellen durch Hebel fest-
gehalten. Die Wage ist mit zwei Skalen versehen, einer
Makroskala und einer an der Zunge der Wage befestigten
MikroSkala; an der letzteren erfolgen die Ablesungen durch ein
Mikroskop.
Die Wage ist derart justiert, daß für 10 mg der Zeiger
10 Grad Ausschlag gibt, mithin für 1 mg 1 Grad. Für die
mikroskopische Ablesung ist jeder dieser Grade wieder in
zehn Teile geteilt, so daß sich 0,1 mg direkt ablesen lassen;
da die Wägungen mittels der Schwingungsmethode ausgeführt
wurden, konnte auch die fünfte Dezimale noch genau bestimmt
werden. Der Nullpunkt, der während der ganzen Zeit recht
konstant blieb, wurde vor und nach jeder Wägung ermittelt; mit
dem Durchschnitt beider Werte wurde gerechnet.
Das kostbare Instrument steht in einem Wägezimmer für
sich allein, zu welchem niemand sonst Zutritt hat; die Gewichte
sind von der Normaleichungskommission geeicht.
Bestimmiing des Atomgewiehtes.
Die Bestimmungen wurden in derselben Weise durchgeführt
wie die von A. Krell und von M. Woernle, nur wurde ein etwas
vereinfachter Reduktionsapparat benutzt, der im folgenden kurz
beschrieben sei (s. die Figur auf der beigegebenen Tafel).
Wasserstoff wurde in einem mit Steigröhre versehenen
Kippschen Apparate (EJ aus reinstem arsenfreien Zink, das
man vorher platiniert hatte, und ans destillierter, verdünnter
Schwefelsäure entwickelt und durch zwei Waschflaschen geleitet,
von denen die eine mit reinster Natronlauge (Wj), die zweite
mit Ealiumpermanganatlösung (W2) gefüllt war. Zwischen diesen
beiden Waschflaschen und der mit konzentrierter Schwofelsäure
beschickten Trockenflasche (WJ war zur genaueren Regulierung
des Gasstromes ein Glashahn (QJ eingeschaltet worden; in die-
selbe Flasche ("WJ mündete ebenfalls nach Zwischenschaltung
8itsii]isib«riehte der phyi.-med. Sos. 89 (1907). 13
— 194 —
eines Glashahnes (Q2) das vomEohlendioxydentwicklungsapparate
(E2) kommende Gasableitungsrobr.
Die Kohlensäure entwickelten wir ans Marmor, den wir
durch Auskochen mit Wasser von Luft befreit hatten, mit
reinster verdünnter Salzsänre und wuschen sie in der Flasche
(W3) mit Natriumbicarbonatlösung.
Aus der mit Schwefelsäure beschickten Waschflasche (WJ
trat das Gas in eine auf einem kleinen Verbrennungsofen zur
Rotglut erhitzte, mit Kupferspiralen gefüllten Verbrennungsröhre
(B) und gelangte von hier durch eine mit Palladiumasbest be-
schickte Kugelröhre (P), durch ein Chlorcalciumrohr (C,) und
eine lange mit sorgfältig gereinigtem Phosphorpentoxyd gefüllte
Röhre (T) in das Glasrohr (Re), in welchem die Reduktion
vorgenommen wurde.
Ein Chlorcalciumrohr {G^) sowie zwei mit Natriumbicar-
bonatlösung (W5) und mit konzentrierter Schwefelsäure (W,)
beschickte Waschflaschen schließen den Apparat ab.
Mit Hilfe aller dieser Einrichtungen war es möglich, je nach
Wunsch Wasserstoff oder Kohlendioxyd durch den Apparat zu
leiten, die Substanz also je nach Bedaif in dem einen oder
anderen Gase zu erhitzen.
Die Bestimmungen selbst wurden wie folgt ausgeführt.
Große und breite Porzellanschiffchen aus Meißner Porzellan
wurden in Salpeter- und Bromwassersoffsäure mehrere Stunden
ausgekocht, dann mit Wasser gereinigt und schließlich in reinem
Wasser selbst nochmals längere Zeit ausgekocht.
Nachdem sie sorgfältigst mit einem seidenen Tuche ge-
trocknet waren, wurden sie je zehn Minuten vor dem Gebläse
geglüht, dann nach kurzem Erkalten in die bekannten zu diesem
Zwecke dienenden Wägeröhrchen, die mit zwei vorzüglich ein-
geschliffenen und absolut luftdichten Glasstopfen versehen waren,
eingeschoben, zwei Stunden an der Wage stehen gelassen nnd
dann zur Wägung gebracht. Dies wurde so oft wiederholt, bis
dreimal hintereinander konstantes Gewicht erreicht wurde.
In das so vorbereitete Schiffchen wurden ca. l^^—^^U S des
reinsten Palladosamminbromids eingetragen und im Trocken-
schranke bei 105^ zwei Stunden lang erhitzt; nach aber-
maligem, zweistündigem Stehen im Wägezimmer wurde das
Schiffchen mit Substanz gewogen. Sobald konstantes Gewicht
— 195 —
erreicht war wurde das Schiffchen nan vorsichtig in das
Glasrohr eingeschoben, die Apparate Inftdicht verbanden und,
nachdem zuvor zur Vermeidung von Knallgas alle Luft durch
Kohlensäure verdrängt worden war, ein langsamer Wasser-
stoffstrom hindurchgeleitet. Dann begannen wir ungefähr zwei
Finger breit vor der Stelle, an der sich das Porzellan-
schiffchen befand, mit einem Mikrobrenner schwach zu er-
wärmen und führten durch fächelndes Erhitzen die Zersetzung
des Präparates herbei. Diese Zersetzung verläuft außerordent-
lich ruhig, indem sich das darcb Katalyse gebildete Brom-
ammonium langsam verflüchtigt, und sich teils auf dem umzer-
setzten Palladosamminbromid, teils an der Röhre niederschlägt.
So einfach dieser Prozeß aussieht, so fanden wir trotzdem, daß
er nicht so glatt verläuft, denn die letzten Beste des Bromammoni-
nms haften in dem fein verteilten Palladiumschwamm ziemlich
fest, so daß zu ihrer endgültigen Vertreibung eine Steigerung
der Temperatur notwendig ist. War dies en-eicht, so trieb man
das Bromammonium durch Erhitzen in der Röhre weit von dem
Porzellanschiffchen fort, um ein Zurficksublimieren in das Pal-
ladium zu verhindern.
Bekanntlich nimmt nun ein derartig fein verteiltes Palla-
dium, wie es hier vorliegt, beim Abkühlen im Wasserstoff-
strom relativ große Mengen von Wasserstoff auf, um mit
ihm das sogenannte Wasserstoffpalladium zu bilden. Unser
eifrigstes Bestreben mußte sein, die Bildung dieses Produktes
zu verhindern, da das mit Wasserstoff beladene Palladium nicht
an die Luft gebracht werden kann, ohne zu erglühen, d. h. mit
dem Sauerstoff der Luft infolge der katalytischen Eigenschaften
des Palladiums Wasser zu bilden und dieses auf seiner Ober-
fläche zu verdichten. Wir fanden allerdings wieder, daß ein im
Wasserstoffstrom genügend hoch erhitztes Palladium seine feine
Verteilung aufgibt, sich in ein kompakteres Produkt verwandelt,
das nun seinerseits beim Herausnehmen an der Luft nicht mehr
erglüht, aber daß auch ein derartiges Produkt mit Wasserstoff
beladen ist, da es beim Erhitzen im Luftstrom Wasser bildet.
Durch einen kleinen Kunstgriff ist es gelungen, diese unan-
genehmen Erscheinungen vollkommen aufzuheben. Man fand
nämlich, daß Palladium, welches, mit Wasserstoff beladen, im
Kohlensäurestrom schwach (über 150®) erwärmt wird, die ge-
13*
- 196 —
satnte Menge des Wasserstoffes abgibt, ohne von der Kohlen-
säure in irgendwelcher Weise angegriffen zu werden oder ohne
diese irgendwie chemisch zu verändern. Durch die von uns
gewählte Konstruktion des Apparates war es uns jeden Augen-
blick möglich, die Gase (Wasserstoff und Kohlensäure) zu
wechseln, ohne daß das Palladium mit irgend einem anderen
Gase oder mit Luft in Berührung kam.
Wir verfuhren daher so, daß wir das Palladium, nachdem es
durch Zersetzung des Palladosamminbromids im Wasserstoffstrom
erhalten war, bis auf ungefähr 200® im Wasserstoffstrom abkühlen
und dann Kohlensäure eintreten ließen, unter welcher wir das
Palladium nochmals erhitzen. Wir ließen dann im Kohlensäure-
strom erkalten, öffneten den Apparat bei Cj und schoben das Wäge-
röhrchen ein wenig in das Reduktionsrohr ein; dann führten
wir das Schiffchen in das Wägeröhrchen über, verdrängten aus
letzterem die Kohlensäure durch reine, trockene und kohlensäure-
freie Luft und wogen nach zwei Stunden. Der ganze Prozeß wurde
hierauf so oft wiederholt, bis Gewichtskonstanz eingetreten war.
Um uns über die Brauchbarkeit der Methode einerseits
und über die Zuverlässigkeit der Resultate andererseits zu
orientieren, galt es für uns nachzuweisen, ob das so erhaltene
Palladium nicht doch noch Gase auf seiner Oberfläche konden-
siert habe. Zu diesem Zwecke brachten wir das mit dem
reduzierten Palladium gefüllte Schiffchen in eine aus schwer
schmelzbarem Glase bestehende, auf der einen Seite zuge-
schmolzene Glasröhre mit luftdicht eingeschliffenem Glashahn,
welche wir mittels eines Rückschlagventils, ferner einer mit
echtem Blattgold gefüllten Kugelröhre mit einer Sprenge Ischen
Quecksilberluftpumpe verbanden. Sobald die Pumpe Sprengel-
sches Vakuum zeigte, erhitzten wir das Rohr ziemlich stark,
konnten aber weder die geringste Spur eines Gases auspumpen,
noch auch nach dem im Vakuum erfolgten Erkalten eine Ge-
wichtsveränderung des Schiffchens beobachten. Unter den von
uns gewählten Bedingungen erhielten wir das Palladium absolut
rein und frei von irgendwelchen Gasen.
Das spezifische Gewicht des Palladosamminbroniids«
Um das Atomgewicht vollständig genau berechnen zu
können, wurden sämtliche Wägungen auf den luftleeren Raum
-~ 197 -
reduziert; deshalb war es noch notwendig, eine Bestimmung des
spezifischen Gewichtes der Analysensabstanz vorzunehmen.
Da Palladosamminbromid in Wasser etwas löslich ist, mußte
das spezifische Gewicht mit einer Flüssigkeit bestimmt werden,
in der unser Präparat vollkommen unlöslich war. Als solche
wurde das Toluol gewählt. Ganz reines Toluol des Handels
wurde aus einem Ölbade fraktioniert, wobei natürlich nur die
bei 110® übergehenden Teile aufgefangen und weiter benützt
wurden. Das Toluol besaß schließlich die Dichte 0,89.
Mit dieser Flüssigkeit ermitteln wir das spezifische Gewicht
des Palladosamminbromides mit Hilfe eines kleinen Pyknometers
und erhielten aus fünf Bestimmungen für die Dichte unserer
Analysensubstanz im Mittel den Wert 2,55.
Resultate.
Alles, was für die Beurteilung der von mir ausgeführten
Atomgewichtsbestimmungen irgendwie in Betracht kommt, ist in
den voranstehenden Ausführungen angegeben. Es folgen jetzt die
erhaltenen Resultate. Ich bemerke nur noch, daß ich mich bei
der Vakuumkorrektion der gleichen spezifischen Gewichte bedient
habe wie R. Amberg und wie auch A. Gutbier, A. Krell
und M. Woernle; nur für die Dichte des Palladosammin-
bromids wurde der oben angeführte neue Wert eingesetzt.
Ich erhielt folgende Zahlen.
Nr.
ADgewandt g
Pd(NH3],Br,
Gefunden
g Pd.
Gefunden
Atomgewicht
des Pd.
1
2,06470
0,73274
35,488
106,73
2
1,73455
0,61563
35,492
106,75
3
2,64773
0,93978
35,493
106,76
4
1,29106
0,45821
35,491
106,74
5
2,26758
0,80490
35,495
106,77
6
1,90770
0,67704
35,489
106,74
7
1,77729
0,63()S2
30,493
106,76
Mittel: 106,75
198 -
Zar Berechang dienten folgende Atomgewichtszahlen :
Br = 79,9531), N = 14,037«) and H = 1,008.
Der Stickstoffwert 14,037 warde deshalb angenommen, weil
er der f&r das Atomgewicht des Silber heate noch angenommenen
Zahl 107,930 entspricht; infolgedessen waren wir aach darauf
angewiesen, mit dem von G. P. Baxter für das Atomgewicht
des Broms anfgestellten Werte 79,953, welcher ebenfalls auf
Silber (Ag = 107,930) bezogen ist, zu rechnen.
Aus diesen Gründen kann das von mir erhaltene Resultat
nicht ohne weiteres mit demjenigen verglichen werden, welches
A. Gutbier in Gemeinschaft mit A. Krell and H. Woernle
gewonnen hatte.
Herr Professor Dr. A. Gatbier hat mir freundlichst die
folgenden Tabellen überlassen, in welchen sich die bei der
Analyse des Palladosamminchlorids erhaltenen und auf N = 14,037
und Cl = 35,473 umgerechneten Werte finden; so ist es mög-
lich einen Vergleich zu ziehen.
A. Gutbier fand mit A. KrelP) und M. Woernle folgende
Zahlen.
I. Bei der Reduktion von Palladosamminchlorid im Wasser-
stoffstrome:
Nr.
Angewandt g
Pd[NH,l,Cl,
Gefunden
g Pd.
Gefunden
\ Pd.
Atomgewicht
deePd.
1
1,73474
0,87433
50,401
106,77
2
1,91532
0,96524
50,395
106,74
3
3,23840
1,63175
50,387
106,72
4
2,94682
1.48493
50,391
106,73
5
1,83140
0,92296
50,396
106,75
n. Bei der elektrolytischen Bestimmung der gleichen Ver-
bindung:
*) G. P. Baxter. Z. anorg. Chem. 50 (1906), 389.
•) Tb, W. Richards und G. S. Forbes, Z. anorg. Chem. 55
(1907), 34.
') Hiemit wird gleichzeitig ein Druckfehler in der Dissertation von
A. Krell (a. a. 0.) berichtigt
A, Oß>
199 —
Nr.
ÄDgewaodt g
PdrNH,),CI,
Gefunden
g Pd.
Gefunden
Atomgewicht
desPd.
6
1,02683
0.51749
50,396
106.75
7
1,22435
0,61708
50,401
106,77
8
1.46735
0,73944
50,393
106,74
9
0,59796
0,30139
50.403
106.77
10
' 2,64584
1,33329
50,392
106,74
Das Mittel aus diesen Atomgewichtsbestimmangen beträgt
somit 106,748, und das ist ein Wert, der mit der von mir ge-
fundenen Zahl ausgezeichnet übereinstimmt.
Diese vorzfigliche Übereinstimmung unserer Resultate so-
wohl unter sich wie mit den Resultaten der vorher genannten
Forscher beweist zweifellos, daß der von der internationalen
Atomgewichtskommission fUr das Palladium festgesetzte Atom-
gewichtswert zu niedrig ist, und daß die Zahl 106,75 das Ver-
bindnngsgewicht des Palladiums repräsentiert.
Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester
1907 und im Wintersemester 1907/08 im chemischen Labo-
ratorium der Universität Erlangen ausgeführt.
Es ist mir eine sehr angenehme Pflicht, Herrn Professor
Dr. A. Gut hier für die Anregung zu dieser Arbeit meinen
herzlichsten Dank auszusprechen.
Beiträge
zur Geschichte der Naturwissenschaften. XII.
Von Eilhard Wiedemann
Über Lampen und Uhren.
Über die Uhren habe ich früher mehrfach berichtet, das
Folgende enthält einige Ergänzungen. Ansffihrlicher soll über
Lampen gehandelt werden, deren Konstruktion ein Zeugnis für
das große Geschick der islamischen Techniker bildet.
I.
Zunächst soll der betreffende Abschnitt ans dem Werk Wl
Hijal der Benü Müsä dem Inhalt nach mitgeteilt werden, der sich
in der Berliner Handschrift Nr. 5562 fol. 66 ^ff. befindet i). Es sind
im ganzen 4 Lampen beschrieben, die die 97.— 100. Proposition
bilden. — Im Original ist die Reihenfolge der Beschreibungen
1, 2, 4, 3; wir haben dieselben, um besser den Zusammenhang
zu wahren, umgestellt.
1. Herstellung einer Lampe (Siräg), in welche man [Öl] ein-
gießt und die stets voll bleibt. So oft etwas [von dem Öl]
schwindet, tritt ebensoviel wieder ein und das Öl {Dahn) er-
füllt die Lampe stets ganz und erfährt keine Abnahme. Wer
die Lampe sieht, der meint, daß das Feuer von dem Öl {Zait)
nichts verbraucht^).
^) DeD Herren Dr. Ehwald, Dr. JnynboU nod Prof. Dr. Stern,
die mir die Benützung von Gothaer, Leydener und Berliner Handschriften
in hohem Grade erleichteit haben, sei anch an dieser Stelle bestens ge-
dankt; ebenso Herrn Prof. Dr. Jacob für viele freundliche Ratschläge.
*) Die Dochte {Faul) besteben nach einer später zu besprechenden
Schrift aus ÄhuH Qdsim manchmal aus Seide (Harir)^ manchmal aus Baum-
wolle (Quin). Zum Brennen dient nach al Zarchüri auch das Öl des
reinen Naphta.
— 201 -
Auf einer Säule (Manärd)^) befindet sich ein hohles Ge-
fäß B (Fig. 1), ähnlich den Kürbissen {Dabbä), das oben eine
Fig. 1.
Öffnung hat, in diese lötet man ein unten geschlossenes, oben
offenes Bohr C, in diesem ist das Rohr ab befestigt, das bei b
aus der Wand von ß austritt. An der Wand des Leuchters
wird eine Lampe L {Misraga) von der Form, wie sie die Leute
verwenden, angesetzt. In die Wand zwischen B und L werden
zwei Löcher o und e angebracht. An dem oberen ist das Rohr
R befestigt, das untere o bleibt offen. — Wir gießen in C das
Öl, dann fließt es durch ab in B, nachdem vorher die Öffnung o
verschlossen ist, etwa durch ein von t aus eingeführtes ge-
bogenes Rohr, das man nachher fortnimmt. Ist die gewünschte
Menge von Öl eingegossen, so öffnet man o und zündet den
Docht D an. Nimmt nun beim Verbrennen das Öl ab und wird
das Loch e frei, so tritt Luft durch das Rohr R ein und eben-
soviel Öl tritt aus, bis das Loch e wieder bedeckt ist*).
') Die Untergestelle der Lampen sind in der Reproduktion der Zeich-
nungen fortgelassen, trotsdem sie gans hübsche Formen zeigen.
Die Konstruktion entspricht im wesentlichen derjenigen, welche
BerzeliuB bei seiner Spiritnslampe benutzte, und die dann später bei
den sog. Schiebelampen zur Beleuchtung mit Öl Anwendung fand.
*) Eine der ersten Lampe ganz ähnliche Lampe, „die sich selbst be-
dient", beschreibt ai Berunia) im Anschluß an die Besprechung von
Quellen susammen mit einem Instrument al Dahgß), Es heißt: Ihr nehmt
einen Wasserkrug {Garra) oder ein ölgefaß {Dabba); an mehreren Stellen
des Bandes oder der Lippe macht ihr feine Schlitze, und ihr bohrt femer
a) alBeruni,ChTono\ogj (ed. Sachau, Text S.264, Übersetzung S. 255).
ß) Die Bedeutung von aZDaA^ hat E. Sachau nicht ermitteln können,
a. a. 0. S. 429).
202 —
Diese Vorrichtung kann man auch in anderer Weise her-
stellen. (Dies wird später beschrieben (Lampe Nr. 3).)
2. Herstellung einer Lampe, deren Docht von selbst hervor-
kommt Die Lampe A ^) ist oben durch ein Blech B verschlossen,
in dem sich ein Loch a befindet, durch das das Öl eingegossen
wird. Bei t tritt der Docht aus. Der Boden der Lampe ist
kreisnind. ss^ ist ein kreisförmiger Stab, der leicht auf dem
Boden der Lampe gleitet. Auf seiner oberen Seite werden Zähne
z befestigt; in das Ende s^ wird ein Loch gebohrt, in das der
Docht d eingesetzt wird. Wir nehmen weiter einen Stab n,
an dessen Ende sich zwei Achsen befinden, er ist horizontal.
Auf dem Stab bringen wir [eine Scheibe K mit] Zähnen z^ an,
wie sie bei der Mühle {Rahä) oder dem Wasserrad {Dauläb)
verwendet werden. Die Zähne z greifen in die Zähne z^ ein.
Auf der Achse n wird noch
eine Rolle (Bakra) R be-
festigt; dreht sich diese, so
dreht sich mn, ferner der
Kreis E und der Stab ss^
wird verschoben. Über die
Rolle. R ist eine Schnur
gelegt (der Kreis R^ ist
nicht erwähnt, er ist wohl
eine Leitrolle für die Schnur);
am einen Ende der Schnur
befindet sich ein Schwimmer
S {Dabba)f am anderen ein Gewicht g, das als Spanngewicht
(Schäqül) dient*). Gießt man nun in a Öl ein, so steigt der
ein enges Loch unterhalb des Mundes, entsprechend der Stelle, bis zu der
ihr wollt, daß das Wasser in dem Krug oder Gefäß bleibe. Dann kehrt
ihr den Krug in der Schale {Tascht) oder das Gefäfi in der Lampe um.
Wasser und öl fließen dann ans den Schlitzen aus, bis die Flüssigkeiten
bis zu dem Niveau des Loches gestiegen sind. Ist dann so viel verbraucht,
daß die Öffnung frei wird, so tritt das dem Loch benachbarte aus. Und
es bleibt derselbe Zastand erhalten.
*) Die Figur entspricht fast ganz derjenigen des Originales. Zum
Verständois ist zu beachten, daß die Achse n senkrecht zur Ebene der
Zeichnung steht und das Loch a sich in dem Deckel B befindet. .
') Bei der Beschreibung der Lampe 3 ist dann erwähnt, «und das
Gewicht des Schwimmers ist größer als das Gewicht g, trotzdem schwimmt
der Schwimmer auf dem Öl" [wegen des Auftriebes].
— 203 —
Schwimmer S, die Rolle dreht sich unter dem Einfluß von g
von rechts nach links, der Stab ss^ wird nach rechts ver-
schoben. Zfindet man nun den Docht an, so nimmt das Öl ab,
der Schwimmer sinkt, das Gewicht steigt und durch die Drehung
der EoUe wird der Stab sSj nach t hinbewegt und der Docht
herausgeschoben ^).
3. Eine Kombination der beiden ersten Lampen ist die im
folgenden beschriebene. Die Aufgabe lautet:
Herstellung einer Lampe, deren Docht von selbst hervor-
kommt und deren Öl von selbst hineinfließt. Jeder, der sie sieht,
glaubt, daß durchaus nichts vom Öl und Docht verzehrt wird.
Diese Lampe ist unter dem Namen Lampe Gottes (Sirdg Alldki)
bekannt
Die Lampe besteht der Natur der gestellten Aufgabe nach
aus zwei miteinander verbundenen Teilen I und 11, wie sie auch
in der Figur bezeichnet sind. — Der Teil I entspricht im wesent-
lichen der zuerst beschriebenen Lampe, die Öffnung e entspricht
der Öffnung, durch die o bei Rj geht, der Teil n der zu zweit
beschriebenen Lampe. Aus Figur 2 ist die Leitrolle R, nach rechts
verschoben, die Schnur o ist aus n in I durch die in Fig. 1
gezeichnete Öffnung o geführt').
Das Funktionieren der Lampe ist klar.
Wohl voD einer Beschreib ung einer anderen Lampe, die aber im
wesentlichen auf demselben Prinzip bernfat, stammt die Angabe, daß man
»wischen I und II ein Loch macht, von dem ein Rohr zu einem Schnabel
führt, aas dem das Öl ausfließt'). Der Schnabel steht natürlich höher als
das Loch e (Lampe I).
Von dieser Lampe heißt es dann weiter:
Die Lampe brannten die Leute, die mit den religiösen An-
gelegenheiten {Adjän) zu tun haben. Sie glauben, daß man in
^) In den Pneumatika von H e r o n (Hb. J, 34, ed. W. S c h m i d t , S. 163) ist
die Aufgabe behandelt, eine Lampe herzustellen, die von selbst den Docht
zur Tülle schiebt. Die Konstruktion ist ähnlich der eben beschriebenen \
man hat das Zabngestänge z, die Zähne z^; dagegen ist der Schwimmer
mit einer vertikalen Zahnstange versehen, die in die Zähne z^ eingreift.
Der Docht ist bei Heron um das Gestänge z geschlungen, bei den Benü
Müsä dagegen an dessen vorderen Ende befestigt. Im ganzen dürfte die
Anordnung der letzteren zweckmäßiger sein. — Andere Kandelaber sind
bei Heron (a. a. 0. lib. II, S. 265 ff.) beschrieben.
*) Von dem Kreis Kj und dem Stab p ist im Text nicht die Rede.
') Die Buchstaben lassen auch auf eine Interpolation schnellen.
— 204
ihr eine ewige Lampe habe, bei der das Feuer nicht erlischt,
und zwar brennt es ununterbrochen in dem Rohr des Feuers,
das ist bei den Ma-
gieren der Fall und
in der Kirche, das
ist bei den Christen
der Fall. Stellt man
den Leuchter (den
Träger der Lampe)
und den Ölbehälter
{Chh4na) versteckt
in der Wand auf, so
daß man nur die
Lampe {Siräg) sieht, so macht das auf den Beschauer einen
schöneren Eindruck.
Eingeschoben ist noch eine Bemerkung, nach der man diese Lampe
auch als Uhr benützen kann, sie lautet etwa: Gelegentlich kann man
mittels dieser Anordnung eine Lampe, die die Stunden anzeigt, konstruieren.
Je nach Ablauf einer Stunde fällt eine Kugel (es ist dies wohl k, die aus
L herausfällt). Es geschieht dies ja freilich nicht zur vollkommenen, wohl
aber zur angenähert richtigen Zeit. Man kann es auch so einrichten, daß
je nach Ablauf eines Tages der Schwimmer bei seinem Sinken eine Kugel
(Bunduq) wirft. Wollen dann die Menschen wissen, seit wie lange die
Lampe gebrannt hat, so sehen sie nach der Zahl der Kugeln und rechnen
für jede Kugel einen Tag.
i. Anfertigung einer Lampe, die, wenn man sie in heftigen
Wind stellt, nicht erlischt.
Auf einem Leuchter ist zunächst ein gebogener Stab S be-
festigt. Ein offener Halbzylinder H aus Kupfer hat an den beiden
Endflächen zwei Achsen a^
und aj-, in seiner Höhlung ist
die Lampe L befestigt und
weiter an ihm ein dreieckiges
Kupferblech b (oder ein an-
ders gestaltetes)^), dessen
Ebene senkrecht zur Hori-
zontalen steht. Wird nun
die angezündete Lampe in
den Wind gestellt, so stellt
das Blech b oben an dem Gestell S
Fig. 4.
^) Im Original ist irrtümlich
angebracht
— 205 —
sich dieä Blech b in die Windrichtung. Zu dieser Zeit ist die
Lampe durch die Fläche des Hohlzylindei'S vor dem Winde ge-
schützt und erlischt auch nicht, wenn der Wind weht.
II.
Von der Lampe in der Grkbeskirche, die am Sonnabend vor
Ostern durch ein von oben kommendes Licht entzündet wird,
wobei das Balsamöl eine Rolle spielt, wird vielfach bei den
arabischen Schriftstellern gehandelt. Eine sehr ausführliche
Darstellung findet sich bei al Oauba7% der im vierten Kapitel
seines Werkes die Betrügereien der Mönche behandelt*). Nach-
dem er, wie es für ihn als Muslimen natürlich ist, die Mönche
mit noch mehr bösen Eigenschaften dargestellt hat, als die anderen
Kategorien der von ihm behandelten Schwindler, fährt er fort:
Sie sind nach jeder Richtung die lügnerischsten Geschöpfe. Zu
ihnen gehören diejenigen, welche für ein Kloster ein Fest ver-
anstalten, bei dem sie dann irgendeinen Schwindel ins Werk
setzen^ durch den sie das Hab und Out der Christen verzehren.
Ich will Dir etwas hiervon genau berichten:
Wisse, daß die größte Betrügerei dieser Leute die Lampe
in der Grabeskirche ^) zu Jerusalem ist. Sie ist ein Werk der
Mönche und alle Christen, ihre Stämme und Familien, haben
sich dadurch düpieren lassen. Der König al Miiazzam Ibn al
Malik al 'Ädil, (1200—1227 n. Chr.), Gott möge seinen Geist
heiligen, betrat die Grabeskirche am Sabbat des Lichtes und sprach
zu dem Mönch : Ich werde nicht eher fortgehen, ehe ich nicht ge-
sehen habe, wie dieses Licht herunterkommt. Da sagte zu ihm
der Mönch: Was ist Dir lieber, das Geld, welches Du aus diesem
Anlaß erhältst oder daß Du darüber Klarheit erlangst. Hast
Du nämlich sein Geheimnis enthüllt, so verlierst Du diese Ein-
') Mir haben zur VerfttguDg gestanden der Drnck von DamaskuB,
eine Handschrift aus Gotha (Nr. 1375), eine aus Berlin Nr. 5563 (Lbg. 117),
eine ans Leyden Nr. 1222 (Gol. 191). Ober Gaubart hat de Goeje sehr
ansHlhrlich gebandelt.
') Es steht Kanisat al Qumdma Eehrichtkirche, statt Kanisat al
^jamaAuferstehungskirche, nach Le Strange S.202 ist es eine absichtliche
Verdrehung der Worte. 'AUvonHerdt (LeStrange S. 207) bemerkt, daß
nach den Christen es al Qijäma heißt, weil sie glauben, daß dort der
Messias auferstanden sei*, der Ort heißt aber al Qumäma^ weil dort ihr
Kehrichthaufen war u. s. w.
— 206 —
känfte. So lasse es denn verschleiert and wohl behütet and
nimm diese gewaltigen Einkünfte ein. Als der Fürst das hörte,
verstand er den verborgenen Sinn der Rede des Mönches; daher
ließ er die Sache aaf sich berahen and ging heraas.
Die Sache ist aber die, daß diese Lampe {QandtJ) die größte
Betrügerei ist, welche die Alten hergerichtet haben. Sie besteht
in folgenden: Am obersten Ende der Kappel ist daza eine eiserne
Büchse (flw^g) angebracht; die Angel (/2a;t^a, die Berliner Hand-
schrift hat Ruxxa) des Drahtes (Kette 8ilsila\ an dem sie (die
Büchse) aufgehängt ist, ist in dem Halbmond der Kappel sorg-
fältig befestigt^) (in den Handschriften muhajidam). Und nar
der Mönch weiß über sie Bescheid; für den Draht ist in der
Büchse ein Hohlraam. In der Nacht des Sabbat des Lichtes steigt
der Mönch za der Büchse and tut in sie ein Schwefelpräparat
{Matbüh al KibrU) ähnlich dem Teig {Sanbüsaky)\ er macht
unter ihr ^) Feuer an, das auf die Stande berechnet ist, zu der
das Licht herantersteigen soll ; dann wird der Draht mit Balsamöl
bestrichen. Ist die Zeit gekommen, und ist das Feuer angezündet,
so ergießt sich die Paste reichlich über die Angel der Kette
in dieser sorgfältig angeordneten Büchse, so daß sich von diesem
Punkt das Balsamöl erstreckt; es wandert längs des Seiles zu
der Lampe; das Feuer hängt sich an den Docht der Lampe,
der zuerst mit dem Balsamöl getränkt wird.
Einige weitere orientalische Nachrichten über die Lampe
sind folgende:
Jaqüt (Bd. 4, S. 174) ist von einem muslimischen Beamten
berichtet worden, er habe sich in der Kirche nach dem Feuer,
dessen Erscheinen sich verzögerte, erkundigt und als der Priester
Ausflüchte machte und wünschte, daß er sich entferne, gesagt:
Jetzt will ich sicher sehen, was Du anstellst. Denn siehe, ich
habe in einem Werke über Zauberei {Ntrangijät) gefunden, daß
man der Lampe (Qandil) eine Wachskerze nähert, so daß sie
plötzlich an ihr befestigt ist; da das Volk das weder sieht noch
') Die Handschriften haben muhandam, der Druck muhandis,
*) Sahbüsak ist pätisserie und Maibuh eigentlich das Gekochte, maii
hat wohl eine durch Znssmmenerhitzen von Fett und Schwefel hergestelltes
Präparat.
') Die Handschrift in Berlin hat „in ihr!*.
— 207 —
weis, so sehen sie es als einen wunderbaren Vorgang an, der vollen
Glauben verdient
Qaxmtnt (Bd. 2, S. 109) gibt keine Angabe über das An-
zünden der Lampe.
Zu dem Licht in der Grabeskirche findet sich eine Stelle
im Bar Hebraeus {Abu'l Farag) Chronicon syriacum; es heißt I
dort bei der 10. Dynastie (in der Übersetzung von Bruhns und j
Kirsch S. 220): Es hatte jemand dem Chalifen Häkim (um 1000)
erzählt, daß wenn die Christen um das Paschafest in Jerusalem
vereint wären, die schlauen Vorsteher der Kirche den eisernen
Draht, an dem der Kandelaber über dem Grabe aufgehängt
war, mit Balsamöl bestrichen und, nachdem der arabische Präfekt
die Türen verschlossen, oben am Dach am obersten Ende des
Drahtes Feuer entzündeten, das dann zum Lampendocht herab-
fließe und diesen entzündete.
Die älteste Erwähnung des heiligen Feuers, das von den Grieehen
ins apostolischö Zeitalter verlegt wird, findet sich im 9. Jahrhundert bei
dem Mönch Bernhard.
Eine historische Darstellung über die Geschichte des Feuers, das die
Lampen in der Grabeskirche anzündet, gibt K. v. Rau me r , ohne sich aber
auf den Vorgang selbst einzulassen. (E.v. Raumer, Palästina. 4. Auflage.
Leipsig 1860, S. 825 ff.)
. Weitere Literatur findet sich bei Tob 1 e r, Golgatha (1851), S. 460 ff. —
Sehr ausführlich handelt über die Grabeskirche G. Le Strange, Palästina
u. a. w. 1890, S. 202. (Den Hinweis auf diese Stellen verdanke ich Herrn
Prof. Dr. H. Guthe in Leipzig.)
Den jetzigen Verlauf schildert Bädecker folgendermaßen: Am Sonn-
abend vor Ostern, um 2 Uhr nachmittag, geht eine Prozession der hohen
Geistlichkeit um das Grab herum, nachdem alle Lampen vor den Augen
des Volkes ausgelöscht worden sind. Einige Glieder der hohen Geistlich-
keit begeben sich in die Grabkapelle; das Volk ist in Spannung, die
Priester beten; endlich wird das vom Himmel gefallene Licht ans einer
Lücke des heiligen Grabes herausgereicht, und nun gibt es einen un-
beschreiblichen Tumult, da jedermann als der erste sein Kerzenbttndel
anzünden will.
In dem Kapitel, das sich an dasjenige über die Lampe in der Grabeskirche
anschließt, wird von al Gaübari ein in der Luft schwebendes Götzen-
bild geschildert, eine Schilderung, die auf einer Überschätzung der mag-
netischen Wirkungen beruht. Da die Beschreibung solcher schwebender
Figuren, die sich auch sonst vielfach wiederholt, bei Gaubari ziemlich aus-
führlich ist, so sei sie etwas gekürzt mitgeteilt, und zwar nach der Berliner
und Leydener Handschrift, die weit ausführlicher sind als der gedruckte Text.
— 208 -
Es beißt etwa: ^Zn ihren (der Mönche) Geheimnissen gehört das Kloster
des Götzenbildes {Dair al Sanam), Dies ist berühmt und gehört zu den
Wundern der Dinge. Es ist ein eisernes Götzenbild in der Kuppel zwischen
dem Boden und der Luft, es fallt nicht zur Erde nnd steigt nicht nach
oben, es neigt sich weder nach rechts noch nach links, noch nach hinten
noch nach vorn. Die Franken, Rumaer (Byzantiner), Griechen und alle
Christen Völker werden durch dasselbe düpiert. Dies Bild ist ein Werk der
Weisen JablünuSy (Apollonius von Tyana). Dazu baute er eine Kuppel
aus Magnetstein und konstruierte das Götzenbild nnd stellte es auf
mit Klugheit, entsprechend der Größe der Wirkung von jeder Seite
und des oberen Endes der Kuppel. Der obere Teil der letzteren ließ es
nicht herabsteigen und die Seitenwände es sich nicht neigen, indem sie es
gleichmäßig anzogen. Es blieb in der Mitte stehen, stieg nicht hinauf
und nicht hinab und neigte sich nicht. Das gehört zur Schlauheit and
zur List.
Hierher gehört auch das Kloster des Handgelenkes {^fi'sam), nämlich
der Hand und des Handgelenkes; auch dieses besteht aus Eisen. —
Einen Bericht von einem solchen schwebenden Götzenbild aus Indien
gibt auch Qaewini (Bd. 2, S. 68); einen Auszug desselben enthält die
Chrestomathie, die von den Beyrnter Jesuiten herausgegeben worden ist
{Magdni al Adab Bd. 3, S. 241), dem ich im wesentlichen folge, da er
nur für uns unwesentliches ausläßt. Es heißt:
Zu den Wunderdingen in der Stadt Sümända^) gehört ein Tempel
mit einem Götzenbild, das in der Mitte des Gebäudes seine Lage bei-
behält, ohne daß es von unten gestützt oder von oben her aufgehängt
ist. Dies Götzenbild stand bei den Indem in hohem Ansehen und wer
es in seiner unveränderlichen Lage sah, staunte, gleichgültig ob er Musel-
mann oder Ungläubiger war. Die Inder wallfahrten zur Zeit der Mond-
finsternis zu ihm und brachten ihm als Opferspenden, was es nur an
Kostbarkeiten gab. Als fromme Stiftungen {Wafq) besaß es mehr als
10000 Ortschaften» An Tempeldienern hatte es 1000 Biahmanen, um den
Gottesdienst zu versehen und die Brandopfer zu besorgen. Das Haus
war auf 56 Säulen errichtet, die aus mit Zinn {Rasäst auch Blei) belegtem
Teakholz bestanden. Die Kuppel, in der das Götzenbild sich befand, war
finster; ihr Licht kam von den Leuchtern des ausgezeichneten Juwels.
Bei ihm befand sich eine goldene Kette von 100 Mann (ca. 200 Pfund);
sobald ein Teil der Nacht vergangen war, wurde sie in Bewegung gesetzt;
es ertönten die Glocken und ein Teil der Brahmanen erhob sich zum
Gebet. Man berichtet, daß, als der Sultan Jamin al Baula Mahmud Ihn
Sebuktekin*) in Indien (410 d. H. 1025 n. Chr.) eindrang und das Götsen-
^) Sümdnäa lag in der Gegend des heutigen Balbhi, der Hauptstadt
der Halbinsel Guzerate; dort landeten zuerst die Schiffe aus Aden (vgl.
Gildemeister, Scriptorum araborum de rebus indicis etc., S. 44; in
diesem Werk ist auch die Stelle aus Qazwint S. 205—207 übersetzt).
*) Dieser Sultan regierte 861—421 d. H., (972—1031) n. Chr.
— 209 —
bild sah, ihn das, was mit ihm zusammenfaiDg, in Erstaunen setzte
und daß er zu seinen Gefährten sprach: Was meint Ihr zu diesem Götzen-
bild und darüber, daß es unbeweglich in der Luft und ohne eine Auf-
hängevorrichtung schwebt Einige sagten, daß es aufgehängt sei, die
Aufhängevorrichtung aber vor dem Blicke verborgen angebracht sei.
Einer der Anwesenden sagte, ich meine, die Kuppel besteht aus Magnet-
stein and das Götzenbild aus Eisen ; der Künstler hat sich bestrebt, sein
Werk sehr sorgfaltig auszuführen und sorgfältig beachtet, daß sich die
Kraft des Magnetsteines auf den verschiedenen Seiten entspricht. Einzelne
stimmten ihm bei, andere widersprachen. Als er zwei Steine von dem
oberen Ende der Kuppel fortnahm, neigte sich das Götzenbild nach der
einen Seite. Als er dann einen Stein nach dem anderen fortnahm, sank
das Götzenbild herab, bis es auf den Erdboden aufstand.
Von der Kirche in Palermo (Baiarm) wird von verschiedenen
Autoren berichtet, daß dort Aristoteles in einem Holzsarg zwischen Himmel
und Erde aufgehängt sei; doch ist dabei nicht gesagt, ob der Sarg frei
schwebt; von einem Magneten ist auch nicht die Rede (vgl. IbnHauqal,
Geogr. arab. Bd.2, S.82); andre Stellen beiM. Amari, Biblioteoa arabo-
«cula S. 4, 72, 106, 127, 140).
Die Vorstellung von einem unter dem Einfluß eines Magneten frei-
schwebenden Bildnis geht schon auf die Antike zurück. Plinius berichtet,
(Lib. XXXVI 14, § 147) der berühmte Baumeister Timochares habe auf Befehl
des K($nigs Ptolemäus Philadelphus II. (f 264 v. Chr.) angefangen einen
Tempel zu Alexandria aus Magnet zu wölben, zu Ehren der königlichen
Schwester und Gattin Arsinoe, um das eiserne Bildnis derselben darin
frei in der Luft schweben zu lassen; der Bau sei aber durch den Tod
des Baumeisters unterbrochen worden. Spätere lassen den Bau vollendet
sein und statt des Königs einen Cupido, einen Sonnengott, eine Quadriga
schweben. Ich teile nach G. A. Palm (Programm Maulbronn 1867) die
Zitate für die Stellen mit. Isidorus Orig. 16, 21. Augustinus de civ.
Dei XXI, 6. Kufinus bist. eccl. II, 33. Prosper Aquitanus de promis-
sione Dei III, 88, 3. Suidas bei ,Magnetes'. Zenobius, Corpus paroemiogr.
graee. Tom. I, 4, 22.
Nach dem Talmud soll die Krone des ammonitischen Königs 2. Sam. 12
und Jerobeams goldenes Kalb durch einen Magneten schwebend erhalten
werden. Nach abendländischen Berichten wurde auch der Sarg Muham-
meds in Medina in ähnlicher Welse in der Luft schwebend erhalten (vgl.
ebenfalls G. A. Palm a. a. 0. Dort finden sich die Angaben der Alten
über den Magnet gesammelt).
in.
In dem Werk von al Zarckürt (ca. 1400 n. Chr.) über die
mechanische Taschenspielerei ^) ist eine ganze Beihe von Lampen
beschrieben^ die zu Eunststttcken u. s. w. dienen.
^) Die einzige bekannte Handschrift ist in Leyden (Nr. 1235 Katalog
SltBnngsberiehte der phys.-med. Soz. 39 (1907). 14
— 210 -
Einmal wird ein Leuchter {Qandil)^) beschrieben, der im
Wasser in einem Becken, Brunnen oder Fluß anhaltend brennt
und nicht erlischt. Dazu bringt man auf dem oberen Ende des
Leuchters ein rundes Himmelsgewölbe [Falka) an*), das auf
seinem Kreise befestigt ist. Dann durchbohrt man es [oben] und
setzt in dieses Loch ein hohles Rohr, ähnlich der Zarbatäna^)
(Blasrohr), mit welcher man auf die Sperlinge schießt. Sein
oberes Ende ist oberhalb des Wassers befestigt. Aus dem Bohr
tritt der Bauch aus, und der Leuchter erlischt nicht und das
Wasser tritt nicht aus ihm aus. (Der Verfasser hat offenbar
den Versuch so nicht angestellt, da er sonst gesehen, daß das
Licht bald erlischt.)
Eine Lampe (Sirdg), die durch Wasser brennt, übergehen
wii\ Dann wird eine Lampe beschrieben, in die man Wasser
gießt, das sich in Öl verwandelt. Diese Lampe ist „wundervoll*'
konstruiert. Ihr Fuß (lies Manära statt Manäna) ist hohl und
mit Öl gefüllt. Unterhalb des Henkels befindet sich ein Bohr,
das bis in den Fuß hinabgeht. Nimmt das Öl ab, so gießt man
Wasser in die Lampe. Dieses fließt in die Höhlung im Fuß
und das Ol steigt in die Höhe, bis das Öl aus dem Fuß aus-
geleert ist.
Dann wird eine Wachskerze (Schanfa) beschrieben, deren
Feuer geschmückt (mutawwas) ist (d. h. eine farbige Flamme
zeigt). Dazu nimmt man eine Wachskerze und schabt sie ab,
bis der Docht sichtbar wird. Dann streicht man rings um diesen
die zu erwähnenden Chemikalien. Sie brennt geschmückt grün
und blau. Die Chemikalien sind Grünspan, Indigo je ein
Teil, Schwefelarsen V2 Teil, ebensoviel Schwefel und Salpeter
Bd. 3, S. 182); einiges wenige aus derselben hat M.de Goeje (Z. D. M. G.
Bd. 20, S. 507. 1866) mitgeteilt. Ich selbst habe daraus veröffentlicht
Abschnitte über Alchemie (Journal für praktische Chemie Bd. 76, S. 86.
1907) und über den Kompas (Verhandlungen der deutschen physikalischen
Gesellschaft 1907, S. 764).
^) Qandil bedeutet hier einen Leuchter, aber auch ein zylindrisches
Gefäß, ferner eine Lampe.
*) Man hat wohl eine Halbkugel, die unten durch eine ebene Fläche
begrenzt ist. In der Mitte ist diese durchbohrt und auf dem Leuchter
befestigt.
*) Zarbtäna statt Zäbafäna ist SarbacanCf das Blasrohr, mit dem ;
Vögel tötet.
- 211 —
{Bärüd). Dies alles wird zasammengerieben, außer dem Schwefel
und dem Schwefelarsen, die fttr sich gerieben werden. Dann
vereinigt man sie alle durch Reiben und bringt sie rund herum
auf der erwähnten Wachskerze an. (Das Farbengebende ist der
Grünspan und der Schwefel, Indigo ist wegen seiner blauen
Eigenfarbe zugesetzt.)
In diesem Abschnitt sind weiter einige physikaliscfae Experimente mit-
geteilt, die z. T. auch jetzt noch gezeigt werden und die auf ältere Quellen
zurückgehen.
Zunächst ist gegeben eine Beschreibung der Flüssigkeiten, die über-
einander ohne Scheidewand aufgehängt (geschichtet) sind: Und wisse,
daB kein Mensch diese Methode kennt, sie ist erstaunlich im Entwurf^
wunderbar in der Ausführung. Sie besteht darin, daB Du in einem engen
Leuchter (Qandil) oder ßecher (Qadah) fünf, sechs oder mehr oder auch
weniger Farben übereinander schichtest und zwar ohne Scheidewände. Die
Methode der Ausführung besteht darin, da£ Du ein Schreibrohr aus Wästt
(in Mesopotamien) von der Länge des GefäBes, in dem Du den Versuch
anstellst, nimmst. Dann gießt Du in das Rohr Wasser. Fließt es wie ein
einziger Strahl aus, so verengere das Rohr mit dünnen Strohhalmen, bis das
Wasser aus ihm tropfenweise austritt. Dann bringe an ihm einen Trichter
aus Wachs an. Dann gieße in den Leuchter die erste Farbe [sc. die in
reinem Wasser gelöst ist]. Dann wäge in der zweiten Farbe einen Birham
(ca. 3,1 g) Salz ab, das köstlich an Farbe (d. h. rein weiß) ist, die Du dadurch
beschwerst; in der dritten wägst Du 2 Birham ab und so fort für jede
nächste Farbe. (In einer Figur ist ein Rechteck 2 cm : 8,8 cm durch fünf
horizontale Linien in sechs Teile geteilt und in diese von oben nach unten
gesehrieben 1, 2, 8 ... 6 Farbe.) (Die einzelnen Schichten haben ver-
schiedene spez. Gewichte.)
Bei dem Versuch mit den durcheinander geschüttelten Flüssigkeiten
befinden sich drei Flüssigkeiten in einem Becher oder einem Leuchter,
dann werden sie durcheinander geschüttelt, bis sie sich gemischt haben,
dann sondert sich wieder eine jede ab. — Eine der Flüssigkeiten ist
Wasser, die andere Sesamöl {8chira§), die letzte Sand, feingepulvertes
Qlas oder Quecksilber, dies ist die in der Höhlung des Gefäßes ruhende
Flüssigkeit.
Dann wird ein gefüllter Leuchter beschrieben, der umgekehrt ist
und ans dem doch nichts ausfließt: Das kommt vor, wenn Du mit einem
wettest, daß Du ihm einen mit Wasser oder öl gefüllten Leuchter zeigen
willst, der umgekehrt ist, so daß sein Boden sich oben und sein oberes
Ende sich unten befindet, ohne daß jemals etwas aus ihm ausfließt. Das
machst Du so, daß Du einen mit öl und Wasser gefüllten Leuchter nimmst
und ihn neben ein Becken mit Wasser stellst. Dann erscheint sein Bild
{Chajdla) umgekehrt, wie ich Dir gesagt. — Das gehört zu den Witzen.
Ferner wird von einem Leuchter erzählt, der gefüllt ist und aus dem,
wenn auch das Glas zerbricht, nichts ausfließt. Die Flüssigkeit wird in
14*
— .212 —
eine Schcafsblase oder Pergament getan, die das Glas innen aasfulleD. Zer-
bricht dann das Glas, so bleibt das Wasser in der erwähnten Blase.
Zahlreiche (36) Lampen anderer Art sind beschrieben in
einem Werk, Quellen der Wahrheiten und deutliche Auseinander-
Setzung der \yege von Abu'l Qäsim Ahmed al 'Iräqt; (Berlin
Ahlwardt, Katalog Bd. 5, Nr. 5567); sie ist 963/1556 ge-
fertigt, also hat der Verfasser sicher früher gelebt. Zunächst
beschreibt Abu'l Qäsim eine große Anzahl von Lampen, die
Visionen hervorrufen sollen oder andere Wirkungen ausüben.
Man soll beim Brennen der einen das Haus mit Schlangen oder
Skorpionen erfüllt sehen (dem Fett wird Schlangenhaut oder
gestoßene Skorpione beigemischt), oder mit fliegenden Vögeln,
oder sich selbst mit einem Hunds- oder Eselskopf, mit einem Toten-
gesichte, man erscheint schwarz tätowiert, mit verkrümmten Hals.
Eine Lampe ruft Schweigen der Frösche hervor, eine läßt das
Meer so erscheinen, als ob es überströmt. Eine andere ruft
Blähungen hervor, daß der Boden erzittert. Eine Lampe soll
durch Wasser, eine andere in demselben brennen. Man hat es
wohl durchweg mit alten magischen abergläubischen Vorechriften
zu tun. Einen wirklichen Sinn hat keine derselben, nach den
Titeln konnte man z. T. zunächst an farbige Flammen denken.
Am Schluß wird endlich eine Lampe, die vier Lampen anzündet,
beschrieben. Dazu benetzt man sie mit gutem Öl und stellt je
eine Lampe in die Ecken des Hauses, nimmt einen dünnen
Faden, den man mit Schwefel der Zarräq (der die Naphta
schleudernden Feuerwerker), dem Balsamöl beigemischt ist, be-
streicht. An jeden Docht macht man einen Knoten, bei dem
sich viel Öl befindet. Dann zündet man eine Lampe an und
alle entzünden sich. — Dies Verfahren erinnert an die in der
Grabeskirche befindliche.
Über eine bei Nacht leuchtende Laterne, die ein Ismaeliten-
fürst in Alamüt bei Eaj konstruiert hatte, berichtet al Diinaschqt
(Text S. 185, Übersetzung S. 250). Er nahm einen viereckigen
länglichen Kasten {Sandüq), dessen Seiten er je mit einer Reihe
von Papierschichten, die aneinander geklebt waren, bedeckte.
Außer aus dem äußersten Papierblatt waren aus allen anderen
Schriftzüge ausgeschnitten. Das äußerste wurde an der der Schrift
entsprechenden Stelle mit Sesamöl bestrichen. In den Kasten
— 213 ~
wurde bei Nacht eine Lampe gestellt und derselbe an einer
Lanze oder an einem erhöhten Punkt aufgehängt. Wer dies aus
der Ferne sah, glaubte daß es eine leuchtende Schrift sei. Es
wurde nur bei Nacht ausgehängt, bei Tage aber gelöscht.
Einzelne Beleuchtungsvörrichtungen sind auch in besonderen
Schriften behandelt, so enthält eine Handschrift in Beirut (vgl.
alMaschHq Bd. 9, S. 19. 1906) eine Abhandlung von einer Seite
mit dem Titel: Herstellung eines Kronleuchters (Turajjd), auf
dem 12 Lampen {Qandil) brennen, den IbnJünus^) aus Ägypten
konstruiert hat.
In den verschiedensten Werken werden Lampen und Leuchter,
die in Moscheen und sonst Verwendung fanden, vielfach erwähnt.
IV.
Von al Zarchurt wird eine Wachskerzenuhr {Scham'a)
beschrieben, mit etwa folgenden Worten : Beschreibung einer Kerze,
die dafür eingerichtet ist, bestimmte Stunden der Nacht anzuzeigen.
Bei dieser Kerze kommen zwei Kerzen zur Verwendung. Sie
hat eine Schüssel aus schönem Kupfer und brennt in ihr. So
oft eine Stunde der Nacht verflossen ist, fällt aus ihr eine Kugel
in die Mitte dieser kupfernen Schale. Um diese Vorrichtung
herzustellen, machst Du zwei Kerzen aus Wachs oder Fett, die
oben und unten gleich dick sind. Dann zündest Du die eine
an und kehrst die Uhr ^) um; ist die Stunde abgelaufen, so mißt
Du mit dem Zirkel, wieviel von der Kerze verbraucht ist. Ent-
sprechend diesem Stück teilt man an der zweiten Kerze zwölf
Stücke ab, von denen jedes einer Stunde entspricht. Dann bringt
man Kugeln aus Blei oder Kupfer an den für die Stunden be-
zeichneten Orten an. Das Gewicht einer Kugel sei 5 Dirham
(= ca. 15,5 g). Dann brennt die Kerze bis zur Kugel ab. das Wachs
') Über einen Mediziner und Mathematiker Ishdq Ihn Jünus vgl.
E.W. Ibn alHaitam. Festschrift für Prof. Rosenthal, S. 175. — AWl
Hasan 'Ali Ihn Jünus war ein großer Astronom, der sich auch mit anderen
Wissenschaften befaßte; von ihm rühren die Häkimitischen Tafeln her
(vgl. Snter S. 77, Nr. 178).
•) Die Uhr heS^t Minkäh, vielleicht ist statt dessen 5mÄ:dm zu lesen;
man hat es offenbar mit einer Sanduhr zu tun. In dem Codex arab.
Dresden 210 findet sich die Abbildung einer Sanduhr mit der Beischrift
al Mindkab, d. h. die Uhr {al Sä'ä).
— 214 -
schmilzt und sie fällt in die Enpferschale unter ihr und diese
erklingt, und aus der Zahl der Engeln, die in die Schale ge-
fallen sind, erfährt man, wieviel von der Nacht verflossen ist
Und verstehe es! und es ist eine wundervolle Methode*).
V.
Am Schluß der Leydener Handschrift Nr. 1026, die das
Werk von al Oaxart enthält, wird auch eine Reihe von Wasser-
uhren beschrieben.
Es heißt dort: Lob sei Gott. Von dem Scheck Schams al
Din Ihn Abt al Fath^), Beschreibung eines Instrumentes, aus
^) Derartige Kerzennhren kommen vielfach bei verschiedeneu Völkern
und zn verschiedenen Zeiten vor. Interessant ist die Art der Eichung.
*) Die <U (ra;?arthand8chrift (Leyden 1026) ist von einem Muhammad
al Jehüdi im Jahre 969 d. H. (1561/62) abgeschrieben worden, nnd
zwar ans einer Abschrift des Scheich Schams al Din Ihn Ahu*l Fath al
Süß. Daraus geht hervor, daB sie abgeschrieben ist aas einer in der
Bodleiana zu Oxford befindlichen (Nr. 886 Uri-Ms. Grad 27). Diese Ab-
schrift wurde nach dem Schlußsatz der Oxforder Handschrift geschrieben
von Muhammad Ihn (unter der Linie Ahu^ Fath) Muhammad Ihn 'Isd
la Süf%\ sie fährt dann fort Lob sei Gott. Von dem Schreiber (d. h. der
Abschrift) Beschreibung u. s.w. — (Herrn A. Cowley in Oxford, der
so gütig war, die Oxforder Handschrift noch einmal zu vergleichen, sage
ich auch an dieser Stelle den besten Dank.).
Wir sehen daraus, daß der Schams al Din, der die Handschrift ab-
schrieb, auch der Verfasser des Zusatzes ist.
Ein Muhammad Ihn Ahü^l Fath Schams al Din <il Suft al Misri
starb ca. 900 (1494/95, vgl. Suter Nr. 447, S. 186), er hat über Sonnen-
uhren geschrieben und über den Gebrauch des Instrumentes genannt Sandüq
al Jawdqit (die Edelsteinschachtel, Berlin 5845); das Instrument hat zu
astronomischen Beobachtungen gedient. Da unsere Gazari Handschrift, wie
erwähnt, ans einer im Jahre 891 geschriebenen stammt, so kann sehr
wohl dieser Schams al Din in Frage kommen.
Das von Schams al Din beschriebene Instrument rührt von 'Alä al
Din Ihn Schätir al Dimaschqi her. Es hat, wie die Handschrift (Ahl-
wardt Katalog Nr. 5845) ergibt, die Gestalt eines Kastens, auf dessen
Seiten z. T. Yorsprünge angebracht sind. In dem Deckel befindet sich das
Bild Qiw^^Mihrab (Gebetsnische). Es besteht aus einer Platte aus gelbem
Kupfer, in die zwei Säulen eingeritzt sind, zwischen denen das Mihrdh
sich befindet, in seiner Mitte (im Bilde) ist an einer Kette eine Lampe
aufgehängt. Je nach den beabsichtigten Beobachtungen gibt man dem
Kasten verschiedene Lagen. Besonders erwähnt werden solche für
— 215
Fig.' 5.
dem man die Stunden kennen lernt. Man nimmt (Fig. 5*) ein
Faß A (Chäbia) aus gepichtem Holz und macht an seinem Bodeq
ein kleines Loch o. Auf den Durchmesser des Fasses legt man
eiu in der Mitte durchbohrtes Lineal 1. In dasselbe setzt
man einen geraden Holzstab h, der
in Stunden geteilt ist und befestigt
ihn auf dem Schwimmer S. Fließt
das Wasser aus dem Loch aus, so
siukt der Schwimmer und mit ihm
der Stab; an seiner Teilung erkennt
man, wieviel Stunden bleiben oder
vorübergegangen sind. Man kann
auch von unten Wasser in das Faß
leiten und der Schwimmer steigt in
die Höhe und der Stab erscheint
mit seiner Teilung. Daraus erfährt
man die Zeit ( Wagt).
Ein anderes Instrument (Fig. 5*»), durch das man ebenfalls
die Stunden kennen lernt, ist das folgende: Man nimmt ein
hölzernes Lineal 1 (Misfar) und fertigt für dasselbe ein hölzernes
Futteral f(ÖiM/); in das Lineal bohrt man kreisförmige Öffnungen,
von denen eine jede eine Kupferkugel aufnehmen kann. Die
Öffnungen sind nach unten geneigt, damit die Engeln nicht in
ihnen festhängen. Dann bringt man in jede Höhlung eine Kugel
und führt das Lineal mit den Kugeln in das Futteral ein. Das
letztere befestigt man auf dem auf dem Wasser befindlichen
Schwimmers; feraer stellen wir eine Rolle r hoch an der Decke
des Gemaches auf. Von ihr läßt man zwei Schnüre herab (die
oben verbunden sind). Das Ende der einen Schnur ist an dem
Lineal, das des anderen an dem Futteral befestigt. Fließt das
Wasser aus dem Loch o aus, so sinkt das Futteral und das
Lineal steigt und die Kupferkugel rollt (du^irag) in eine Schale
aus Kupfer oder etwas ähnliches. Man hört dann einen heftigen
Schall und weiß darum die Zeit. (Die Zeichnung ist nicht ganz
genau.)
Bei einer anderen Uhr (vgl. hierzu Fig. 6) nimmt man eine
Rolle R von großem Durchmesser und wickelt auf sie einen Faden,
DamaskuB, Aleppo u. s. w. — Auf die Einzelheiten einzugehen würde zu
weit führen.
— 216 ~
der sich aus einzelnen gefärbten Stttcken*) zusammensetzt, die
Länge eines jeden Fadens entspricht einem Umfang der Rolle. Das
eine Ende des ganzen Fadens befestigt man am Schwimmer,
wie das oben beschrieben ist, das andere Ende ist mit einem
Senkel a (Schdqül) beschwert. Sowie der Schwimmer nach unten
sinkt, erscheinen die Farben entsprechend den verflossenen und
übrig bleibenden Stunden. — Man kann auch die [große] Rolle
für den Schwimmer und die kleine für die Farben verwenden;
dies ist für die Arbeit der Hand anzuempfehlen, um die Schnellig-
keit und Langsamkeit kennen zu lernen. Der Arbeiter führt
dies aus entsprechend dem, wie es die umstände verlangen.
Zweckmäßiger benutzt man die große Rolle für die Farben,
wie dies in der Figur gezeichnet ist, da dann die Farben für
jede Stunde, die sie messen, länger sind.
cö:
y
^
o
M*
"1
Fig. 6.
Fig. 7.
Anschließend an die Uhren ist noch angegeben : Beschreibung
des Kastens (Sanduq\ aus dem man den Ton der Harfe {Sanfir)
und den Schlag der Trommeln (Küs) hört und zwar mittelst einer
^) Die einzelnen Stücke sind wie im Original durch yerschieden
dicke Striche angedeutet. Man hat drei Konstruktionen, in einem Fall
geht die in Abschnitten gefärbte Schnur vom Schwimmer zur Rolle, um
diese einigemal herum und dann zum Senkel; im zweiten und dritten
Fall sind zwei Schnüre verwendet, im zweiten Fall ist die eine ungefärbte
um eine große Rolle geschlungen und gehört zum Schwimmer, die andere
gefärbte ist um eine kleinere Rolle (eventuell die Achse) gelegt, im dritten
Fall, der auch gezeichnet ist, ist das umgekehrte der Fall
— 217 —
Schnur {Habl)j die um Rollen gewickelt ist. — Die Beschreibung
ist nicht gegeben, wohl aber die beistehende Figur (Fig. 7). Aus
ihr geht hervor, daß eine Schnur zwei Achsen A und B bewegt;
auf A ist eine Rolle r^ mit drei Stiften befestigt, die auf ein
Saiteninstrument i wirken. Auf der anderen Achse befinden sich
zwei Rollen t^ r, mit je vier Stiften, die je drei Hämmer h
( Oükdn) ^) bewegen, von denen die einen auf eine Trommel k {Küs\
die anderen auf eine ebensolche t von anderer Konstruktion {Tahl)
wirken.
Zu den Uhren ist folgendes nachzutragen:
Auf sehr intereBBante chineBische Berichte aus dem 10. iNid
41. Jahrfaandert über eine Uhr in Antiochia hat H. Prof. Dr. F. Hirth
mich aüfmerkBam gemacht, Bie lauten etwa folgeDdermafien: Im oberen
Stockwerk doB zweiten Tores haben sie einen großen goldenen Maßstab
(8c<üe) aufgehängt. An dem Stab desselben sind 12 goldene Kugeln auf-
gehängt, durch welche die zwölf Stunden des Tages angezeigt werden. Eine
menschliehe Figur ganz aus Gold von der Höhe eines aufrecht stehenden
HeuBchen ist angefertigt; auf ihre Seite fällt, wenn eine Stunde ge-
kommen ist, eine der Kugeln. Der klingende Ton derselben macht die
Teile des Tages ohne den geringsten Irrtum bekannt. — Hirth hält
das Ganze für eine Wasseruhr. (F. Hirth, China and the Roman Orient
p. 213, Leipzig 1885.)
Eine Uhr, die an die eben beschriebene erinnert, hat dl Chdzini
beschrieben. Ich hoffe bald die kurze Angabe in Ehanikoffs Arbeit
(J. Am. oriental. for Bd. 6, S. 105), durch eine Übersetzung des ganzen
Stückes ergänzen zu können.
Zu Uhren Binkäm und zu Manganün u. s. w. iBt zn vergleichen
L.Fleischer, Leipziger Berichte Philol.-hist. Klasse Bd. 38, S. 90. 1886.
Die Uhren mit Schwimmern gehen bekanntlich auf Uhren der Antike
zurück, Ygl. z. B. die Abbildungen in Bailly, Histoire de 1' Astronomie
moderne. Paris 1779, Bd. 1, S. 61.
Über Wasseruhren, wie sie N. yonCusa benutzte, vgl. S. Günther,
Abh. s. Gesch. d. Math. Heft 9, S. 148. 1899.
Bei H. Ch. (I, S. 346 u. 891, vgl. auch VII, S. 1171, Nr. 6412) wird
ein Muhji al Bin AhuH Mdäli Murtaf Ihn Hasan al 8ä*dt%, der Uhr-
macher, erwähnt, er schrieb über das Astrolab.
Zu V, S, 419 (1). Zu einer indischen Uhr, die unten eine Öffnung hatte
und ins Wasser gesetzt wurde, wobei sie zunächst langsam und dann
plötzlich unter hörbarem Zusammenklappen des Wassers untersank, vgl.
Cantor, Gesch. der Math., 3. Auflage, Bd. 1, S. 39.
^) Gukän ist ein am Ende umgebogener Stock, der bei Geridspiel
benatzt wird; vgl. G. Jacob, Sultan Soliman des Großen Diwan, S. 18,
Anm. 1.
— 218 —
420. Die Verse in der Enzyklopädie des JVbtraiVI stehen inKusehdgim
Btwdn (p. 82, BeyrÜt 1313).
ZnX, S. 349. Antike Wasseruhren kommen z.B. vor bei H.Schöne,
Markellinos Pulslehre, Festschrift z. 49. Vers, deutscher Philologen. Basel
1907.
Nachträge.
Zu den früheren Beiträgen seien hier einige Nachträge gegeben.
Beiträge IL
S. 318 ff. Einige weite Notizen über die elektrischen Fische
(Ba^^äda Erschütterer oder Zitternmacher) sind die folgenden.
Die Stelle in Heron, Pneumatiks 26,20, wo vdQxrj vorkommt und die
heißt: „Ja, es. dringt sogar durch Kupfer, Eisen und alle anderen Körper
ähnlich wie der Schlag des Zitterrochens sich durch alle Körper über-
trägt, geht nach W. Schmidt auf Straten von Lampsakos zurück,
also auf das 4. Jahrh. vor Christus.
Nach dem unmittelbar Vorhergehenden müBte man eigentlich unter
„es" das Licht verstehen, da das aber sachlich nicht möglich ist, so ist
wohl von der vorigen Seite (24, 24) ^ ^sg/Aorije (die Wärme) zu ergänzen.
Zu elektrischen Fischen findet sich eine Reihe von Verweisungen bei
Immanuel Low (Nöldeke, Festschrift I, S. 664).
Sehr ausführlich über den Malapterurus electricus sind die An-
gaben bei "^Ahd dl Lauf (Relation de PEgypte ed. S. de Sacy), ebenso
die dort gegebenen literarischen Nachweise. (Die Stelle steht in der
Ausgabe von P a u 1 u s S. 46/47. Die Übersetzung bei S. d e S a c y S. 145/ 146
und Note S. 167.)
Ein anderer Name für Zitterrochen ist auch BcTaach,
Von den Härraniem berichtet cd Beruni (Chronology, Text 205,
Übersetzung S. 188) daß einige von ihnen nicht erlauben Fische zu essen,
aus Furcht, daß es ein elektrischer Fisch {Ra"ädä) sei.
Unter den Wundem Ägyptens erwähnt auch al Faqih (S. 252) den
Zitterrochen.
Ausführlicher äußert sich Ihn Eusteh (S. 70). Im Nil ist ein Fisch
mit Namen al Ea'^dda; wer ihn berührt , der fühlt eine Betäubung in seiner
Schulter, Hand und Arm, so lange der Fisch lebt, und wenn er wartet,
so nimmt dies zu, bis seine Hand und sein Oberarm heftig zittern, und
sein Herz pocht und schlägt und er ihn überhaupt nicht halten kann. Dies
ist durch den Bericht von einem, der es selbst erprobt hat, sicher gestellt
Und man sagt, daB wenn der Fisch in das Netz des Fischers (Jägers) ge-
fallen ist, so erzittert seine Hand, falls sie im Netze ist. Wenn er einen
Stab nimmt und dessen eines Ende auf dieses Netz stellt und das andere
mit seiner Hand berührt, so erzittert sie ebenfalls.
Edrisi (ed. Dozy und de Goeje S. 17 des Textes und S. 21 der
Übersetzung) berichtet: Die Ed'äda ist ein Fisch rund wie eine Kugel;
er hat eine rauhe Haut und ist so giftig, daß wenn jemand ihn berührt,
- 219 —
dessen Hand eine starke Erschütterung erführt, so daß er ihn fallen läßt.
Er behält die Eigenschaft, so lange er lebt. Ist der Fisch aber tot, so
verhält er sich wie die übrigen Fische.
S. 834 ff. Angaben über die Zeit des Yerschwindens der Abend-
dämmening {Schafaq) und des Erscheinens der Morgenröte (Fagr) ent-
hält das astronomische Werk von äl MarraqÜ8ch% (Bd. 1 S. 295)', Dort
heißt es: ^Al ScTutfaq* ist nach den malekitischen und schafeitischen
Imamen die Röte, welche im Westen nach dem Sonnenuntergang bleibt,
und „cU Fagr* ist der weiße Schein, der im Osten des Horizontes erscheint.
Die beiden Farben sind durch die Reflexion der Sonnenstrahlen an der
Erdsphäre hervorgerufen.
Zu dem Subh-i-sädiq teilt mir Prof. Jacob mit, daß bei FugiUi,
Hadtqat <ü su'adä (ed. Büldq 1253 H. S. 144 Z. 1) der sterbende 'AU den
Suhh-Üsädiq anruft, ihm bei Gott zu bezeugen, daß er regelmäßig zum
Gebet erschienen sei.
Über die Morgen- und Abendröte und die hierher gehörigen Farben
handelt sehr ausführlich J. Goldziher in Mythus bei den Hebräern, 1876,
S. 176 ff. Vgl. auch E. Wiedemann. Eders Jahrbuch 1908.
Nach arabischen Quellen gibt Frey tag an (Bd. 3, S. 307): Danabai
Sirhdn, Schwanz des Wolfes, so heißt die Morgendämmerung, welche
unsere Hoffnung täuscht, wenn wir das Morgenrot erwarten, sie heißt
auch Fagr Kädib, ihr steht gegenüber Fagr sädiq, die Dämmerung, die
gerade dem Morgenrot vorausgeht.
J. W. Redhouse behandelt (Journ. Roy. Asiatic Society Bd. 10,
S. 344. 1878 u. Bd. 12, S. 327. 1880) sehr eingehend al Fagr al hddib
und will ihn mit dem Zodiakallicht identifizieren.
Nach P. Hörn kommt in FirdausVs Schänäme nie eine Morgenröte
vor und nur einmal eine Abendröte — die Sonne geht hier immer gelb
auf und unter; nur von der „Morgenhelle oder Weisse'' ist die Rede.
Nach Mitteilungen eines Astronomen kann es im Orient wegen der großen
Äqnatornähe und der reinen Luft sehr schwer zur Rötebildung kommen.
S. 337. Mit der Anschauung, daß das Sehen vom Auge ausgeht,
dürfte nach Prof. Jacob die Erzählung von EvUja (türk. Text Bd. 2, S. 181)
zusammenhängen, nach der er von einem Augenleiden durch eine Wunder-
kur befreit wurde und seine Augen darauf wie eine arabische Fackel
leuchtend wurden.
Beiträge V.
S. 396. In bezug auf die Einteilung der Wissenschaften in Zweigwissen-
schaften ist folgendes zu beachten: Für die verschiedenen religiösen
Richtungen gilt das dem Propheten selbst zugeschriebene traditionelle
Wort : Die Meinungsverschiedenheit in meiner Gemeinde ist (ein Zeichen)
göttlicher Barmherzigkeit. — Der Ausdruck einer entschieden liberalen
Anschauung! Danach werden alle aus den gemeinsamen Grundlagen {üsül
Wurzeln) emporgewachsenen, in den abgeleiteten Fragen {FurtC Zweigen)
untereinander verschiedenen Schulsysteme trotz dieser Abweichungen als
- 220 -
in gleicher Weise orthodox bezeichnet. (J. 6 dl dz i her in Die Eultar
der Gegenwart I, S. 103/104.)
S. 898. Von Zirkeln und Linealen handelt Hihhat Allah Ihn al Huaain
(Qifti S. 223, Z. 20).
S. 401. Bei EdriH werden zweimal Spiegel (Mirdt), ganz ähnlich
denen im Liyre des merveilles beschrieben: £8 heiBt einmal (S. 145 des
Textes, S. 174 der Obersetzang) :
In Tannür al Fir'aun (Ofen des Pharaos) (auf dem Muqatfam) befand
»ich ein Spiegel, der sich mittelst einer Schraube {Lauiah) drehte. Ging
der König aus einer der beiden Städte (Memphis oder ^Ain Schams), so
ließ er dorthin einen Mann gehen, der den Spiegel so stellte, daß der
König stets sein eigenes Gesicht sehen konnte und keinen Augenblick
die Würde seiner Bewegungen vergaß.
Ferner (Text S. 183, Obers. S. 222) : In Merida befand sich im Süden
der Stadtmauern ein kleiner Turm, auf dem der Spiegel, in dem die
Königin von Merida ihre Gestalt betrachtet, stand; er hatte einen Umfang
von 20 Zoll. Der Spiegel drehte sich.
S. 421, Anm. 2. Ober die beabsichtigte Abfassung dieses Buches
spricht al Beruni selbst (Chronology Text S. 230, Übersetzung 8. 217).
S. 424, Z. 8 von oben heiBt es „von den Lampen [SurugY statt „von
dem Freilassen {SarhY, nach der Gothaer Handschrift.
S. 427, Anm. 3. Statt Älät al guztja ist nach der Gothaer Handschrift
zu lesen al harbija, d. h. statt Teilinstrumente Kriegsinstrumente, was
der Einteilung von al Afkdni {al Sachdwi) entspricht.
S. 427, Anm. 6. Taqwim ist nach Nallino astronomische Bestimmung
der Lage einer Stadt, Bestimmung der geographischen Koordinaten.
S. 432. Von einem großen Erdbeben 245 d. H. (859/860) berichtet
al Tahari Bd. IU„ S. 1439.
Und in diesem Jahre fand in den westlichen Ländern ein Erdbeben
statt, so daß die Burgen, Häuser und Brücken {Qantara) von Grund aus zer-
stört wurden. Mutawakkil befahl 3 Millionen Dirbam an diejenigen zu
verteilen, welche an ihren Wohnungen Schaden gelitten hatten. Ein Erd-
beben erfuhr auch das Lager des Mahdi ^) in Bagdad und Madäin
(Ktesiphon).
S. 432. Über die Meteorologie u. s. w. bei den verschiedensten
Völkern berichtet sehr ausführlich al Beruni (Chronology Text S. 242,
Übersetzung S. 231 und 427).
B. 433. Die meteorologischen Erscheinungen sowie zahlreiche
meteorologische Ausdrücke sind sehr eingehend bei Ihn al ^Auwätn be-
handelt (Bd. 2, S. 435).
Die Schriften von al Ahahh und Sahl Ihn Bischr behandeln astro-
logische Fragen und stehen mit der ßQovTo?,oyta des griechischen Astrologen
in Zusammenhang.
') ^Askar al Mahdi ist ein Quartier von Bagdad, es heißt später <ü
Busäfa (Chaussee), vgl. Le Strange (Bagdad S. 42, Nr. 189).
— 221 —
Über die Altweibertage (7 Tage yom 26. Februar an) und ihre Kälte
bandelt sehr ausführlich alBeruni (Chronology Text S. 2ö5, Obersetzuog
S. 244). Eine dem Auftreten der Kälte analoge Erscheinung beobachtet
man nach ihm auch für die Hitze. Er vergleicht die Erscheinung mit dem
Aufflackern des Lichtes vor dem Erlöschen und der scheinbaren Besserung
fiebernder Kranken vor dem Tode:
Der von al Kindi angegebene Grund ist nach al Berüni, daß die
Sonne dann die Quadratur ihres Apogaeum erreicht, den Ort aller Ver-
änderungen, und daß die Wirkung der Sonne auf die Atmosphäre größer
ist als diejenige von irgend etwas anderem u. s. w.
'Ahd AUäh Ihn *Ali der Mathematiker in Buchara übertrug diese
Tage entsprechend der Progression des Apogaeums. Sie heißen daher
auch die Tage des alten Weibes von *Abd Alldh.
S. 442. Zu Bü al Qurnain vgl. vor allem äl Berüni (Chronology
Text S. 36, Übers. S. 43 u. Anm.).
S. 452. Ober die magischen Zahlen hat Tdbit Ihn Qurra eine Disser-
tation geschrieben (Qifti S. 119, Z. 2). Behandelt hat sie E. Leföbure in
Le miroir dienere dans 1a magie arabe (Eevue africaine Bd. 49, S. 205.
Alger 1905). Magische Kreise hat Franklin angegeben. Sie kommen auch
bei den Japanern vor (Bibl. Math. Bd. 5, S. 347. 1905). Zu al W(rfq vgl.
aueh Cantor, Gesch. der Math. 2. Aufl., Bd. 1, S. 697.
Beiträge VI.
S. 2. Zu den Musikinstrumenten ist nachzutragen, daß zunächst
drei Beschreibungen von solchen von Cheikho im Maschriq (Bd. 9, S. 18')
veröfTentlicht worden sind nämlich: Beschreibung des Instrumentes, welches
Müristos hergestellt hat, dessen Ton 60 Meilen reicht. Herstellung der
Gesamtorgel fär alle Töne, Herstellung des Gulgul, aus dem, wenn es
bewegt wird, verschiedene harmonische, einschmeichelnde Töne austreten,
ob statt „Müristos'' „Ariston" zu lesen, erscheint nicht sicher. — Nur bei
der ersten dieser Abhandlungen ist der Verfasser angegeben, doch ist es
möglich, daß die anderen von demselben Mann herrühren. Sie scheinen
sicher aus dem Griechischen zu stammen*, von dem Übersetzer ist nichts
bekannt, vielleicht ist es einer der Benü Müsä oder Honain Ibn Ishäq.
Über Müristos sei noch auf zwei Stellen hingewiesen. Bei Qtfti
heißt es (S. 322) Murtos, er heißt auch MürstoSf ein griechischer Weiser,
besaß Praxis und Geschicklichkeit. Zu seinen Werken gehört das Werk
über das tönende Instrument, das die trompetende Orgel heißt und über
die flötende Orgel, die auf 60 Meilen hin gehört wird. Fast wörtlich
ebenso heißt es bei Abu'l Fidä (Hist. anteisl. ed. Fleischer S. 156).
S. 3. Fast dieselbe Beschreibung der Orgel wie in den Mafätth
findet sich bei H. Chalfa (Bd. 6 S. 258). H. Cb. meint, daß Aristoteles
eine solche Orgel konstruiert hat^ und zwar im Abschnitt über die Wissen-
schaft der Musik.
^) Vgl. E. W., Mitteilungen zur Geschichte, Bd. VII, S. 54 ff. und
die Amarifes^chrift.
- 222 —
Bei Maaüdi (Pariser Anegabe Bd. 8, S. 91) heißt es: Zu den Masik-
instrumenten der Byzantiner gehören dl Urgan, auf ihr befinden sich
12 Saiten; ihr Ton erstreckt sich weit, sie haben femer dl Urganün (die
Orgel); sie hat Blasebälge aus Fellen und [Röhren] aus Eisen. (Die Vo-
kale der arabischen Worte sind nicht sicher.)
S. 36. Das Wort Filin ist nach einer Mitteilung von Franke I
identisch mit FdlUn = Kork (Do zy , Suppl. Bd. 2, S. 281, wo aueh Stellen
angegeben sind), man gewinnt ihn von dlBdllüf al faHtni, d.h. der Kork-
eiche. Das Wort heißt wahrscheinlich tpiXXivog, das Adjektiv von ipsXXog
Kork.
S. 37. Bei Bauten kommt auch das Wort ^marsüa*' fUr „festgefQgt*
vor, so bei den Manem von Jßims (Emessa) {Ibn Crubair^) S. 2ö8, 11 nnd
S. 249, 2), dort sind aach gewaltige eiserne Tore erwähnt, ebenso bei
denen von Harrdnj wo es heißt: erbaut aus Steinen, behauen {manhüt),
zusammengepaßt
S. 54. Die verschiedenen Quellen zu der Kette im Hafen von Tyrus
sind bei G. Le Strange, Palestine etc. S. 342 ff. zusammengestellt.
Ibn Gubair sagt bei der Beschreibung des Hafens von Tyrus {Sur),
Zwischen den beiden Türmen zu den beiden Seiten der Einfahrt spanot
man eine gewaltige Kette (Silsild) aus, die die Schiffe an der Ein- und
Ausfahrt hindert; sie kommen nur hindurch, wenn sie gehoben wird. An
der Einfahrt stehen Wächter und Beamte, und keiner kann ein- und aae-
fahren, ohne daß er von diesen gesehen wird. {Ibn Gubair Text S. 308,
Übersetzung S. 301.)
Beiträge VIII.
S. 170. Zu 'Omar al Chajidmx ist folgendes nachzutragen: In einer
Festschrift dl Muzaffarije für Baron V. Bösen hat V. Schukowski
'Omar Chajjäm behandelt. Einen sehr ausführlichen Auszug gibt E. Roß,
J. Roy. Asiatic. Society 1898, S. 349. — Aus einem Auszug der Welt-
geschichte«) Tarich'i'Alß (vgl. dazu Iranischer Grundriß Bd. 2, S. 316/357)
teilt er folgende Stelle mit.
Eine seiner Abhandlungen mit dem Titel ^Mizän dl Hikme^ Wage
der Weisheit, über die Prüfung des Wertes von Gegenständen, die mit
Edelsteinen besetzt sind, ohne die Steine fortzunehmen, erlangte eine
gewisse Berühmtheit, ebenso eine andere Abhandlung „Bedürfnisse der
Orte", die von der Definition der vier Jahreszeiten handelt und der
Ursache der Veränderungen der klimatischen Bedingungen in den ver-
schiedenen Städten und Gegenden.
Aus den meisten seiner Schriften geht hervor, daß ^Omar an die
Seelenwanderang glaubte.
^) Ausgabe von de Goeje.
•) Tarich-i'Alß wohl Abc der Weltgeschichte. Iranischer Grundrifi
Bd. 2, S. 356/357. Das Werk ist ausführlich besprochen von Elliot in
Bibliographical Index pp. 143—162. — History of India V, pp. 150—176.
- 223 —
Die Schrift saoht 'Omar nach jeder Richtung hin gerecht zu werden ;
seine Persönlichkeit ist yiel umstritten gewesen und sehr verschieden
beurteilt worden.
Beiträge X4
S. 309. Die Erledigung eines Gesuches um Einregistrierung Ton
drei Bewässerungskanälen und ihren Schöpfrädem findet sich bei Kara-
barek (Führer Nr. 984).
Pingdn geht in letzter lostanz auf das griechische Jtiva^ in der Be-
deutung Schüssel zurück. (Nöldeke, Persische Studien II, 38, Wiener
Sitznngsber. Phil, hist Klasse Bd. 126, Nr. 12.)
S. 310. Maüah hängt nicht mit dem arabischen Milh zusammen,
das nie Meer, wie im Griechischen o^^, bedeutet. Das Wort stammt aus
dem Babylonischen. Es hat zunächst den Schiffer auf dem Euphrat und
Tigris bedeutet und ist erst gelegentlich auf den Seeschiffer angewendet
worden (Mitteilung von Nöldeke, Praetorius, u. a.).
S. 310, Nr. 15 ist Silsila besser als Kette zu übersetzen.
S. 314. Ober Abu Jüsuf findet sich ein interessanter Aufsatz von
Rieder, Deutsche Rundschau Mai 1907.
S. 315. Zu Brunnen, Flüssen, Bewässerung ist auch das von JnynboU
herausgegebene Buch der Jahjä Ihn Adam (f 205 d. H.) über den Charäg
zu vergleichen.
S. 820 unten. Die Schrift Nr. 5798 rührt von Umajja Ihn 'Abd dl
'Aztz Ihn Abu Salt al Andälüst Abu Salt (f 528/1134) her.
S. 322. Eine großartige Wasseranlage rührt von Mutatoakkil her,
vgl. al Tabari (Bd. III, S. 1438). Dort heiBt es: Er befahl im Jahre
245/859, daB ein Kanal gegraben werde. Der Kanal wurde nicht fertig,
er kostete sehr viel Geld, 20000 Menschen wurden bei ihm verwendet.
S. 325. Nach Nöldeke entspricht Barnösch dem J^amen BaXsQiavog,
S. 328. Auch die Marmorsteine der Innenbekleidung des Brunnen
Zamzam in Mekka waren mit Blei, das zwischen sie in die Fugen ge-
gossen war, verbunden. {Ibn Gubair Text S. 87, Übersetzung S. 61.)
8. 336. Da Holz fast im ganzen Orient selten ist, so haben wir
unter Dahv zunächst immer einen Ledereimer zu verstehen.
S. 837, Z. 40 unten bemerkt Nöldeke: Bei Ibn Busteh handelt es
sieh allem Anschein nach um die Erfindung der einfachen Handmühle,
denn das bedeutet Bahä zunächst, wenn nicht der Znsammenhang auf
ein kunstvolleres Instrument führt. Interessant ist die Marginal note zu
Ibn B.u8teh8 Stelle Basti Äsi-ab bedeutet Wassermühle, aber dann, da
man nicht auf die Zusammensetzung achtet, „Mühle** schlechthin, so daß
hier .Hand''-(Wasser)-Mühle nichts weiter ist, als das uralte Instrument
ans zwei Steinen.
S. 338. Zu den Mühlen am Berg Karmel vgl. Graf von Mülinen
Z. S. d. D. P. y. Bd. 30, S. 156 u. s. f. Dort ist auch vom Badd und
den Weinpressen Midbiseund Ma'sira geliandelt. Zu dem Baqqds d. h. einer
Schelle, die mit der Mühle verbunden ist, und tönt, so lange Getreide im
— 224 —
Trichter ist, vgl. Muhammad Bei Otmän GaJM ed. F. Kern, Leipzig
1908, S. 144. " '
S. 338, Z. 2 von unten lies: White statt Wright. Z. 3 von unten
lies: Relation statt Description.
S. 339. Auf eine interessante Stelle über den Bau des Hafens von
*Akka war Herr Prof. Fraenkel in Breslau so freundlieh, mich anf-
merksam zu machen. Sie bX%\it Muqaddast ^, 162/163. Jaqüt Bd. 4, S. 107
und Qazwint Bd. 2, S. 148. Nach der ersten Stelle hat auch 6. Le
Strange, Palestine S. 328 eine Übersetzung mitgeteilt.
Die Übersetzung lautet etwa: Abu 'Abd Allah Muhammad Ibn Ahmed
Ihn AM Bekr dl Bannä (der Baumeister) dl Baschscharl *). ^Akka ist
eine große wohlbefestigte Stadt; sie wurde in dieser Weise erst stark be-
festigt, als Ibnfülün^) zu ihr kam. Er hatte vorher Tyrus gesehen and
die Ringmauer um dessen Hafen. Er wollte einen ähnlichen Hafen für
'AJcka bauen ; da versammelte er die Handwerker von weit und breit und
setzte ihnen seinen Plan auseinander. Da sagte man ihm, in der Jetzt-
zeit hat keiner den Weg zum Bauen im Wasser gefunden; darauf wurde
ihm unser Großvater (d. h. der des berichtenden Abu 'Abd Aüäh) Abu
Bekr al Bannä genannt, und man sagte ihm, wenn einer in diesen Sachen
bewandert ist, so ist er es. Da schrieb Ibn Jvlün an ihn, ließ ihn kommen
und legte ihm die Sache vor. Der sah die Sache als etwas Leichtes an
und verlangte, daß man ihm grobe (galiz) Balken (falaq) aus Sykomo-
renholz herbeischaffe. Als dies geschehen, stellte er sie auf der Wasser-
oberfläche, entsprechend der Größe des Landkastelles nebeneinander
und verband sie untereinander; an der Westseite machte er einen großen
Durchlaß. Auf den Balken baute er dann Steine und Mörtel {Schid) auf.
Beim Bauen machte er stets fünf Konstruktionen (Damu^)'}, welche er
durch dicke Säulen verband, um den Bau zu festigen. So oft die Schiffe
beschwert wurden, sanken sie unter. Merkte er, daß sie auf dem Sand
festsaßen, so machte er sie zu einer vollständigen Scheidewand, so daß
sie sich nicht rilhrten. Dann baute er da weiter, wo er aufgehört hatte,
und so oft der Bau zu der vorher hergestellten Wand kam, fügte er ihn
in diese ein und vernähte (verband) ihn mit ihr*). Dann machte er
^) Es ist dies natürlich nicht der bekannte Mathematiker Ibn
al Bannä (1258—1339) (Suter, Nr. 399, S. 102).
') Ibn Tülün (835—883) ist der Stammvater der Tulüniden und der,
Erbauer der Ibn Tülün Moschee (vgl. E.K. Gorbet, The life and works
of Ahmad Ibn Tülün. Jouro. of the Roy. Asiat. Society, Bd. 28, S.527
1891, der Bau in 'Akka ist nicht erwähnt.
') Zu Dämüs vgl. Dozy Suppl. Bd. 1, S. 460.
*) Da unter Falaq Balken zu verstehen sind, so hat man wohl
anzunehmen, daß aus diesen Flöße gebildet wurden, dann deren Ober-
fläche vollkommen abgedichtet wurde und dann gleichsam hohle, wasser-
dichte Steinkästen aufgeführt wurden, die langsam untersanken. £0
entspräche dies auch gewissen Bedeutungen von Dämüs. Bei einem
— 225 —
Aber die Öffnang eine hochgespannte Brücke (Qantara). Die Schiffe
fahren jede Nacht in den Hafen (Bau). Zwischen ihm und dem offenen
Meer wurde eine Kette gespannt, wie in Tyms. Ibn Julün gab ihm
1000 Dinare (oa. 10000 Mk.) außer den Ehrenkleidern und den Reittieren
nnd sein Name steht bis anf den heutigen Tag darauf geschrieben.
S. 347 sei folgendes angefflgt: Bei Besprechung eines Werkes,
das durch Hamga Ihn äl Hasan dl Isfahäni von Muh. Ihn Müaä Ihn
Schdkir herrührt, sagt al Berüni: Das Buch wird Tdhit Ihn Qurra zuge-
schrieben, da er der Protögö dieser Leute war, vollständig in ihnen auf-
ging und weil er es war, der für sie ihre wissenschaftliche Werke „po-
lierte'' (sauber ausarbeitete), (cd Berüni, Chronology ed. Sachau Text
8. ^53, Übersetiung S. 61.) Auch sonst finden sich in der Chronology
mancherlei Bemerkungen über die Benü Müsä nnd Täbit Ihn Qurra.
S. 353. Zu Zauberbechem etc. vgl. G. de Vau x, Apropos des mer-
veilles de la möcanique ancienne (Mitteilungen Bd. 3, S. 478. 1904).
S. 355. Zu Meteorologie. Die Anwd sind nur gewisse Gestirne,
die meteorologisch wirksam sind. Zu ihnen und den meteorologischen
Verhältnissen überhaupt vgl. al Berüni, Chronology ed. Sachau (Text
S. 242, Übersetzung S. 231). Dort finden sich auch zahlreiche Bemer-
kungen über die Anschauungen der verschiedenen YOlker nach dieser
Riebtang.
massiven Bau wäre das Ganze gleich gesunken. Wenn die Flöße auf dem
Boden aufsahen, wurden die Hohlräume ausgefüllt und die Zwisobenräome
zwischen den einaelneii Bauten untereinander verfestigt Die Möglichkeit
dieser Art des Bauens ergibt sich aus dem relativ seichten Wasser, wie
aus der folgenden Angabe von Ihn Oühair folgt. Er sagt vom Hafen
von *Ahkat da0 er nach Lage und Gestalt dem Hafen von l'yrus gleicht,
aber nicht wie dieser Schiffen von großer Tragkraft zugänglich ist; da-
her ankern diese vor dem Hafen, und nur die kleinen fahren ein (Text
8. 308, Übersetxung S. 801).
Sltsnngsberlohte der med.-phys. Soz. 89 (1907). 15
Beiträge
zur Geschichte der Naturwissenschaften. XIII.
Von Eilhard Wiedemann.
Über eine Schrift ron Ihn al Haitam ,,Über die
Beseliaffeiilieit der Sehatten^^ ^).
Unter den Physikern des Islam ragen zwei Gelehrte ganz
besondere hervor, al Berünt nnd Ihn al Haitam. Während wir
vom ersteren vor allem ein Werk über spezifische Gewichts-
bestimmnngen besitzen, verdanken wir dem letzteren eine größere
Anzahl kleiner optischer Arbeiten, die nach verschiedenen Rich-
tungen sein Hauptwerk „de aspectibus" ergänzen, welch letzteres
in ganz hervortagender Weise die Entwicklung der Optik bis
auf Kepler beeinflußt hat 2).
Die folgenden Seiten sollen sich mit Ibn al Haitams Schrift
über die Beschaffenheit der Schatten befassen, in der er nach
seiner Aussage als erster nachweist, daß neben dem lichtlosen
Kernschatten noch ein zweiter Schatten existiert, dem Licht
beigemischt ist. Behandelt sind die drei möglichen Fälle, daß der
leuchtende Körper ebenso groß ist wie der schattengebende Körper,
kleiner oder größer als dieser. Im letzten kompliziertesten Fall
wird auch noch die Lichtverteilung für verschieden weit von
dem schattengebenden Körper abstehende Ebenen eingehend
untersucht. Augewandt werden die Entwicklungen auf die Lehre
von der Mondfinsternis. Die Theorie ist so weit geführt, als
dies ohne Berücksichtigung der Abnahme der Intensität mit der
^) Herrn Prof. Dr. Beiger, der so freundlich war Alles nachza-
kontrollieren, sage ich an dieser Stelle den besten Dank.
') Eine möglichst vollständige Übersicht über die Leistungen von J^n
al Haitam habe ich in der Festschrift für Prof. Rosen tha4 gegeben.
- 227 —
Entfernung and des Einflusses des Austritts winkeis möglich ist^).
Von besonderem Interesse ist die Abhandlung dadurch, weil in
systematischer Weise die erhaltenen theoretischen Resultate ge-
prüft werden und deren Übereinstimmung mit der Beobachtung
nachgewiesen wird.
Ich habe nicht eine vollständige Übersetzung gegeben,
sondern den Text zum Teil gekürzt und das Wesentliche heraus-
zuheben gesucht. Wie auch sonst bei Ibn al Haifam, so ist
auch hier die Darstellung eine sehr breite und bewegt sich viel-
fach in Wiederholungen, besonders da, wo neue und dem Ver-
fasser besonders interessierende Resultate gewonnen werden.
Das ist wohl auch der Grund, warum schon von Kamäl al Dtn
Abu'l Hasan al Färist [(f 1320) ein Auszug {Tahrir) aus der
obigen Schrift verfaßt wurde. Sie ist mit dem Tanqth al Manä:^r^
einem Auszug nebst Kommentar der großen Optik und anderen
bedeatenden Werken Ibn al Haitams, in Leyden (Eod. 1011)
vorhanden.
Mir standen zur Bearbeitung einmal von mir vor Jahren
hergestellte Photographien des Leydener Textes zur Verfügung,
sowie dank der Güte von Herrn Prof. Dr. Stern eine Berliner
Handschrift (Berlin Katalog 6019). Die letztere ist ziemlich gut
geschrieben, aber leider nicht sehr korrekt; die Figuren lassen
vielfach zu wünschen übrig, haben aber alle Buchstaben. Da-
gegen sind die Figuren im Leydener Kodex sehr gut und sauber
') Von neueren Arbeiten seien erwähnt H. Seeliger. Abh. d« k.
bayer. Akademie d. Wiss. München, IL Klasse 19, II. Abt., S. 395. 1898;
Himmel n. Erde 9, S. 276. 1897; H. Paschen. Inang.-Dissert. Marburg.
1907.
Eine eingebende Besprechung der Kenntnisse von den Sonnen- und
Mondfinsternissen ist Yon F. Bo 11 in Pauly-Wissowa, Realencyklopädie
Bd. 6, unter Finsternisse gegeben.
Auf eine Beihe von Stellen bei antiken Schriftstellern, an denen Über
Schatten gehandelt wird, so Aristoteles Problemata XV., 5. 9. 10. 10, Me-
teorologie I, 8, 6, Ptolemaios an verschiedenen Stellen, war Herr Professor
Heiberg so freundlich mich aufmerksam zu machen, doch habe ich dort
nichts von dem Schlagschatten gefunden, ebensowenig in Euklids Optik,
vgl. besonders die Rezension von Theon.
Auch Qiufwini erwähnt bei der Besprechung der Mond* und Sonnen-
fiüBteniis (Obersetzung von Ethe S. 38 n. 52) nichts vom Schlagschatten.
(Nach Ethe könnte es scheinen, als ob von der Erde Strahlen ausgehen,
daa würde aber ans dem Text selbst nicht folgen.) Ebensowenig finden
15*
- 228 -
ausgef&hrt, bei zwei derselben fehlen aber die Bnchstaben. Vou
der Handschrift gilt das im Leydener Katalog gesagte ^charac-
tere minntissimo et interdnm lectu difficiliori exaratae, cnm figg
quam nitidissimis^. Bei der Benützung beider Texte ließ sich
der Inhalt des Ganzen vollkommen sicher stellen.
Aus dem Inhalt folgt ohne weiteres, daß es sich weder um
Tangenten nnd Kotangenten, wie Wöpcke meinte, noch am
Schattenwerfang (im astrologischen Sinn) handelt.
Abhandlung Ton dl Has€in Ibn al Hu8ain Ihn al Haitam
Über die Beschaffenheit der Schatten^).
Eine *) der Grundlagen, auf die man sich in der Astronomie
stützt; ist die Bewegung der Sonne und des Mondes und die
Kenntnis der Zeiten und der Beträge der Stunden und der Lage
der Sonne zu jeder Zeit des Tages. Die wissenschaftliche Grund-
lage für die Verdunkelungen des Mondes und die Beträge der
Zeiten [zu denen sie stattfinden] bildefi die Schatten der dichten
Körper, wenn auf sie das Licht fällt und zwar nur von einer
Seite. Die Gestalt der Schatten ist je nach den Größen der
leuchtenden und der verfinsternden Körper verschieden. Sie
unterscheiden sich weiter nach Stärke und Schwäche entsprechend
der Größe und dem Licht der leuchtenden Körper. — Wir fanden,
daß alle, welche über die Schattenlehre gehandelt und die
Schatten benutzt haben, ohne Unterschied eine und dieselbe
Methode bei der Feststellung der Gestalt des Schattens befolgten.
Als wir nun unser Augenmerk gerichtet hatten auf die Veri-
fizierung der Beschaffenheit der Schatten und auf die genaue
Prüfung der Unterschiede in ihrer Gestalt, Stärke und Schwäche,
da fanden wir, daß der Weg, den die Vertreter der Schatten-
lehre und derer, die die Schatten anwandten, eingeschlagen
hatten, nicht genau untersucht und gründlich studiert war. Wir
fanden, daß jeden Gegenstand, den sie mittelst der Schatten zu
ergründen suchten, ein Irrtum trübte (fehlerhaft erscheinen ließ),
flieh bei al Battdni (ed. Nailino) and al Fargäni (ed. 60 lins), Angaben über
den Schlagschatten.
') Der Kommentar gibt an „sie besteht in 6 Hauptstücken; von
ihnen sind im Text nur ö bezeichnet; da, wo wohl das sechste beginnt,
steht in der Obersetzung 6*.
*) Den ersten Abschnitt bezeichnet der Kommentator als »Einleitung*.
- 229 —
weil sie die genaue Untersachung der Beschaffenheit und der
Form des Schattens nachlässig behandelt hatten. Daher be-
absichtigten wir, diesen Gegenstand, d. h. die Gestalt des Schattens
knrz and bündig zn erörtern and seine Beschaffenheit nach Stärke
und Schwäche eingehend and sorgfältig zu prüfen, damit dadarch
alles, was man in der Astronomie and, was damit zusammenhängt,
durch den Schatten za ergründen sacht, sicher gestellt werde
und dadarch alles ergänzt werde, in dem sich eine Lücke bei
den früheren Erörterungen fand.
Ich sage, daß der Schatten im Fehlen von irgend-
welchem Lichte an dem Ort des Schattens besteht; dies
rührt daher, daß jeder dichte Körper, falls Licht auf ihn
fällt, die hinter ihm liegenden Gegenstände gegen dies Licht
schirmt. Nimmt man den dichten Köii>er fort, so beleuchtet ihn
wiederum dies Licht, das vorher abgeschnitten war. Bringt
man den dichten Körper an seinen ursprünglichen Ort zurück,
so wird der ursprünglich beschattete Ort wieder beschattet.
Hieraus geht hervor, daß der Schatten, der sich an dem gegen
das Licht verhüllten Ort befindet, in dem Fehlen des auf den
dichten Körper ausgestrahlten Lichtes an dem Orte des Schattens
besteht. — Strahlt auf den Ort des Schattens Licht von einer
oder von mehreren Seitenf so bleibt dieser Ort doch noch im
Schatten, falls ihm Licht fehlt, das dem Ort des Schattens
irgendein Licht zusenden kann. Finsternis entsteht aber,
wie im Innenraum der Häuser, falls die Türen geschlossen sind
und in Höhlen und in Brunnen, falls in sie gar kein Licht ge-
langen kann.
Die Finsternis {Ziilma) besteht im vollkommenen Fehlen
des Lichtes, der Schatten besteht im Fehlen von irgendwelchem
Liebt. Jede Finsternis ist Schatten, aber nicht jeder Schatten
Finsternis. Ein Ort, der von zwei oder mehreren Seiten be-
schattet wird, und auf den das Licht von einer oder mehreren
anderen Seiten strahlt, ist ebenfalls „Schatten^ aber nicht
„Finsternis*.
Man nennt auch einen Ort mit wenig Licht einen ver-
finsterten, doch nur in bildlicher und nicht in strenger Weise,
ebenso nennt man einen Ort mit vielem Licht, wenn er gegen
ein geringes Licht geschirmt ist, einen leuchtenden und nicht
einen Schatten, wenn man nämlich den Schatten, der sich dort
— 230 -
befindet, nicht bemerkt. An einem gegen irgendein Licht ge-
schirmten Ort, auf den das Licht der Sonne fällt, sieht man
den Schatten nicht, der auf ihm liegt, und man weiß nicht, daß
dort sich ein Schatten befindet. Dieser Ort heißt nicht beschattet,
sondern hell. Auf ihm befindet sich aber doch ein Schatten.
Streng genommen besteht die Finsternis inr vollkommenen Fehlen
von Licht und der Schatten darin, daß eine bestimmte Menge
Licht fehlt, zugleich aber auch dem Schatten beigemischtes
Licht vorhanden ist. Dieser Schatten kann wahrnehmbar oder
nicht wahrnehmbar sein, unter veränderten Umständen besteht
der Schatten in dem [vollkommenen] Fehleü von Licht an dem
Schattenort. Schatten nennt man nur den, den man bemerkt
Der Schatten pflanzt sich in gerader Richtung auf ge-
dachten geraden Linien fort, zwischen dem leuchtenden Körper
und dem Schatten; dies rührt daher, daß alles Licht sich von
dem leuchtenden Körper auf den Richtungen {Samt) von geraden
Linien ausbreitet. Das tut auch das Licht, das vom leuchtenden
Körper zu dem Schatten geht, wenn man den beschattenden
Körper fortnimmt. Der Versuch beweist, daß der Schatten auf
entsprechenden Linien fortschreitet. Ist der schattengebende
Körper begrenzt, so schreitet das Licht, welches gerade an der
Umgrenzung vorbeigeht, in gerader Richtung weiter und gelangt
hinter den schattengebenden Körper. Dieses Licht bildet den
Umfang des Schattens hinter dem schattengebenden Körper.
Von diesem den Schatten begrenzenden Licht findet man
durch den Sinn (Hass), daß er auf geraden Linien fortschreitet.
Hierdurch ist bewiesen, daß der Schatten und die
ihn begrenzenden Lichtstrahlen in gerader Richtung
fortschreiten.
1. Wir sagen, daß jeder dichte Körper, wenn auf ihn Licht
von einem leuchtenden Körper gestrahlt wird, hinter sich Schatten
erzeugt, die verschieden nach Stärke und Schwäche sind; sie
hängen insgesamt zusammen und schreiten in gerader Richtung
hinter dem schattengebenden Körper fort; sie erstrecken sich
in die Ferne, indem sie sich erweitern, jedesmal wenn sie sich
von dem dichten Körper entfernen, werden sie weiter (d. h.
breiter, von größerem Querschnitt).
Als Beispiel diene das folgende: Der leuchtende Körper
sei ab, der dichte Körper sei dg, auf dem Umfang von dg
— 231 —
nehmen wir einen beliebigen Pankt g an. Wir denken uns non
dui-ch g eine Ebene gelegt, die die beiden Körper ab and gd
schneidet, dies geschehe in den Punkten a und b bezw. g und d.
Wir ziehen nun ab und gd und ferner ag und bd und verlängern
letztere in gerader Richtung. Die Linien ag und bd können
nun parallel sein oder sich im Körper ab oder im Körper gd
schneiden (d. h. oberhalb von ab oder unterhalb von gd).
Sie seien zunächst parallel (d. h. ab und gd mögen gleich
groß sein) (Fig. 1). Wir verlängern ag nach e und bd nach r. Durch
den Punkt e ziehen wir eine Gerade her^^), die der Geraden
gd parallel ist Wir verbinden die Punkte b und g und verlängern
die Linie bg; sie schneidet h^ im Punkte h, ebenso zieht man
ad, sie schneidet h^ in i9. Die Linien bg und ad schneiden sich
im Raum zwischen ab und gd im Punkte k. Auch von jedem
Teil eines leuchtenden Körpers geht das Licht in geraden Linien
aus; ein solcher Teil sei al. Wir ziehen lg und verlängern es
bis zn he, es schneidet he in m. Alle von al ausgehenden und
g berührenden Linien schneiden die Linie em. Die Linie em
erhält also Licht von dem Teil al. Von jedem Punkte aber von
ab, dessen Verbindungslinie mit einem Punkt von em durch gd
geschnitten wird, gelangt kein Licht nach em, also z. B. nicht
von Ib. Ist al ein relativ kleiner Teil von ab, so ist auf em weit
mehr Schatten des leuchtenden Körpers als zugestrahltes Licht.
^) Statt des arabischen t ist ^ gesetzt.
— 232 -
Wir wollen nun In = al ^) machen, wir ziehen femer ng, es
treffe dh in a^). Das Licht von al trifft auch auf am, so daß
die Linie am durch das Licht der beiden Teile al In beleuchtet
ist, dagegen erhält sie kein Licht von dem StQck nb. Demnach
ist das Licht auf der Strecke ma stärker als das auf der Strecke
em, und der Schatten auf ma ist schwächer als der auf der
Strecke em.
Hieraus folgt, daß sich auf der Linie eh ein kontinuierlicher
Schatten befindet, der aber an verschiedenen Stellen verschieden
ist. Nahe am Punkt e ist er stark, nahe am Punkt h schwach,
ebenso [aber umgekehrt] ist es mit dem Licht. Der Schatten ist
verschieden stark längs der Linie, er ist gradweise abschattiert,
und ein Teil ist nicht gegen den anderen getrennt, d. h. die
Dunkelheit ändert sich allmählich.
Ganz dieselben Betrachtungen kann man für den Teil rd
anstellen.
Wir haben also zwischen e und r vollkommenen Schatten,
dem nicht übergelagert ist irgendwelches Licht von dem
Körper ab, und die beiden nach außen gradweise abnehmenden
Schatten. — Ebenso ist es auf der ganzen Fläche oder und den
an sie angrenzenden Stücken.
Ziehen wir also parallel zu h^ eine Linie, sei es näher an
gd; sei es weiter von ihr fort als hi9, so tritt auf ihnen ein
Schatten auf, der dasselbe Bild bietet wie der Schatten auf h#.
Ferner ergibt sich, daß die Linien gh und d^ den Schatten auf
beiden Seiten begrenzen. Die Linien gh und d^ treffen sich bei
Punkt k. Schreiten sie nach der Seite von hd fort, so wird ihr
Zwischenraum größer, und mit ihnen schreitet der Schatten fort
Aus diesen Darlegungen folgt, daß der Schatten des Körpers gd
fortschreitet, und zwar indem er sich erweitert.
Sobald der Schatten sich von dem Körper gd entfernt,
entsteht an seinen Seiten ein mit Licht gemischter Schatten,
er ist abgestuft, in der Mitte des Schattens enthält er kein bei-
gemischtes Licht, und seine beiden Ränder sind in den der Mitte
zu gelegenen Teilen schwächer als an den entfernteren, und
das wollten wir beweisen.
') Die ZeicbnuDg ist nicht ganz richtig.
*) a ist für das arabische 'Ain gesetzt,
233 —
k
Fig. 2.
2. Die beiden Linien ag und bd mögen sich im Körper ab
ti-efien (Fig. 2), und zwar in 1, d. h. der leuchtende Körper sei
kleiner als der schattengebende. Wir verlängern ag. Durch den
Punkt e von ag ziehen
wir eine zu gd parallele
Linie hei-* (C). Wir
ziehen bg und ver-
längern sie, bis sie die
Linie C in h schneidet,
wir ziehen weiter ad,
sie treffe die Linie G
in d. Die Linien bg
und ad schneiden sich
im Punkt k. Nun sei
an ein Teil von ab.
Wir ziehen ng, die die
Linie C in a trifft.
Es wird nun genau so wie früher gezeigt, daß ein vollkommen
dunkler Schatten in dem Räume zwischen ge und dr und deren
Verlängerungen entsteht, daß in den beiden verlängerten Drei-
ecken hge und rd* sich mit Licht gemischter Schatten findet,
dessen Dunkelheit von innen nach außen abnimmt, und daß die
Schatten sich, indem sie weiter werden, in die Ferne erstrecken.
Den Schatten begrenzen die in k sich schneidenden Linien gh
und dii>.
3. Die beiden Linien ag
und bd mögen sich auf der
Seite von gd schneiden (Fig. 3),
und zwar im Punkte e auf
der zu gd parallelen Linie reh.
Aus dem Vorhergehenden er-
gibt sich, daß längs er und
eh die Schatten und Lichter
verschieden stark sind und
auch deren Verteilung. Wie
auf der Linie er verhält es sich
auf jeder Linie zwischen hr
und gd. In dem Dreieck gde ist nur Schatten vorhanden.
Diesen Schatten allein haben die, die sich bisher mit
- 234 —
den Schatten abgaben, behandelt; sie gingen nicht
über ihn hinaas and erwähnten keinen anderen als ihn^).
Nun wendet sich Ibn al Haitarn zu der Betrachtung der
Schattenverteilung auf Linien, die weiter als rh von gd abliegen.
Wir zeichnen hinter und parallel zu rh eine Linie fq,
wir ziehen femer ae und be, bis sie fq in s und n treffen. Wir
verbinden ng und sdund verlängern sie, bis sie ab in a und a^)
schneiden. Da nun fs in dem Baum zwischen den beiden Linien
seg und grf liegt, so ist der Schatten auf ihr in derselben Weise
verteilt wie auf er, wie in den beiden vorhergehenden Kapiteln
gezeigt ist, wobei das Licht von aa nach sn gelangt. Dasselbe
ist fär das Licht auf ab der E'all. Die Linie sn empfängt also
Licht von aa und ab, freilich nicht von jedem Punkt von aa
und ab, denn sn liegt zwischen den Linien gn und gs bezw.
zwischen den Linien dn und ds.
Man denkt sich nun sn sowie aa und ab je in eine gleiche
Anzahl von Teilen geteilt, dann empfängt der n anliegende erste
Teil nur das Licht von einem Teil, der an a anliegt, der zweite
Teil das Licht von zwei Teilen u. s. w. gradweise, dasselbe gilt
für die an b anliegenden Teile.
Nun werden gesondert die Fälle untersucht, daß die beiden
Linien nga und sda parallel sind oder sich schneiden.
Sind sie parallel, so gelangt von ao kein Licht nach nn,
wie bei Figur 1. Um die Verteilung in ns zu diskutieren,
wird nun sn in 10 Teile geteilt und ebenso aa und ba und ge-
zeigt, daß die Summe der Belichtungen von aa und ba, die sn
erhält, stets* die gleiche ist, so daß der Schatten gleich und
ähnlich ist. Unterscheiden sich die Linien aa und ba nicht
wesentlich voneinander, so ist auch in diesem Falle der Schatten
ein gleichmäßiger. Auf den Strecken nf und sq dagegen ändert
sich der Schatten stufenweise.
Schneiden sich (Fig. 3) die Linien nga und sda auf der Seite
von ns, so ist die Linie ns gegen ao verdunkelt und ao ist
größer als für den Fall, daß an und sa parallel sind, und es ge-
langt kein Licht von ao auf ns.
^) Das bezieht sich auf die Einleitung und zeigt, worin Ihn cd
Haitam über die Früheren hinausging, so über al Kindi (vgl. w. u.).
*) a ist für 8 genommen.
- 235 —
Schneiden sich (Fig. 3) nga and sda auf der Seite nach ab zu, so
kommen drei Fälle in Betracht, entweder schneiden sie sich
zwischen ab und gd oder anf ab selbst oder hinter ab.
Schneiden sich die beiden Linien hinter ab^ so ist die Sache
wie wir dies früher auseinandergesetzt haben, d. h. ns empfängt
kein Licht von aa, diese Strecke ist kleiner, als wenn die Linien
parallel verlaufen.
Liegt der Schnittpunkt der beiden Linien auf ab, so werden
die beiden Punkte' a und a zu einem einzigen, und die beiden
Teile aa und ab stoßen in diesem Punkte zusammen, und auf
die Linie ns kommt Licht von der ganzen Linie ab, d. h. es
gibt keinen Punkt auf ab, von dem nicht Licht auf ns gelangte.
Treffen sich (Fig. 4) nga und sda unterhalb der Linie ab
in t (entspricht dem * der früheren Figuren), so ist aa den
beiden Teilen, durch welche
sn beleuchtet wird, gemein-
sam. Man erhält in der
Mitte auf ns wieder einen
gleichmäßigen Schatten; auf
nf und sq dagegen Licht
und Schatten, die beide ab-
gestuft sind, und zwar in der
früher geschilderten Weise.
Im ganzen erhalten wir
also einen lichtlosen Schat-
ten, der nach e zu immer
schmäler wird, jenseits von
e haben wir einen schwachen Schatten, der in der Mitte gleich-
mäßig hell ist und dann nach außen sich abschwächt. Er
tritt in den verlängerten Dreiecken rge und edh auf und ist
an den Rändern ge und de kräftiger als nach außen.
Dieselben Entwicklungen gelten nun für jede andere durch die
beiden Körper ab und gd gelegte Ebene, und man erhält einen
körperlichen Schatten, den Ibn al Haifam sich auch so gebildet
denkt, daß er (Fig. 3) von d nach der Mitte von ab eine Linie
zieht und um diese die ganze Figur rotieren läßt. Die eine
Grenze des Schattens ist durch gd gebildet, die andere durch
den von den verlängerten Linien *g und M erzeugten Kegel-
mantel
— 236 -
Die Ergebnisse werden noch einmal etwa folgendermaßen
zusammengefaßt. Ist der leuchtende Körper gleich dem
schattengebenden Körper, so ist der lichtlpse Schatten an Dicke
gleich dem schattengebenden Körper. Ist der leuchtende Körper
kleiner und zwar beliebig kleiner als der schattengebende, so
ist der lichtlose Schatten ein sich in die Ferne erstreckender
und sich erweiternder Kegel. Ist aber endlich der leuchtende
Körper größer als der schattengebende, so erstreckt sich der
lichtlose Schatten bis zu einer Spitze (er bildet einen Kegel);
was über diese Spitze binausliegt ist ein Schatten, der sich bei
dem Fortschreiten fortwährend erweitert und dem überall Liebt
beigemischt ist.
Diese ganze prinzipielle Erörterung gilt für jede Form des
leuchtenden und für jede Form des schattengebenden Körpers.
Denn das, was wir entwickelt haben, hängt weder von der
Gestalt des leuchtenden, noch derjenigen des beschattenden
Körpers ab. Aus alledem eben entwickelten geht hervor,
daß jeder dichte Körper, auf den Licht von einem leuchtenden
Körper fällt, hinter sich einen sich erweiternden und sich in die
Feme erstreckenden Schatten erzeugt, mag nun der leuchtende
Körper gleich, kleiner oder größer als der schattengebende sein.
Nun wird noch im Anschluß an die Licht- und Schatten-
verteilung auf der Linie fq geschildert, wie ganz entsprechend
auf einem den Schatten schneidenden Körper die Licht- nnd
Schattenverteilung erscheint, und wie sich dieselbe beim Entfernen
dieses Körpers von gd ändert. Dabei werden immer wieder
die nach den Seiten hin abgestuften Schatten betont. Betont
wird noch, daß dies nur für Körper gilt, auf die Licht nur von
einer Seite und nicht zugleich von anderen fällt.
Dann werden die Resultate experimentell geprüft und
dabei folgendermaßen fortgefahren.
Wir sagen, daß diese Resultate auch mit dem Sinn gefunden
werden, und zeigen, wie dies geschieht, und legen kurz dar eine
Versuchsmethode, mittelst deren man diese Resultate mit dem
Sinn erzielt. Wir sagen, daß, wenn der Beobachter das, was
wir gesagt, vollständig beobachten will, er eine Lampe mit
einem dicken Docht aufstellt, sie mit Ol füllt und anzündet; er
stellt sie auf einen von der Erde sich erhebenden Leuchter. Er
stellt sie in das finstere Haus in der Nacht, weder im Hans
- 237 —
noch in der Nähe des Hauses darf ein Licht außer dem der
Lampe sein. Auch darf in dem Hause kein Wind (Zug) sein,
falls er zur Zeit des Windes beobachtet. Die Wände des Hauses
sollen staubfarbig sein oder schwach gefärbt {munkaschafa dl
Laun)\mA nicht weiß von strahlendem Weiß, denn das Weiß
verdeckt den feinen (zarten raqiq) Schatten. Dann stellt der
Beobachter auf einen dünnen Stab (' Üd) wie einen Zahnstocher
{Ckaläla) oder etwas, was entsprechend dttnn ist, und nähert den
Stab der Vorderseite der Lampe. Die Lampe steht von der
Wand des Hauses ab, aber nicht beliebig weit, sondern zwischen
ihr und der Wand sollen 2 Ellen oder weniger liegen. Denn
der Schatten wird, wenn er sehr weit entfernt ist, dünn und
ist verborgen (den Blicken entzogen). Der dünne Stab wird
zwischen die Lampe und die Wand gestellt, und zwar quer zu
dem „Feuer'' der Flamme, und man betrachtet das, was auf der
Wand von dem Schatten des Stabes zu sehen ist. Man findet
auf der Wand einen Schatten; seine Breite ist viel größer als
die Breite des Stabes. — Wir nahem den Stab der Lampe,
dann erweitert sich der Schatten nach der Breite, und wenn man
ihn von der Lampe entfernt, so wird er schmal. — Wenn man
die Ränder des Schattens untersucht, findet man sie zart (d. h.
aufgehellt), und seine Mitte ist dunkel. So oft man sich von
der Mitte entfernt, wird der Schatten schwächer.
Der Stab sei nun dünn, das Feuer in der Lampe lebhaft
(hell) und die Länge der Flamme^) vielmal größer als die Breite
des Stabes. Wir denken uns zwei gerade Linien, die von den
Enden der Flamme nach den beiden Seiten*) des dünnen Stabes
ausgehen, dann treffen sie sich in der Nähe des Schattens. Wäre
nun der Schatten eben derjenige, welchen die beiden Linien, welche
von dem Umfang des leuchtenden Körpers zu dem des schatten-
gebenden gehen, einschließen, so müßte man den Schatten in
der Nähe des Stabes und in einem kleinen Abstand hinter ihm
schneiden^), und zwar insbesondere, wenn man den Stab der
>) Der Berliner Text hat Nor Feuer, der Leydener Kommentar Dubala
Kersendocht, Kerzenflamme.
*) Der Kommentar hat „von dem oberen Ende zu der oberen Seite
and von dem unteren Ende zu der unteren Seite." «
*) Die Entwicklungen sollen wohl zeigen, daß die Betrachtungen der
Alten, die nur den lichtlosen Schatten behandelten, nicht stichhaltig
— 238 -
Lampe nähert. Das Verhältnis der Entfernung a der Spitze
des Schattens von der Lampe zu dem Abstand b der Spitze
von dem Schattengeber ist gleich dem Verhältnis der Breite
der Flamme f zu der Breite des Stabes s. Ist der dänne Stab
nahe an der Flamme, so ist der Abstand b (die Länge des
Schattens) eine kleine Größe; nähert man den Stab sehr der
Flamme, so reicht die nach der Spitze sich erstreckende Dunkel-
heit nicht bis zu der Wand und nähert sich ihr auch nicht.
Der sich nach der Spitze hin erstreckende Schatten ist ein
durchweg gleicher, lichtloser Schatten. Erblickt man auf der
Wand einen Schatten des Stabes, der viel breiter als der Stab
und die Flamme ist, so ist der auf der Wand sichtbare Schatten
nicht der spitz zulaufende Schatten, sondern der sich ausdehnende
Schatten, dabei sind seine Ränder matt und seine Mitte dunkel.
Es entspricht dies den Ausführungen der dritten Proposition.
Entsprechende Beobachtungsresultate erhält man, wenn der
Stab so breit oder breiter als die Flamme ist.
Hiernach ist es möglich, die Beschaffenheit des
Schattens, den das Licht der Flamme erzeugt, zu
untersuchen und mittelst des Sinnes Übereinstim-
mendes mit dem zu finden, was früher erläutert ist.
Wir müssen noch die Beschaffenheit des Schattens im sehr
kräftigen Sonnenlicht beobachten, von dem schon eine kleine
Menge einer großen Lichtmenge entspricht, daher bleiben die
feinen Ränder dem Sinne verborgen. Zur Beobachtung stellt
man einen dünnen Stab gegenüber der Sonne auf, wenn diese
«üf die Erde scheint. Man wählt eine Stelle der Erde von
staubiger Farbe aus und stellt den Stab quer gegenüber der
Sonne auf. Dann findet man den Schatten des Stabes auf der
Erde mitten im Licht der Sonne, seine Breite ist größer als
diejenige des Stabes. Erhebt man den Stab von der Erde, so
nimmt die Schattenbreite zu. Doch ist die Zunahme klein, daher
sieht man die Erweiterung des Schattens nur, wenn die Ent-
fernung des Stabes von dem Schattenort beträchtlich ist. „Über
die Feinheit und Schwäche dieses Schattens werden wir im Ver-
lauf dieses Kapitels handeln^.
sind. Dafür spricht, daB der Satz mit „wäre" mit laa, dem irrealen ein-
geleitet wird.
- 239
Die Betrachtungen über das Verbalten sehr breiter Stäbe
übergehen wir.
Fällt der Schatten des dünnen Stabes auf eine senkrechte
Wand, und ist der Abstand zwischen Stab und Wand und Erd-
oberfläche gleich groß, so ist der Schatten auf der Wand weiter
Qnd breiter als auf der Erdobei'fläche, und zwar weil der Schatten-
kegel gegen die Wand stärker als gegen die Erdoberfläche ge-
neigt ist, daher ist die den Schatten schneidende Fläche größer.
— Beobachtet man bei Lampenlicht, und stellt die Lampe auf
den Boden und läßt den Schatten auf eine senkrechte Wand
fallen, so findet man ihn breiter.
Das Ganze wird dann noch einmal zusammengefaßt und
betont, daß man einen sich ausdehnenden Schatten hat, da die
Sonne weit größer als irgendein irdischer Körper ist.
Diese Entwicklungen werden nun noch einmal speziell an
der Sonne etwa in folgender Weise numerisch durchgeführt^).
Ptolemaios hat im 5. Buch des Almagest bewiesen, daß
der Abstand der Sonne*) vom Erdmittelpunkt gleich 1210 Erd-
radien ist, und daß der Sonnenradius gleich b^j^ Erdradien, der
Sonnendurchmesser also 11 Erdradien ist. Ist dies so, so liegt
die Spitze des lichtlosen Kegels in der Nähe des dichten Körpers;
was hinter ihr liegt, enthält Licht, dem etwas Schatten bei-
gemengt ist.
Die Breite des Stabes sei (Fig. 5)
ab, der zu ab parallele Sonnendurch-
messer sei dg, der Schnittpunkt von
db und ga sei e. Der Sonnenmittel-
punkt sei r. Wir ziehen re, es
schneide ab im Punkt h. Dann ist
eh : ab = er : gd.
Der Punkt e liegt aber dem Sonnen-
mittelpunkt näher als der Erdmittel-
punkt, da die Beobachtung oberhalb der Erdoberfläche geschieht,
daher ist er < 1210 Erdradien, also ist er : gd < 1210 : 11,
d. h. < 110 : 1 und damit ist
eh : ab < 110 : 1.
^) Im Kommentar heißt es besonders „Ein anderer Beweis**.
') Die Entfernung der Sonne von der Erde findet sich Ptolemäus
SyntaxisV, 15, die relative Größe ibid.V, 16 ed. Heiberg I, S.42öu.4ää.
Fig. 5.
— 240 —
Ist die Breite ab des dünnen Stabes etwa eine ScMtra, so
ist die Länge he kleiner als 110 ScMira; dies entspricht aber
noch nicht einer Elle^), so daß also die Linie eh kleiner als
eine Elle ist. Bei Abständen größer als 2 Ellen liegt der Schatten-
ort außerhalb des Punktes e u. s, w.
Nach diesen Ausführungen muß auch der Schatten der
Erde, der das Licht der Sonne abblendet, ein sich erweiternder
Schatten sein, der um so breiter ist, je weiter er von der Sonne
absteht.
Der Schatten, den der Kegel begrenzt, welcher die Sonne
und die Erde berührt, ist der lichtlose sich zuspitzende Schatten;
er befindet sich in der Mitte des sich erweiternden Schattens,
dem Licht beigemischt ist; die Teile des letzteren, die dem
lichtlosen näher liegen, sind kräftiger als die entfernteren; das
soll nun (Fig. 6) näher erläutert werden.
Fig. 6.
Der leuchtende Körper sei ab, der schattengebende gd. ab
sei größer als gd. Durch ab und gd legen wir eine Ebene, die
^) Nach dem Kommentar ist 1 Elle = 144 ScMira oder Gerstenkörner;
vgl. al Muqaddasi ed. de Goejel, S. 65, vgl. auch Saavaire. J. asiat.
(8), Bd. 8, S. 490. 1886.
- 241 -
die beiden Körper in ab und gd schneidet. Wir ziehen ag und
bd, sie mögen sich in e schneiden. Wir verlängern sie und
ziehen durch sie zwei zu gd parallele Linien, rhi^k und Imnn.
Die Lage der einzelnen Punkte ergibt sich aus der Figur.
Wir verbinden hg und mg und verlängern sie, bis sie ab
in f und s schneiden, und ebenso ^d und nd, bis sie ab in q
und 0 schneiden. Bewiesen ist, daß hi9 Licht empfängt von af
und bq und beschattet wird gegen bf und aq. Ebenso wird mn
belichtet von as und ho und beschattet gegen bs und aa. Die
Linien as und ha sind größer als af und bq und sb und oa
kleiner als fb und aq. Daher strahlt auf mn mehr Licht als
auf h^, und der Schatten mn ist zarter als der Schatten hd.
4. Nun wird betont, daß man nicht den ganzen Schatten hr
wahrnimmt, vor allem nicht im Sonnenlicht, da an den an r an-
stoßenden Teilen viel Licht sich findet und nur wenig Schatten
sich findet; man sieht daher nur den Schatten auf dem an h
anstoßenden Teil u. s. w.
Weiter wird die Lichtverteilung auf verschieden weit von
gd befindlichen und dazu parallelen Ebenen in folgender Weise
entwickelt:
Ich sage, daß der Schatten des Teiles x von ml für den
X : mn = wh : hi?^) zarter ist als der Schatten von wh.
Beweis:
Wir ziehen ew und verlängern es, bis es ml in j trifft, dann
ist jm^): mn = wh : h^. Wir ziehen wg und gj. Sie schneiden
ab ins und i; i ist von a weiter entfernt als s, daher ist ai>>as
und ib < sb, mj empfängt Licht von ai und ist gegen ib be-
schattet, dagegen empfängt wh Licht von as und ist gegen sb
beschattet. Daraus folgt, daß das Licht aut mj stärker ist als
das auf wh, und daß der Schatten auf mj schwächer ist als auf
wh. Ganz dieselbe Betrachtung kann man auf der anderen
Seite der Figur anstellen.
So oft man sich von dem verdunkelnden Körper entfernt, ist
dieser Schatten zarter, falls nämlich die Fläche, auf der man
^) w bedeutet irgendeineo Punkt auf kr und nicht nur den speziellen
in der Figur, den Schnittpunkt von mg mit rk. Ibn al Haitam denkt sich
eine besondere Figur gezeichnet, darauf bezieht sich das Spätere. «Wir
stellen die ursprüngliche Figur wieder her.*
') jm entspricht x.
SitBiincsberidhte der med.-phya. Sos. 39 (1907). 16
- 242 —
den Schatten beobachtet, entfernter vom schattengebenden Körper
ist, als die Spitze des Keiiischattens.
5. Wir stellen die ursprungliche Figur (Fig. 7) wieder her.
Auf der Linie ge nehmen wir einen
Punkt r, wie wir das früher fest-
gesetzt; durch den Punkt r ziehen
wir zu gd eine Parallele hn9k.
Femer sei an der kleinere Teil, von
dem Licht ausgeht. Wir ziehen ng
und verlängern es bis m. Nach
mr gelangt nur Licht von an, das
äußei*st klein ist, und es ist beschattet
gegen bn. Es sei ab die Sonne, und
die Linie an möge unmerklich klein
im Verhältnis zu nb sein, dann wird
mr beschattet gegen den ganzen
Sonnenkörper, außer gegen einen im Verhältnis zu ihm unmerklich
kleinen Teil desselben. Auf der Linie mr sieht man kein Licht ^),
sondern nur einen Schatten, wenn sie nämlich einem dichten Körper
begegnet; dasselbe gilt für die Teile von mh, die an mr anstoßen,
bis man zu den Teilen kommt, auf welche eine Lichtmenge
strahlt, die merklich ist im Verhältnis zu der übrigen Licht-
menge. Hierbei ist es möglich, daß man auf diesen Teilen
keinen Schatten sieht. Aus dieser Erläuterung folgt, daß den
sich zuspitzenden lichtlosen Schatten unter den wechselnden
Umständen ein kräftiger, dem Sinn wahrnehmbarer Schatten
umgibt.
6.* Kehren wir zur Behandlung des Schattens der Erde zurück,
so ergibt sich als notwendige Konsequenz der obigen Ausführungen,
daß der Erdschatten ein zu einer Spitze zustrebender Schatten
ist, den ein kräftiger Schatten begrenzt, so daß er für den Sinn
wahrnehmbar ist, wenn er auf einen dichten Körper Tällt Daher
findet die Mondverfinsterung nicht nur durch den sich zuspitzenden
lichtlosen Schatten, sondern durch ihn und den ihm benachbarten
sich erweiternden Schatten mit beigemischtem Licht statt. Aus der
Beschaffenheit dieses Schattens folgt, daß ein Teil des Schattens,
welchen der Mondkörper schneidet, ein zarter Schatten ist, auf
^) D. h. Licht, das sich stark dem Sinne aufdrängt.
- 243 -
dem man beigemischtes Licht sieht. Durch die BeobachtnDg
wird daS) was wir gesagt, bestätigt. Beobachtet man den Mond
sorgfältig zur Zeit der Finisternis {Ktisuf) und der Verdunkelung
(Inkasdf) eines Teiles, so ist ein Teil von ihm sehr schwarz;
die Ränder dieser schwarzen Partie, welche die übrigen Teile des
Mondes berühren, sind zarter und weniger schwarz; weiter findet
man, daß diese Schwärze stufenweise schwächer wird. Ist ferner
der vom Mond übrig bleibende Teil klein, so findet man, daß er
von gebrochener {munkasif} Farbe und nicht sehr hell ist.
Aus diesen bei der Mondfinsternis gefundenen Tatsachen
geht klar und sicher hervor, daß der Erdschatten sich in die
Weite erstreckt, und daß der sich zuspitzende Schatten lichtlos
ist, und ferner daß, was von diesem mit Licht gemischten Schatten
dem lichtlosen zugespitzten Eegel nahe ist, kräftiger ist als
das entferntere. Ferner ergibt sich, daß von den verfinsterten
Teilen diejenigen mit tiefer Schwärze im Innern des zugespitzten
Kegels liegen, und daß die Stellen von zarter Schwärze auf dem
sich erweiternden Eegel liegen, welcher den zugespitzten umgibt.
Wir haben die Beschaffenheit sämtlicher Schatten der dichten
Körper dargelegt, und das erstrebten wir in dieser Abhandlung.
Diesen Ausführungen fügt der Kommentator folgende inter-
essante Bemerkung bei: „Ich selbst habe eine vollständige
Mondfinsternis^) beobachtet; die Zeit, während deren sie ver-
>) Herr Alfred Gaggell, geprüfter Lebramtskaodidat und Volontfir-
assistent an der von Herrn Prof. Dr. £. Hartwig geleiteten Remeis-
Stemwarte in Bamberg, war so sehr gütig, die astronomischen Betrach-
toogen and Rechnungen über die in Frage kommenden Finsternisse
durchzuführen und mir mitzuteilen. Betrefifen, wie wohl sicher anzunehmen,
die Bemerkungen im arabischen Text eiue von aJ Fdrisi selbst beobachtete
Mondfinsternis, so kommen nur zwei Finsternisse in Betracht, nämlich
1302 I 14 und 1909 VIII 21. Die Rechnungen sind für den Meridian
42* Ostlich von Qreenw. durchgeführt; wären die Beobachtungen weiter
östlich etwa in Bagdad, TabrU, Schirde u. s. w. angestellt, so würden die
Zeiten etwas früher anzusetzen (etwa V« his '/4 Stunden) sein, ohne daß
aber das Wesentliche der Resultate berührt wird.
Man kann folgende genauere Angaben machen:
[Alle Zeitangaben sind mittlere bürgerliche Ortszeit des Meridianes 42^
östlich von Greenw.]
1802 I 14.
Die Finsternis überhaupt begann: I 14., 23i^ 17™;
Die Totalität „ : I 14., 23^ 47«;
16*
— 244 -
weilte, war länger als eine gleichförmige Stande; Und sie fand
in der Nähe des Knotens statt, so daß die Mitte der Nacht der
Erde die Mitte der Nacht war (d. h. die Mondfinsternis fand um
Mitternacht statt). Falls die Mitte der Verfinsternis kupfer-
farbig*) ist, so wendet sie sich nicht nach dem Schwarz. Vor-
her und, nachdem sie kupferfarbig war, erschien sie an den
Rändern abschattiert. Daraus folgt, daß dies nicht ein voll-
kommener Schatten ist, sondern ein dem Licht beigemengter ist''
Die anschließenden Betrachtungen über den Grund der
Eupferfarbe sollen später mitgeteilt werden.
Mitte der Totalität: I 15., Ob 12m;
Die Totalität schloß: I 15., (ß^ 37»;
Die Finsternis überhaupt , : I 15., 1^ 8»;
Inmitten der Totalität stand der Mond dem Orte X = 42« Ostlich
von Greenw. und 9? = -f-^O« 1<Q Zenith. Die Finsternis war also im
ganzen Territorium sichtbar (d. h. zwischen Ägypten und Persien).
1309 VIII 21.
Die Finsternis überhaupt begann: VIII 21., 231" 46»;
Die Totalität ^ : VIII 22., 0^ 16« •,
Mitte der Totalität: VIII 22., Ol' 41»;
Die Totalität schloß: VIII 22., li' 6»;
Die Finsternis überhaupt „ : VIII 22., l^" 36».
Inmitten der Totalität stand der Mond dem Orte X = 32® östlich
von Greenw. und ip = -~l(f im Zenith. Auch diese Finsternis war
also zweifellos im ganzen Territorium gut sichtbar.
Um die obigen Zeitangaben von mittlerer in wahre Ortsseit des
42^ Längengrades östlich von Greenw. zu verwandeln (und nach dieser
beobachtete der ßerichterstatter zweifellos), hat man von allen Angaben
der ersten Finsternis 9», von allen der zweiten 3» in Abzug zu bringen.
Die scheinbar etwas sonderbare Bemerkung über den Knoten rührt
vielleicht daher, daß der Berichterstatter vermutlich nur seiner Ver-
wunderung darüber Ausdruck geben wollte, daß er, obwohl er durch
Breitenmessungen des Mondes während der Finsternis dessen Knoten-
durchgang während der Mitte der Verfinsterung konstatiert hatte, den
Mond während der Verfinsterungsmitte doch nicht völlig schwarz, d. b,
nahe unsichtbar fand.
^) Die rote Färbung des verfinsterten Mondes, der z. B. wie glühende
Kohlen aussieht, war schon den Alten bekannt (vgl. hierzu F. Boli,
Finsternisse a. a. 0.).
— 245 -
2. Aus Ol Kindis^) Optik.
Eine ziemlich eingehende Behandlung der Schatten') findet
sich in der noch nicht veröffentlichten Optik (liber de aspectibus)
von al Kindt. Herr Dr. Björnbo in Kopenhagen war so
gütig, mir seine Abschriften und Kollationen der lateinischen
Übersetzung dieses Werkes zur Verfügung zu stellen, wofür ich
ihm auch an dieser Stelle bestens danke.
In der Einleitung spricht al Kindt zunächst die Absicht
aus, die „artes doctrinales" ^) zu vervollständigen, das, was die
Alten uns mitgeteilt, darzulegen und das, was sie begonnen, zu
vermehren. Dann gibt er an, daß aus der Beobachtung der sich aus-
dehnenden Grenzen der Schatten der Körper und der in die Fenster
eintretenden Lichter mit Sicherheit folgt, daß das Fortschreiten
der von leuchtenden Körpern ausgehenden Strahlen längs gerader
Linien stattfinden; denn wenn die Strahlen nicht auf geraden
Linien fortschritten, so würden diese Erscheinungen nicht den be-
obachteten entsprechen. Wir
sehen, daß leuchtende Gegen-
stände die Ursache des Be-
leucbtens der Körper und des
Entwerfens der Schatten jener
Körper sind. Befindet sich die
Sonne gegenüber einem Körper,
so beleuchtet sie ihn, und der
Schatten tritt auf der Oberfläche
von anderen der Sonne gegen-
überliegenden Körpern auf.
Ähnliches bewirken die Kerzen
(Lampen, candela) auf ihnen ' ^ig. 8.
gegenüberliegenden Körpern ;
wir sehen von ihnen Schatten ausgehen.
1V_^
CZI2
») Zu al Kindt y gl S Vit er S. 23, Nr. 45. Björnbo, Bibl.Math. 1903.
Bd. 3, S. 330 f. Hoffentlich beschenkt uns Herr Björnbo bald mit einer
Ausgabe von al Kindis Optik. Vgl. auch E. W., Beiträge V, S. 401.
') Die Ausftthrnngen al Kindis entsprechen fast wörtlich denen, die
sich am Anfang in der Rezension der Optik des Euklid durch Theon
finden (ed. Heiberg S. 144ff.); daraus würde folgen, daß diese Schrift den
Arabern bekannt war.
») Vgl. E. W., Beiträge XI.
— 246 —
Diese Schatten sind entweder ebenso groß wie die leachtenden
Körper oder größer oder kleiner (Fig. 8).
Wir sehen, daß Körper Schatten liefern, die ebenso groß
sind wie sie selbst und die beleuchtenden Körper (Fig. 81). Die
Grenzen dieser Schatten bestehen in parallelen Linien, auch wenn
sie noch so weit sich erstrecken n. s. w. Beispiel: Der leuchteDde
Körper sei vom Kreis abg umschlossen und der Körper, auf den
das Licht fällt, vom Kreis ned, und der Durchmesser ag sei
gleich dem Durchmesser dn. Wir beobachten den Schatten
zwischen den beiden parallelen Linien adz und gnh ^). Wir finden
nämlich, daß die Lote zwischen den beiden Linien dz und nh
gleich den beiden Linien dn und ag sind. Der Schatten liegt
also zwischen den Bogen ned und den Linien dz und nh. Und
das ist, was wir beweisen wollten.
Schatten, die kleiner sind als die Körper, sehen wir, wenn
die beleuchtenden Kerzen größer als die schattengebenden Körper
sind. Die Schattengrenzen sehen wir sich nähern, bis sie zu-
sammenlaufen, die Schatten bilden eine Kegelgestalt (figura
pinealis). Die Grenzlinien sind nicht parallel.
Der leuchtende Körper sei (ITig. 811) ab, der schattengebende
dg, zn ist eine zu dg parallele Linie, e ist die Spitze des Kegels.
Der Schluß lautet: Die Figur des Schattens ist also kegelförmig,
wie die Figur gde.
Wir sehen auch Schatten, die größer sind als die Körper,
wenn die beleuchtenden Kerzen kleiner sind als jene. Die
Grenzlinien der Schatten entfernen und trennen sich um so mehr,
je weiter sie verlängert werden.
Dies wird an der Figur 8 III erläutert, wo wieder ab und gd
die frühere Bedeutung haben und gezeigt wird, daß ez > hn ist
Geschlossen wird: Der Schatten ist von dem Bogen gd und den
beiden Linien eg und zd eingeschlossen. Das würde nie ge-
schehen, wenn nicht die Strahlen der Kerzen längs gerader
Linien fortschritten.
Hieran anschließend führt al Kindt aus, daß, wenn ein
säulenförmiger Körper von mehreren Lichtern auf verschiedenen
Seiten umgeben ist. Schatten entsprechend der Zahl der be-
^) Die verschiedenen Handschriften haben bald n bald u, letzterer
Buchstabe kommt aber selten bei den arabischen Figuren vor.
- 247 -
leuchtenden Lichter entstehen. In der Figur sind um die Säule
i solcher Lichter angeordnet. Über die Beleuchtung des von
einem Licht entworfenen Schatten durch die anderen ist aber
keine Rede.
Dann wird der Satz bewiesen, daß, wenn Körper durch
Lichter beleuchtet werden, die höher stehen als die Enden der
ersteren, dann das Verhältnis der Schattenlänge zur Höhe der
Körper gleich ist dem Verhältnis des Abstandes des Schatten-
endes vom Fuß des Leuchters zu der Höhe des Lichtes Aber
der Grundfläche (vgl. Euklid, Optik, 18. Ausgabe von Heiberg
S. 26).
Endlich wird noch der Strah- ^ - ^
lengang von einem leuchtenden
Köi*per abg durch eine ÖflEhung
zu einer Tafel ht untersucht und
so, wie es die Figur 9 zeigt, ent-
wickelt.
Die anschließenden Betrach- ^«- ^•
tungen über die Lehre vom Sehen
können hier nicht behandelt werden; al Kindt kommt zu dem
Schluß, daß von dem Betrachtenden zu den betrachteten Dingen
eine „Virtus" fortschreitet, welche letztere aufnimmt.
Später werden die Gestalten der Schatten noch benutzt,
um zu zeigen, daß nicht etwa von verschiedenen Stellen eines
leuchtenden Körpers nur parallele Strahlen ausgehen.
Wie aus dem Obigen hervorgeht, hat al Kindt nur den
lichtlosen Schatten behandelt, und er dürfte zu den früheren
Gelehrten gehören, welche nach Ihn al Haitam nicht den mit
Licht gemischten Schatten untersucht haben.
Mit dem Werk von äl Kindt nVerbesserung von Euklids Optik Mäh
al ManäziT* hat das Vorliegende nichts zu tun. Wohl einer der letzten
Abschnitte desselben ist mehrfach dem entsprechenden Werk von Nasir
al Din al Tüsi angehängt und behandelt einen in der Optik des al Kindi
nicht behandelten Gegenstand. Mir haben zwei Berliner Handschriften
(Katalog von Ahlwardt Nr. 6017) vorgelegen sowie eine Pariser Handschrift.
Der Text der Handschrift Mq 559 reicht nicht, wie der Katalog angibt,
von 117*--119% sondern nur von fol. 111^—111^. Daran schließt sich die
Abhandlung von al Tust über die Reflexion und Umbiegung der Strahlen,
die ich in Eders Jahrbuch 1907 mitgeteilt habe.
— 248 —
Der Text in der Pariser Handschrift 2467, der nach dem Katalog
vonSlane Tonfol.56^^68' incl. reichen loll, nmfaßt nar56^, die anderen
Seiten 67' nnd 57^ enthalten den Schluß von (ü Ma'chüddi (Wahlsätze
Lemmata) von Archimedes. Der Anfang fehlt. Herrn Blechet, der
mir den Text photographieren ließ, sei bestens gedankt.
Von den drei Handschriften hat allein ein Text (Berlin Mq 559) die
zugehörigen Figuren.
Wie aus dem Text selbst hervorgeht, und daraus, daß in den Original-
fignren (s. Fig. 10 u. 11) Buchstaben stehen und Linien angegeben sind,
anf die in der Ausführung nicht Rücksicht genommen ist, folgt, daß wir
es mit einem Auszug lu tun haben.
Die Ausführungen von dlKindi schließen sich an die 50. Proposition
in der Heibergschen Ausgabe der Euklidischen Optik, die in der Redaktion
von al JHiH der 57. entspricht. Die Nummerierung von ai Tüsl ergibt
sich aus der Berliner Handschrift.
Die Stelle lautet etwa:
Es sagt Abu Jusüf Jdqub Ben Ishäq al Kindt in seiner Ver-
besserung der Optik in der 65. ^) (?) Proposition. Es bewegen sich (Fig. 10)
zwei Größen ab und gd auf zwei parallelen
Linien b^ und dj, die das von dem Auge
ausgehende Lot senkrecht schneiden; dann
sieht man die dem Auge nähere Größe, näm-
lich ab, sich manchmal schneller als die ent-
ferntere bewegen, falls sie sich su dem Lote
hin bewegen, manchmal bewegt sie sich ebenso
schnell wie jene, falls die vorderen Teile snm
Lot gelangt sind, und zuletzt schneller *), wenn
sie an dem Lot vorübergeht. Dann verweilt
er {dl Kindt) lange in der Sicherheit seiner Be-
hauptung, obgleich sie nach der Figur klar
ersichtlich ist und sich aus der Proposition 57
ohne weiteres ergibt.
Er {al Kindi) sagt ferner in [Proposition]
61: Zeichen, dieauf einer geraden Linie liegen
wie ab (Fig. 11), sieht man, falls das Auge g
sich in der Richtung auf die Linie ab zu be-
wegt, in verschiedener Anordnung; man
sieht nämlich das dem Auge nähere, d. h. a, manchmal vor dem ent-
fernteren vorangehen und manchmal nachfolgen.
^) Die Zahl der Propositionen muß bei al Kindi eine andere als bei
dem griechischen Euklid, der 58 hat, und bei al Ttisiy der 64 hat, ge-
wesen sein. Zu der Optik des Nasir al Bin vgl. E. W., Beiträge V,
S. 440.
*) In allen drei Texten steht statt „schneller" »langsamer**; möglieb,
daß schon im Original ein Lapsns calami vorhanden war.
Fig. 10.
Fig. 11.
über einige elektrochemische Apparate und
Zersetzungen aus dem Gebiete der organischen
Chemie.
Von Adolf Herzog.
Ans dem chemiBchen Institut der Universität Erlangen.
Einleitung.
Die sukzessive Reduktion der aromatischen Nitrokörper wurde
von Bamberger^) völlig aufgeklärt. Es gelang ihm, bei der Re-
duktion von Nitrobenzol als Zwischenphasen Nitrosobenzol, Phenyl-
hydroxylamin, Azooxybenzol, Azobenzol etc. zu fassen. Während
nun Bamberger auf chemischem Wege diese Reduktionen aus-
führte, haben Oattermann, Elbs, Haber, Hänssermann u.a.
die Reduktion von Nitrokörpem in saurer wie in alkalischer
Lösung auf elektrochemischem Wege studiert. In schwach saurer
alkoholischer Lösung läßt sich Nitrobenzol bis zum Anilin
reduzieren.
CeHj, . NOa + 6H = CeHg • NH^ + 2H2O.
In stark saurer Lösung geht die Reduktion nur bis zum
Phenylhydroxylamin, das sich dann unter dem Einfluß der
konzentrierten Säure zu p-Aminophenol umlagert und so nicht
mehr weiter reduziert werden kann.
C.H,.N0,+4H = H,0 + C,H,.NH0H->C,H,/^^»||J.
In alkalischer Lösung geht die Reduktion bis zum Nitroso-
benzol und Phenylhydroxylamin, die sich dann unter dem Einfluß
der Natronlauge zu Azooxybenzol chemisch umsetzen.
CeHs . NO + CgHs • NHOH = C^H^ • N - N • CeH^ -f H^O.
\o/
') Berichte 30, 2278.
250 -
Das nea gebildete Azooxybenzol wird nun weiter reduziert
zu Hydrazobenzol, welches sich mit noch vorhandenem Nitro-
benzol rasch zu Azobenzol und Azooxybenzol umsetzt. Außerdem
wird Hydrazobenzol auch durch den Luftsauerstoff zu Azobenzol
oxydiert.
3CeH5 . NH - NH . CeH, + 2CeH, • NO^ =
3CeH3.N = N.CeH, + CeH,.N-N.C.H5 + 3H,0
C,H, . NH - NH . CeH, + 0 = CeH, • N = NC.H, + H,0.
F. Haber hat nun die verschiedenen Zwischenphasen durch
spezifische Reaktionen^) festgestellt und nachgewiesen, daß —
wie auch zu erwarten — alle diese Zwischenstufen auch bei
der elektrochemischen Reduktion des Nitrobenzols sich bilden.
Je nach den Versuchsbedingungen, Reduktion in saurer oder
alkoholischer Lösung, lassen sich die einen oder anderen Pro-
dukte festhalten. Ffir den Reduktionsverlanf in diesen beiden
Fällen hat er die beiden folgenden Schemata aufgestellt^).
Und zwar bedeuten die senkrechten Pfeile die elektrochemischen
Prozesse, die schrägen die rein chemischen Umsetzungen.
Alkalisch-alkoholische Lösung:
CeH,.NO,
CeH,.N-N.CeH,
(CeH,.N=N.CeH,)
CeH3.NH-NH.CeH5
CeH5.NO
CeHj.NHOH
CeH^.NH^
*) Ibid., 509.
') Zeitschr. f. Elektrochemie 4, 508; 4, 509.
- 261
Alkoholisch-saure Lösung :
CeH,.NO,
CeH^.NO
CeH^.NHOH
CeH,.NH,
^0^
CeH,.N-N.CeH,
CeH^.NH-NH.CeH^
NHa-CeH^— CeH^.NHa
L
Apparatur und Versuchsanordnung.
Es wurde mir nun die Aufgabe gestellt, eine Anzahl von
Körpern, die Henrich und seine Schüler^) bei ihren Arbeiten
über Nitro- und Nitrosophenole erhalten hatten, der Elektro-
reduktion nach der einen oder anderen Methode zu unterziehen.
Da wir besonders durch die hervorragenden Arbeiten Taf eis
in der Lage sind, den Verlauf und das Ende der Elektroreduktion
messend zu verfolgen sowie die Stromausbeute zu bestimmen,
so suchte ich diese Arbeitsmethoden auch auf die Reduktion
der erwähnten Nitrokörper zu übertragen.
Tafel*) schreibt über seine Arbeitsmethode: „Für diese
Untersuchung (Reduktion von Kaffein u. a.) habe ich mir ein
Verfahren konstruiert, welches Eintreten oder Nichteintreten
einer Reduktion und dann den zeitlichen Verlaut derselben be-
quem und unter den gleichen Versachsbedingungen zu beobachten
gestattet, unter welchen die elektrochemische Reduktion als
präparative chemische Methode zweckmäßige Anwendung findet."
Tafel schaltet in demselben Stromkreis die Reduktions-
>) Monatshefte f. Chemie 18, 150, 159.
*) Zeitflchr. f. physik. Chemie 34, 187 ff.
- 262 —
zelle und ein Knallgasvoltameter hintereinander und mißt den
ans den Kathodenzellen ent «reichenden Wasserstoff za gleicher
Zeit. Dnrch den Vergleich der beiden Volnmina gewinnt er
dann Einblick in den Verlauf der Reduktion und kann die
momentane Stromausbeute berechnen.
Man stellt gewöhnlich die Stromausbeute als Kurve graphisch
dar, indem man in einem rechtwinkligen Koordinatensystem als
Abszissen die Ablesungszeiten, als Ordinaten den zur Reduktion
verbrauchten Teil des Wasserstoffs in Prozenten aufträgt.
Ist V das Volumen des Wasserstoffs im Vergleichsvolta-
meter; z das Volumen des entweichenden Wasserstoffs aus der
Versuchszelle, so ist der verbrauchte Wasserstoff in Prozenten
_ (v_z)100
~~ V
Da mir nun der Tafeische Apparat wegen seiner Kost-
spieligkeit nicht zur Verfügung stand, so konstruierte ich mir
eine andere Vorrichtung, die die Messung des in einer be-
stimmten Zeit aus Reduktionszelle und Vergleichsvoltameter
entweichenden Wasserstoffs mit einer für unsere Zwecke hin-
reichenden Genauigkeit gestattete.
In der Hauptsache besteht der Apparat aus der Reduktions-
zelle I, dem Voltameter II und dem adaptierten Azotometer ni.
Die Reduktionszelle I ist zusammengestellt, wie folgt: Die
Tonzelle A ist durch den Gummistopfen B, der drei Bohrungen
besitzt, gasdicht verschlossen.
Durch die mittlere geht die Kathode C aus chemisch reinstem
Blei oder Platin, durch die zweite das T-Rohr D, das durch den
Hahn E geschlossen werden kann. Eine dritte Bohrung führt ein
Thermometer in das Innere der Zelle.
Außen befindet sich die zylindrische Bleianode F, die durch
die Glas Winkel GG von der Tonzelle in bestimmter Entfernung
gehalten wird.
Die Voltameterzelle II ist genau so konstruiert wie die
Zersetzungszelle, mit Ausnahme der Thermometerbohrung und
der Elektrolysierflüssigkeit, welche hier durch verdünnte Schwefel-
säure 1 : 3 gebildet wird. Auch hier kann das T-Rohr durch
den Hahn H geschlossen werden.
Die beiden T-Rohre. von I und 11 stehen durch eine dick-
\ -^ \ -^
— 255 —
wandige Schlauchleitung mit dem abgeänderten Azotometer ni
in Verbindung. Die Leitung von I kann durch den Quetsch-
hahn J, die von II durch den Hahn K abgespeiTt werden.
Das Azotometer III wurde für unsere Zwecke folgender-
maßen adaptiert: Das unten befindliche Gaseinleitungsrohr wurde
abgesprengt und die Öffnung zugeschmolzen. Über dem Hahn L
wurde ein T-Rohr angesetzt^ das durch ein Stück Oummischlauch
und den Hahn M ebenfalls verschlossen werden konnte. Die
Sperrflüssigkeit war Wasser. Der obere Euhepunkt der Niveau-
birne war derartig angebracht, daß beim Einhängen das Wasser
genau bis zur Bohrung des Hahnes L stieg.
Sollte nun eine Vergleichsmessung gemacht werden, so wurde
der aus den beiden Zellen pro 60 Sek. entweichende Wasser-
stoff direkt hintereinander aufgefangen und gemessen.
Die Ausführung einer solchen Messung geschah, wie folgt:
Zuerst wurde der bei Zelle I entweichende Wasserstoff
gemessen :
Beim Azotometer III wurden L und M geöffnet — das
Wasserniveau stand ja durch die Lage der Niveaubirne genau
auf 0 — j bei II wurde K geschlossen und H geöffnet. Dann
wurde bei I J geöffnet und E geschlossen.
Der entweichende Wasserstoff strömte jetzt durch die Schlauch-
leitung zum Azotometer lU, wo er beim geöffneten Hahn M
entweichen konnte. Der in Zelle II zu gleicher Zeit entwickelte
Wasserstoff konnte durch den offenen Hahn H entweichen.
Nun wurde bei einem genauen Zeitpunkt M geschlossen
und mit der Niveaubime dem sinkenden Niveau in III gefolgt.
Dadurch wurde jeder Unter- und Überdruck vermieden, was
ein gelegentlich auf I gesetztes Manometer bestätigte.
Nach dem Verlauf von 60 Sek. wurde L geschlossen und
M geöffnet. Nach dem Ablesen wurde der Hahn L wieder
geöffnet und die Niveaubime aufgehängt, wodurch das Wasser
wieder bis zum Nullpunkte stieg.
Dieselbe Messung wurde jetzt mit dem Vergleichsvolta-
meter n durchgeführt:
Bei I wurde E geöffnet und J geschlossen, bei II H ge-
schlossen und E geöffnet^ das Azotometer III war schon vorbereitet.
Auch hier wurde nach Verlauf von 60 Sek. L geschlossen
und M geöffnet.
- 256 -
Bei einiger Übung sind die beiden Messungen nnd die Um-
schaltung in 2Vs Min. leicht auszuführen.
Wenn auch hier einzuwerfen ist, daß die beiden zum Ver-
gleich gezogenen Wasserstoffmengen nicht zu genau derselben
Zeit der Apparatur entnommen sind, so kann doch entgegnet
werden, daß der Verlauf der Reduktionen derart gleichmäßig
war, daß ein Zeitintervall von 90 Sek. zwischen den Ab-
lesungen eine Störung in der Stromausbeutekurve nicht ver-
ursacht hat.
Es war ja auch nicht der Zweck, absolut genaue Messungen
vorzunehmen, sondern nur Aber den Verlauf der Reduktion ein
Bild zu bekommen.
Um auch zu verhindern, daß eine bestimmte Stromstärke
überschritten wurde durch bessere Leitfähigkeit der Elektrolysier-
flüssigkeit infolge von Temperatursteigerung oder durch Aus-
fallen eines Reduktionsproduktes, wurde in den Stromkreis ein
automatischer Ausschalter mit eingeschlossen, der auf jede be-
liebige Stromstärke eingestellt werden konnte.
Auch erwies er sich bei vielen Versuchen als Schutz fOr
das Amperemeter, wenn der Widerstand der Elektrolysierflüssig-
keit sehr gering war und der Regulierwiderstand, auch wenn
er vollständig eingeschaltet war, nicht ausreichte, so daß ein
zu starker Stromstoß in die Leitung geschickt wui*de.
In solchen Fällen arbeitete der automatische Ausschalter
sehr exakt und ersetzte so die Sicherung vollständig.
Das Prinzip dieses Apparates war, daß ein in den Strom-
kreis geschalteter Elektromagnet einen durch eine Feder ver-
stellbaren Anker bei einer gewissen Stromstärke anzog.
Hierdurch konnte durch Auslösung einer Sperrvorrichtung
und Hebelflbersetzung der Stromkreis unterbrochen werden, oder
es wurde zur Erhöhung der Empfindlichkeit dieser Elektro-
magnet aus einem Relais konstruiert, das durch einen zweiten,
vom ersten unabhängigen Stromkreis den ersten durch einen
Ausschalter unterbrach.
Der Automat bestand in der Hauptsache aus dem Relais I
und dem Ausschalter II. Der in den Hauptstromkreis geschaltete
Elektromagnet A zog den Anker B an, der um die Achse C
beweglich war und durch die Stellfeder E auf verschiedene
Stromstärken eingestellt werden konnte.
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Sitsungsberlehte der phyB..med. Soe. 39 (1907).
17
- 25Ö --
Floß nun ein zu starker Strom darch den Magneten A, so
Würde B angezogen. Dadurch stieß der Platinkontakt G der
Feder F an die Platinspitze der Schraube H, wodurch der
zweite Stromkreis geschlossen wurde.
Die Entfernung GH konnte durch die unten sitzende Schraube
H' reguliert werden, die eine isolierende Ebonitspitze besaß.
Durch den Stromschluß bei GH wurde nun bei 11 der
Elektromagnet J erregt Dieser zog den Anker K an und löste
durch die Arretierung L den Hebel M aus, der durch die
Feder Q sehr rasch herabgezogen wurde.
Hierdurch wurde der Eupferbügel P aus den beiden Queck-
silbemäpfen NN gerissen, wodurch der Hauptstromkreis unter-
brochen wurde.
Durch diese Konstruktion als Belaisauschalter konnte eine
Empfindlichkeit bis auf 0,05 Amp. erzielt werden.
Der ganze Apparat wurde auf einem größeren Schaltbrett
montiert; wobei er auch durch einen Stöpselausschalter kurz
geschlossen werden konnte.
Die ganzen Armaturteile des Apparates stammten von alten
Telephonrelais' und Elappensigualen, wie sie bei den k. b. Tele-
graphenwerkstätten um billiges Geld zu haben sind.
Im vorhergehenden ist beschrieben, wie der Automat bei
einer bestimmten Maximalstromstärke aasschaltete.
Mit einer Abänderung kann er auch als Minimalausschalter
benutzt werden. Er schaltet dann selbsttätig aus, wenn die
Stromstärke bis zu einem gewissen Betrag gesunken ist.
Zu diesem Zwecke wird an dem Ankerhebel eine kleine
Änderung vorgenommen: Der Eontaktteil von der Schraube F'
ab wird umgedreht, wobei natürlich die Schraube D wieder
gedreht werden muß (siehe Zeichnung), dann werden die
Schrauben H und H' vertauscht und die Stellfeder E etwas
nachgelassen.
Der Unterschied gegen die vorherige Anordnung ist nun,
daß der Anker B bei Stromschluß stets angezogen ist. Der
jetzt unten befindliche Platiukontakt G steht über der Schraube H.
Sinkt nun aus irgend einem Anlaß die Stromstärke, so wird
durch die Feder E der Anker weggezogen, das Platinblättchen G
stößt an den Eontaktstift von H, und der zweite Stromkreis ist
geschlossen.
17*
— 260 -
Dieser schaltet dann den Haaptstromkreis durch den Elektro-
magneten J wie vorher aas.
Natürlich muß dann die Stromstärke im ersten Stromkreis
sofort wieder anf den bestimmten Betrag einregnliert werden,
da sonst der Elektromagnet J ständig unter Strom bleibt.
IL
Reduktion von Nitro- und Nitrosophenolen.
Es standen mir folgende Nitro- und NitrosoköiT)er zur Ver-
fügung:
OH
I.
Nitrosoorcin.
OH
ONO
* a-Nitroorcin.
OH
III.
OH
CH,l JoH
/J-Nitroorcin.
A
NO,
IV.
OH
OH
«-Nitro resoroin.
XO,
261 —
OH
V.
NO2 a-Nitroorcinmoiiomethyl-
äther.
VI.
NO Nitrosoorcinmonomethyl-
äther.
Reduktion Ton Nitrosoorcin mit Platinelektroden.
Afl. Schwefelsäure 1:1.
Kfl. 3-1 g Nitrosoorcin, gelöst in 34 com reiner konzen-
trierter Schwefelsäure und 10 Tropfen Wasser zugegeben, dann
auf 42-0 ccm mit reiner konzentrierter Schwefelsäure aufgefüllt.
Da = Dk = 4-5 Arap. auf lOO cm« = 1-5 Amp.
GasmeBsuDg
Menge des zur
Stromaus- Gasmessung
Menge des zur
Stromaus-
nach Verlauf
Redukt. verbr.
beute in i, nach Verlauf
Redukt. verbr.
beute in
von Stunden
H in ccm
Prozenten'
__ _ 1
40,0
von Stunden
H in ccm
Prozenten
0
5,2
6^,
0,9
7,1
V* 3,7
28,5 ' 7 "
0,7
5,6
^/, 3,1
23,5 8
0,7
5,5
•/* 1 2,8
21,4 1 9
0,6
5,3
VU ' 2,8
21,4 10
0,5
4,0
!•/*
2,8
21,4
11
0,4
3,7
'^*/4
2,7
20,6
12
0,4
3,2
3
2,2
17,0
12V,
0,2
3,1
4 1,3
10,7 13
0,1
0,9
5 1,2
10,3 14
0,0
0,0
5N',
1,1
8,9
Die Reduktion wurde mehrmals durchgeführt und ergab
ähnliche Kurven. Jedoch bestand das Reduktionsprodukt aus
einem schwarzbraunen Körper, von dem sich mit kochendem
Wasser nur eine geringe Menge eines lachsfarbenen Produktes
extrahieren ließ. Es schien, als ob der bei der Reduktion ge-
bildete Körper im Innern des Kathodenraums sofort wieder
oxydiert würde. Dies konnte nur dadurch möglich sßin, daß
— 262 -
durch Eataphorese ans dem Anodenranm Saaerstoif mit in das
Innere der Tonzelle gerissen worden war. Es wurde daher,
nm dies zu verhindern, eine Versnchsanordnnng anfgebaat, bei
der ein ziemlich weites Becherglas als Badranm verwendet
wurde, so daß zwischen Tonzelle und Anode ca 3 cm Abstand
waren.
Das Bednktionsprodukt bei dieser Anordnung war ein heller
Eristallbrei, der sofort über Asbest abgesaugt und auf Ton
getrocknet wurde.
Aus Wasser umkristallisiert, resultierten lichtbraune Kri-
stalle.
Diese wurden nach der Vorschrift von Henrich^) azetyliert
und ergaben ein lachsfarbenes Azetylderivat; das aus Alkohol
und Wasser zu gleichen Teilen in langen Prismen vomSchmp. 217®,
Sinterung schon bei 206^ kristallisierte. Die Analyse ergab
folgende Resultate:
I. 01540 g Substanz gaben 6*4 ccm N bei 20<» u. 738 mm Druck
IL 01256 g „ „ 0-2803 g CO, u. 0-0631 g H^O.
Berechnet für
Gefunden:
Triazetylamidoorcin.
Ci,H„0»N
I n
C = 58-85
61-45
H = 5-67
- 5-62
N = 5-30
6-4 —
Zum Vergleich wurden 3 g Amidoorcin mit 4*5 g ent-
wässertem Natriumazetat und 30 g Essigsäureanhydrid azetyliert.
Das entstandene Triazetylamidoorcin kristallisierte in dünnen
farblosen Blättchen aus Alkohol vom Schmp. 98 — 99®.
Die Mutterlauge des umkristallisierten Reduktionsproduktes
wurde stark alkalisch gemacht und an der Luft stehen gelassen.
Es bildete sich jedoch nur eine Braunrotfärbung, während eine
zum Vergleich angesetzte alkalische Amidoorcinlösung intensiv
blauviolette Färbung zeigte.
Die Analyse des Azetylderivates und das Verhalten der
alkalischen Lösung des Reduktionsproduktes gegen Luftoxy-
») Berichte 30, 1107.
— 263 -
dation zeigen also, daß bei der elektrolytischen Reduktion von
Nitrosoorcin in schwefelsaurer Lösung an Platinelektroden kein
Amidoorcin entsteht.
—
— ^J
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^
— 264 —
Reduktion tod Nitrosoorcin mit Bleielelttroden.
Afl. Schwefelsäure 1:1.
Kfl. 3-1 g Nitrosoorcin in 40 ccm reiner konzentrierter
Schwefelsäure und 10 Tropfen Wasser.
Da = Dk = 4-5 Amp. auf 100 cm^ = 1-5 Amp.
Hier wurden statt Platinelektroden solche von Blei in den
gleichen Abmessungen verwendet. Die Kathode war vorher
nach der Tafeischen Vorschrift präpariert worden.
GasmeesuDg
Menge des zur
Stromaus-
Gasmessung
Menge des zur
Hedukt. verbr.
Stromaus-
Dach Verlauf
Redukt. verbr.
beute in
nach Verlauf
beute in
von Stundeo
H in com
Prozenten
von Stunden
H in ccm
Prozenten
0
10,5
87,5
2'/*
1,5
11,2
'U
10,4
86,2
3
1,1
9,2
'U
9,8
76,5
3V,
0,7
5,5
1
8,6
67,2
4
0.5
3,5
1V4
6,1
47,6
4V.
0,3
2.3
IV.
5,1
40,0
5
0.1
1,2
2V.
2,0
15,4
5V.
0.0
0,0
Die Efl. war ein Kristallbrei in dunkelgrüner Mutterlauge,
die sich beim Verdünnen mit Wasser gelbrot färbte. Die Kri-
stalle wurden über Asbest abgesaugt, auf Ton getrocknet und
aus Wasser umkristallisiert.
Hieraus kamen sie in winzigen Nädelchen von der gleichen
Form wie das zum Vergleich dargestellte Sulfat des )8-Amidooixins.
Zur Identifizierung wurden die nachstehenden Reaktionen
nebeneinander durchgeführt.
Eisenchloridlösung: 1 Tropfen
Bichromatlösung: 1 Tropfen
u. 2 Tropfen Schwefelsäure
Natronlauge: 2 Tropfen
Sulfat des /^-Amido-
ordns
Braungelbe Färbung
Dunkelgelbe Färbung
Braunfärbung, die all-
mählig dunkler wird
Elektrolytisches Bedak-
tionsprodukt
Braungelbe Färbung
Gelbe Färbung, die dann
dunkler wird
Gelbbraun, dann braun,
später dunkelbraun in
derselben Nuance.
Die übereinstimmenden Identitätsreaktionen zeigen also,
daß bei der elektrochemischen Reduktion von Nitrosoorcin an
Bleielektroden Amidoorcin entsteht.
265
Redaktion toh /3-Nitroorcin an Platinelektroden.
Afl. Schwefelsäure 1:1.
Kfl. 31 g ^-Nitroorcin in 40 ccm reiner konzentrierter
Schwefelsäure und 10 Tropfen Wasser.
Da = Dk = 4-5 Amp. auf 100 cm» = 1-5 Ämp.
Gasmessoiig
Menge des zur
Stromaus GasmessuDg
Menge des zur
Stromaus-
nach Verlauf
Reduktverbr.
beute iD
; nach Verlauf
Reduktverbr.
beute in
von StuDdeD
H in ccm
Prozenten
von Stunden
Hin ccm
Prozenten
0
0,4
3,2
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0,5
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11
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7
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1,0
8,6
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2,4
2
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5,5
10
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Fig. 4.
— 266 —
Die Efl. schien nach Beendigung des Versuches unverändert,
auch beim Verdünnen mit Wasser fiel nichts aus. Hierauf
wurde unter Eisküblung alkalisch gemacht, worauf nach längerem
Stehen an der Luft nur eine helle Braunrotfärbung auftrat
Redaktion Ton j3-Nitroorcin mit Bleielektroden.
Afl. Schwefelsäure 1:1.
Kfl. 31 g ^-Nitroorcin in 40 ccm reiner konzentrierter
Schwefelsäure und 10 Tropfen Wasser.
Da = Dk = 4-5 Amp. auf 100 cm» = 1-5 Amp.
GasmessuDg
Dach Verlauf
von Stunden
Menge des zur
Beduktverbr.
H in ccm
Stromaus-
beute in
Prozenten
Gasmessung
nach Verlauf
von Stunden
Menge des zur
Bedukt.verbr.
H in ccm
StromauB-
beute in
Prozenten
0
1
11,0
7,9
6,8
5,8
5,2
96,5
69,9
60,1
50,9
45,5
2V,
3V,
5
6V.
8V.
2,4
0,8
0,6
0,3
0,0
21,2
7,9
5,0
2,9
0,0
Die Efl. war ein Eristallbrei in einer grfinen Mutterlauge.
Er wurde über Asbest abgesaugt und aus Wasser umkristalli-
siert, woraus feine Nädelchen kamen, deren Form mit der des
^-Amidoorcinsulfates identisch war.
Mit den beiden Sulfaten wurden die nachstehenden Vergleichs-
reaktionen durchgeführt.
Helle Braungelbfärbung
Dunkeigeibe Färbung
Eisenchloridlösung: 1 Tropfen
Bichromatlösung: 1 Tropfen
+ 2 Tropfen H^SO^
Natriumnitrit: 1 Tropfen -|- ^^bf ärbung
2 Tropfen Salzsäure
Natronlauge: 3 Tropfen
Sulfat des ^-Amido-
orcins
Elektrolytisches Beduk-
tionsprodokt
LiangsameOxyd. Braun-
färbung, die allmählich
dunkler wird.
Helle Braungelbfärbong
Dunkelgelbe Färbung
Gelbfärbung
Langsame Oxyd. Braun-
f ärbungfdie allmählich
dunkler wird.
Es ist also der bei der elektrochemischen Reduktion von
j3-Nitroorcin in schwefelsaurer Lösung mit Bleielektroden ent-
— 267 —
staodene Körper identisch mit dem Salfat des ^-Amidoorcins.
Also geben /3-Nitroorcin und Nitrosoorcin bei der Redaktion an
Bleielektroden das gleiche )9-Amidoorcin.
Reduktion Ton a-Nitroorein mit Platinelektroden.
Afl. Schwefelsäure 1 : 1.
Kfl. 3'1 g a-Nitroorcin in 40 ccm
Schwefelsäure und 10 Tropfen Wasser.
Da = Dk = 4-5 Amp. auf 100 cm* =
reiner konzentrierter
1.5 Amp.
Gasmeesung
Menge des zur
Stromaus-
Gasmeseung
Menge des zur
Beduktverbr.
Stromaus-
nach Verlauf
Redukt verbr.
beute in
nach Verlauf
beute in
▼OD Stunden
Hin ccm
Prozenten
von Stunden
H in ccm
Prozenten
0
83
69,1
2'/.
4,4
35,0
'/4
8,3
64,3
3
2,8
21,4
•/.
8,3
65,3
3V.
2,4
18,1
IV4
83
70,4
5
1^
9,4
1'/.
9,6
77,4
6
0,4
3,0
2
6,2
50,0
7
0,0
0,0
2'/«
4,9
39.0
Die Kfl. war ein dunkelgrüner, mit weißen Kristallen durch-
setzter Kristallbrei. Dieser wurde abgesaugt, aus Wasser um-
kristallisiert, worauf das Reduktionsprodukt in schönen grau-
violetten, zu Büscheln vereinigten Nadeln kam. Hiervon wurden
0-6 g sofort azetyliert. Doch schied sich nach dem Abdestillieren
des Essigsäureanhydrids durch Wasserzusatz nichts ab^ sondern
das Reduktionsprodukt löste sich darin. Auch durch Ausäthem
der Lösung konnte nichts gewonnen werden.
Zum Vergleich wurden 3 g a-Nitroorcin reduziert^) und ein
Azetylderivat dargestellt.
3 g Nitrokörper wurden in 30 ccm Alkohol gelöst und all-
mählich zu einer Lösung von 18 g Zinnchlorür in 40 ccm kon-
zentrieiiier Salzsäure gegeben. Es mußte ziemlich lange gekocht
werden, bis die Reaktion vollendet war. Nun wurde der Al-
kohol weggekocht und die Reaktionsflüssigkeit mit Wasser ver-
dünnt und mit Schwefelwasserstoff entzinnt. Das so gewonnene
Salz wurde durch Umkristallisieren aus konzentrierter Salzsäure
gereinigt und bildete lange Nadeln.
0 Berichte 36, 888.
- 268 —
0-5 g dieses Produktes wurden azetyliert, fast alles Anhydrid
im Vakuum abdestilliert und der Rest in Wasser gegossen.
Es schied sich sofort das Azetylderivat aus, das in langen
Prismen vom Schmp. 107® kristallisierte. Die Elementaranalyse
stimmte auf ein Triazetylderivat.
I. 0-2063 g Substanz gaben 0-4443 g COj und 01065 g H^O
II. 01708 g „ „ 0-3669 g CO^ und 00902 g H^O.
Berechnet für: Gefunden:
C^H^OjNCCOCHg), I n
C = 58-85 58-73 5861
H = 5-67 5-78 5-93
Trotzdem das Nitroorciu reduziert worden war, konnte es
nicht als Amidoorcin identifiziert werden. Aus Mangel an
Material konnte eine weitere aufklärende Untersuchung nicht
mehr durchgeführt werden.
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Fig. 5.
269
Beduktion yon a-Nitroresorcin mit Platinelektroden.
Nach der Vorschrift von Kauf f mann ^) wurde eine größere
Menge a-Nitroresorcin dargestellt. Wenn man den Nitrokörper
nach diesem neuen Verfahren darstellt, so erhält man ihn in
10 fach größerer Ausbeute, als wenn man ihn analog dem Ver-
fahren zur Gewinnung von a- und j8-Nitroorcin herstellt.
Afl. Schwefelsäure 1:1.
Kfl. 3-1 g a-Nitroresorcin in 40 ccm reiner konzentrierter
Schwefelsäure und 10 Tropfen Wasser.
Da = Dk = 4-5 Amp. auf 100 cm« = 1-5 Amp,
Gasmeeaung
Menge des zur
Stromaus- Gasmeesung
Menge des zur
Stromaus-
nach Verlauf
Reduktverbr.
beute in nach Verlauf
Bedakt.yerbr.
beute in
TOD Standen
H in ccm
Prozenten von Standen
H in ccm
Prozenten
0
7,1
53.4 6'/,
1,6
13,0
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2,7
21,1 8'/,
1,3
10,0
';',
3,6
27,9 10
1,1
8,8
1
3,8
30,4 10
3,8
28,3
1'/,
3,6
28,6 11
0,6
6,4
2
3,1
23,0 12
0,4
3.0
2'/.
2,5
20,5 13
0,2
2,1
3'/4
2,3
17,6 14
0,0
0,0
5'/.
2,0
16,0
Nach ]
Beendigung
der Reduktion war
die Kfl. ein grau-
grüner Eristallbrei, der über Nacht in der Kälte stehen gelassen
wurde. Dann wurde er über Asbest abgesaugt, auf Ton ge-
trocknet und aus Wasser umkristallisiert
Von den weißen Kristallen wurden 0-7 g azetyliert. Hier
bildete sich anscheinend wie beim a-Nitroorcin kein Azetyl-
derivat, denn nach dem Abdestillieren des Essigsäureanhydrids
im Vakuum löste sich der Rückstand in Wasser und auch durch
Ansäthern konnte nichts gewonnen werden.
Zum Vergleich wurden 1-6 g Nitroresorcin in Alkohol ge-
löst und in eine Lösung von 10 g Zinnchlorür in 25 ccm kon-
zentrierter Salzsäure eingetragen. Die Lösung entfärbte sich
nach 1^2 Std. fast vollkommen ; sie wurde eingeengt, wobei sich
das Chlorhydrat in schönen Blättchen abschied.
Hiervon wurde ein Teil sofort abgesaugt und azetyliert.
Nach dem Abdestillieren des überschüssigen Essigsäureanhydrids
schied sich auf Wasserzusatz ein weißer flockiger Körper aus,
*) Berichte 37, 725.
— 270 —
der ans Petroläther umkristallisiert wurde. Unterm Mikroskop
waren glänzende weiße Prismen zu sehen. Die Analyse stimmte
auf ein Triazetylderivat, das noch nicht dargestellt war.
0-2026 g Substanz gaben 9-2 ccm N bei 20« und 737 mm Druck.
Gefunden:
N = 5-3 5-13
Berechnet fBr CiaHiaOgN:
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271 —
Bednktion toh a-Nitroresorein mit Bleielektroden.
Äfl. Schwefelsäure 1:1.
Kf 1. 31 g a-Nitroresorcin in 40 ccm reiner konzentrierter
Schwefelsäure und 10 Tropfen Wasser.
Da = Dk = 4-5 Amp. auf 100 cm» = 1-5 Amp.
GasmeseuDg
Menge des zur
Stromaus-
nach Verlauf
Redukt. verbr.
beute in
von Stunden
Hin ccm
Prozenten
0
11,0
98.2
'U
10,9
98,2
V,
10,8
97.2
IV*
10,7
94,7
2
5.6
48,4
2V.
1,7
14.5
^^
0,4
3.8
ft/l
0.0
0,0
Die Kfl. war nach Beendigung des Versuchs eine grau-
grüne Eristallmasse, die über Asbest abgesaugt, auf Ton ge-
trocknet und aus Wasser unter Zusatz von etwas Tierkohle
umkristallisiert wurde.
Da bei diesem Nitrokörper die Parastellung unbesetzt war,
so ließ sich erwarten, daß hier die Eeduktion nur bis zum
Hydroxylaminderivat gegangen war, das sich dann unter dem
Einfluß der starken Säure zu einem Para-amidophenol umge-
lagert hätte.
OH
Dieses Reduktionsprodukt würde somit ein Aminophloro-
glncin sein.
Da dieser Körper jedoch noch nicht dargestellt war, so
konnten mit dem elektrolytischen Reduktionsprodukt keine
Identitätsreaktionen durchgeführt werden.
Es gab folgende charakterische Reaktionen:
- 272 -
Elektrolytisches KeduktioDsprodnkt
EisenchloridlösuDg: 1 Tropfen
Natriamnitrit : 1 Tropfen 4- 3 Tropfen
Salzsäure
Ammoniak. Silberlösung
BichromaÜösmig: 1 Tropfen 4-
3 Tropfen Schwefelsaure
Eonz. Salpetersäure: 1 Tropfen
Natronlauge: 1 Tropfen
Rotfärbung, die langsam dunkler wird
Gelbfärbung, auch bei weiterem Zu-
sätze bleibend
Starke Reduktion, braungrün, später
braun
Dunkelbraune Färbung ohne Trübung
Hellgelbe Färbung
Zuerst weiße Fällung. Dann von oben
oben her langsame Oxydation bis
schwarzbraune Färbung.
Eine spätere Untersuchung muß noch zeigen, welches
Beduktionsprodukt hier vorliegt.
Im Verlaufe der vorliegenden Untersuchungen wurden
noch zwei interessante Beobachtungen gemacht, die jedoch nicht
mehr näher studiert worden sind.
Bei den Löslichkeitsversuchen von a- und )3-Nitroorcin in
konzentrierter Schwefelsäure verwandelte sich bei höherer
Temperatur die braungelbe Lösung der beiden Körper unter
lebhafter Reaktion in einen schwarzen Brei. Dieser war in
Wasser unlöslich und gab nach dem Absaugen und Trocknen
eine amorphe glänzende Masse, die mit tiefbrauner Farbe in
Alkalien löslich war.
Die zweite Beobachtung wurde beim Umkristallisieren von
Nitrosoresorcin aus Alkohol gemacht. Hierbei wurde anscheinend
zu stark erhitzt. Die Lösung begann plötzlich aufzusieden, und
das gelbe Nitrosoresorcin verwandelte sich in einen schwarz-
braunen Körper. Die Reaktion war so lebhaft, daß sie nicht
einmal durch Einstellen des Kolbens in Eiswasser gemäßigt
werden konnte. Das entstandene schwarzbraune Produkt hatte
die gleichen Eigenschaften wie ,,Lakmoid."
— 273 -
Reduktionen In alkaliseher Losung.
Bei der Nitrierung von Orcinmonomethyläther war seiner
Zeit als Nebenprodukt ein flüchtiger Nitrokörper abgefallen, der
mir in relativ großer Menge zur Verfügung stand. Nach den
Untersuchungen von N ac h ti ga 1 1 ^) mußte ihm folgende Struktur-
formel zukommen.
OCH,
Ich machte zunächst den Versuch, ihn in alkalischer Lösung
zu reduzieren, um zu einem Azooxykörper zu gelangen. Nach
den Versuchen von Gattermann*) und neuerdings von Vor-
länder') entstehen durch die Reduktion para-substituierter
N^trophenoläther zu Azooxykörpein Substanzen, die in einer
anisotrop flüssigen Phase aufzutreten vermögen. Es stand mir
der vorerwähnte Körper zur Verfügung, in dem eine Methoxyl-
gruppe sich zur Nitrogruppe in Parastellung befand.
Obwohl hier in Orthosteilung noch eine freie Hydroxyl-
gruppe war, versuchte ich doch eine Reduktion in alkalischer
Lösung.
Ich führte den Versuch aus, und schon während der Reduk-
tion schied sich auf der Oberfläche der Kathodenflttssigkeit ein
intensiv rot gefärbter Körper aus, während bei einem Azooxy-
körper kein so intensiv gefärbtes Derivat zu erwarten war.
Es wurde noch weiter beobachtet, daß die Reduktions-
flüssigkeit durch Oxydation durch den Luftsauerstoff noch mehr
von dem roten Körper abschied, und damit war die Erklärung
für diese Erscheinung gefunden.
Der Nitrokörper wurde bis zum Amin reduziert. Dieses
Amin mußte identisch sein mit dem Reduktionsprodukt jenes
Körpers, den man aus Nitrosoorcin durch Esterifizierung mit
Salzsäure und Methylalkohol erhalten hatte, und dem nach
^) J. prakt. Ghem. 1904, 385.
*) Berichte 34, 1738.
*) Berichte 89, 803.
Siteungsberiebte der pbys.-med. Sos. 39 (1907). 18
— 274 —
Henrichs Untersuchungen die nebenstehende Eonstitntion oder
eine t-antomere Foimel zukommen muß.
OCH,
CHj'v yoH
NO
Henrich^) zeigte zuerst allein, dann in Gemeinschaft mit
seinen Schülern, daß dieses Beduktionsprodukt bei der Oxyda-
tion in alkalischer Lösung einen Phenoxazinkörper nach den
folgenden Gleichungen gibt:
CHj CHj
' +0=CH,OH +
CH3O-II j-OH 0:
'\=NH
—OH
CH,
I I + Ö
/\^NIH H|
OCH,
1
0 =
X^ oiiff ;;;;;;;;;;;; Hol'" \/
NH,
CH, OCH,
-CH,
N
2H,04-
/\,/\/\
0=1
-CH,
NH,
War die von mir ausgeführte Reduktion also bei dem
Nitrokörper bis zum Amin gegangen, so mnßte dieser rote
Körper, der sich durch die Luftoxydation gebildet hatte, iden-
>) Berichte 30, 1107.
- 275 -
tisch sein mit jenem, den Henrich und Schierenberg^) durch
Oxydation des Amidoorcinmonomethyläthers erhalten hatten.
In der Tat zeigte der Körper, der sofort in größerer Menge
dargestellt wurde, Übereinstimmung in Eristallform; Schmelz-
punkt und sonstigen Eigenschaften.
Damit ist ein neuer Beweis für die Richtigkeit der Kon-
stitution des flüchtigen (a)-Nitroorcinmonometh7läthers erbracht.
Dieser Phenoxazinkörper von Henrich und Schieren-
berg war im allgemeinen langwierig darzustellen, da die Oxy-
dation an der Luft ziemlich lange Zeit erforderte.
Ich kam nun auf den Gedanken, diesen Phenoxazinkörper
durch aufeinanderfolgende elektrolytische Reduktion und Oxy-
dation darzustellen.
Bedoktion yon a-Nitrooreinmonomethyiather in alkalischer
Lösung.
Zur Verfögung stand eine relativ große Menge des Nitro-
körpers, jedoch in unreinem Zustande.
Als bestes Kristallisationsmittel zeigte sich Ligroin. Hier-
aus kam er in langen gelben büschelartig angeordneten Nadeln
vom Schmp. 103«— 104^
Da von dem Körper erst nur eine N-Bestimmung vorlag,
so wurde eine vollständige Analyse durchgeführt.
L 0,2132 g Substanz gaben 0,4105 g 00^ u. 0,1007 g H^O.
IL 0,2347 g Substanz gaben 0,4526 g CO2 u. 0,1113 g H2O.
III. 0,1290 g Substanz gaben 9,1 ccm N bei W u. 737 mm Druck.
IV. 0,2143 g Substanz gaben 14,9 ccm N bei 19« u. 735 mm Druck.
Gefunden:
n. m. IV.
52,60 - —
5,30 — —
— 7,81 7,86
A f 1. : 20 g NajSO^, 100 ccm Wasser, 10 ccm Schwefelsäure 1:4.
Kfl.: 5 g a-Nitroorcinmonomethyläther in soviel S^/^iger
Natronlauge^ als Lösung eintrat.
Kathode = Nickeldrahtnetz.
Anode = Bleiblech.
Berechnet fttr
CgEjO^N:
I.
C = 52,43
52,51
H= 4,95
5,28
N= 7,67
—
*) J. prakt. Chemie 1904, 865.
18«
— 276 —
Es warden zar Redaktion and Oxydation 2,5 Amp. Strom-
stärke angewendet.
Während der Redaktion schied sich aaf der Oberfläche der
Efl. eine rote Hant aus. Nach 5^2 Amp.-Standen zeigte eine
starke Wasserstoffentwicklang den Schluß der Reduktion an.
Hierauf wurde vor der Zelle Polwechsel vorgenommen und noch-
mals 5 Amp.-Stunden zugeführt.
Es schied sich bei der Elektrooxydation der rote Körper
in dichten Flocken aus, die abgesaugt und umkristallisiert wurden.
In Benzol, Xylol und Alkohol löste er sich in der Kälte
schwer, in der Wärme leicht auf, und kristallisierte hieraus in
bflschelförmig vereinigten Nadeln vom Schmp. 252^. Eisessig
und Essigäther lösten ihn schon in der Kälte auf.
Die Analyse stimmte auf den von Henrich und Schieren-
berg erhaltenen Phenoxazinkörper.
I.. 0,1924 g Substanz gaben 0,4704 g CO^ und 0,0919 g HjO.
IL 0,1857 g Substanz gaben 0,4540 g CO, und 0,0877 g HjO.
IIL 0,1662 g Substanz gaben 15,8 ccm N bei 22« u. 747 mm Druck.
m.
Berechnet für
Gefnnden
C.sHuO.N,:
I.
n.
C = 66,62
66,67
66,68
H= 5,22
5,34
5,28
N= 10,64
—
—
10,81.
Reduktion von Monomethylnitrosoorein in alkaliselier
Lösung.
Afl.: Kalt gesättigte, angesäuerte Natriumsulfatlösung.
Kfl.: 5g Monomethylnitrosoorein in soviel 3 ^/oiger Natron-
lauge, bis alles gelöst war.
Hier zeigte sich schon nach Zufuhr von 4 Amp.-Stunden
die starke Wasserstoffentwicklung. Dies geht ja daraus her-
vor, daß die Nitrosogruppe 4, die Nitrogruppe 6 Wasserstoff-
atome benötigt, um in die Amidogruppe überzugehen.
Dann wurde auf Oxydation umgeschaltet und der ausge-
schiedene Körper abfiltriert. Lösungsvermögen, Kristallform
und Schmelzpunkt waren genau die gleichen wie beim vorher-
gehenden Phenoxazinkörper.
Ein Versuch wurde unter Rühren durchgeführt, um die
— 277 —
Ausbeute zu bestimmeu. Hiezu stand die Kathode mit einem
über der Zelle rotierenden Exzenter in Verbindung, wodurch
sie ruckweise gehoben und gesenkt wurde.
Die sonstigen Versuchsbedingungen waren genau wie vor-
her. Der Phenoxazinkörper wurde abgesaugt und kräftig mit
Wasser durchgewaschen, um das Alkali zu entfernen. Dann
wurde bei 90® getrocknet.
Aus 5 g Monomethylnitrosoorcin waren 1,7 g Rohprodukt
des Phenoxazinkörpers entstanden.
Zum Vergleich wurde nun auch der Phenoxazinkörper auf
chemischem Wege dargestellt^).
„Ein Grammolekttl des salzsauren Amidoorcinmonomethyl-
äthers wurde in der zehnfachen Menge Wasser gelöst, mit
2 Mol. Ätzkali versetzt und eine Woche lang Luft durch die
Flüssigkeit geleitet Es schieden sich rötliche Flocken aus,
während eine dunkel gefärbte Mutterlauge zurflckblieb. Der
rote Körper wurde mit Wasser gewaschen und mit Benzol so
lange extrahiert, als noch etwas in Lösung ging.
Aus der Benzollösung schied sich die Verbindung in roten
filzartig verwachsenen Nädelchen aus, die nach mehrmaligem
Umkristallisieren bei 256—260® (unkorr.) schmelzen".
Der nach dieser Vorschrift hergestellte Körper mußte drei-
bis viermal umkristallisiert werden, um konstanten Siedepunkt
zu bekommen, während bei den elektrolytischen Produkten dies
nur ein- bis zweimal nötig war.
Mit den beiden reinen, auf elektrolytischem Wege und
chemisch gewonnenen Phenoxazinkörpem wurden folgende Iden-
titätsreaktionen ^) durchgeführt.
1. Konzentrierte Schwefelsäure löst die Verbindung mit
dunkelroter Farbe, welche einen Stich ins Gelbliche hat. Beim
Verdünnen fällt der Phenoxazinkörper unverändert aus.
Chem. Produkt: Elektrolyt. Produkt.
Übereinstimmend. Übereinstimmend.
2. Konzentrierte Salzsäure löst zuerst mit gelbroter Farbe.
Nach kurzer Zeit findet Abscbeidung eines dunkel gefärbten
Chlorhydrates statt, das in kleinen lanzettförmigen Kristallen
») J. prakt. Chem. 1904, 267.
«) J. prakt Chem. 1904, 368-, Berichte 30, 1107.
— 278 -
anschießt Darch Wasser wird es wieder in seine ursprüng-
lichen Bestandteile znrückzerlegt.
Chem. Produkt: Elektrolyt. Produkt:
Übereinstimmend. Übereinstimmend, Kristalle
besser ausgebildet.
3. Eine bemerkenswerte Reaktion, die noch nicht näher
studiert ist, gibt der Körper mit salpetriger Säure. Übergießt
man ihn mit mäßig konzentrierter Salzsäure und tropft unter
Kühlung Natriumnitrit zu, so entsteht eine intensiv dunkelblaue
Farbe. Diese verschwindet nach einiger Zeit, und es scheidet
sich ein brauner Körper ab, der noch nicht näher studiert ist
Chem. Produkt: Elektrolyt. Produkt:
Übereinstimmend. Übereinstimmend, Färbung
intensiver.
4. Beim Übergießen mit konzentrierter Salpetersäure tritt
eine dunkelrote Färbung auf, die beim Verdünnen mit Wasser
in eine blaue Farbe umschlägt und dann verschwindet.
Chem. Produkt: Elektrolyt. Produkt:
Übereinstimmend. Übereinstimmend.
5. Beim Kochen mit Essigsäureanhydrid bildet sich beim
Abkühlen das schwerlösliche Azetylderivat. Bei beiden Ver-
suchen wurde abfiltriert, auf Ton getrocknet und der Schmelz-
punkt bestimmt.
Chem. Produkt: Elektrolyt. Produkt:
Bei ca. 210« tritt Gelbfär- Gelbfärbung bei 208^
bung ein. Schmp. 256— 257o. Schmp. 257^
Bei beiden Körpern zeigten sich unterm Mikroskop durch-
aus gleichartige Kristallaggregate.
Nachdem es also nicht gelungen war, diesen Nitrokörper
zu einem Azooxykörper zu reduzieren, suchte ich auch die noch
freie Hydroxylgruppe zu ätherifizieren und diesen Dimethyl-
äther der Reduktion zu unterwerfen.
Da ein solcher Dimethyläther noch nicht bekannt war,
stellte ich ihn in folgender Weise dar:
Darstellung des a-Nitroorcindimethyläthers.
13,5g a-Nitroorcinmonomethyläther wurden in SOccm Alkohol
gelöst, mit einer alkoholischen Lösung von 4,5 g Ätzkali ver-
setzt und das Gemisch abgekühlt. Sofort entstand ein Brei von
— 279 —
rotgelben Kristallen, die nach einiger Zeit abgesaugt wurden.
Unterm Mikroskop waren lange, radial angeordnete Nadeln zu
sehen.
Von dem so erhaltenen Natriumsalz wurden ca. 0,5 g bei
120^ bis zur Gewichtskonstanz getrocknet. Hievon wurde ein
Teil im Platintiegel mehrmals mit reiner konzentrierter Schwefel-
säure abgeraucht und dann noch einigemale unter Zusatz von
Ammoniumnitrat bis zur Gewichtskonstanz geglüht.
0,3084 g Substanz gaben 0,1100 g NaaSO^.
Berechnet für C^HgO^NNa: Gefunden:
Na =11,23. 11,56.
12,5 g dieses Natriumsalzes wurden in Wasser gelöst, im
Dunkeln mit einer Lösung von 11,7 g Silbemitrat in 50 ccm
Wasser versetzt und das gefällte Silbersal^ nach einiger Zeit
möglichst unter Lichtabschluß abgesaugt, ausgewaschen und im
Vakuum getrocknet.
Dieses Silbersalz bildet eine hellrotgelbe Masse, die sich
nach einiger Zeit, besonders in feuchtem Zustande, dunkel färbt.
Es wurde scharf getrocknet und staubfein zerrieben.
17 g dieses Silbersalzes wurden in absolutem Methylalkohol
suspendiert und mit 9 g frisch destilliertem Jodmethyl versetzt.
Die sofort eintretende Reaktion wurde durch Kühlung ge-
mäßigt. Die Beaktionsflüssigkeit wurde noch eine Stunde lang
unter Rückfluß erhitzt Dann wurde vom Jodsilber abfiltriert
und dieses sowie das Filter noch zweimal mit je 30 ccm abso-
luten Methylalkohols extrahiert und diese Auszüge mit dem
ersten Filtrat vereinigt. Nachdem der größte Teil der Lösung
verdunstet war, kristallisierten ungefähr 5 g eines braunen
Salzes aus, das nach dreimaligem Umkristallisieren den Schmelz-
punkt 100—101« zeigte.
Unterm Mikroskop waren lange Prismen zu sehen^ Die
Analyse stimmte auf den Dimethyläther.
L 0,1940 g Substanz gaben 0,3891g CO^ und 0,1005 g H2O.
IL 0,2181g Substanz gaben 13,8 ccm N bei 19<> u. 739 mm Druck.
Berechnet für Gefunden:
C,H,iO,N: L n.
C =54,79 54,70 —
H= 5,62 5,74 -
N= 7,12 — 7,19
— 280 —
Die aus der Matterlauge erhaltenen Kristallisationen wurden
ebenfalls zum konstanten Schmp. 100^ aus Methylalkohol ge-
bracht und mit der ersten Portion vereinigt.
Beduktlon von a-Nltrooreindimethyläther in alkalischer
Losung.
Afl. Kalt gesättigte Sodalösung.
Kf 1. 4^2 g Nitroorcindimethyläther in so viel S^/^iger Natron-
lauge, daß Lösung eintrat.
Die Versuchsbedingungen waren die gleichen wie bei den
vorhergehenden Keduktionen.
Auch hier bildete sich während der Reduktion auf der
Oberfläche der Kfl. eine rote Haut, die sich immer mehr ver-
stärkte.
Es war also hier ebenfalls kein Azooxykörper, sondern ein
Amin entstanden, das zur Bildung des roten Phenoxazinkörpers
Anlaß gegeben hatte.
Nach dem Stehen über Nacht war die Kfl. mit roten Flocken
erfüllt, die abfiltriert und aus Alkohol umkristallisiert wurden.
Sie zeigten genau die gleiche Eristallform und den Schmp.
252 bis 253^ wie der ans dem Monomethyläther erhaltene Phenox-
azinkörper.
Mit dem neu gebildeten Körper wurden nun die gleichen
Identitätsreaktioneu wie vorher durchgeführt:
1. Er gab mit konzentrierter Salzsäure ein blaues Hydro-
chlorat, das in lanzettförmigen Blättchen kristallisierte.
2. Beim Kochen mit Essigsäureanhydrid bildete sich das
das schwer lösliche Azetylderivat, das auf Ton getrocknet, bei
25V schmolz.
8. Mit Salzsäure und Natriumnitrit trat eine dunkelblaue
Färbung auf, die unter Abscheidung eines braunen Körpers
verschwand.
4. Mit konzentrierter Salpetersäure wurde eine rote Färbung
erhalten, die beim Verdünnen mit Wasser verschwand.
Der durch elektrolytische Reduktion und Luftoxydation des
a-Nitroorcindimethyläthers in alkalischer Lösung gewonnene
Körper ist also völlig identisch mit dem Phenoxazinkörper ans
dem a-Nitroorcinmonometbyläther.
~ 281 -
Demnach scheint also bei der Elektrolyse eine OCH,-Gruppe
abgespalten und durch die OH-Gruppe ersetzt worden zu sein.
Eine bemerkenswerte Reaktion, die aber noch nicht näher
studiert worden ist, wurde bei dem Phenoxazinkörper beob-
achtet. Wenn man ihn in einem ßohre ausbreitete und Dämpfe
von salpetriger Säure darüber leitete, ;so wurde er feucht, und
sublimierte unter Entwicklung von Gasblasen im Rohre fort.
Das Rohr wurde auf ein kleines Eölbchen mit wenig siedendem
Alkohol aufgesetzt. Durch die sich kondensierenden Dämpfe
wurde das Reaktionsprodukt herabgespült. Es löste sich in
Alkohol vollständig auf, und nach dem Eindampfen erhielt man
ein schwarzes glänzendes Produkt, das sich in konzentrierter
Schwefelsäure mit dunkelvioletter Farbe und in Wasser mit
karminroter Farbe löste.
ni.
Die Elektrolyse der Kaliumsalze der Glutakonsäure,
der Citra-, Ita- und Mesakonsäure.
Im Jahre 1849 stellte Kolbe^) durch Elektrolyse von essig-
saurem Natrium Äthan dar. Damit war der Anstoß zu einer
großen Reihe von Untersuchungen auf diesem Gebiete gegeben.
1864 veröffentlichte KekuI6^) seine Resultate über die
Elektrolyse von zweibasischen organischen Säuren, worunter
auch die Bildung von Azetylen bei der Zersetzung derMalein-
und Fumarsäure konstatiert war. Eekule erwähnte noch:
„Aus der mit Fumarsäure homologen Itakonsäure habe ich bis
jetzt kein dem Azetylen ähnliches Gas (AUylen) erhalten können.^
Dagegen zeigte 1872 Aarland^) bei der Elektrolyse von
Itakonsäure, daß er einen Kohlenwasserstoff erhalten habe, den
er als AUylen charakterisiert hätte. Aarland ging bei der
Elektrolyse der drei isomeren Säuren: Citrakon-, Itakon- und
Mesakonsäure darauf aus, drei isomere Allylene darzustellen.
Er führte nun in seiner Arbeit aus, daß er bei Citrakon-
säure ein AUylen mit einem gegen Metall austauschbaren Wasser-
stoffatom und Kohlensäure erhalten habe. Bei Itakonsäure sei
0 Ann. 69, 261.
«) Ann. 131, 79.
•) J. prakt. Chem. 6, 256: 7, 146,
— 282 —
Ällylen und Kohlensäure entstanden. Das Allylen sei jedoch
von ammoniakalischer Silberlösung nicht gefällt worden, dagegen
sei es von Brom absorbiert worden. Mesakonsäure gebe Allylen,
das durch ammoniakalische Silberlösung gefällt werde, und
Eohlensäare.
Alle drei Allylene seien jedoch verschieden gewesen.
Dagegen konstatierte B6hal^), daß bei der Elektrolyse
von Itakonsäure nur sehr geringe Mengen eines Kohlenwasser-
stoffes sich bildeten, und daß dieses Gas unrein sei.
Er bezweifelte überhaupt die Existenz eines Kohlenwasser-
stoffes von der Struktur: CHj = C = CHg und behauptete, es
sei unmöglich, aus der Itakonsäure ein Allylen von der obigen
Struktur zu erhalten.
Theoretisch war es allerdings möglich, daß derartige Zer-
setzungen stattfinden konnten, da am — Pol das Metall abge-
schiedenwurde, am+Pol die Abspaltung von Kohlensäure erfolgte,
Gitrakonsaures Kalium:
CH3
CH3
1
C - :C00
K
— C + 2C(
II ::::::
CH— iCOO
K
ÜH
Allylen.
iires Kaliam:
4-
—
CH,
II
c — coc
1 K
= C +2C0j
1 .::.:::.
CHj- coc
>K
CH,
Allen.
Mesakonsanres Kaliam:
E
+
CH3
1
cöö!
1
c
H
—
iL
;cöö
CH,
I
= C + 2 CO,
K Ih
Allylen.
') Ann. de Ghem. et de Pbys. 1889, 367.
— 283 -
Da mir nun die Aufgabe gestellt war, die jenen Sänren
isomere Glntakonsäure auf ihre elektrolytische Zersetzung in
konzentrierter Lösung zu prüfen, so unterwarf ich auch noch
unter analogen Bedingungen die Gitra-, Mesa- und Itakonsäure
der elektrolytischen Zersetzung.
Bei der Elektrolyse wandte ich den Kunstgriff an, den
Cr um Brown und Walker^) in bezug auf die Stromdichte
an der Anode benutzt hatten. Diese Forscher hatten als Anode,
an der ja die Zersetzung, bezw. die Bildung des Kohlenwasser-
stoffes stattfand, einen Platindraht von nur geringer Oberfläche
benutzt und damit eine sehr große Stromdichte erzielt.
Ich fahrte die Elektrolysen in einem Apparate aus, der im
Prinzip dem nachgebildet ist, den Elbs in seinem Werke:
Übungsbeispiele für die elektrolytische Darstellung chemischer
Präparate, S. 54 beschreibt.
Der Apparat bestand aus dem hohen Glase A, das durch
den Oummistopfen B verschlossen war. Durch die Mitte ging
das Glasrohr C, das sich unten zur Glocke D erweiterte. Über
dem Gummistopfen war das Gasableitungsrohr E angesetzt.
Durch das Glasrohr C ging die Glasfiihrung der Platindraht-
anode F, die unten mit dem Glase verschmolzen und weiter
oben an den Zuleitungsdraht G angelötet war. Diese Glasftthrung
schloß durch die Gummidichtung H den Anodenraum ab.
Durch den Gummistopfen ging noch das Bohr J in den
Kathodenraum, um den entwickelten Wasserstoff entweichen
zu lassen.
Die Kathode K war ein Nickeldrahtnetz. Die ganze An-
ordnung stand in dem Glastrog L, der fortwährend von Kühl-
wasser durchströmt war.
Das Gasableitungsrohr E führte direkt zu einem Azotometer,
das entweder mit Wasser oder irgend einer Absorptionsflüssig-
keit gefüllt war.
Durch den oberen Hahn konnte bequem jede Gasmenge zur
Analyse entnommen werden.
Der Verlauf der sämtlichen Elektrolysen wurde gasanalytisch
verfolgt. Die Analysen wurden mit Hempelschen Büretten
durchgefühii, die mit Kalilauge, alkalischer Pyrogallollösung
und ammoniakalischer Kupferchlorürlösnng gefüllt waren.
*) Ann. 861, 107.
— 284 -
Die Stromstärke bei den Elektrolysen betrag durchschnitt-
lich 3 Amp. Es wurde darauf geachtet, daß die Elektrolysier-
flttssigkeit stark alkalisch blieb, weshalb von Zeit zu Zeit festes
Ealiumkarbonat zugegeben wurde. Die besten Resultate wurden
im allgemeinen mit hohen Stromdichten erhalten.
A. Elektrolyse der Glntakonsäure.
Schon früher hatte Herr Thomas im hiesigen Institute in
einem ähnlichen Apparate glutakonsaures Kalium elektrolysiert
und dabei ein Gas bekommen, das in ammoniakalischer Silber-
lösung einen explosiveren Niederschlag erzeugte als das Anoden-
gas der Citrakonsäure. Ich übernahm diese Arbeit und führte
sie in folgendem aus.
13 g Glntakonsäure wurden auf dem Wasserbad in 20 ccm
Wasser gelöst und 18 g Ealiumkarbonat in 10 ccm Wasser zu-
gegeben.
Hieraus wurde jedoch nur ein Geroenge von Kohlensäure,
Kohlenoxyd, Sauerstoff und Wasser erhalten.
Die Konzentration wurde daher verstärkt und noch 6,5 g
Glntakonsäure und 10 g Kaliumkarbonat in 10 ccm Wasser zu-
gegeben.
Während der ganzen Dauer der Elektrolyse wurde in den
Kathodenraum Kohlensäure eingeleitet, um das frei werdende
Kalium zu binden.
Das Anodengas wurde in Portionen von je 100 ccm auf-
gefangen und analysiert.
Nr.
'lo CO,
^0
Vo Rest
1
34,8
46,4
18,8
2
52,0
34,4
13,6
3
40,4
40,0
19,6
4
56,0
32,0
12,0
5
71,8
18,1
10,1
Der Kohlensäuregehalt ist natürlich sehr schwankend, da
das überschüssige freie Alkali einen Teil der Kohlensäure als
Bikarbonat bindet.
Der unter der Rubrik „Rest" von 1 und 2 gesammelte
Kohlenwasserstoff brannte mit leuchtender rußender Flamme.
Von 21,1 ccm wurden 16,8 ccm in der ammoniakalischen Kupfer-
Fig. 7.
- 287 —
cblorfirlösung unter Bildung eines rotbraunen Niederschlages
absorbiert. Der Rest brannte mit blaßblauer Flamme, war also
Wassei*stoff. Sein Vorkommen ist wahrscheinlich dadurch zu
erklären, daß bei den Niveauschwankungen im Anoden- und
Eathodenraum Wasserstoffbläschen von der Kathode weg in
den Baum der Glocke gesaugt wurden und sich so dem Anoden-
gase beimengten.
3^ 4 und 5 brannten ebenfalls mit leuchtender Flamme.
Von ammoniakalischer Kupferchlorttrlösung wurden von 20,4 ccm
Gas 15,3 ccm absorbiert unter Bildung eines rotbraunen Nieder-
schlags. Der Rest brannte ebenfalls mit blaßblauer Flamme,
also auch hier Wasserstofi.
Ffir die weiteren Eupferfällungen wurde die Kuprolösung
von Nagy-Ilosva^) verwendet^ um das unangenehme Arbeiten
mit der ammoniakalischen Eupferchlorürlösnng zu umgehen : 1 g
kristallisiertes Kupfersulfat wurde in einem 50 ccm Kölbchen
in wenig Wasser gelöst, 4 ccm 20 ^/^ Ammoniak zugegeben und
3 g Hydroxylaminchlorhydrat zugeffigt.
Dann wurde tüchtig durchgeschüttelt und mit Wasser auf
50 ccm aufgefttUt.
In dieser Lösung gab das von Kohlensäure befreite Anoden-
gas zuerst eine rosenrote Färbung, dann eine prächtige^ dunkel-
karminrote Fällung.
Es wurde nun eine größere Menge des Niederschlags dar-
gestellt, um daraus durch Zersetzung den Kohlenwasserstoff
möglichst rein zu gewinnen.
Femer wurde nach der Vorschrift von Gattermann''') aus
Natriumalkoholat und Äthylenbromid Azetylen dargestellt, das
in einem mit gesättigter Kochsalzlösung gefüllten Gasometer
aufbewahrt wurde. Dieses Azetylen gab den gleichen Nieder-
schlag wie das Anodengas.
Inzwischen wurden der Elektrolysierflüssigkeit 5 ccm ent-
nommen, angesäuert und 5 mal mit je 40 ccm Äther ausgeäthert
Die Auszüge wurden mit Chlorkalzium getrocknet und dann
der Äther abdestilliert. Der Rückstand wurde aus Alkohol um-
kristallisiert und zeigte unterm Mikroskop die gleiche einheit-
0 Berichte 32, 2697.
«) Ann. 178, 111.
- 288 -
liehe Xristallform — zn sternförmigen Aggregaten vereinigte
Prismen — wie frisch umkristallisierte Glutakonsäure.
Ebenso waren die Schmelzpunkte übereinstimmend, beide
waren bei 130—131«.
Später schied sich ziemlich viel Bikarbonat ans, das ab-
flltriert wurde. Dabei wurde die ganze Elektrolysierflüssigkeit
mit je 50 ccm 4 mal ausgeäthert, um etwaige Polymerisations-
produkte des gebildeten Kohlenwasserstoffs zu bekommen. Der
ätherische Auszug wurde nach dem Trocknen mit Kalziumchlorid
abdestilliert, wobei jedoch kein Rflckstand blieb.
Es wurde auch noch untersucht, ob sich keine Essigsäure
und damit Äthan gebildet habe. Das von Kohlensäure befreite
Anodengas wurde mit Pyrogallol und Kuprolösung behandelt,
der Rest brannte jedoch mit blaßblauer Flamme, also kein
Äthan. Somit hat bei der Elektrolyse keine Essigsäurebildung
stattgefunden.
Es wurde nun ein Teil des Kupferniederschlags, der durch
Einleiten von Anodengas in Kuprolösung entstanden war, durch
mehrmaliges Dekantieren bis zum Verschwinden der Chlorreaktion
gereinigt.
Ebenso wurde mit chemisch dargestelltem Azetylen in Kupro-
lösung ein Niederschlag erzeugt und in gleicher Weise gereinigt.
Die beiden Kupferverbindungen wurden nebeneinander in
folgender Weise analysiert:
Der Niederschlag wurde in gewogene Filtrierröhren ein-
filtriert, mehrmals durchgewaschen, das Wasser zuletzt durch
Alkohol ersetzt, dieser schließlich durch Äther verdrängt, und
dann wurde bei 60® bis zur Gewichtskonstanz getrocknet.
Hierauf wurde gewogen, die Kupferverbindung mit Salpeter-
säure zersetzt und samt dem Asbest aus dem Böhrchen in ein
Becherglas gespült. Dann wurde auf dem Wasserbad eine Stunde
erwärmt, um allen Kohlenwasserstoff wegzutreiben und schließ-
lich filtriert. In dieser salpetersauren Lösung wurde das Kupfer
dann elektrolytisch bestimmt.
A. Kupferverbindung aus dem Anodengas:
I. 0,0580 g Substanz gaben 0,0391 g Cu,
n. 0,0901 g Substanz gaben 0,0609 g Cu;
B. Azetylenkupfer:
III. 0,0828 g Substanz gaben 0,0560 g Cu.
- 289 -^
Gefunden.'
I. n. m.
Ca- Verbindung des Anodengases Cu = 67,42 67,59 —
Azetylenkupfer Cu= — — 67,63
Aus dem durch Einleiten des Anodengases in Euprolösung
erhaltenen Niederschlage wurde nun in folgender Weise der
reine Kohlenwasserstoff dargestellt:
Ein Eölbchen mit dreifach durchbohrtem Stopfen stand mit
einem Eohlensäureapparat, der luftfreie Kohlensäure lieferte,
in Verbindung. Durch die zweite Bohrung ging ein Tropf trieb ter,
und in der dritten Bohrung saß ein Gasableitungsrohr, das zu
einem Azotometer führte. In das Kölbchen wurde nun die
Kupferverbindung gebracht, und das Azotometer wurde mit 50 ^/o
Kalilauge gefüllt. Nachdem dann wie bei einer N-Bestimmung
sämtliche Luft aus dem Apparate durch Kohlensäure verdrängt
war^ warde durch den Tropftrichter langsam Salzsäure ein-
getropft und dadurch die Verbindung zersetzt. Hatte sich eine
klare Lösung gebildet, so wurde schließlich noch erwärmt und
durch einen weiteren Kohlensäurestrom alles Gas in das Azoto-
meter getrieben. Dieser Apparat wurde später auch zu quanti-
tativen Bestimmungen benutzt.
Im gleichen Apparate wurde unter gleichen Bedingungen
Azetylenkupfer zersetzt und dadurch sehr reines Azetylen dar-
gestellt.
Mit jedem dieser beiden Gasvolumen wurde in frisch be-
reiteter Kuprolösung ein Niederschlag dargestellt, der in je
zwei Hälften geteilt wurde.
Mit der einen wurde eine Kupferbestimmung durchgeführt,
die andere Hälfte wurde abgesaugt, im Vakuumexsikkator ge-
trocknet und der Azetylengehalt im obigen Apparate bestimmt.
A. Kupferverbindung aus dem Anodengas:
I. 0,9237 g Substanz gaben 0,6248 g Cu;
B. Azetylenkupfer:
II. 0,7493 g Substanz gaben 0,5064 g Cu.
Gefunden :
I. II.
Cu- Verbindung des Anodengases Cu = 67,64 —
Azetylenkupfer Cu = — 67,58
Sitaan^iberlohte der phyi.-inad. So». 89 (1907). 19
— 290 -
Bestimmung der Gasmengen aus den getrockneten Kupfer-
verbindungen :
A. Kupferverbindung aus dem Anodengas:
I. 0,2436 g Substanz gaben 20,8 ccm Gas bei 22» u. 741 mm Druck.
B. Azetylenkupfer:
II. 0,1648 g Substanz gaben 14,1 ccm Gas bei 21^ u. 741 mm Druck.
Gefunden :
I. IL
Cu- Verbindung des Anodengases; Gas =8,93 —
Azetylenkupfer: C^H^= — 8,97
Die letzten Analysen sowie die sonstigen Reaktionen be-
weisen also, daß der bei der Elektrolyse von Glutakonsäure
gebildete Kohlenwasserstoff vollständig identisch ist mit
Azetylen.
Nachdem die Elektrolysiei^flüssigkeit einige Tage lang fort-
während unter Strom gestanden war, wurde sie dünnflüssig and
farblos. Eine vorgenommene Analyse zeigte einen Sauerstoff-
gehalt von fast 100 ®/o.
Die Lösung wurde nun sofort mehrmals ausgeäthert, der
Äther getrocknet und abdestilliert. Es blieb nicht der geringste
Rückstand.
Hierauf wurde stark angesäuert und nochmals ansgeäthert
Die Auszüge hinterließen nach dem Trocknen und Abdestillieren
nur einen ganz minimalen Rückstand.
Der salzsaure Rückstand wurde am Wasserbad zur Trockne
verdampft. Die zurückbleibende Kristallmasse erwies sich als
rein anorganisch.
Die Glutakonsäure ist also vollständig zersetzt worden.
B. Elektrolyse der Citrakonsftare.
26 g Citrakonsäure wurden in 25 ccm Wasser gelöst, sodann
allmählich 32 g Kaliumkarbonat zugegeben. Es bildete sich
zunächst das anscheinend schwer lösliche saure Kaliumsalz, das
sich bei weiterem Zusatz von Karbonat wieder auflöste. Dann
wurden noch 8 g Kalinmkarbonat zugefügt und die Lösung am
Wasserbad auf ^0 ccm eingedampft.
Das entweichende Anodengas wurde ebenfalls in Mengen
von je 100 ccra aufgefangen und analysiert.
— 291 —
Nr.
°/o CO,
•/oO
Vo Rest
Nr.
Vo CO.
^0
«/. Rest
1
27,8
12,8
59,4
6
47,2
13,5
39,3
2
27,6
14,0
58,4
7
56,6
8,1
35,3
3
3S,4
11,0
55,6
8
55,2
8.0
36,8
4
29.2
13,6
57,2
9
57,8
7^
35,0
0
43,2
. 10,4
46,4
10
58,6
7,8
33,6
Mit den anter „Rest^ gesammelten Gasen wurden folgende
Untei-snchnngen durchgeführt:
1. Es brannte mit hell leuchtender rußender Flamme.
2. Es erzeugte nach Kutsch er off beim Einleiten in al-
kalische Lösung von Quecksilberjodid in Jodkalium einen flockigen
Niederschlag, der aus Alkohol in langen glänzenden Nadeln von
knoblauchartigem Geruch kristallisierte.
3. Beim Einleiten in Sublimatlösung entstand ein dichter
Niederschlag, der sich beim Erhitzen zusammenballte.
4. Von Enprolösung wurde das Gas fast vollständig unter
Bildung eines gelben Niederschlags absorbiert. Von 40,4 ccm
wurden 38,6 ccm absorbiert. Der Rest brannte mit blaßblauer
Flamme, also Wasserstoff. Sein Auftreten wird auf dieselbe
Weise wie bei der Glutakonsäure zu erklären sein.
Nachdem duixh diese Untersuchungen der an der Anode
entstehende Kohlenwasserstoff als AUylen identifiziert war, wurde
weiter elektrolysiert und das Anodengas durch Brom geleitet,
bis dieses fast entfärbt war. Das überschüssige Brom wurde
mit Soda weggenommen und die Lösung mehrmals ausgeäthert.
Hiebei machte sich eine stark reizende Wirkung der Dämpfe
auf die Augenschleimhaut bemerkbar, wie dies schon Oppen-
heim*) erwähnt hat.
Die ätherische Lösung wurde mit Kalzinmchlorid getrocknet
und abdestilliert, wobei ein schwach gelbgefärbtes Öl zurück-
blieb. Das Bromid wurde der fraktionierten Destillation im
Vakuum unterworfen. Nach Oppenheim soll das Tetrabromid
bei 10 mm Druck zwischen 110 und 130^ übergehen.
Es gingen auch hier bei 10 mm Druck bis zu 115® nur ge-
ringe Mengen, zwischen 116 und 119® die Hauptmenge über.
Das Bromid war eine farblose, ölige Flüssigkeit von deut-
lich kampherartigem Geruch.
*) Ann. 132, 124.
19*
— 292 —
Die Analyse stimmte auf ein Tetrabromid.
0,3775 g Substanz gaben 0,7849 g AgBr.
Berechnet für CsH^Br^: Gefunden:
Er 88,89. 88,48.
C. Elektrolyse der Mesakonsäure.
26 g Mesakonsäure wurden mit 15 ccm Wasser übergössen
und zu diesem Brei allmählich 32 g Kaliumkarbonat zugegeben.
Bei weiterem Zusatz von 15 ccm Wasser löste sich alles beim
Erwärmen am Wasserbad. Sodann wurden noch 8 g Kalium-
karbonat zugegeben. Beim Abkühlen schied sich mesakonsanres
Kalium aus, so daß also die Lösung ihre Höchstkonzentration er-
reicht hatte.
Um Vergleiche anstellen zu können^ wurde die gleiche
Apparatur zur Elektrolyse von Citrakonsäure aufgestellt und
nach Bedarf in Betrieb gesetzt.
Auch hier wurde das Anodengas in Portionen von je 100 ccm
aufgefangen und analysiert.
Nr.
Vo CO.
^0
•/o Rest
1
36,4
14,5
49,1
2
46.8
19,2
34,0
3
47.6
20,4
32,0
4
47,4
20,6
32,0
5
47,2
20,4
32,4
6
49,0
18,9
32.1
Zur Vergleichung wurden ebenfalls die unter „Rest" ver-
zeichneten Volumina den folgenden Reaktionen unterworfen:
1. Der Kohlenwasserstoff brannte mit hell leuchtender, rußen-
der Flamme und hatte den typischen Geruch des Allylens.
2. Von 15,0 ccm wurden in der Kuprolösung 14,4 ccm unter
kanariengelber Fällung absorbiert, der Rest brannte mit bläu-
licher kaum sichtbarer Flamme, also Wasserstoff. Sein Auf-
treten ist wie bei der Glutakonsäure zu erklären.
3. In alkalischer Quecksilberjodidjodkaliumlösung entstand
ein flockiger Niederschlag, der aus Alkohol in langen glänzenden
Nadeln kam, die denselben unangenehmen Geruch wie der mit
dem Anodengas der Citrakonsäure erzeugte Niederschlag hatten.
- 293 —
Die Eapferverbindang ist sehr voluminös und verglimmt in
trockenem Zustande lebhaft beim Erhitzen. Sie wurde in ana-
loger Weise wie beim Azetylenkupfer analysiert.
Zugleich wurde mit dem Allylen aus der Citrakonsäure die
Eupferverbindung dargestellt und die Analysen nebeneinander
ausgeffihrt.
A. Eupferverbindung aus dem Anodengas der Mesakonsäure:
I. 0,0729 g Substanz gaben 0,0457 g Cu,
n. 0,0531 g Substanz gaben 0,0331 g Cu;
B. Eupferverbindung aus Allylen:
ni. 0,1532 g Substanz gaben 0,0954 g Cu,
IV. 0,0868 g Substanz gaben 0,0543 g Cu.
Gefunden :
I. IL ni. IV.
Eupferverbindung aus
Mesakonsäure Cu = 62,60 62,34 — —
Allylenkupfer Cu=f — — 62,27 62,56.
Das weiterhin dargestellte Anodengas wurde in Brom ge-
leitet, bis dieses entfärbt war. Dann wurde das gebildete Bromid
genau so weiter behandelt wie bei der Citrakonsäure. Auch hier
machte sich der die Augen reizende Geruch bemerkbar.
Bei der fraktionierten Destillation im Vakuum ging bei
10 mm Druck und zwischen 110 und 120® die Hauptmenge des
Bromids über. Es wurde nochmals fraktioniert und diesmal bei
10 mm Dnick die zwischen 117 und 119® übergehende Fraktion
aufgefangen. Die Analyse stimmte auf ein Tetrabromid.
0,5559 g Substanz gaben 1,1580 g AgBr.
Berechnet für Gefunden:
CsH.Br,:
Br = 88,89 88,64.
Durch die vorstehenden Analysen ist die Identität der Eupfer-
und Bromverbindungen sowie der Gase, welche diese Ver-
bindungen erzeugten, nachgewiesen.
D. Elektrolyse der Itakonsänre.
26 g Itakonsäure wurden in 25 ccm Wasser gelöst und in
kleinen Portionen in eine Lösung von 32 g Ealiumkarbonat in
25 g Wasser gegeben. Sodann wurden der hellgelben Lösung
- 294 -
noch 8 g Ealiumkarbonat zngefttgt und das Ganze filtriert. Von
dem entweichenden Kathodengas wurden wie bei den vorher-
gehenden Analysen je 100 ccm aufgefangen und elektrolysiert
Nr.
Vo CX).
•/oO
•/p Reet
1
2ö^
51,0
19,8
2
32,8
56,0
11^
3
27,4
49,2
23,4
4
27,4
48,0
24,6
5
26,4
49,6
24,0
Der von 1—5 gesammelte „Rest" brannte mit nicht leuch-
tender^ blauer Flamme und wurde von Kuprolösung ohne Nieder-
schlag zum größten Teil absorbiert. Der Rest brannte mit
schwach bläulicher Flamme, also Wasserstoff.
Für die folgende Elektrolyse wurde eine stärkere Konzen-
tration gewählt. Es wurden noch 40 g Kaliumkarbonat und
26 g Itakonsäure zugegeben.
Als Reaktionen auf etwa gebildetes AUylen wurden die
charakteristischen Fällungen in alkalischer Merkurijodidjodkalium-
iGsung und Kuprolösung benutzt
Nr.
Vo CO,
•/oO
•/. Kest
6
73,4
22,1
4,5
7
623
31,0
6^
8
56,6
L 34,8
8,6
9
52,0
^ 35,8
12,2
10
50,0
32,8
17,2
11
45,4
27,4
27,2
12
41,0
22,4
36,6
Der von 6 — 12 gesammelte „Rest" brannte mit sehr schwach
leuchtender Flamme. Von Kuprolösung wurden von 81 ccm
unter Bildung eines minimalen gelben Niederschlags 62 ccm ab-
sorbiert. Der Rest brannte mit blaßblauer Flamme. Das Gas
bestand also aus einer Spur Allylen, Kohlenoxyd und Wassei-stoff
Die Bildung desAlIylens ist nach Aarland^) in der Weise
zu erklären, daß sich etwas Itakonsäure durch die Einwirkung
des Stromes in Citrakonsäure umgelagert hatte, die dann, eben-
falls elektrolysiert, Allylen bildete.
^) J. prakt. Chem. 6, 267.
295
Um nun zu konstatieren, ob bereits eine Umlagerung statt-
gelinden hätte, wurden 5 ccm der bereits elektrolysierten Lösung
mit Salzsäure angesäuert, mehrmals ausgeäthert, der Auszug
getrocknet und abdestilliert. Der Rückstand wurde mit Benzol
extrahiert und ergab nur eine ganz geringe Menge von recht-
eckigen Prismen, während Citrakoqsäure aus Benzol in lanzett-
förmigen Blättchen kristallisierte.
Der Bückstand wurde nun aus Alkohol umkristallisiert und
ergab durchaus gleichartige rechteckige Prismen.
Der gleiche Versuch wurde mit 5 ccm noch nicht elektro-
lysierter Flüssigkeit durchgeführt. Hier ergab der Benzolauszug
die gleiche minimale Kristallmenge von derselben Form wie
vorher, und ebenso war die Kristallform des Rückstandes aus
Alkohol vollständig identisch mit der des vorhergehenden Rück-
standes.
Somit ist nachgewiesen, daß durch den Alkalizusatz allein
keine Umlagerung stattgefunden hatte. Ebenso war noch keine
Umlagerung während der Elektrolyse eingetreten.
Nr.
*^/o CO,
^0 0
'U Rest 1
Nr.
°/o CO,
^0
% Rest
13
43,0
38,2
18,8
21
52,0
29,2
18,8
14
40,6
40,2
19,2
22
31,0
39,0
30,0
15
45,2
36.8
18,0
23
32,4
37,6
30,0
16
45,0
36,2
18,8
24
43,8
29,8
26,4
17
48,0
34,6
17,4
25
44,6
29,2
26,2
18
46,8
35,6
17,6
26
44,4
28,6
27,0
19
51,4
30,4
18,2
27
51,2
20,8
28,0
20
50,8
30,0
19,2
Zwischen 21 und 22 wurden der Elektrolysierflüssigkeit
4 ccm entnommen und in der gleichen Weise wie vorher geprüft.
Es ergaben sich jedoch nur einheitliche Itakonsäurekristalle.
13 ergab ein Gas, das mit schwach leuchtender Flamme
brannte. Um nun das Allylen von eventuell gebildetem Allen
zu trennen, wurde bei den 15 obigen Analysen das unter „Rest"
stehende Gas noch in die Kuprolösung gegeben, wo es jedesmal
bis auf 2 — 3 ccm unter Bildung eines minimalen gelben Nieder-
schlags absorbiert wurde.
Hieraus wurde es wieder gesammelt und brannte mit sehr
schwach leuchtender Flamme. Nach Demjanoff^) erzeugt Allen
») J. prakt Chem. 38, 202.
- 296 —
in Sublimatlösung einen Niederschlag. Hierin wurden von
33,4 com Gas 0,4 ccm unter Bildung einer schwachen Trübung, die
auch nach dreitägigem Stehen keinen Niederschlag gab, ab-
sorbiert. Das in die Bürette zurückgefttUte Gas brannte mit
kaum sichtbarer Flamme, es war also Wasserstoff.
Diese 0,4 ccm Gas, die als Allen anzusehen sind, stammen
von 15 Analysen k 100 ccm und bedeuten also ca. 0,026 ®/o
Allen im Anodengas der Itakonsäure.
Bei den folgenden Analysen wurde kein Allen mehr er-
halten, sondern nur Spuren von AUylen bei 28—32.
Nr.
Vo CO,
^0
Vo Rest
Nr.
Vo CO,
^0
'lo Best
28
44.1
29,9
26,0
38
64,0
21,2
14,8
29
45,1
30.0
24,9
39
48,8
41,4
9,8
30
52,0
24,0
24,0
40
36,4
43,4
20,2
31
53,0
21,6
25,4
41
31,4
53,8
143
32
57,0
23,0
20,0
42
30,0
53,4
16,6
33
38,4
55,6
6,0
43
56,0
20,0
24,0
34
61,6
31,2
7,2
44
47,6
32,2
20,2
35
68,2
22,6
9,2
45
48,3
34,1
17,6
36
75,2
16,6
8,2
46
50,0
30,7
19,3
37
71,6
21,1
7,3
47
46,4
38,2
15,4
Der von 28—32 aufgesammelte Best brannte mit ganz
schwach leuchtender Flamme. Von 38,6 ccm wurden in der
Kuprolösung 34,7 ccm absorbiert, der Rest brannte mit blaß bläu-
licher Flamme, also Wasserstoff.
33—42 ergaben ein Gas, das mit nichtleuchtender Flamme
brannte. Von 11,2 ccm wurden 8,3 ccm in Kuprolösung absorbiert,
der Rest war Wasserstoff.
Bei 43 — 47 wurde eine derartige Konzentration angewendet,
daß das itakonsaure Kali bereits auskristallisierte. Die 5 Rest-
volumina wurden einzeln analysiert.
Nr.
Flamme
Vol.
Id Kuprolösung
absorbiert
Rest
Flamme
43
NichtleuchteDd
19.2
15,8
3,4
Nichtleuchtend
44
»»
18.4
15,8
2.6
11
45
t»
15.7
11,9
3,8
46
„
16.0
13,5
2.5
,,
47
tt
12.3
9.3
3.0
»»
— 297 -
Das AnodengasbestaDd also bei den 5 letzten Analysen aas:
1. Kohlensäure ca. 50®/o,
2. Sauerstoff ca. 30 •/o,
3. Kohlenoxyd ca. 11 ^j^,
4. Wasserstoff ca. S%.
Die Resultate der elektrolytischen Zersetzung der 4 Isomeren
Citra-, Mesa-, Ita- und Glutakonsäure
CH3 — C.COOH = CH.COOH Citrakonsäure,
CH3— COOHC = CH.COOH Mesakonsäure,
CH2 = C-C00H — CHj.COOH Itakonsäure,
COOH — CH2 — CH = CH - COOH Glutakonsäure,
können folgendermaßen zusammengefaßt werden: Citrakon- und
Mesakonsäure ' bildeten Allylen.
Bei Itakonsäure wurde unter unseren Versuchsbedingungen
in Übereinstimmung mit B^haP) und im Gegensatz zu Aar-
land*) kein Allen nachgewiesen. Die Zersetzung erfolgte derart,
daß überhaupt nur minimale Mengen eines brennbaren Kohlen-
wasserstoffes nachgewiesen werden konnten.
Glutakonsäure lieferte Azetylen. Wie diese Bildung zu
erklären ist, müssen spätere Untersuchungen zeigen.
Vorstehende Experimentaluntersuchung wurde im chemischen
Laboratorium der Universität Erlangen auf Veranlassung des
Herrn Professor Dr. F. Henrich ausgeführt.
Es sei mir gestattet, diesem meinem hochverehrten Lehrer
auch an dieser Stelle für die liebenswürdige Unterstützung, die
er mir bei der Durchführung der Arbeit zuteil werden ließ,
meinen heralichsten Dank auszusprechen.
') Ann. de Chim. et de Phys. 1889, 367.
•) J. prakt. Chem. 7, 146.
Zur Erinnerung an Henri Moissan.
Von A. Gutbier.
In der Sitzung vom 19. November 1907 gehaltene Gedächtnierede.
Reiche Ernte hat der Tod im Laufe des jetzt zu Röste
gehenden Jahres unter den hervorragenden Chemikern gehalten:
Beilstein, Mendelejeff und Berthelot sind nicht mehr!
Und mitten in der Vollkraft seiner Jahre und von dem
Höhepunkte seines Schaffens, eben erst ausgezeichnet mit dem
Nobelpreise für Chemie, ist vorzeitig aus diesem Leben ein
Mann abberufen worden, dessen Name weit über den engeren
Kreis der Chemiker wohlbekannt und hochberfihmt war: Henri
Moissan ist am 20. Februar dieses Jahres den Folgen einer
Blinddarmentzündung, die erst günstig zu verlaufen schien,
erlegen !
„Die Geschichte eines Gelehrten ist die Geschichte dessen,
was er gelehrt hat. Nur in wenigen Fällen berichtet sie von
seltsam verwickelten Lebensschicksalen, von gewaltigen Be-
gebnissen, welche die Phantasie mächtig bewegen. Je ernster
ein Leben dem Dienste der Wissenschaft geweiht ist, um so
einfacher gestaltet es sich in seinem äußeren Verlaufe."
Diese Worte August Wilhelm von Hofmanns, mit
denen Otto Brunck^) seinen warm empfundenen Nachruf auf
den deutschen Meister der anorganischen Chemie, Clemens
Win kl er, einleitet, passen in gleich vortrefflicher Weise ant
das Leben Henri Moissans, des franzosischen Meisters der
anorganischen Chemie.
Der äußere Lebensgang*) des Forschers ist mit wenigen
Worten geschildert.
Ferdinand Marie Frederic Henri Moissan wurde am
28. September 1852 als Sohn sehr einfacher Eltern zu Paris ge-
boren. Der Vaterbezog als Eisenbahnbeamter nur einen geringen
Gebalt, und so war die Mutter, um drückende Sorgen abzo-
-^U..<^ ^^^ü^
-c^y <::t.^€^
- 299 -
halten, daraaf angewiesen, als Schneiderin Geld mityerdienen
zu helfen.
Die Familie Moissan siedelte bald nach Meaux, der kleinen
Hauptstadt des Arrondissement Meaax und der Brie Ghampe-
noise, fiber, nnd hier besuchte der junge Henri das College.
Wohl war der Knabe sehr aufgeweckt und wissensdurstig,
aber den römischen und griechischen Klassikern konnte er,
wie einst auch Justus Liebig^), keinen Geschmack abgewinnen;
Naturwissenschaften und Mathematik, das waren die Fächer,
die ihn begeisterten.
Und wie einst Justus Liebig, so finden wir auch Henri
Moissan bald als Lehrling in einer Apotheke, und zwar in Paris,
wieder ; so konnte er, was ihm sonst der vorzeitig abgeschlossenen
Schulbildung zufolge unmöglich gewesen wäre, Chemie studieren.
1872 bezog Moissan die Universität seiner Vaterstadt,
um seine Studien am museum d'histoire naturelle in dem rühm-
lichst bekannten Institute von Edmond Fremy zu beginnen.
Dieses Institut bot, wie wir von unserem verdienten Geschichts-
forscher auf dem Gebiete der Chemie, Ernst von Meyer*),
erfahren, damals in Paris neben dem von Henri Sainte-Claire
Deville geleiteten Laboratorium der 6cole normale supferieure
Studierenden die einzige Gelegenheit, chemischen Unterricht
genießen zu können.
Von 1873 bis 1879 arbeitete Moissan in dem von Joseph
Decaisne und P. P. Deherain geleiteten Laboratorium, und
unter Dehferains Leitung entstand die erste Experimental-
untersuchung des jungen Forschers, die ihm 1874 zur Er-
langung des baccalaureat diente.
Nachdem Moissan sich 1877 die Würde eines licencife er-
worben hatte, promovierte er auf Grund einer von Henri
Sainte-Claire Deville und Henri Debray inspirierten Ar-
beit 1880 zum docteur ds sciences.
Im Jahre 1879 war Moissan als maitre de Conferences et
Chef des travaux pratiques de chimie an der 6cole superieure de
pharmacie, der er bis 1900 angehört hat, angestellt worden,
und von 1879 bis 1880 war er zugleich als r^pfetiteur de phy-
sique am Institut agronoraique tätig; im Jahre 1883 erfolgte
seine Ernennung zum professeur agrfeg6 und 1887 auf ein-
stimmigen Vorschlag des couseil de Tecole superieure de pharmacie
— 300 —
diejenige zum professeur de la toxicologie an Stelle des ver-
storbenen Bouis. Bis 1899 hat Moissan als Professor der
Toxikologie gewirkt nnd dann erst seine Stelle gegen den Lehr-
stuhl für anorganische Chemie ausgetauscht; nebenbei wurde er
im Jahre 1895 zum Mitgliede des conseil d'hygifene und 1898
zum Mitgliede des comite consultatif des arts et des manu-
factures ernannt.
Im Jahre 1900 endlich trat er die Nachfolgeschaft
Louis Troosts als professeur de chimie k la faculte des
Sciences an der Sorbonne an und hat in dieser Stellung bis zu
seinem Tode eine glänzende Wirksamkeit entfaltet.
Beinahe 33 Jahre einer fast beispiellos emsigen Forscher-
tätigkeit liegen vor uns^ die wir das weit ausgedehnte Arbeits-
gebiet Henri Moissans zu tiberblicken versuchen wollen:
über 400 Originalabhandlungen ^), mit dem Namen Moissan
geziert, legen Zeugnis ab von der bewunderungswürdigen
Schaffensfreude und Schaffenskraft dieses Mannes!
Zu der Zeit, da Moissan in Paris mit eigenen Unter-
suchungen auf anorg an i seh -chemischem Gebiete begann, hatte
die organische Chemie die führende Rolle in unserer Wissen-
schaft übernommen; unter dem Genius Liebigs mächtig auf-
geblüht und von einer Schar auserlesener Männer gepflegt, feierte
die organische Chemie überall die größten Triumphe und ti*at
somit naturgemäß auch an Deutschlands meisten Hochschulen
in den Vordergrund.
Der Begründer der Strukturchemie, August Kekule,
lehrte seit 1865 in Bonn; in Berlin hatte im gleichen Jahre
August Wilhelm Hofmann als Nachfolger Eilhard Mit-
scherlichs seine überaus ersprießliche Tätigkeit begonnen,
und ebenfalls 1865 war Hermann Kolbe von Marburg nach
Leipzig berufen worden, wo er mit größtem Erfolge wirkte.
Als am 18. April 1873 der größte Chemiker des 19. Jahr-
hunderts, Justus Liebig, in München seine Augen für immer
schloß, konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß sein Nach-
folger nur unter den führenden organischen Chemikern zu suchen
sei. Adolf Baeyer trat 1875 die Nachfolgeschaft Liebigs
in München an, wo er noch heute zu unser aller Stolz nnd
Freude in voller Frische des Geistes und des Körpers seine
— 301 —
überaus glänzende und ersprießliche Tätigkeit als Forseber and
als Lebrer ansObt.
Vergegenwärtigen wir ans den erstannlichen Aufschwung,
den in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts das Studium
der Chemie aufweist! Die großartigen Ermngenschaften der
organischen Chemie, die nicht allein für die wissenschaftliche
Erkenntnis, sondern auch fär viele Zweige der angewandten
Chemie, und besonders auch für die allgemeine Wohlfahrt von
größter Bedeutung sind, zwingen an den Hochschulen dazu,
unserer Wissenschaft neue, der gewaltigen Entwicklung ent-
sprechende Pflegestätten zu errichten. Aller Orten werden in
Deutschland chemische Laboratorien erbaut, die zum Teil heute
noch vorbildlich sind, und in ihnen wird vorwiegend und mit
ausgezeichnetem Erfolge das Studium der organischen Chemie
gepflegt; aus der jüngeren Generation wachsen tatkräftige Mit-
arbeiter heran, und eine hervorragende organisch-chemische Ex-
perimentalnntersuchuug nach der anderen wird an deutschen
Hochschulen ausgeführt.
Gerade das erste Jahrzehnt nach Liebigs Tode ist reich
an glänzenden Entdeckungen auf dem Gebiete der organischen
Synthese. Welch ein gewaltiger Unterschied im Jahre 1878: Emil
und Otto Fischer verkünden, daß Rosanilinfarbstoffe Triphe-
nylmethanderivate sind, und Adolf Baeyer teilt die Synthese
des Indigofarbstoffes mit, — Henri Moissan dagegen publiziert
eine bescheidene Arbeit über zwei allotropische Modifikationen
des Magneteisens!
Erinnern wir uns noch, daß in allen Kulturstaaten die
mächtig aufstrebende chemische Industrie sich mit größtem wirt-
schaftlichen Erfolge die bewundernswerten Untersuchungen von
Männern wie August Wilhelm Hofmann, Adolf Baeyer,
Peter Griess, Emil und Otto Fischer und vielen Anderen
zu Nutze machte: wer hätte es wohl damals einem jungen, für
unsere Wissenschaft begeisterten Chemiker verdacht, daß er seine
Interessen ausschließlich der organischen Chemie widmete?^)
Eine kleine Schar von Chemikern aber, und unter ihnen
besonders Robert Wilhelm Bunsen in Heidelberg, Clemens
Winkler in Freiberg, Carl Friedrich Rarameisberg in
Berlin, Walther Hempel in Dresden, Karl Seubert in Tü-
bingen, sorgten dafür, daß der älteste Zweig unserer Wissen-
— 302 -
Schaft, die anorganische Chemie, auch in Deutschland neben
der immer mächtiger sich ausbreitenden Kohlenstoifchemie nicht
völlig verkümmerte, sondern lebenskräftig blieb.
Abseits von den neu erschlossenen Bahnen, auf denen die
Entdeckungen winkten, sind diese Männer ihre Wege gewandelt
und haben die von der jüngeren Schwester zurückgedrängte und
überstrahlte Mineralcheroie und die chemische Analyse gepflegt
und gefördert. Nur wenige von den Jüngeren fanden an Uni-
versitäten und technischen Hochschulen die ihnen gebührende
Anerkennung und einen befriedigenden Wirkungskreis; die
meisten wurden von einer wissenschaftlichen Lautbahn durch
die ungünstigen Aussichten, die sie damals dem Anorganiker
bot, abgezogen.
So stand es in den 70er und 80er Jahren des verflossenen
Jahrhunderts in Deutschland, und ähnlich lagen die Verhält-
nisse in Frankreich und besondei*s in Paris. Man braucht sich
nur daran zu erinnern, daß hier noch Jean Baptiste Dumas
und Adolph Wurtz, Justus Liebigs großer Schüler, wirkten,
denen die organische Chemie so viele bahnbrechende Arbeiten
verdankt, und daß 1875 der uns nun auch in diesem Jahre
entrissene Marcellin Berthelot sein berühmtes Werk „La
Synthese chimique" hatte erscheinen lassen.
Und neben diesen berühmten Förderen der organischen
Chemie gab es auch hier nur noch einige wenige Anorganiker,
die, wie Henri Sainte-Claire Deville, in der Lage waren,
selbständig Schüler auszubilden.
Wie man in Frankreich zu jener Zeit über das Studium der
anorganischen Chemie dachte, hat Moissan später selbst mit
wenigen Worten überzeugend geschildert, als er der Acadömie
des Sciences den ersten Teil seines „Traite de chimie min^rale^
mit folgenden Worten übergibt:
„Lorsque nmis avons comme7ic6 V4tude de la Chimie min^aley
il y a une trentaine d'ann^es environ, nous entendions rSp^ter
de toutes cotes qtie cette partie de la, Science 4iait &puis^j et que,
apres Uumphry Davy, Oay-LussaCj Berxüius^ Dunias, Mit-
scherlich, Bunsen, Marignac, Stets, Deville et bien d'autresy H
ne restait rien ä trouver. E semblait que, apres de teU nud^esy
il n'y eut plus qu'ä glaner, Nous avons toujours pense quil
etait da?igereux d'ctre prophete sur ce sujet, et que la CMntie
— 303 -
min&ale, par le grand fiambre des 4l&nimts qu'elle embrasse^
comporte sans cesse de nouvelles comparaisons qui conduisent ä
de nouvelles reclierches.^
jjll semblait qv£, aprds de tels maitres, ü n'y eutplus qu'ä
glaner.^ Das also war der Eindruck, den der junge Student
von der anorganischen Chemie empfing: Nachlese halten, das
war alles, was sie ihrem Jünger zu bieten schien. Man darf wohl
sagen, es gehörte Mut dazU; sich zu jener Zeit der anorganischen
Chemie zu widmen; wir können es Moissan nicht genug danken,
daß er diesen Mut besaß und, allein seiner Neigung folgend,
sich der kleinen Schar der Anorganiker zugesellt hat.
Und nun das Jahr 1886 — da haben wir ein ganz anderes
Bild vor uns. Es ist, als ob wir an einem Wendepunkt ständen :
Clemens Winkler entdeckt das Grermanium, und Henri
Moissan isoliert das Fluor!
Wie groß das Verdienst und der Ruhm dieser Entdeckungen,
und doch, wie gering vorläufig noch die Wirkung!
Erst der Mitwirkung der sich mächtig entfaltenden physi-
kalischen Chemie, erst dem kraftvollen Auftreten von Männern
wie Jakobus Hendrikus van't Hoff, Svante Arrhenius,
Wilhelm Ostwald, Walther Nernst, Max Le Blanc,
Fritz Foerster, Georg Bredig und Anderen, weiterhin
dem genialen Alfred Werner und schließlich dem unver-
gleichlichen Experimentator Henri Moissan haben wir es zu
danken, daß wir beute auch in Deutschland wieder eine der
organischen Chemie als vollkommen gleichberechtigt anerkannte
anorganische Chemie haben.
Doch genug hiervon; es ist nicht der Zweck dieser Zeilen,
eine Geschichte der Entwickelung der anorganischen Chemie in
Deutschland zu geben.
1877 ist es. Henri Moissan legt der Acad6mie des
Sciences die Resultate seiner ersten selbständigen Untersuchung
,Etudes sur les oxydes de fer**, deren Fortsetzung bald folgt, vor.
Wie wir aus dem von echter Freundschaft und aufrichtiger
Bewunderung getragenen Nachrufe, den der Präsident der Aca-
demie des Sciences, A. Chauveau, dem entschlafenen confr^re
Henri Moissan in der Sitzung vom 2. Dezember 1907 gewidmet
bat''), wissen, hatte P. P. Deherain Freunden gegenüber seinem
- 304 -
jungen Mitarbeiter schon in der Zeit des gemeinsamen Schaffens
eine große Zukunft prophezeit und ihm ein günstiges Horoskop
gestellt, doch die ersten Arbeiten, die der junge Anorganiker
veröffentlicht, erregen nicht das geringste Aufsehen. Moissan ist
noch ganz im Banne der alten Schule, von der er aber die Gränd-
lichkeit, durch die immer seine Arbeiten ausgezeichnet sind,
erlernt.
Vorsichtig tastet der junge Forscher weiter. Er stellt zahl-
reiche Experimente an, die teils zu Resultaten führen und ver-
öffentlicht werden können, teils resultatlos verlaufen. Er wird
immer kühner in der Wahl seiner Versuchsbedingungen: kost-
bare Platinapparate achtet er nicht höher als einfache Grlas-
sachen, und die Folge davon ist, daß Debrays preparatear®),
der vielleicht seines Amtes in gar zu strenger Weise gewaltet
hat, immer weniger von Moissan entzückt wird, und es
schließlich durchsetzt, daß „dieser Moissan, der uns ja nur
alle Platingefäße ruiniert und doch nichts leistet-' bei Debray,
der dem jungen Chemiker jeder Zeit so großes Wohlwollen
entgegengebracht hatte, in Ungnade fällt.
In seiner Not wendet Moissan sich an Friedel, und dieser
tiberläßt dem jungen Forscher seinen Hörsaal. Hier arbeitet
Moissan unbeirrt weiter. Erläßt sich nicht entmutigen, und die
für seine Untersuchungen notwendigen Apparate schafft er sich,
da sie ihm vom Laboratorium nicht geliefert werden können,
einfach aus eigenen Mitteln an.
Nach und nach macht Moissan sich ganz frei von den
alten Versuchsbedingungen, und in dem Augenblicke, in welchem
er eigene Wege zu gehen gelernt hat, dokumentiert sich sein
Genie in der Isolierung des Fluors!
Als er am 26. Juni 1886 ein Gas (das Fluor) isoliert,
in dem Silicium Feuer fängt, da schlägt der Wind um, und
Debray sagt zu seinem preparateur: „Hätten Sie doch Herrn
Moissan alles gegeben, was er von Ihnen verlangte; er macht
die schönsten Sachen, wissen Sie!^
Mit größtem Interesse hatte, wie immer, die Acad6mie des
Sciences auch die Experimentaluntersuchungen Moissans ver-
folgt, und mit berechtigtem Staunen vernahm sie die Kunde, daß
dem jungen professeur agr6g6 das gelungen sei, was das Genie
eines Humphry Davy nicht zu verwirklichen vermocht hatte.
— 305 -
Wie bei derartig phänomenalen Entdeckungen üblich; wird
bestimmt, daß eine Kommission, deren Mitglieder Moissan selbst
aaswählen darf, sich durch Augenschein von der Richtigkeit
der Angaben zu überzeugen hat.
Vor Zeugen hatte Moissan das Fluor isolieren und einige
charakteristische Eigenschaften des Elementes ergiUnden können:
da naht die Kommission, Moissan setzt seinen Versuch in
Gang, — aber, o Wunder, die Isolierung des Fluors gelingt
nicht!
Ratlos steht Moissan vor seinen Richtern und erbittet sich
kurze Bedenkzeit, um den Grund dieses unerwarteten Mißerfolges
auffinden zu können. Jetzt sofort fieberhafte, rastlose Tätigkeit;
alle Versuche werden wiederholt; dann noch einmal die Be-
dingungen, unter denen zum ersten Male die Entwickelung des
neuen Gases beobachtet worden war: nun kann die Kommission
wieder eingeladen werden und sich von der Richtigkeit aller
Angaben überzeugen, denn Moissan hat gefunden, daß es eine
kleine Menge von Kaliumfluorhydrat war, die bei seinen ersten
Versuchen die Flußsäure leitend gemacht und die Abscheidung
des Fluors ermöglicht hatte®).
A. Ghauveau^^) schildert diese Ereignisse sehr anschaulich
mit folgenden Worten:
„Dans les annales de la Sdence^ on rencontre peu de sujets
offrant phcs d'inUrit qice Visolement du fluor. Si eUe 4tait
racmiUe tres simplement dans taus ses details, par un narrateur
de mutier, Vhistoire vMdique de cet isolement eocercerait autant
d'attraitj qu'un beau roman, On y trouve totes les 4Uments
ai'ec lesqivels se coTistitue U succes des ceiivres dHmagination,
Le dramatique coup de th6atre rCij manque meme pas: une dure
diception survenant ä rimproviste dans les plus emotionnantes
drconstances et donnant au triomphe final, ä la conquete definitive
du ftuor librej un grafid surcrott d^dclat,
j^On satt comnient la präparation de ce corps, apres avoir
Ste completement r^ussi^ par Moissan, ^hüua mis&rablement,
quand il voulut la realiser devant la Commission churgie par
notre Acad4mie de contrdler Vexperience. Le courant eieciroly-
sant refusa ahsolument de s'6tablir devant les juges que Moissan
s'eiait choisi. On ätait ramen^ aux insuccees de Fremy, qui
avait tente le premier Välectrolyse de Vaxdde fluorhydrique.
SltBimgsberiohte der med.-phys. Sos. 39 (1907). 20
— 306 -
y^Vannonce du sticch de Moissan avait M6 sensaiiminelle,
Son öchec fit plus de bruit encore. II eüt peut-etre d4cotirag6
tout autre qu^e Moissan. Sur son solide esprit, cette diconvenue
n'exer^ pas la moindre influence. Comme tout expirimmiUUeur
sür de sa m4t}iode et de sa technique^ Moissa7i savait trop bien
qu'un fäit obtenu une prerniere fois doit s'obtenir constammefii
si les condiüons exp&rimentales restent id^ntiquement les memes,
&idemmentj dans la drconstance, les conditions de la seconde
exp^rience n* ^latent pas Celles de lapremidre. En quoi diff^raiefit-
elles? Moissan le recher che et acquiert rapidement la preure
que, dans la premiere exp^ence, Vacide fltiorhjfdriqu£ liquide
avait 4te rendu conducteur du courant ^lectrique par In presence
d'une trace du sei, le fluorure de sodium, qui avait send ä sa
prSparation,
„ Ce sei jouit n6cessaireni&nt de la candticHbilit^ ^lectrolyti-que
d^ontr4e dans ses analogues et si bien utilis^e par la g&nie de
H. Davy. Mais il est impossible de faire servir ce fluorure de
sodiurn ä la pr^paration du fluor; ce demier rencontre toujours
ä r^lectrode positive les autres corps qui y sont transportös efi
meme temps que lui et avec lesquels il peut, grdce ä son ex-
ceptionnelle puissance d'affinit^, s'unir instantan4ment.
yjHeureusementj que Moissan s'est aperpu que, dissotis eti
tres petite quantit^ dans Vacide fluorhydrique liquide, le fluorure
de sodium peut entratner son dissolvant dans son mouvement
de d^omposition. Cette constatation, d'abord purement empiri-
que, s'est expUqu4e ensuite de la plus heureuse manicre quatid
la Physique moUculaire se fut enrichie des notions si int^es-
santes que nous possedons maintenant sur les ions et Konisation,
„ Voilä donc d^finitivement diablies les co^iditions materielles
fmidaynentales de Visolement du fluor. II restc encore ä vaincre
Us Enormes difficultds que la prodigieuse acüviM chimique du
fluor libre peut susciter ä sa präparation. Moissan satt les
supprimer toutes, et il fait de cette pr4paration une Operation
courante de laboratoire, capable d'etre transfonn^ en une fahrt-
rati/m industrielle.^
„Die Untersuchung eines neuen Elementes ist stets außer-
ordentlich fesselnd.
„Hier handelte es sich zudem um ein Element mit einer
ganz ausnahmsweise großen chemischen Aktivität und Ver-
- 307 -
bindungsenergie, so daß, wie es leicht begreiflich ist, die Freude
an der . Erforschung desselben noch gesteigert wurde**)."
An der Freude, die Moissan bei der Erforschung der
Eigenschaften des Fluors beseelt, läßt er uns teilnehmen. Schlag
aaf Schlag folgen die bewunderungswürdigen Untersuchungen,
von denen eine jede den Stempel der Originalität trägt.
Zahlreiche, gründliche Arbeiten über das Fluor und seine
Verbindungen, auf die Moissan nach längerer Pause später
wieder zurückkommt, werden ausgeführt und ein neues, sehr
einfaches Verfahren zur Darstellung des Elementes wird aus-
gearbeitet.
Neben dem Fluor wird Bor zum ersten Male im amoi*pheu
Zustande chemisch rein dargestellt, neue Verbindungen dieses
Elementes werden entdeckt, und dann wird die Chemie der
hohen Temperaturen geschaffen. Mit Hilfe des elektrischen
Ofens werden Elemente isoliert, die man früher nicht für dar-
stellbar hielt, zahlreiche neue Eörperklassen werden aufge-
funden und unter Moissans Händen verwandelt sich amorpher
Kohlenstoff in Diamant. Dann folgen die klassischen Unter-
suchungen über das Calcium und seine Verbindungen und über
die Metallhydride, dann die Versuche zur Isolierung des Am-
moniums, und immer findet Moissan noch Zeit genug, sich
auch noch mit anderen wichtigen Fragen zu beschäftigen.
Es ist nicht möglich, in kurzen Worten das zusammenzu-
fassen, was Moissan alles geleistet hat!
„Diese anorganische Chemie, die man erschöpft
glaubte, sie ist erst im Aufgehen!"")
Es gewährt einen ganz außerordentlich großen Genuß, die
Arbeiten Henri Moissans zu lesen.
Die kurzen Mitteilungen in den Comptes rendus hebdo-
madaires de TAcad^mie des Sciences und in dem Bulletin de la
soci6te chimique de Paris^ in denen er der Acad^mie oder der
soci6t6 chimique die Resultate seiner Untersuchungen anzuzeigen
pflegt, sind sehr präcis und klar, die zusammenfassenden Abhand-
lungen in dem Annales de Chimie* et de Physique, in deren
Redaktion Moissan 1896 eintrat^'), aber ausführlich gehalten
und formvollendet abgefaßt. Mit derselben Liebe und Freudig-
keit, mit welcher der Meister des Stils, August Wilhelm
20*
- 308 -
von Hof mann die Resultate seiner Experimentaluntersachangen
mitteilte, hat Henri Moissan seine zusammenfassenden Ab-
handlungen und seine Bücher geschrieben.
Alle, die das „bittere Vergnügender Forschung" ") kennen, er-
leben mit Moissan, dank seiner vortrefflichen Schilderungen
air die Stunden harter, aber köstlicher Arbeit des Forschers
und freuen sich neidlos mit ihm der gewonnenen, so herrlichen
Resultate!
Jugendarbeiten.
Zum ersten Male begegnen wir dem Namen Moissan in
der chemischen Literatur im Jahre 1874. Der junge Barscher
publiziert mit seinem Lehrer P. P. Deherain die Resultate
seiner Versuche über die Absorption von Sauerstoff und die
Abgabe von Eohleudioxyd durch im Dunkeln aufbewahrte
Blätter»).
Nachdem zuerst die schon bekannte Tatsache bestätigt
worden ist, daß grüne Blätter im Dunkeln Sauerstoff aufnehmen
und Eohlendioxyd abgeben und daß die Kohlendioxydentwick-
lung mit steigender Temperatur wächst, wird gezeigt, daß die
von den Blättern im Dunkeln abgegebene Menge Kohlendioxyd
mit der von kaltblütigen Tieren durch die Atmung ausgeschiedenen
verglichen werden kann. Es wird bewiesen, daß besondei^s das
bei niederer Temperatur und im Dunkeln entwickelte Volumen
Kohlendioxyd geringer ist als dasjenige des aufgenommenen
Sauerstoffs, woraus der Schluß gezogen wird, daß ein Teil des
aufgenommenen Sauerstoffs zur Bildung von Oxalsäure und
anderen Pflanzensäuren verwendet wird. Endlich wird gezeigt,
daß die Blätter auch dann noch fortfahren, Kohlendioxyd zu
entwickeln, wenn die sie umgebende Atmosphäre keinen Sauer-
stoff mehr enthält.
Daß einem Experimentator wie Moissan Untersuchungen
dieser Art nicht besonders zusagen konnten, ist begreiflich; mit
großem Eifer tritt er denn jetzt auch sofort an rein chemische,
präparative Arbeiten heran.
Auf Veranlassung von Sainte- Ciaire Deville und De-
bray setzt Moissan die Untersuchungen von Magnus''),
- 309 -
Malaguti*'), Debray"), Sainte-Claire Deville^^ Troost
nnd Hautefeuille^^) and anderen über das Eisen und seine
Oxyde fort, wendet aber sein Interesse gleichzeitig auch den
Metallen Chrom, Mangan, Kobalt und Nickel zu.
Scheinbar recht einfache Versuche sind es, mit denen uns
der junge Forscher in den Jahren 1877 bis 1884 bekannt
macht'^), und doch wie sorgfältig ist jedes einzelne Experiment
durchgeführt.
Reines Ferrioxyd wird bei verschiedenen Temperaturen und
verschieden lange im Wasserstoff- und im Kohlenoxydstrome er-
hitzt; es zeigt sich, daß beide Gase in gleicher Weise einwirken,
nnd daß man dieselben Resultate erhält, wenn man an Stelle
der Temperatur die Zeitdauer des Versuchs ändert.
Bei 350^ wird Ferroferrioxyd, bei 600" Ferrooxyd und
zwischen 500® und SCO'* metallisches Eisen gebildet; letzteres
besaß, so oft man auch den Versuch wiederholte, niemals pyro-
phorische Eigenschaften, und das von Magnus beschriebene
pyrophorische Eisen wird als ein Gemenge von Ferroferrioxyd,
Ferrooxyd und reduziertem Eisen erkannt. Reines pyrophorisches
Eisen erhält Moissan aber auf dem zweiten, soeben angegebenen
Wege, nämlich dadurch, daß er Ferrioxyd 96 Stunden lang im
Wasserstoffstrome auf 440® erhitzt; das so gewonnene Produkt
entspricht in allen seinen Eigenschaften demjenigen, welches
Schönbein") und Joule") durch Destillation von Eisenamal-
gam bei einer 350® nur wenig übersteigenden Temperatur zuerst
dargestellt hatten.
Moissan entdeckt je zwei allotropische Modifikationen des
Magneteisens und des Ferrooxydes, die, bei verschieden hohen
Temperaturen dargestellt, sich durch ihr Verhalten gegen Sauer-
stoff und Salpetersäure scharf unterscheiden. So wird z. B. das bei
350® durch Reduktion erhaltene Ferroferrioxyd von konzen-
trierter Salpetersäure sehr leicht angegriffen und verwandelt
sich beim Erhitzen in einer Platinschale in Ferrioxyd ; das bei
hoher Temperatur und bei Gegenwart von Luft aus Ferrioxyd
erhaltene Produkt dagegen wird auch von konzentrierter, sieden-
der Salpetersäure kaum angegriffen und beim Erhitzen nicht
verändert.
Endlich vergleicht der junge Forscher das von ihm dar-
gestellte chemisch reine Eisen, das er als ein äußerst feines,
— 310 —
stahlgraugefärbtes Pulver erhält, mit den käuflichen Präparaten,
deren Verunreinigungen er nachweist und bestimmt.
Gleiche Versuche werden nun auch mit den Oxyden von
Mangan, Nickel, Kobalt und Chrom angestellt, wobei sich folgen-
des ergibt.
Erhitzt man Mangandioxyd in einer Atmosphäre von Wasser-
stoff rasch auf 280^ so wird es mit einem Schlage und unter
Erglühen ausschließlich zu Manganooxyd reduziert; läßt man da-
gegen die Temperatur langsam ansteigen, so bemerkt man den
Beginn der Reduktion schon bei 230^, und bei dieser Temperatur
bildet sich Manganioxyd als tief braungefärbtes Pulver. Bei etwas
höherer Temperatur entsteht Manganomanganioxyd, aber das so
erhaltene Produkt unterscheidet sich wieder von dem nach dem
gewöhnlichen Verfahren bei hoher Temperatur dargestellten,
denn es geht beim mäßigen Erhitzen in einer Platinschale an
der Luft in Manganioxyd über. Beim Erhitzen im reinen und
trockenen Wasserstoffstrome auf 260^ verwandelt es sich in das
grfingefärbte Manganooxyd, das sich an der Luft unter Wärme-
entwicklung sofort grau färbt, bei 100® noch mehr Sauerstoff
aufnimmt und bei 140® pyrophorische Eigenschaften erhält; dann
erglüht es an der Luft und verwandelt sich in das rotgefärbte
Manganomanganioxyd.
Nun erschien es interessant, nachzuweisen, ob es möglich
sei, pyrophorisches Mangan zu erhalten. Moissan stellt also
Manganamalgam dar, indem er eine konzentrierte Lösung von
Manganochlorid unter Anwendung einer Quecksilberkathode
durch den elektrischen Strom zersetzt.
Zum ersten Male sehen wir den Forscher mit dem Strome
arbeiten, der ihn später zu so glänzenden Entdeckungen f&hren
sollte!
Das Amalgam wird in nadeiförmigen Kristallen erhalten
und liefert beim Erhitzen im Wasserstoffstrome metallisches,
äußerst leicht oxydierbares Mangan; aber nur, wenn bei der
Darstellung die Temperatur des siedenden Quecksilbers möglichst
wenig überschritten wird, ist das Metall mit pyrophorischen
Eigenschaften begabt.
Die Reduktion des Nickelioxyds beginnt schon bei niederer
Temperatur; bei 190^ entsteht zunächst ein graugefärbtes Pulver,
dessen Zusammensetzung sich der Formel NijO^ nähert, und
— 311 —
bei etwas höherer Temperatur wird Nickelooxyd als grünlichgelb-
gefärbtes Pulver erhalten.
Letzteres wird von Moissan eingehend untersucht. Das
Verhalten gegen Sauerstoff und gegen Wasserstoff wird als be-
sonders charakteristisch erkannt. Das Oxyd nimmt an der Luft
schon bei gewöhnlicher Temperatur Sauerstoff auf und wird grau;
beim Erhitzen an der Luft auf 350® bis 440® oxydiert es sich
noch höher und nimmt eine schwarze Farbe an; aber bei
weiterem Erhitzen auf 600® verwandelt sich dieses Produkt
wieder in das ursprüngliche Nickelooxyd. Bei einer 200®
nicht übei'schreitenden Temperatur ist es in einer Wasserstoff-
atmosphäre beständig, bei 230® bis 240® jedoch färbt es sich
schwarz und verwandelt sich in pyrophorisches Nickel, welch'
letzteres an der Luft zum größten Teile zu schwarzem Nickeli-
oxyd verbrennt.
Das Nickelamalgam wird sowohl durch die Einwirkung von
Natriumamalgam auf Nickelochlorid, als auch auf dem oben be-
schriebenen elektrolytischen Wege als teigige Masse erhalten,
die beim vorsichtigen Erhitzen im Wasserstoffstrome grau-
schwarzgefärbteS; mehr oder weniger zusammengeballtes, aber
niemals pyrophorisches Nickel liefert. .
Kobaltioxyd wird bei fast derselben Temperatur reduziert
wie die entsprechende Nickelverbindung, nämlich bei 190® bis
200®; das entstehende Kobaltooxyd stellt ein dunkelgefärbtes
Pulver dar, welches beim gelinden Erhitzen an der Luft zu-
nächst in Kobaltioxyd und dann bei höherer Temperatur in
Kobaltokobaltioxyd übergeht, sich aber bei noch stärkerem Er-
hitzen vor dem Gebläse wieder in Kobaltooxyd zurückverwandelt.
Bei 250® liefert Kobaltioxyd im Wasserstoffstrome pyrophorisches
Kobalt, bei 700® das Metall ohne diese Eigenschaft.
Kobaltamalgam, durch Elektrolyse gewonnen, geht beim
Erhitzen im Wasserstoffstrome niemals in pyrophorisches Co-
balt über.
Chromioxyd wird durch Wasserstoff oder Kohlenoxyd bei
den höchsten erreichbaren Temperaturen nicht angegriffen, doch
existiert es, wie Moissan s Versuche lehren, ebenfalls in zwei
verschiedenen Modifikationen. Erhitzt man nämlich Chromihy-
droxyd in einem indifferenten Gasstrome, trockenem Stickstoff oder
Kohlendioxyd, sehr stark, so geht es unter Erglühen in wasser-
- 312 ^
freies Chromioxyd über, das nunmehr weder von Säuren, noch
von Halogenen u. s. w. verändert wird.
Anders verhält sich das wasserfreie Chromioxyd, dss man
durch Entwässern von Chromihydroxyd in einem indifferenten
Oasstrome bei dunkler Kotglut erhält.
Durch Erhitzen dieses Produktes im trockenen Schwefel-
wasserstoflfistrome auf 440® wirdChromisulfid, CrjS^, gewonnen und
als identisch mit dem beim Glühen von Chromichlorid im Schwefel-
wasserstoffstrome erhaltenen Sulfide erkannt. Das neue Prodakt
stellt ein grauschwarzgefärbtes Pulver dar, das durch Säuren
ziemlich schwer angegriffen und durch starkes Glühen im Wasser-
stoffstrome in Chromosulfid, GrS, ein schwarzes, leicht zu Chromi-
oxyd verglimmendes Pulver übergeführt wird.
In analoger Weise wird durch Erhitzen des nicht geglühten
Chromioxydes im mittels Wasserstoff oder Stickstoff zugefuhrten
Selendampfe, oder von nicht geglühtem Chromioxyd bezw. von
Chromichlorid im Selenwasserstoffstrome Chromiselenid, als
kastanienbraungefärbtes Pulver erhalten und durch Glühen im
Wasserstoffstrome in das schwarze, pulverförmige Chromoselenid
verwandelt.
Nachdem die Eigenschaften dieser neuen Produkte eingehend
studiert worden sind, läßt Moissan auf die reaktionsfähige
Modifikation des Chromioxydes bei 440® Sauerstoff einwirken
und kommt so zu dem graugefärbten Chromdioxyd, CrO^, einem
Produkte, das mit Salzsäure Chlor entwickelt, sich aber schon
beim Erhitzen wieder in Chromioxyd zurückverwandelt.
Von ganz besonderem Interesse war die Einwirkimg der
Halogene auf Chromioxyd. Sofort angestellte Versuche lehren,
daß stark erhitztes Chromioxyd bei der Temperatur des siedenden
Schwefels (440®) von Chlor nicht angegriffen wird. Erhitzt man da-
gegen Chromihydroxyd in einem trockenen Chlorstrome nach und
nach auf 440®, so entwickeln sich zunächst Wasserdämpfe und nahe
bei 440® treten die roten Dämpfe von Chromylchlorid auf; ebenso
verhält sich das nicht geglühte Chromioxyd gegen feuchtes Chlor.
Den Grund für diese interessanten Reaktionen findet Moissan
darin, daß das Chromioxyd bei 440® noch 5 bis 10®/^, Wasser
enthält, und daß es der aus dem Wasserdampfe durch die Ein-
wirkung des Chlors gebildete Sauerstoff ist, der die Bildung des
Chromylchlorids verursacht.
- 313 -
Unter den gleichen Bedingungen wirkt auch Bromdampf
auf Chromioxyd ein.
* Nun wird auch Chromamalgam dargestellt und durch Ein-
wirkung von Natriumamalgam auf Chromochlorid, -bromid oder
-Jodid als flüssige, an trockener Luft langsam, bei Gegenwart
von Feuchtigkeit aber rasch zersetzbare Masse erhalten. Im
Wasserstoffstrome über 350® erhitzt, verwandelt sich das Produkt
in amorphes schwarzes Chrom, das zwar erst beim Erhitzen
in grnngefärbtes Chromioxyd übergeht, aber doch weit leichter
oxydierbar ist als dasjenige, welches Sainte-Claire Deville^*)
bei der Reduktion von Chromioxyd durch Kohle erhalten hatte.
Die Betrachtangen, die M o i s s a n im Anschlüsse an
diese Untei^uchungen über die Klassifikation der Metalle der
Eisengrappe anstellt, führen ihn zu der Annahme, daß die
natürliche Reihenfolge Chrom, Mangan, Eisen, Kobalt, Nickel
sein müsse.
Die Untersuchung über die Chromselenide gab übrigens den
Anlaß, daß Moissan in Gemeinschaft mit A. Etard eine neue
Methode zur Darstellung von Selenwasserstoff, die sich auch
zur Bereitung von Jodwasserstoff eignet, ausarbeitet^^). Wird
Selen mit Kolophonium gemischt erhitzt, so entwickelt sich ein
gleichmäßiger Strom von Selen Wasserstoff, den man zur Reinigung
nur noch durch eine mit Schwefelsäure gefüllte Waschflasche und
ein Asbest enthaltendes Rohr hindurchzuleiten braucht. In ähn-
licher Weise läßt sich durch Erhitzen von Jod mit Kolophonium
reiner Jodwasserstoff gewinnen.
Mit den obigen Mitteilungen hatte Moissan seine Unter-
suchungen über das Chrom noch keineswegs abgeschlossen; im
Gegenteil, die von ihm erhaltenen interessanten Resultate er-
muntern den jungen Forscher zur Fortsetzung seiner Studien.
Zunächst werden die Versuche von Moberg**) und von
Peligot^'') fortgesetzt und Chromosalze dargestellt. Moissan
erhält die wasserfreien Chromohalogenide, CrClj, CrBr^ und
CrJj, teils durch Einwirkung von Halogenwasserstoff auf rot-
glühendes Chrom, teils durch Erhitzen von Chromihalogeniden
im reinen und trockenen Wasserstoffstrome, oder durch Glühen
derselben Produkte im Dampfe des betreffenden Ammonium-
halogenides als weiße Produkte, die sich in Wasser bei
Luftabschluß mit prächtig blauer Farbe lösen, und sich als
- 314 -
Reduktionsmittel erweisen. Die Hydrate der Chromohalogenide
dagegen, gewonnen durch Reduktion von sauren Chromihalogenid-
lösungen mit Zink, sind gefärbt; das ausführlich beschriebene
Chromochloridhydrat, CrCl^, 6 HjO, z. B. bildet blaugefärbte
Prismen.
Chroraosulfat, CrSO^, 7 H2O, bereitet Moissan aus dem
entsprechenden Acetat durch Einwirkung von verdünnter
Schwefelsäure; das Salz bildet schön blangefärbte, dem Mag-
nesiumsulfat isomorphe Kristalle, die außerordentlich begierig
Sauerstoff aufnehmen und sich mit Stickoxyd braun färben.
Wird das Acetat nicht mit verdünnter, sondern mit konzen-
trierter Schwefelsäure zersetzt, so scheidet sich ein wasser-
ärmeres Chromosulfat, CrSO^, HjO, in schönen weißen Kristallen
aus, die viel luftbeständiger sind als die vorher beschriebenen,
sich aber unter dem Einflüsse der geringsten Menge von Wasser
wieder in das blaugefärbte Heptahydrat verwandeln.
Durch doppelte Umsetzung gewinnt Moissan aus dem Chlorid
oder aus dem Sulfat mittels Natriumkarbonat, -phosphat oder
-acetat die entsprechenden Chromosalze und aus dem Acetat
durch Einwirkung von Oxalsäure noch das Ghromooxalat.
Alle diese Salze werden nun nach allen Richtungen unter-
sucht. Es zeigt sich, daß ihre wässrigen Lösungen sauer rea-
gieren und einen zusammenziehenden Geschmack besitzen; alle
Salze wirken als starke Reduktionsmittel und nähern sich in
ihren Eigenschaften den Ferrosalzen. Chrom und Eisen zeigen
also in ihren Verbindungen die größten Analogien.
Durch diese Befunde wird Moissan dazu bewogen, die
komplexen Chromocyanide , von denen ein Kaliumsalz von
Berzelius*®) sowie von Fresenius und Haidien") und von
Des camp s''*) als eine blau- bezw. gelbgefärbte Verbindung
beschrieben worden war, eingehender zu studieren und mit den
Perrocyaniden zu vergleichen.
Moissan gewinnt Kaliumchromocyanid, K4Cr(CN)j, aufver-
schiedene Art und Weise, durch Einwirkung von Kaliumcyanid
auf Chromocyanid, durch Erhitzen von Kaliumkarbonat, ge-
trocknetem Blut und fein gepulvertem Chrom, durch Einwirkung
von Kaliumcyanid auf Chromochlorid, durch Erhitzen von fein
gepulvertem Chrom mit konzentrierter Kaliumcyanidlösung im
geschlossenen Rohre auf 125® und durch Einwirkung von Kalium-
- 315 -
Cyanid auf Chromokarbonat, in Gestalt hellgelbgefärbter Kristalle,
die sich wie die des Kaliamferrocyanids leicht in Wasser lösen,
ebensowenig giftig sind und mit Ferrosalzen einen charakte-
ristischen, orangerot gefärbten Niederschlag geben.
Durch Einwirkung von verdünnter Schwefelsäure oder Salz-
säure werden aus der konzentrierten LOsung dieses Salzes kleine,
weiße, außerordentlich leicht zersetzliche Kristalle abgeschieden ;
der so erhaltene Ohromocyanwasserstoff erweist sich in jeder
Beziehung als Analogen von Ferrocyan Wasserstoff.
Nachdem Moissan noch vergeblich versucht hat, die
bei der Einwirkung von Hydroperoxyd auf verdünnte Chrom-
sänrelösung als blaugefärbte, in Äther lösliche Verbindung ent-
stehende Perchromsäure ") zu isolieren, — - er konnte nur nach-
weisen, daß sie nicht der Formel GrO^ entspricht, und nahm
an, daß sie ein Additionsprodukt von Hydroperoxyd an
Ghromsäureanhydrid sei und, worauf auch seine Analysen
deuteten, der Formel CrOj, HjOj entspreche — zeigt er, daß
man das käufliche, bekanntlich mit Schwefelsäure stark verun-
reinigte Chromsäureauhydrid leicht dadurch reinigen kann, daß
man es vorsichtig schmilzt und dann auf eine Porzellanplatte
ausgießt.
Das so erhaltene Produkt enthält nur noch eine ganz ge-
ringe Menge von Schwefelsäure; es ist sehr hygroskopisch und
bildet, mit wenig Wasser einige Augenblicke auf 100® erwärmt,
dann dekantiert und auf 0** abgekühlt, kleine rotgefärbte Kristalle
des Monohydrates H^CrO^. Ebenso wie Wasser wird Chlor-
wasserstoff von Chromsäureanhydrid absorbiert, und dabei bildet
sich, namentlich wenn man schwach erwärmt, Chromylchlorid
neben einer öligen, in Wasser löslichen Masse. Brom- und Jod-
wasserstoffgas wirken dagegen nicht ein.
Auch das Verhalten der Elemente gegen Chromsäureanhydrid
wird studiert, und es wird gefunden, daß die sich abspielenden
Reaktionen meist mit starker Wärmeentwicklung oder mit Feuer-
erscheinung verknüpft sind; nur Sauerstoff, Ozon und trockenes
Chlor sind ohne Einwirkung auf das reine Anhydrid; feuchtes
Chlor aber bildet, wie Chlorwasserstoff, Chromylchlorid.
Mit der letztgenannten Untersuchung über das Chromsäure-
anhydrid schließen Moissans Jugendarbeiten ab.
316
Untersuchungen über das Fluor und seine
Verbindungen.
Am 20. Oktober 1884 legt H. Debray, der, wie wir in
der Einleitung erwähnten, die Studien des jungen Forschers
mit regster Teilnahme verfolgte, der Acad6mie eine kurze Mit-
teilung Moissans über das Phosphortrifluorid'^) vor.
Niemand, auch wohl Moissan nicht, wird damals geahnt
haben, daß der kaum Zweiunddreißigjährige mit dieser Unter-
suchung ein Gebiet betrat, auf dem er sich schon nach kurzer
— für wissenschaftliche Untersuchungen wenigstens kurzer —
Zeit seine ersten unsterblichen Verdienste erwerben sollte.
Die Notiz enthält die ersten Resultate von Moissans
Untersuchungen über das Fluor und seine Verbindungen; die
systematische Fortsetzung dieser ersten Versuche führte im
Jahre 1886 zu dem von so vielen hervorragenden Forschern vorher
so oft, aber vergeblich angestrebten und von allen Chemikern so
sehnsüchtig erwarteten Ergebnisse, zur Isolierung des Fluors.
Schon 1670 hatte Schwan hardt in Nürnberg Flußsäure
zum Ätzen von Glas verwendet^^). Marggraf") untersuchte
1764 das Verhalten von konzentrierter Schwefelsäure gegen
Flußspat und fand, daß eine Glasretorte, in der er die Mischung
beider erhitzte, zerfressen wurde, während sich gleichzeitig ein
weißes, erdiges Sublimat bildete. Scheele^'*) erkannte, daß Fluß-
spat eine Verbindung von Kalk mit einer eigentümlichen Säure
sei, die er im Jahre 1771 beschrieb, ohne sie indessen rein er-
halten zu haben. Gay-Lussac und Thenard^®) stellten 1809
zum ersten Male reine, wenn auch noch nicht vollkommen wasser-
freie Flußsäure durch Destillation von 1 Teil gepulvertem kiesel-
säurefreien Flußspat mit 2 Teilen konzentrierter Schwefelsäure
in einer Retorte von Blei oder Platin, die nicht mit Zinn ge-
lötet sein durfte, dar, und fingen die Säure in einer durch Eis
gekühlten Vorlage von Platin oder von Blei auf; mit diesem
Präparate klärten sie dann die Einwirkung der Flußsäure auf
Kieselsäure und Silicate vollständig auf.
Allgemein hielt man damals die Flußsäure für sauerstofi-
haltig; da entspann sich zwischen Andre Marie Ampfere und
Sir Humphry Davy ein interessanter Briefwechsel").
— 317 -
Ampfere schreibt an Davy:
Paris ^ i®' novembre 1810.
Monsieur,
M, Underwood, que fai eu Vhonnetir de voir ce matin,
nf'ayant autorise ä etre aupres de vous Vinterprete de la recon-
naissance q?ie vous doirent toiis ceux gut sHnt&ressent aux jj^rogrds
de la Science, qui vous en doit de si nombreux et de si impor-
tants, fose sofis ses auspic£S vous prier de fne pardonner Vespece
dHndiscr4tion qu'il peut y avoir ä vous adresser ceite lettre sans
etre connu de vous, et ne pouvant, Monsieur, vous offrir pour
tout titre ä un peu de bienveillance de votre part qus mon ad-
miration pour les brillaiites decouvertes par lesquelles vous avex
donnä une si heureuse extension aux connaissances quon avait
avant vous en Chimie, et au Systeme gin^al de cette Science
dont vous avex dtendu et g^n4rali^d les lois en faisant rentrer
les terres et les alcalis dans la classe des autres oxydes.
A cette d^caurerte capitale, vous renex d'en joindre une
nmiveUe annoncee dans votre lettre ä mon respectahle ami
M. Bietet, qu'il a publiee dans le dernier nurniro de la Biblio-
iheque britannique, Vous atiex augmente le nombre des
Corps combu^übles, vous renex de joindre ä Voxygene un second
Corps comburant, le gax oxy-muriatique, qui formera d^ormais
avec lui une classe de corps simples distingues de tous les autres
Corps simples que nous nommons combustibles, par la tendance
älectrique opposde. II m'a sembU evident que, pour refuser au
gax oxy-muriatique le no?n de corps simple, il faudrait renoncer
a cet axiome de la Chimie moderne qu'on doit donner ce nom
ä tous les corps qu'on n'a point encore d(^co7npos4s. J'ai dt4
egalement frappe de Vanaloffie des gax oxygene et oxy-muriatique,
celui'd formant avec plusieurs corps combustibles, comine Vhydro-
gene, le soufre, le phospfiore, /'t^fam, etc., des acides qu'on pour-
rait nommer acide hydro-muriatique (aMde muriaUque ankydre),
acide »ulfuro-muriatique (liqueur roge de M. Thomson), acide
phosphoro-muriatique (liqueur dont vous avex fait connaitre la
combinaison ammoniacale) , acide stan7io-7nuriatique (beurre
d'dtain), etc.
II suivrait de la que la combinaison d'apparence terreuse
formte d'acide pkosphoro-muriatique et d'ammoniaque serait
nne sorte de sei insoluble quon pourrait nommer phosphoro-
— 318 —
muriate d^ammoniaque, qtie le sei ammoniac ordinaire aerait
un hydro-muriate, ainsi que tous les sels oü Vacide- hydro-
muriatiqtie seratt combin4 avec un oxyde metallique, tandis que
ceux au Vhydrogene de Vacide s'efi vUj sous forme d^eau^ avec
Voxygene de V oxyde et oü il ne reste que le m^täl combini avec
le gax oxy-muriatiqu^, seraient ä V^gnrd de ee gax ce qu>e les
Oxydes ordinaires sont ä Voxyghie.
Tout eela sttppose que Voxygene qu^on obtient en exposant
Vcudde oxy-muriatique liquide ä la lumiere viefit de Veau döcom-
posde, et que V oxyde noir de manganese donne naissance au gaz
oxy-muriatiquey parce que son oxygene enleve pour former de
Veau Vhydrogdne uni ä ce gax dans Vacide hydro-muriatique.
Pardon, Monsieur, si je prends la libertö de dMuire aussi
longuement de votre lettre ä M. Bietet des cons^qfiences qui me
paraissent en d6couler aussi imniMiatement. Sans ces r^flexions
prüiminaires, il nVeut üä difficile d^expliqiier Vopinion sur
laquelle je d^sire vous consulter. Vaeide fluorique, tel qu^qn le
congoit commun&ment, ne peut s'ohtenir pur: c^est un de ces
etres de raison dont vous avex fait justice quand on a voulu
inmginer des alcalis secs qu'on ne pourait ni voir, ni obtenir;
un acide muriatiqus sec non moins chim&rique, etc. La sup-
Position que Vacide boracique et Voxyde de silicium (sihice) sont
dissous ä Vätat de gax dans cet acide probUmatique n* est ^ eile
pas contraire ä toutes les analogies, et ne serait-il pas probable
que ces ph&nomenes sont dus ä une troisienie corps cofnburant?
Pcrmettex-moi de donner provisoirement ä ce troisieme corps
comburant le nom d' oxy- fluorique; il se trouverait combin^
avec le calcium dans ce qu'on appelle fluate de cfiaux. Quand
cette dernidre substance est chauffde dans un tube de plornb avec
de Vacide sulfurique concentrd oü il y a toujours de Veau,
Voxygene de cette eau convertirait le calcium en chaux pour
donner naissance au sulfate de chaux, qui se forme, et son
hydrogene se combinerait avec Voxy-fluorique pour former cet
acide hydro-fluorique, sous forme liquide, qui prodiät de si
terribles effets sur les corps vivants. Celui-d mis en ccniact
avec Voxyde de silicium, il y aurait formation d^eau, et le siU-
dum uni ä Voxy fluorique donnerait ce gax qu'on nomme acide
fluoriqtce silici, que dans cette Hypothese on devrait appekr acide
silicio'fluorique, et serait analogue aux autres acides gaxeux.
— 319 -
De meme, lorsquon chauffe le fluate de chaux avec Vadde
boracique, une partie de cet acide serait d^omposde paar changer
le calcium en chauxy et le bore d^oxydS se combinant avec
Voxy-ftuoriqiLe, il en r4sulterait eneore un acide gaxeuxy celui
qu'on obUeni, en effet, dans cette circonstance, et qui dei^raif,
dans cette hypothese, etre appele acide boro-fluorique, Chi de-
couvrirait sans dotite bientöt les acides sulfuro-fluoriqtie, phos-
phoro-fluorique, si Von pouvait obtenir Voxy-fluoriqne. Ce dernier
peut etre bien difftdle ä obtenir, surtout s'il a plus d^affinit^
pour l'hydrogine que rien ont les gax oxygene et oxy-muriatique.
Reste ä savoir si V4lectricite ne d^composerait pas Vadde hydro-
fiuoriqvs sous sa forme liquide, loj'squ'on en aurait ecart6 Veau
le plus possible, enportant Vhydrogene d'un cöt6 et Vcxy-fluorique
de Vautre, ainsi quHl arrive aux deux autres corps comburants^
lorsque le meme agent d^composß Veau et Vadde hydro-muri-
atique. Le seul inconv4nient ä redouter dans cette exp&ience
est la combinaison de Voxy-fluorique avec le condueteur avec
leqv£l il se trouverait en contact a Vitat naissant Peut-^tre
aucun mStal ne pourrait se refuser ä cette combinaismi. Mais,
en supposant que Voxy-fluorique füt, com^ne Voxy-muriatiqus^
incapable de se combiner avec le charbon, ce dernier corps serait
peut' etre assex bon conducteur pour etre employ6 avec succds
comme tel dans cette exp&rience. Vous trouverex sans doute^
Monsieur, ces demieres id4es bien hasard^es, peut-etre meme
absolument d6nu4es de fondement. Je rVose vous les präsenter
qu*en tremblant, et d'apres un assex grand nombre d^analogies
que je ne pourrais vou^ exposer sans entrer dans des dMails
eneore plus fa^tidieux que les präcedents. Je iVai d^ä que trop
alms^ d'un tcmps dmit les sdences r4dament tous les moments.
Pardonnex-moi une trop longue lettre, et permettex-moi que je
fn'applaiidisse d'avoir trouv^ cette keureuse occasion de vous
offrir Vhommage de mon profond respect et de Vadmh'aüon, aussi
vive que sincere, que yn'ont inspiräes vos immortelles däcouvertes.
Davy aDtwortet:
London, febr, 8, 1811,
Sir,
I thank you very s'incerely for the letter you were so good
as to send to me; the senüments it contained were highly flat-
tering to me and the views very instruktive.
— 320 —
You have pointed out the analogies between the fluaric and
muriatic gasses in a masterly mainier. I know of but ane ob-
jection to the views you propose. This is that potash seems to
be formed by bmming potassium in silicated fltwric gas; which
seems to imply ihat tkere is some substance in it which coiitains
oxygen.
I shall taice the libefiy of sending tvith this note my last
paper on oxymuriatic gas, Beceive it as a proof of my high
esteenu
I shall always feel gratefull for any communicaiion 7inth
which you mag be pleased to hofiour me.
I am sir, etc.
H. Davy.
Hieranf schreibt Ampere:
Paris, 25 aoüt 1812.
Monsieur,
La lettre qu^. vous m'ai'ex fait Vhonneur de 7n*4crire m^a
fait eprotiver un des plus vifs plaisirs qv4i faie ressentis de
ma vie. Rien ne pouvait etre plus flatteur pour moi que la
permission que vous voulex Inen me donfier, et do7U je nie häte
de profiter, de vous consulter quelque fois sur les points encore
contest^s d'une Science qui vous doit des progres aussi impor-
tants qu'inattendu^. Votre lettre ne m^a 4te remise que le 14
du courantf ä plu^ de dix-huit moi^ de date; plusieurs circon-
stances particulieres ont caus^ ce retard. Je vous prie d'agr^
tous mes remerciements et de cette lettre et de VOuvrage qui
l'accompagnait, J'ai remis aux pef^sonnes ä qui ils dtaient
adresses les deux autres exemplaires de votre Memoire et ä
M, Unterwood la lettre que refifermait la 7nienne.
J'ai rdflechi ensuite sur ce que vous me dites sur la fiature
de Vactde fluaHque, 11 est evident que dmis Vhypothese aü il
serait forme, comme l'acide ?nufnatique d'hydrogene et d'un
Corps analogue aux gax, oxygene et chlorine, corps que je
nomynerai ici par analogie fhiori?ie, pour pouvoir expaser ma
pensde sans päriphrase, les gax qtCon nomme en France fluo-
borique et fluorique silic^, dtant formis uniquement k
preynier de bore et de flüori?ic, le second de siUdum et de
fluorine, il ne pourrait jamais se former d'oocyde de potas-
sium par la combustion de ce m^tal dans Fun ou Vautre de
- 321 -
ees deux gax, mais seulement une combtnaison de potassium
et de fluorine arec du bore dans le premier cos, et dusilidum
dans le seeond, tant qu'on n'y joindrait pas d'eau, au tant que
Veau unie au m4lange ne serait pas d^composöe. Or dans Vune
et Vaiitre combustian on obtient un produit brun noirätre, Ce
prodmt, lars de la combustimi dans le gax fluoboriqiie, est forme,
d'apres les experiences de MM, The^iard et Gay-LussaCy et con-
formömeut ä mon hgpothese, de bore et d'une substance qui se
dissotit dans Veau et VaMde muriatique, soit immMiatementy soit
parce que Vhydrogeiie de Veau ou de Vacide muriatique forme
de nouveau arec le fluorine de Vacide fluorique^ tandis qu'il
se produit en meme temps de Voxyde de potassium si c'est de
l'eau, et du muriate de potasse si c'est de Vacide muriatique.
Pour que mon hypothdse püt subsister, il faudrait que, lors de
la combustion dans le gax fluorique silic^, il tVy eüt de meme
dans le produit brun noirätre que du siliciicm et la meme
substance soluble da7is Veau et Vaeide muriatique, en sorte que,
par des Uzvages suecessifs dans un des deux deruiers liquides,
il ne restät que du silicium d'autant plus pur qu*on Vaurait
lav4 avec plus de soin. Or, fai relu toutes les exp&riences faites
par MM. Thenard et Oay-Lussac sur la combustion dti potas-
sium dans le gax fluorique silic^, et je n'ai rien trouv6 qui
contredtt cette kypotkese, ni qui indiquät qu'il y a de Voxyde
de potassium dans le produit brun noirätre avant qu'on y
ait mis de Veau. Gomme on rVa point en France vos ex-
periences sur ce meme produit, je ne sais point si vous en avex
fait qui prouvent que Voxyde de potassium y est tout form4,
Jtisque-lä, il me semble que 7non Hypothese peut etre admise et
qu'elle rend raison^ mieux que toute autre des propri^t^s du gax
fltioborique et du gax fluorique silici, en les assimilant aux autres
gax form4s de corps eombustibles et d'oxygene, comme sont les
gax aeides carbonique et sulfurviue, au Heu qtCon ne voit point
dans Vancienne Hypothese comment Vacide fluorique pourrait
former des gax avec des bases aussi fixes que le sont la silier
et Vaxdde bmique. II faut seulement admettre:
P Que le silicium se pr^ente apres la deeomposition de
8on oxyde, sous la forme d'une poudre nairätre, comme le molyb-
däne, ce qui vient ä Vappui £une id^ qui me semble a^ssex
vraisemblable, savoir que le silicium fait une sorte de nuance
SitBungiberiehte der phys.-med. Sos. 39 (1907). 21
- 322 —
entre les rn^taux et les autres corps combtistibles, tels que k
bore, le phosphorey le carbone, ete,, de meme q^ie sanoxyde.
la s^ilice, est un corps en quelqiie sorte interniMiaire entre les
Oxydes m^talliques aux alcalin^ et les acide^;
2° Que la substance blanche obtenue par les chimistes qiu
je viens de eiter, en brillant dans le gax oxygene le produit hrun
noirätre obtenu du gax fluorique silic4 par le mögen du
potassium, et lav6 dans Veau ou Vacide muriatique, etmt
seuletnent de la silice et que le gax fluorique silic4 qui s'est
reproduit en petite quantit^ dans cette demüre combustion renait
ou de ce que le potassium ne s^pare pas completement le sili-
dum du fluorine avec lequel il est combin^ dans le gai
fluorique silic4, ou de ce que, Veau des lavages ayantfoumi
deVoxygene au potassium, le fluorine avait en partiequitif
ce dernier m4tal pour s'unir de nouveau avec le silicium, mais
en bien moindrs quantit^ que dans le gax fluorique silic6;
ce qui n-aurait pas lieu dans le cas ou le bore remplacerait
le sili dum, parce qu'il a moins d^af finita que lui pour k
fluorine, Vacide borique ne d^composant pas Vaeide fluorique
comme le fait la silice,
II suivrait de cette maniere de concevoir les ph^omenes que
la combustion du potassium dans le gax fluorique silice
co7idutrait probablement ä obtenir pur le sHidum^ qu^on parait
n'avoir obtenu jusqu'ä prSsent qu'en combinaison avec le fer.
Quoi quil en soit de ces id^es, que je ne vous prisenie
que comme des conjectures dont vous etes, Monsieur, le juge
naturel, je crois quun des meilleurs 7noyens de co^inaitre to
nature de Vacide fluorique serait de le soufnettre, ä Vet<it liquide,
ä la pile de Volta, cet instrument qui est devenu dans i^os mains
la source des d^couvertes les plus remarquables de toute la Chimie
moderne, On pourrait aussi tenter d'obte?iir la combinaison
seche et rolatile du mercure et du fluorine, en calcinant du
phosphate aci4e de mercure avec le spath fluor le plus pur, quh
dans Vhypothese dmit nous parlons, ne contiendrait que du
fluorine et du calcium, ce dernier m6tal se combinant dans
cette Operation avec Voxyghie et Vacide phosphorique qui sani
joints au mercure dans ce phosphate acide, En calcinant ceiie
combinaison de mercure et de fluoHne, quHl faut bien distinguer
du fluate de mercure fait par la roie humide, avec du phas-
— 323 —
pharej on pourrait obtenir tme comhinaüon de phosphore et de
flu or ine, d'ou Von retirerait peut-etre le f/uorine pur en
brülant le phosphore; comnie on retire ais4ment le chiorine de
sa comhinaison avee le mercure en suivant le menie proc^d^-.
J^ai SU qu^on a r^4U en France les exp6riences que M. Murray
avait proposies contre votre opinion relativemeni au chlorine,
mais que les r4sultats avaient 6U absolument contraires ä ceux
que ce chirmste avait annonc4Sy puisqu'on na jamais pu trouver
de Veau dans le sei ammoniac pr^pari avec des gax bien des-
sächSsj sott qu'on se servtt dss gax ammoniac et acide muriati-
que, soit qu'on emphyät le premier des ces de%Lx gax et le
chlorine,
Vous avex sans doute appris, Monsieur^ la d^couverte qu'on
a falte ä Paris, il y a pres d^un an, d'une combinaison de gax
axote et de chUyrine qui a Vapparence d'une huile plus pesante
que Veau^ et qui d^tone avec toute la violence des mdtaux fulmi-
nants ä la simple ckaleur de la- main, ce qui a privi d^un (eil
et d'un doigt Vauteur de cette dicouverte. Gelte d^tonaOon a
Heu par la simple Separation des deux gax, comme ceUe de la
combinaison d^oxygene et de chlorine qu'a fait connattre monsieur
uotre fr^e : il y a igaUment beaucoup de lumiere et de chaleur
produites dans cette dMonation, ou un liquide se d4compose en
deux gax,
Xai Phonneur d'etre, avec . le respect que votre nom inspire
ä Ums ceux qui aiment ou cultivent les Scienes,
Mofisieur
Votre tres humble et tr^ obüssant serviteur
A. Ampere,
Die Antwort Davys lautet:
Berkeley Square, London March 6*^,
To M, Ampdre. Paris.
Sir,
Till this matnent I have no opportunity of replyüig to your
obliging letter,
The fulminating oil which you mentioned rou^ed my curi-
osiiy and nearly deprived me of an eye, After some months
confmement I am again well, I hope soon to have some results
to communicate to you respecting fluorine,
I shall send unth this note a paper on the detonating com-
21*
- 324 —
poiind, I did not mentio7i yotir fiame in it, because I kad
not an opportunity of asking your permissian and I did not
think it right to do so tvithout a permission.
The paper was rather to cautimi the english cheniists against
the oil, than to communicate any striking results.
Your ingenious views respecting fluorine may be eonfirmed,
1 haie every reason to conclude froni my expeiimetits that there
is no oxygene combined with the potassium in the experiment,
071 the combustiov of potassium in silicated fluoric gas; and
that the first view which I formed on the subject is incorreci,
I have many new experiments on the subject; but I have only
a moment in which I can make this communication,
I will not lose the opportunity of saying that I am rery
sincerely, etc.
H, Davy.
Zu einer Zeit also^ da man in Frankreich noch nicht
an die Existenz der Halogenwasserstoffsäuren glaubte, erkannte
Amp6re die richtige Zasammensetzung der Flaßsäare!
Davy^^) teilte diese Auffassung und bewies sofort, daß die
Flußsäure keinen Sauerstoff enthält. Er neutralisierte Fluor-
wasserstoff mit reinem Ammoniak, erhitzte das gebildete Produkt
in einem Platinapparate auf hohe Temperaturen und konnte in
dem kalten Teile seines Apparates Wasser auch nicht in ge-
ringen Spuren nachweisen, während er bei dem gleichen, mit
dem Ammoniumsalze einer sauerstoffhaltigen Säure angestellten
Versuche eine erhebliche Menge von Wasser erhielt. Über die
Analogie der Flußsäure mit Chlorwasserstoffsäure konnte kein
Zweifel mehr herrschen.
Davy stellte sogleich weitere Versuche an und bemühte sich,
das Fluor abzuscheiden, indem er Flußsäure in Apparaten aus
Platin und aus geschmolzenem Silberchlorid der Elektrolyse unter-
warf. Solange Wasser zugegen war, wurde der Fluorwasser-
stoff zersetzt, dann erfolgte der Stromdurchgang viel schwieriger;
ließ er Funken in der konzentrierten Säurö überspringen, so
erhielt er mitunter eine kleine Menge Gas, aber binnen kurzer
Zeit war die, wenn auch noch so gut gekühlte Säure vollständig
verdampft, und der weitere Aufenthalt im Laboratorium wurde
dadurch unmöglich*^).
Andere, mit großen Schwierigkeiten verbundene Vei-suche
— 325 —
Davys erstrecken sieb auf die Einwirkung von Chlor auf
Fluoride in Gefäßen aus Kohle, Schwefel, Gold, Platin u. s. w. ;
bei den Experimenten wurde das Material der Gefäße erheblich
EDgegriffen. Sieber hatte sich eine geringe Menge Fluor gebildet,
aber ein einigermaßen zufriedenstellendes Resultat wurde nicht
erbalten.
Davy kommt so zu dem Schlüsse, daß die chemische Ak-
tivität des Fluors bedeutend größer sein müsse als die der bis
dahin bekannten Elemente, und daß seine Versuche vielleicht
dann von Erfolg gekrönt sein würden, wenn man sie in Fluß-
spatgefäßen ausführte.
Dieser Gedanke Davys wurde später von verschiedenen
Forschem wieder aufgenommen.
Nachdem 1833 Aime*^) die Einwirkung von Chlor auf
Silberfluorid in einem Glasgefäße, dessen Wandungen mit einer
dünnen Schicht von Kautschuk überzogen worden waren, studiert
und, ohne bessere Resultate als Davy erhalten zu haben, kon-
statiert hatte, daß der Kautschuk verkohlt wurde, wiederholten
G. J. Knox und Th. Knox**) den gleichen Versuch resultatlos
in einem Gefäße aus Calciumfluorid**).
Im Jahre 1846 beschäftigte sichLouyet") mit einer ähn-
lichen Reaktion, nämlich mit der Einwirkung von Chlor auf
Quecksilberfluorid in einem Flußspatapparat und kam auf Grund
falscher Versuchsbedingungen **) zu folgendem Ergebnisse : „Was
die Natur des Fluoi'S betrifft, so habe ich die Hypothese
Amperes vollständig widerlegt, d. h. ich habe nachgewiesen,
daß dieser Körper weit mehr Analogien mit Sauerstoff oder
Schwefel zeigt als mit den Halogenen Chlor, Brom und Jod."
Fremy*^) nahm, veranlaßt durch die Veröffentlichungen
von Louyet, gegen 1850 die Versuche zur Abscheidung. des
Fluors wieder auf, stellte viele neue Fluoride dar, beschrieb
deren Zusammensetzung und Eigenschaften und untersuchte mit
großer Sorgfalt die Einwirkung verschiedener Gase, besonders
die von Sauerstoff und Chlor auf diese Fluoride; endlich wandte
er seine Aufmerksamkeit der elektrolytischen Zersetzung von
Metallfluoriden zu**^).
Eingehender hat sich Fremy dann mit der Einwirkung
von Chlor auf die Fluoride von Blei, Antimon, Quecksilber und
Silber beschäftigt und bei dieser Gelegenheit deutlich bewiesen,
— 326 -
daß es zu jener Zeit nahezu anmöglich war, Flaoride Ib absolut
trockenem Zustande zu erhalten; dies war auch der Grund
dafür, daß Fremy seine elektrolytischen Versuche hauptsächlich
mit Galciumfluorid angestellt hat.
Nachdem er beobachtet hatte, wie hartnäckig die Metall-
fluoride Wasser zurückhalten, griff er immer wieder zum Fluß-
spat, der iu der Natur sehr rein und vor allem vollständig
wasserfrei vorkommt, zurück und unterwarf ihn im Schmelz-
flusse in Platinapparaten der Einwirkung des elektrischen Stromes.
Am negativen Pole wurde metallisches Calcium abgeschieden
und der als Anode dienende Platinstab wurde sehr rasch an-
gefressen; das dort auftretende Aufschäumen bewies, daß ein
Gas abgeschieden wurde. Dieses Gas hatte die Eigenschaften,
Jod aus Jodiden frei zu machen. Wiederholte man jedoch den
Versuch einige Male, so wurden die Wände des Platinapparates
alsbald durch das freiwerdende Metall zerstört; der Apparat
wurde in wenigen Augenblicken unbrauchbar, und man mußte
den Versuch neu beginnen.
Fremy war nicht der Mann, der sich durch Mißerfolge
abschrecken ließ; im Gegenteil, bei resultatlos verlaufenen Ver-
suchen zeigte er eine kaum glaubliche Hartnäckigkeit. Er ändert
die Apparate und Versuchsbedingungen in der mannigfaltigsten
Weise, und jede neue Schwierigkeit ermutigt ihn nur von neuem
zu weiteren Versuchen.
Zwei wichtige Entdeckungen leuchten vor allem aus Fremys
Arbeiten hervor.
Die erste ist die Darstellung der völlig wasserfreien,
chemisch reinen Flußsäure, deren Existenz bisher unbe-
kannt war. Fremy bereitet Kaliumfluorhydrat und verwendet
es, nachdem er die Zusammensetzung des neuen Produktes
ermittelt hat, sofort als Ausgangsmaterial zur Gewinnung von
reiner Flußsäure, die als ein bei gewöhnlicher Temperatur
gasförmiger, in einer Kältemischung sich zu einer farblosen
Flüssigkeit verdichtender Körper, der äußerst begierig Wasser
anzieht, erhalten wird.
Die zweite wichtige Tatsache, die Fremys Untersuchung
zeitigte, ist eigentlich fast gar nicht beachtet worden; sie war
für Moissan aber von größtem Werte, denn sie zeigte, daß
— 327 —
das Fluor in außerordentlicher Weise befähigt ist, sich an fast
alle Verbindungen anzulagern*'').
Es hat fast den Anschein, als ob diese Mitteilungen Fremys
»päter manchen Forscher entmutigt und von neuen Unter-
suchungen abgehalten hätten. Erst 13 Jahre nach der Veröffent-
lichung dieser Versuche nahm G. Gore*®) das systematische
Studium der Flußsäure wieder auf.
Gore verbessert zunächst die Methode Fremys zur Dar-
stellung der wasserfreien Säure, bestimmt ihren Siedepunkt zu
19,4® und ihre Dampfspannung bei verschiedenen Temperaturen
und ermittelt ihre wichtigsten Eigenschaften ; er untersucht das
Verhalten der reinen und der mit anderen Säuren gemischten
Flaßsäure bei der Elektrolyse und findet in Übereinstimmung
mit Faraday, daß absolut wasserfreie Flußsäure den elek-
trischen Strom nicht leitet. Enthält die Säure eine kleine Menge
Wasser, so wird nur dieses durch den Strom zersetzt und dann
hört die Leitung vollständig auf. Endlich berichtet Gore über
zahlreiche Beobachtungen, die die Einwirkung der wasserfreien
Fluorwassei-stoffsäure auf Metalloide, Metalle und verschiedene
Salze betreffen").
In einer zweiten Versuchsreihe beschäftigt sich Gore*®)
sehr intensiv mit Silberfluorid und dessen Elektrolyse im
Schmelzflusse, sowie mit der Einwirkung dieses Fluorids auf
verschiedene Metalloide und berichtet über die Bildung von einigen
tertiären und quaternären Fluorverbindungen '^^).
So lagen die Verhältnisse, als Henri Moissan, kurz
nachdem er die Untersuchungen über das Chrom zu Ende ge-
führt hatte, seine Studien über das Fluor und seine Ver-
bindungen begann.
Wir erfahren später von ihm, als er die Resultate in seinen
berühmten „Recherches sur I'isolement du fluor"") zum ersten
Male zusammenstellt, über die Idee, die ihn bei der Ausführung
seiner Untersuchungen leitete, folgendes:
„ J(ß mis parti dans ces recherdies d'uyie idee precon^me.
Si ran suppose pour un instant que le chlore n'ait pas encore
ete isoUj bien que Jious sachions preparer les chlorures m^talli'
ques, Vadde chlorhydrique, les chlorures de phosph(yre et d^autres
- 328 —
Corps fdmilaires, ü est de toute emdence que Von augmentera ks
chances qtie Von peut avoir d'isoler cet iUment en s'adressant
aux compos4s que le chlore peut former avec les mitalloUes.
jjll me semblait que Von obUendrait plutot du chlore en
essayant de d6composer le pentachlorure de phosphore ou Vmde
chlorhydrique qu'en s'adressant ä V6lectrolyse du chlorure de cd-
dum ou d'un chlorure alcalin.
y^Ne dmt'il pas en etre de meme pour le fluor?
y^Enfin le fltcor ätantj d'apres les recherches antSrieures ei
particulidrement Celles de Davy et de M, Fremy, un corps doue
d'affinitSs 4nergiques, on devait, pour pouvoir recueilHr cet
iUment, op4rer ä des temp^ratures aussi basses que possibk,
„TeUes soni les consid^rations g&n^rales qui m'ont atnene ä
reprendre d'une fa^on syst4matiqus Vitude de^ camUnaisom
form^s par le fluor et les m^Mlloides.^
Die ersten Versuche, über die Moissan berichtet, er-
strecken sich somit auf die Reindarstellnng and üntersucbang
einiger Verbindungen von Fluor mit Phosphor und Arsen.
Wie schon kurz erwähnt wurde, enthält die erste Ver-
öffentlichung auf dem neuen Gebiete Mitteilungen über das
Phosphortrifluorid"), das von H. Davy") und Dumas**) als
heftig rauchende Flüssigkeit beschrieben worden war, während
Mac Ivor") schon 1875 darauf aufmerksam gemacht hatte, daß
die reine Verbindung ein Gas sei").
Moissan gewinnt das Trifluorid durch Einwirkung von
Bleifluorid auf sorgfältig getrocknetes Kupferphosphid in einem
Messingrohre bei dunkler Rotglut und erhält so ein im reinen
Zustande an der Luft nicht rauchendes Gas, das sich unter
dem Drucke von 40 Atmosphären und bei — 10*^ mit Hilfe
des Cailletetschen Apparates in eine farblose, leichtbeweg-
liche, Glas nicht angreifende Flüssigkeit verwandeln läßt,
während es bei 24^ selbst unter dem großen Drucke von
180 Atmosphären noch im Gaszustande verharrt.
Moissan findet, daß das an der Luft nicht brennbare Gas
explodiert, wenn es mit der Hälfte seines Volumens Sauerstoff
gemischt angezündet oder der Einwirkung des elektrischen
Funkens ausgesetzt wird, und er vermutet, daß das bei der
letztgenannten Reaktion entstehende Produkt Phosphoroxyflnorid
sei. Die neue gasförmige Verbindung raucht nämlich an der
- 329 —
Luft UDd wird durch Wasser sofort absorbiert, wobei eine
Phosphorsäure enthaltende Flüssigkeit entsteht ; Phosphor-
trifluorid reagiert dagegen mit Wasser bei gewöhnlicher Tempe-
ratur nur sehr langsam, beim Erwärmen schneller unter Bildung
von phosphoriger Säure und von Fluorwasserstoff.
Beim Erhitzen in Olasgefäßen wird das Trifluorid zerlegt.
Das Oasvolumen nimmt ab und Phosphordämpfe kondensieren
sich an den Oefäß Wandungen; das dabei wohl sicher entstehende
Fluor aber läßt sich nicht isolieren, denn es reagiert sofort mit
der Kieselsäure des Glases unter Bildung von Siliciumfluorid.
Von den übrigen Reaktionen des Phosphortrifluorids sind
als besonders charakteristisch zu erwähnen, daß es sich mit
Ammoniak zu einer \^ollähnlichen, an feuchter Luft verschwinden-
den Masse und mit Chlor, Brom und Jod zu wohldeflnierten
Verbindungen vereinigt
Gleichzeitig stellt Moissan auf dem schon früher von
Dumas'*^ und von Mac Ivor**^) eingeschlagenem Wege Arsen-
trifluorid*®) dar, indem er ein aus gleichen Gewichtsteilen von
Calciumfluorid und von trockener, chlorfreier, arseniger Säure
bestehendes Gemisch mit der doppelten Gewichtsmenge konzen-
trierter Schwefelsäure erhitzt. Die so erhaltene, nach der
Rektifikation bei + 63^ siedende, farblose und leichtbewegliche
Flüssigkeit ist nur mit großen, persönlichen Gefahren zu hand-
haben, denn sie nift auf der Haut tiefe und recht schmerzhafte
Wunden hervor. Mehrmals hat Moissan die Untersuchung
dieses Fluorides ans gesundheitlichen Gründen unterbrechen
müssen, aber er ruhte nicht eher, als bis er alle für seine
Zwecke notwendigen physikalischen und chemischen Eigen-
schaften des Produktes ermittelt hatte und zu der Überzeugung
gelangt war, daß auch dieses Fluorid zur Isolierung des Fluors
nicht zu verwenden war.
Wie das Phosphortrifluorid, wenn auch in einer etwas
anderen Weise, erleidet auch die Arsenverbindung beim Erhitzen
in einem Glasgefäße bei dunkler Rotglut Zersetzung; es scheidet
sich nicht die geringste Spur von Arsen, sondern Arsentrioxyd ab,
während gasförmiges Siliciumfluorid entweicht. Der Sauerstoff
des im Glase enthaltenen Siliciumdioxydes genügt zur voll-
ständigen Oxydation des primär gebildeten Arsens.
Das flüssige Arsen trifluorid leitet die Elektrizität nur
— 330 -
schlecht; wendet man aber den starken, von 25 Bunsen-Ele-
menten gelieferten Strom an, so scheidet sich an der Kathode
sofort Arsen ab, während von dem als Anode dienenden Platin-
drahte Gasblasen, die ihn korrodieren, aufsteigen. Sollte das
Gas Fluor sein? Die Frage läßt sich nicht entscheiden, denn
der Strom, der au und für sich durch Arsentriflnorid nur schwer
geleitet wird, wird durch das sich abscheidende Arsen bald
gänzlich unterbrochen.
Diese neuen interessanten Tatsachen veranlassen Moissan,
die Einwirkung des Induktionsfunkens auf Phosphortrifluorid
zu studieren*^).
£}r findet, daß bei längerer Einwirkung des Funkens das
Volumen des absolut trockenen, über Quecksilber abgesperrten
Gases abnimmt, daß an den Wandungen des Gases Phosphor
abgeschieden wird, und daß sich das restierende Gas teilweise
durch Wasser, welches dann die Reaktionen von Phosphorsäure
zeigt, aufnehmen läßt: der vom Wasser nicht absorbierte Rest
besteht aus unverändertem Phosphortrifluorid. Kaum kann ein
Zweifel darüber bestehen, daß sich aus dem Trifluorid unter
der Einwirkung des Induktionsfunkens Phosphorpentafluorid ge-
bildet hat, und daß somit die Gleichung:
4PF3 + PF3 = 3PF5 + 2P
8 Vol. 2 Vol. 6 Vol.
zu Recht besteht.
Nun werden aber auch sogleich dieselben Versuche mit dem
nicht durch Kaliumhydroxyd getrockneten Gase ausgeführt, und
diese lehren, daß unter solchen Bedingungen auch das Glas der
verwandten Gefäße mit in Reaktion tritt: neben Phosphor bildet
sich Siliciumfluorid, und das resultierende Gasgemenge vermag
Jod aus Kaliumjodidlösung in Freiheit zu setzen.
Phosphortrifluorid nimmt Moissans Interesse noch weiter
in Anspruch; neue Methoden zur Darstellung dieser interessanten
Verbindung werden ersonnen**).
Das Fluorid kann sehr leicht und in reinem Zustande da-
durch gewonnen werden, daß man Arsentriflnorid unter sorg-
fältigem Ausschlüsse von Feuchtigkeit in Phosphortrichlorid ein-
tropfen läßt, da« gebildete Gas durch ein auf — 15^ abgekühltes
Rohr leitet, über Quecksilber auffängt und durch Berührung
mit etwas Wasser von den beigemengten Dämpfen der Ausgangs-
- 331 -
materialien befreit. Die Eigenschaften des so dargestellten
Fluorids stimmen mit denjenigen des nach der früheren Methode
erhaltenen vollständig überein, und der letzte Zweifel über die
Identität der beiden Produkte wird behoben, als die Analyse
gelingt und in beiden Fällen die Formel PF, beweist. Gleich-
zeitig bestätigt Moissan die kurz vorher von Berthelot ®^)
auf Grund thermischer und maßanalytischer Untersuchungen
entwickelte Ansicht, daß Phosphortrifluorid bei der Zersetzung
durch Alkalilauge nicht einfach in Fluorid und Phosphit zerlegt
wird, sondern Salze einer sehr beständigen fluorphosphorigen
Säure bildet.
Jetzt ist also Phosphortrifluorid nach verschiedenen Me-
thoden in größerer Menge rein dargestellt worden, und nun kann
die schon ganz kurz er ^y ahnte Einwirkung der Halogene auf
das Gas näher verfolgt werden**). Chlor liefert bei gewöhn-
licher Temperatur mit dem Trifluorid ein gasförmiges Produkt,
dessen Studium vorbehalten bleibt; Camille Poulenc**) hat
später auf Moissans Veranlassung eine vortreffliche Arbeit
über dieses Phosphorpentafluorchlorid ausgeführt. Jod reagiert
erst bei 300® l)is 400" unter Bildung einer festen, in der Wärme
gelb-, bei gewöhnlicher Temperatur rotgefärbten Verbindung;
sie ladet nicht zn weiteren Versuchen ein, da bei ihrer Ent-
stehung das Glasgefäß mit angegriffen wird. Nur das bei der Ver-
einigung von trockenem Brom und Phosphortrifluorid bei — 10®
entstehende Phosphorpentafluorbromid unterzieht Moissan per-
sönlich einer eingehenden Untersuchung.
Er erhält eine leiohtbe wegliche, bernsteingelb gefärbte
Flüssigkeit, die an der Luft stark raucht, die Atmungsorgane
heftig angreift, unter —20® zu kleinen, hellgelb gefärbten
Kristallen erstarrt, und schon bei -f- 15** glatt in Phosphor-
pentafluorid und -bromid zerfällt; letzteres wird in Überein-
stimmung mit E. Baudrimont*®) in zwei Modifikationen, gelb-
und rotgefärbt, gewonnen.
Das soeben erwähnte Phosphorpentafluorid war früher schon
von Thomas Eduard Thorpe*'') bei der Einwirkung von
Arsentrifluorid auf Phosphorpentachlorid erhalten und untersucht
worden. Moissan zeigt nun aber*®), daß nach Thorpes Ver-
fahren kein reines Pentafluorid entsteht, da dem Gase in-
folge der sehr lebhaft verlaufenden Reaktion immer Arsen-
— 332 —
trifluorid und -chlorid beigemengt sind. Das bei der Selbst-
zersetzang von Phosphorpentafluorbromid sich bildende Gas
kann dagegen leicht in reinstem Zustande gewonnen werden,
da sich die geringen Spuren von etwa mitgerissenem Brom
durch etwas Quecksilber sicher entfernen lassen.
Reines Phosphorpentafluorid ist nicht brennbar, raucht stark
an der Luft, besitzt einen stechenden Geruch und wird von
Wasser vollständig absorbiert; unter 23 Atmosphären Druck läßt
es sich im Cailletetschen Apparate bei 16^, also bei gewöhn-
licher Temperatur, zu einer Glas nicht angreifenden Flüssig-
keit verdichten, die bei plötzlicher, geringer Druckverminde-
rung zu einer, allerdings nur kurze Zeit beständigen, schneeartigen
Masse erstarrt.
Wie wir später noch sehen werden, beschäftigt sich Moissan
zu dieser Zeit auch noch mit anderen gasförmigen Fluoriden;
aber alles ist vergeblich, in keinem Falle läßt sich durch den
Induktionsfunken Fluor isolieren.
Bei air diesen Mißerfolgen drängt sich dem Forscher eine
neue Frage auf: Könnte sich nicht vielleicht doch bei höheren
Temperaturen eine Zerlegung des Phosphorfluoride dadurch er-
möglichen lassen, daß man sie bei dunkler Rotglut über Platin-
schwamm leitet, so ein Platiufluorid darstellt und aus diesem
durch rasches Erhitzen auf helle Rotglut das Fluor austreibt?
Von vornherein schien es nicht unmöglich zu sein, diese
Idee verwirklichen zu können, denn Fremy*®) hatte ja ge-
funden, daß das bei der Elektrolyse von Alkalifluoriden ent-
stehende Platinfluorid bei hohen Temperaturen reinen Platin-
schwamm liefert
Sofort macht sich Moissan ans Werk'®). Alle experimentellen
Schwierigkeiten werden spielend dadurch überwunden, daß das
Platinrohr, in welchem der sorgfältig gereinigte Platinschwamm
auf Rotglut erhitzt wird, in ein Porzellanrohr eingeschoben und
darin von Stickstoff umspült wird; so kann man das Rohr er-
hitzen, ohne befürchten zu müssen, daß die Verbrennungsgase
durch das Platin dringen und Störungen verursachen.
Phosphortrifluorid wird, wenn es in langsamen Strome über
den Platinschwamm streicht, vollständig absorbiert; das Ex-
periment verläuft aber anders, wenn man den Gasstrom in leb-
hafterem Tempo durch die Röhre sendet, denn dann wird eine
— 333 -
kleine Menge Phosphorpentaflaorid gebildet und das austretende
Gas zeigt merkwürdige Eigenschaften: es setzt z. B. sofort Jod aus
Kaliumjodidlösung in Freiheit und greift Quecksilber sowie Glas
an. Ganz kurz erwähnt Moissan in dieser Abhandlung noch,
daß der mit Phosphorpentafluorid angestellte gleiche Versuch
zu analogen Ergebnissen führe; nur reagiere das hierbei erhaltene
Gasgemisch viel energischer mit Kaliumjodidlösung als das vom
Trifluorid stammende. Später erst erfahren wir, aus welchem
Grande Moissan die mit dem Pentafluorid gewonnenen Resul-
tate nicht schon jetzt beschreibt.
Sicherlich war also bei diesen Versuchen etwas Fluor ge-
bildet worden, aber eine vollständige Zerlegung d^r Phosphor-
fluoride in ihre Komponenten kann so nicht bewerkstelligt werden,
da es sich zeigt; daß das Platin nicht allein Phosphor, sondern
auch Fluor auf sich fixiert.
Das Experiment wurde fünfmal mit gleichem Resultate
wiederholt und dann aufgegeben ; zu jeder Wiederholung mußte
ein neues Platinrohr verwendet werden, denn sobald sich das
Platin mit dem Phosphor verbindet, ist das Rohr verloren.
In der Zwischenzeit hat Moissan noch ein neues GaS; das
Phosphoroxyfluorid'^M rein gewonnen, dessen Bildung er früher''*)
schon vorübergehend beobachtet hatte'*). Zur Darstellung der
neuen Verbindung läßt er 4 Volumina Phosphortrifluorid und
2 Volumina Sauerstoff durch einen kräftigen Induktionsfunken
explodieren, oder er leitet das Gasgemisch über gelinde er-
hitzten Platinschwamm.
Das Oxyfluorid ist ein farbloses, stechend riechendes, an
der Luft rauchendes Gas, das von Wasser unter Zersetzung und
Wärmeentwicklung absorbiert wird und sich leichter als die
Fluoride des Phosphors verflüssigen läßt. Unter gewöhnlichem
Drucke geht es bei — 50*^, bei gewöhnlicher Temperatur
unter 15 Atmosphären Druck in den flüssigen Zustand über;
komprimiert man es unter 50 Atmosphären und läßt man dann
den Druck plötzlich nach, so verwandelt sich die Flüssigkeit
sofort in eine schneeartige Masse.
Nach diesen Vorarbeiten — so möchten wir im Hinblick
auf die' ihnen folgende und sie krönende Entdeckung diese schon
an sich ausgezeichneten Studien über die Fluorverbindungen
nennen — greift Moissan auf die Versuche seiner Vorgänger
- 334 -
zurück; unter verschiedenen Bedingungen elektrolysiert er mit
großer Sorgfalt rein dargestellte Flußsäure, und als er sie, die
in reinstem wasserfreien Zustande dem Strom keinen Durchgang
gestattet; durch Zugabe von Kaliumfluorhydrat leitend gemacht
hat; da wird am negativen Pole Wasserstoff abgeschieden, und am
positiven Pole entwickelt sich ein neues Gas von ganz beson-
deren Eigenschaften und von einer außerordentlich großen che-
mischen Reaktionsfähigkeit: Es ist das Radikal der Floo-
ridO; das freie Fluor!
In drei kurzen Mitteilungen''^) unterbreitet Hoissan der
Acad6mie des Sciences bescheiden die Resultate seiner Versuche.
Nach jahrelanger mühevoller Arbeit hat er endlich als erster Fluor
unter den Händen; nur wagt er noch nicht zu glauben, daß
gerade ihm die Isolierung des Elementes geglückt sein soll. So
macht er sich selbst einen Einwurf nach dem anderen und hält
es besonders für möglich, daß das Gas ein Gemenge von Ozon
und FIuorwassei*stoff oder wohl auch ein Wasserstoffperflaorid
seil» könne.
Erst als er durch erneute Experimente nachgewiesen hat, daß
Ozon mit Fluorwasserstoff gemengt keineswegs derartige Re-
aktionsfähigkeit zeigt, daß sein Gas beim Überleiten fiber
glühendes Eisen keine Spur von Wasserstoff abgibt, sondern
Eisenfluorid erzeugt, und daß die beobachtete Gewichtszunahme
äquivalent der am negativen Pole bei der Darstellung entr
wickelten Menge* Wasserstoff ist, und nachdem er noch ge-
funden hat, daß auch bei der Elektrolyse von geschmolzenem
Kaliumfluorhydrat ein Gas von denselben Eigenschaften er-
halten wird, gibt er endlich zu: ^Le gax queV^kctrolyse digage
de fadde fluorhydrique ou du fluorhydrate de fluorure fofidu est
donc bien le fltcor,'^
Mit begreiflicher, mit höchster Spannung erwarten alle Fach-
genossen eine ausführliche Schilderung der klassischen Versuche
Moissans, welche, dem Charakter der Comptes rendus ent-
sprechend, bisher nur in aller Kürze beschrieben werden konnten.
Aber Moissan berichtet erst noch über einige neue Eigen-
schaften und die Analyse des Phosphorpentafluorids ''').
Das über Quecksilber abgesperrte Gas wird, wie * schon
Thorpe'®) gefunden hatte, durch schwache elektrische Funken
nicht verändert; durch einen Induktionsfunken von 15 bis 20 cm
— 335 -
Länge kaun aber Moissan das Pentaflaorid in Triflnorid nnd
Fluor, welch' letzteres wieder sofort mit dem Glase und dem
Quecksilber reagiert, zerlegen. Im Gegensatze zum Phosphor-
pentachlorid vermag das Pentafluorid mit Phosphordampf bei
Rotglut nicht in Reaktion zu treten, und ebensowenig ist eine
Einwirkung von Jod oder Schwefel bei höheren Temperaturen
zu konstatieren; die geringste Spur von Feuchtigkeit in einem
Glasgefäße genügt dagegen schon, um eine Zerlegung des
Gases und Bildung von Phosphoroxyfluorid und Siliciumfluorid
zu bewirken. Durch die nach zwei verschiedenen Methoden
bewerkstelligte Analyse wird schließlich noch die Richtigkeit
der Formel PF^ bestätigt.
Zehn Jahre nach seiner ersten selbständigen Publikation,
im Jahre 1887, veröffentlicht Moissan seine „Recherches sur
risolement du fluor"''').
Staunend nnd bewundernd zugleich vernimmt die Mitwelt,
was Moissan in dieser kurzen Spanne Zeit geleistet hat.
Jetzt erst ist man imstande zu erkennen, wie der für seine
Wissenschaft Begeisterte gearbeitet hat, wie er sich abmühen
mußte, wie er hartnäckiger noch als sein Lehrer Fremy,
unbeirrt durch die fast Schlag auf Schlag folgenden negativen
Resultate, sein Ziel verfolgt und endlich auch erreicht hat.
In dieser berühmten Abhandlung beschreibt Moissan aus-
fuhrlich die bisher vollendeten Versuche, er liefert wertvolle
Nachträge zu seinen früheren Veröffentlichungen und schildert
den mühsamen Weg, den er gegangen. Wir wollen ihm auf
seinen Pfaden folgen.
Wir erfahren zunächst, daß nicht das Phosphortrifluorid,
sondern das schon lange vorher im reinsten Zustande bekannte
Siliciumfluorid zu den ersten Versuchen gedient hat. Sofort
war auch der erste Mißerfolg zu verzeichnen: Weder das
reine, noch das mit Sauerstoff gemengte Gas wurde durch den
Indnktionsfnnken verändert.
Dann folgten die schon erwähnten''^) Versuche mit den Fluo-
riden des Phosphors. Wieder ein Mißerfolg: Zwar Andeutungen,
daß Fluor in Freiheit gesetzt wurde, aber untef den gewählten
Arbeitsbedingungen keine Möglichkeit, das Gas zu isolieren.
Jetzt wurde Bortrifluorid bezüglich seines Verhaltens gegen
den Induktionsfunken untersucht. Abermals ein negatives Re-
— 336 -
sultat: Das Gas erweist sich genau wie Siliciumfluorid als zu
beständig, als daß es dnrch den ludaktionsfunken zersetzt
werden könnte.
Nun wird Arsentrifluorid in den Bereich der Untersuchungen
gezogen. Auch hier kein positiver Erfolg : Das gebildete Gas wird
zum größten Teile als Siliciumfluorid erkannt, aber eine geringe
Spur des bei der Zerlegung entstandenen Fluors war der Ein-
wirkung des Glases sicher entgangen. Das frisch dargestellte
Gas greift nämlich Quecksilber an und scheidet Jod ausKaliuni-
jodidlösung aus.
Weitere Versuche mit dem Induktionsfunken erschienen
aussichtslos; deshalb wurde die Einwirkung von Platinschwamm
auf die Fluoride von Phosphor und Siliciumfluorid studiert
Die mit Phosphortrifluorid erhaltenen Resultate hatte
Moissan schon publiziert ''•); jetzt hören wir, daß die früher
nur ganz kurz erwähnten, mit Phosphorpentafluorid angestellten
Versuche Ergebnisse von viel größerer Bestimmtheit geliefert
hatten, aber nicht veröffentlicht werden konnten^ denn eine
Erklärung für die interessanten Erscheinungen war erst dann
mit Sicherheit zu geben, wenn man die Eigenschaften des Fluors
selbst kannte.
Das beim raschen Überleiten von Phosphorpentafluorid über
glühenden Platinschwamm entstehende Gas scheidet aus festem
Kaliumjodid Jod aus; es nimmt kristallisiertem Silicium den Glanz,
ohne es allerdings zu entzünden, während Phosphor in ihm ver-
brennt; es schwärzt Quecksilber und greift Glas unter Bildung
von Siliciumfluorid an. Also auch hier wohl wieder Anzeichen,
daß vielleicht Fluor in Freiheit gesetzt wird, aber keine Mög-
lichkeit, das Element auf diese Weise zu fassen.
Nachdem die mit Siliciumfluorid in gleicher Weise ange-
stellten Versuche fast vollständig ergebnislos verlaufen waren,
wendet sich Moissan erneut der Elektrolyse von Arsentrifluorid
zu, bei welcher er schon früher®®) interessante Beobachtungen
hatte sammeln können.
Nach vielen vergeblichen Versuchen findet er, daß die
Leitfähigkeit der Flüssigkeit am besten durch Zugabe von
etwas Kaliumfluorhydrat erhöht werden kann, und durch Ver-
stärkung des Stromes, unter Verwendung von 70 bis 90 Bunsen-
Elementen, gelingt es, die Verbindung ununterbrochen zu zer-
- 33Y -
setzen. Aus nicht rektifiziertem Fluorid wird Arsen abge-
schieden und gleichzeitig Sauerstoff entwickelt; das reine Pro-
dukt scheidet wohl auch Arsen ab, bildet aber zweifellos gleich-
zeitig Arsenpentafluorid^ denn die sich zunächst entwickelnden
Gasblasen sind fast ganz verschwunden, ehe sie sich bis an
die Oberfläche der Flüssigkeit erheben können. Sicher war
also auch in diesem Falle Fluor abgeschieden worden, aber
das Element zu isolieren gelang wiederum nicht.
Kein Zweifel, daß manch' anderer, und wäre er auch noch
so begeistert für seine Wissenschaft, abgeschreckt und ent-
mutigt durch solche Mißerfolge, die anscheinend so aussichts-
lose Untersuchung aufgegeben oder doch für längere Zeit ab-
gebrochen haben würde.
Aber das war Henri Moissans Art nicht Je schwieriger
das Problem^ um so hartnäckiger wird es verfolgt!
Schwere Stunden hat damals — wir wissen es — der
eines Laboratoriums beraubte junge professeur agröge durchlebt;
aber mutig und selbstlos hat er weitergearbeitet, alle persön-
lichen Sorgen hat er der geliebten Wissenschaft untergeordnet,
alle Unbequemlichkeiten hat er auf sich genommen, — und er
ist Sieger geblieben.
Welch ein Gewinn für die Wissenschaft, die solche Männer
zu ihren Jüngern zählt! Der Chemie ist seit Lavoisier eine
stolze Schar führender Geister, bewunderungswürdig in dem
unverdrossenen Verfolgen der ihnen vorschwebenden Ziele be-
schieden gewesen, und wir dürfen uns rühmen, daß es uns auch
heute nicht an Männern fehlt, die in der nie versagenden Hin-
gabe an die experimentelle Lösung großer Probleme für alle
Chemiker vorbildlich sind.
„Les th^ories se passent, V eocperience reste!^ Die Wahrheit
dieser vom greisen Berthelot geprägten Worte tritt uns aus
der Geschichte unserer Wissenschaft mit überzeugender Deut-
lichkeit entgegen. So wertvoll glückliche Voraussagungen und
geistvolle Spekulationen sein mögen, — das entscheidende Wort
spricht zuletzt doch das Experiment. y^La chimie est une
science experimentale^ , das ist auch Henri Moissans Leitsatz.
Kaum ist der letzte Versuch zur Isolierung des Fluors ab-
geschlossen, abgeschlossen wiederum ohne den seit langem er-
sehnten und mit so vielen Mühen und Opfern angestrebten
Sitsangabeiiclkte der phys.-med. Sos. 39 {imi). 22
~ 338 -
Erfolg, da wird das Problem schon von einer neuen Seite in
Angriff genommen. Der Forscher unternimmt es jetzt, die
Elektrolyse der FluBsäure durchzuführen.
Verschiedene handliche Apparate hatte Hoissan im Laufe
der vorhergehenden Untersuchungen schon konstruiert, doch ließ
sich naturgemäß keiner von diesen zu den neuen Zwecken ver-
wenden, da die Flußsäure ja aus zwei gasförmigen Grundstoffen
besteht, deren Trennung im Momente ihre Abscheidung be-
werkstelligt werden muß.
Moissan benutzt jetzt ein Ü-Rohr aus Platin und ver-
schließt beide Schenkel mit parafflnierten Korkstopfen, durch
welche die den Strom zuführenden Platindrähte bis auf ungefähr
0,5 cm von der Rundung des U-Rohres entfernt eingeschoben
werden; unterhalb der Stopfen wird an jeden Schenkel ein
kleines Platinrohr angelötet, durch das die bei der Elektrolyse
entwickelten Gase abziehen können.
Alle früheren Versuche Moissans zwangen dazu, die Zer-
setzung der Flußsäure bei möglichst niederen Temperataren
vorzunehmen; es mußte einesteils verhindert werden, daß das
eventuell sich entwickelnde Fluor in einem großen Überschusse
der so niedrig siedenden wasserfreien Säure verschwinden konnte,
anderenteils mußte man Versuchen, die außerordentlich große
Reaktionsfähigkeit, die Fluor nach allem, was man bisher von
ihm wußte, sicher besaß, durch starke AbkQhlung nach Mög-
lichkeit abzuschwächen. Moissan stellt daher seinen Apparat
in Methylchlorid, das bekanntlich, wenn man einen trockenen
Luftstrom darüber leitet, leicht eine Temperatur von — 50** zu
erhalten gestattet.
Die ersten, mit etwas Wasser enthaltender Flußsäure ao-
ges teilten elektrolytischen Versuche lieferten Moissan kein
anderes Resultat, als es früher schon Faraday, Gore und
andere erhalten hatten: Die geringe Menge des in der Säure
enthaltenen Wassers wird durch den Strom unter Entwicklung
von Ozon zersetzt, und dann hört der Stromdurchgang auf;
wasserfreie Flußsäure leitet die Elektrizität nicht ®^).
Jetzt macht sich Moissan die beim Arsentrifluorid ge-
wonnenen Erfahrungen zunutze; vielleicht könnte ja wasser-
freie Flußsäure ebenso wie Arsentrifluorid durch Kaliumfluor-
hydrat leitend gemacht werden. Das Experiment bestätigt
- 339 —
diese Annahme. Sorgfältig getrocknetes Ealiumfluorhydrat löst
sich in wasserfreier Flußaäure spielend leicht auf, und wirk-
lich, die Lösung leitet den Strom, an jeder Elektrode werden
andauernd Gasblasen entwickelt.
Voller Freude stellt Moissan einen neuen Versuch in
größerem Maßstabe an. Das Experiment scheint zu gelingen,
denn ein Strom von 35 Amp. geht nach Verlauf einer Stunde
noch mit derselben Leichtigkeit durch die Flflssigkeit wie zu
Beginn. An der Kathode entwickelt sich reiner Wasserstoff.
Wie kann nun wohl das Fluor, welches sich an der Anode in
Gasform abscheiden muß, nachgewiesen werden? Von Anfang
an war Moissan davon überzeugt, daß kristallisiertes Silicium
in Fluor unbedingt unter Feuererscheinung in Siliciumfluorid
verwandelt werden müsse; also bringt er dieses Präparat an das
von der Anode abführende Platinrohr: das Silicium fängt nicht
Feuer!
Wie soll dieser neue Mißerfolg wieder zu deuten seinP
Sollte Fluor wirklich nicht eine so gewaltige Reaktionsfähigkeit
besitzen, wie man ihm zugeschrieben hatte? Nein, das kann
nicht möglich sein, denn dann hätte man es sicher schon viel
früher isolieren können! Sollte sich aber vielleicht ein anderes
Gas an der Anode entwickelt haben? Was könnte das aber
sein?
Fast verzweifelt ob seines Mißgeschicks nimmt Moissan
den Apparat, den er so voller Hoffnungen gefüllt hatte, eine
Stunde später auseinander, um ihn zu erneuten, sicher wieder
ergebnislos verlaufenden Versuchen herzurichten. Zunächst wird
der Stopfen gelöst, der an der Kathode angebracht ist; er er-
weist sich, obwohl er von gasförmigem Fluorwasserstoff umspült
worden war, als völlig unverletzt, und auch die Elektrode ist
nicht im mindesten angegriffen. Doch, was ist das? Der andere
Stopfen ist ja bis 1 cm tief verkohlt, und die Anode ist stark
korrodiert; es liegt auf der Hand: hier muß ein Gas gewirkt
haben, das ganz andere Eigenschaften besitzt als Chlor!
Eine Wiederholung des Versuches in der gleichen Weise
ist nun ausgeschlossen. Moissan läßt sich Stopfen aus Flußspat
anfertigen, die in die Schenkel des U-Rohres eingeschliffen und
zur Auftiahme der Elektroden durchbohrt werden. Gleichzeitig
mit dieser Verbesserung der Apparatur ergibt sich eine neue
22*
- 340 —
Schwierigkeit, denn der Zwischenraum zwischen dem Rohr und
dem Stopfen muß doch abgedichtet werden. Moissan stellt
die Verdichtung mit geschmolzener Guttapercha her und wieder-
holt sein Experiment. Jetzt muß die Isolierung des Gases ge-
lingen; aber wieder ein Mißerfolg! Kaum ist der Strom einige
wenige Minuten durch die Flüssigkeit hindurch gegangen, da
schmilzt die Guttapercha an verschiedenen Stellen, der Apparat
wird undicht, und der Versuch muß abgebrochen werden.
Vielleicht wirkt Schellack besser als Guttapercha? Nein; kein
anderes Resultat.
Und nun noch eine Reihe ähnlicher Versuche und ähnlicher
Mißerfolge; dann endlich beschließt Moissan jedwedes künst-
liche Abdichtungsmittel überhaupt auszuschließen, und jetzt —
jetzt entströmt dem von der Anode abführenden
Platinrohr ein mit wunderbaren, bisher noch nicht
beobachteten Eigenschaften begabtes Gas!
Welch' stolze Entdeckerfreude mag damals Henri
Mo is Sans Seele durchzogen haben!
Der Apparat, in dem zum ersten Male die Isolierung
des Fluors in einwandsfreier Weise gelang, bestand aus dem
schon geschilderten Platinrohre (Fig. 1), dessen beide Öffnungen
ComrattJtiu* Flüorin*
Fig. 1.
Fig. 2.
durch je einen Flußspatstopfen (Fig. 2) verschlossen waren,
den man in einen hohlen, außen mit Schraubengewinden ver-
sehenen Platinzylinder sorgfältig eingepaßt hatte; in jedem
Flußspatzylinder war als Elektrode ein Platin-Iridiumdraht
von 2 mm Querschnitt und 12 mm Länge so angebracht^
daß er ungefähr 3 mm vom Boden des Gefäßes abstand und
genügend weit in die zu zersetzende Lösung des Kaliumfluor-
-^ 341 -
hydrats in wasserfreier Flaßsäure eintauchte. Mit Hilfe
eines großen Korkstopfens wurde der Apparat in das Bad von
Methylchlorid eingesenkt, und dann wurden die Elektroden mit
den Polen der Batterie verbunden (Fig. 3).
Fig. 3.
Durch einen Bertinschen Unterbrecher konnte der Strom
nach Belieben unterbrochen werden; ein in den Stromkreis
eingeschaltetes Amperemeter gestattete, die Stromstärke und
die Leitfähigkeit der Flüssigkeit jederzeit zu kontrollieren.
Jetzt kam es zunächst darauf an, wasserfreie Flußsäure zu
erhalten. Unter Einhaltung einiger neuer Vorsichtsmaßregeln
wird sie nach dem Verfahren von Fremy^*) gewonnen. Nun
entsteht eine neue Schwierigkeit: die wasserfreie Flußsäure
schnell in den Apparat hinüberzubringen. Für Moissan ist
das nach all' den Erfahrungen, die er bisher gesammelt hatte,
eine Kleinigkeit.
— 342 —
Das Platinrohr wird sorgfältig getrocknet und dann mit
6 bis 7 g vollständig wasserfreiem Ealinmflaorhydrat beschickt;
hieranf werden die Stopfen eingeschraubt und gleichmäßig mit
Schellack überzogen, und nun wird der Apparat mit Methyl-
Chlorid gekühlt; nachdem mit Hilfe einer Qnecksilberlnftpnmpe
15 bis 16 g der wasserfreien Säure durch eines der beiden An-
satzrohre in das U-Rohr eingesaugt worden sind, wird der von
nicht mehr als 20 Bunsen-Elementen^^) gelieferte Sti*om
geschlossen, und jetzt entwickelt sich an der Kathode reiner
Wasserstoff, an der Anode aber das so lange gesuchte
Fluor!
An jeder Elektrode können stündlich 1,5 bis 2 1 Gas
erhalten werden; wenn aber das Experiment zu lange fort^
gesetzt wird und in dem U-Rohre nicht mehr genügend Flußsänre
vorhanden ist, um die beiden Gase zu trennen, dann vereinigen
sie sich in dem Apparate selbst unter heftiger Detonation.
Nimmt man den Apparat nach Beendigung des Versuches aus-
einander, so findet man, daß die Flußsäure eine kleine Menge
Platinfluorid gelöst und einen schwarzen, aus Iridium und Platin
bestehenden Schlamm suspendiert enthält. Die Kathode ist un-
verletzt geblieben, die Anode dagegen angefressen und läuft in
eine Spitze aus; sie kann gewöhnlich nur noch ein zweites Mal
zum gleichen Versuche dienen.
Da durch den Zusatz von Kaliurafluorhydrat die Elektro-
lyse der Flußsäure gelang, lag es nahe, zu versuchen, ob
es nicht möglich sei, das Salz selbst zu gleichen Zwecken
zu verwenden. Das Experiment gelingt; das mit großer Sorg-
falt bereitete Salz schmilzt bei etwa 140® zu einer etwas zähen,
farblosen Flüssigkeit, die, in dem oben beschriebenen U-Rohre
der Einwirkung des Stromes unterworfen, unter Entwicklung
von Fluor zerlegt wird. Zur Isolierung des Elements eignet sich
aber diese Verbindung nicht so gut wie ihre Lösung in Fluß-
säure, denn die geschmolzene Masse bläht sich beim Durch-
gange des Stromes so stark auf, daß sie z. T. in die Gas-
ableitungsrohre überdringt, und bei 140® wird das Platin so
stark angegriffen, daß der kostbare Apparat sicher verloren
sein würde, wollte man das Experiment weiter fortsetzen.
Noch galt es nachzuweisen, daß das an der Anode gewonnene
Gas tatsächlich Fluor ist. Wie Moissan diesen Beweis in ele*
— 343 -
ganter und einwandsfreier Weise erbracht hat, haben wir frflher
schon geschildert®*).
Mit heller Begeisterung begibt sich der glückliche Forscher
sogleich daran, die charakteristischen Eigenschaften des endlich
isolierten Elementes zu ergründen. Das farblose, durchdringend
und sehr unangenehm, etwa wie unterchlorige Säure riechende
Gas hat zwar höchst unangenehme physiologische Wirkungen,
indem es die Schleimhaut des Rachens und die Augen stark
angreift; doch was kümmert das Henri Moissan?
Welch' ungeheuer große chemische Reaktionsfähigkeit be-
sitzt dieses Fluor. Kein anderer Grundstoff kann ihm irgendwie
an die Seite gestellt werden; kaum ein Element oder eine Ver-
bindung, die von dem neuen Gase nicht angegriffen würden!
Schwefel und Selen schmelzen und entzünden sich sofort,
wenn sie mit Fluor zusammentreffen; Tellur verbindet sich mit
dem Gase unter Feuererscheinung und starker Nebelbildung;
Phosphor entzündet sich und bildet ein Gemenge von Trifluorid und
Penta- oder Oxyfluorid; gepulvertes Arsen und Antimon reagieren
unter Feuererscheinung; Jod verbrennt mit fahler Flamme zu einer
farblosen Verbindung, während Fluor im Joddampfe mit heller
Flamme verbrennt; auch Brom wird, zuweilen unter Explosion,
entfärbt; kristallisiertes Silicium fängt Feaer und verbrennt
mit lebhaftem Glänze und unter Funkensprühen zu Silicum-
fluorid ; gepulvertes Bor wird vollständig glühend, und das ent-
stehende Gas raucht heftig an der Luft.
Metalle werden im allgemeinen weniger energisch ange-
griffen, da die entstehenden Verbindungen nicht flüchtig sind
und so die weitere Einwirkung verhindern. Kalium und Na-
trium reagieren bei gewöhnlicher Temperatur unter Feuer-
erscheinung; Magnesium und Aluminium werden oberflächlich
angegriffen; erhitzt man aber Aluminium vorher auf dunkle
Rotglut, so erfolgt die Einwirkung unter lebhafter Feuer-
erscheinung; pul verförmiges Eisen und Mangan verbrennen
in der Wärme unter Funkensprühen ; Blei und Zinn bedecken
sich in der Kälte mit weißem Fluorid ; Quecksilber verwandelt
sich bei gewöhnlicher Temperatur vollständig in das gelb-
gefärbte Fluorid; Silber überzieht sich bei gelinder Tempe-
raturerhöhnng mit einer Schicht von Silbei-fluorid; Gold und
- 344 -
PlaÜD werden in der Kälte nicht, wohl aber bei 300® bis 400«
unter Bildung der entsprechenden Fluoride angegriffen.
Daß Wasserstoff mit Fluor sehr energisch reagiert, batte
Moissan schon bei der Isolierung des Elementes^') gefunden.
Auch die meisten Halogenverbindungen werden durch das
neue Gas verändert: festes Kaliumjodid wird sofort geschwärzt;
Blei- und Quecksilberjodid werden zerlegt; geschmolzenes Kaliam-
chlorid wird bei gewöhnlicher Temperatur unter Entwicklung
von Chlor angegriffen; trockenes Silberchlorid färbt sich gelb-,
Kaliumbromid wird unter lebhafter Entwicklung von Brom-
dämpfen zersetzt, und Phosphorpentachlorid wird unter Feuer-
erscheinung zerlegt, während dichte, weiße Dämpfe entweichen.
Ein Kristall von Jodoform entzündet sich in dem neuen
Gase und Jod verflüchtigt sich; auch Schwefelkohlenstoff ent-
zflndet sich sofort. Alle Wasserstoff enthaltenden organischen
Verbindungen werden zerstört; Alkohol, Äther, Benzol, Terpen-
tinöl, Petroleum entzünden sich in dem Gase; Kork wird ver-
kohlt und entzündet sich zum Schlüsse.
Und nun noch eine höchst interessante Reaktion: Kaltes
Wasser wird durch Fluor unter Bildung von Flußsäure und
Entwicklung von ozonisiertem Sauerstoff zerlegt.
„JEn resum4^ le flugr est un corps gazeux, possSdant um
acUvit^ chirnique sup^rieure ä Celle de tous les autres corps
simples connus. A cau^e de ses puissantes affiniUs^ ü permettra
^videmment dHmportantes reactions^ ^^),
Die dieser umfangreichen Abhandlung im nächsten Jahi-e
(1888) folgenden Veröffentlichungen des genialen Experimen-
tators bringen aber noch keine weiteren Mitteilungen über
neue, wichtige Reaktionen des Fluors selbst. Wäre das auch
zu erwarten? Sicher nicht, denn bei Untersuchungen dieser
Art werden interessante Beobachtungen in Hülle und Fülle
gesammelt, so daß die Sichtung des Tatsachenmaterials nur
nach und nach erfolgen kann; nebenher werden ältere Ver-
suche, die zu späterer Bearbeitung zurückgestellt worden waren,
wieder aufgenommen und zahlreiche ergänzende Experimente
ausgeführt.
Es ist wohl selbstverständlich, daß Moissan denjenigen
Reaktionen, die sich beim Auflösen von Kaliumfluorhydrat
in wasserfreier Flußsäure abspielen, sein Interesse besonders
- 345 —
zuwendet, und festzustellen versucht, welche Verbindungen über-
haupt Kaliumfluorid mit Fluorwasserstoff zu bilden vermag.
Er zeigt®"^), daß neben dem von Berzelius^*) entdeckten
und von Fremy«»), Borodine»% Strohmeyer"), Gibbs»*),
Gore'^) undGuntz**), sowie von ihm selbst eingehend unter-
suchten Monofluorhydrat, KF,HF, noch ein Di- und Trifluor-
hydrat, KF,2HF und KF,3HF existieren.
Moissan gewinnt die beiden neuen Verbindungen durch
Auflösen von sorgfältig getrocknetem Monofluorhydrat in den
entsprechenden Mengen wasserfreier Flußsäure und das Trifluor-
hydrat außerdem noch dadurch, daß er die berechneten Mengen
der beiden Komponenten im geschlossenen Platintiegel auf 85^
erwärmt. Die Fluorhydrate werden durch Abkühlen in Form
weißer Kristalle erhalten, die an der Luft beständig Nebel
von Fluorwasserstoff entwickeln und beim stärkeren Erhitzen
wieder in ihre Bestandteile zerlegt werden können.
Kaum sind diese interessanten Verhältnisse klar gelegt
worden, da erscheinen Mitteilungen über neue eigenartige Ver-
suche: der Anorganiker Moissan bewegt sich plötzlich auf
organischem Gebiete, und auch hier hat er nennenswerte Erfolge
zu verzeichnen.
Teils allein, teils in Gemeinschaft mit Meslans berichtet
er über die bei der Einwirkung von Alkyljodiden auf Silber-
fluorid erhaltenen Resultate.
Mit der Darstellung von Äthylfluorid hatten sich schon
Scheele**), Gehlen*«), Reinsch*'') und Fremy««) beschäf-
tigt; ernstlich kommen jedoch nur die Arbeiten der beiden letzt-
genannten ITorscher in Betracht. Reinsch beschreibt die Ver-
bindung als eine Flüssigkeit, die man dadurch erhalte, daß
man Weingeist mit Flußsäure sättigt und das Gemisch destilliert;
Fremy gewann dagegen beim Erhitzen eines Gemenges von
Kaliumfluorhydrat und Kaliumäthylsulfat ein Gas.
Moissan**) lehrt, daß das Produkt zweckmäßig durch
Auftropfen von Äthyljodid auf Silberfluorid dargestellt wird.
Reines Äthylfluorid ist ein farbloses, ätherisch riechendes Gas,
das sich unter gewöhnlichem Drucke bei — 48* und unter acht
Atmosphären bei -[- 18* verflüssigen last; flüssiges Äthylfluorid
greift Glas nicht an, löst geringe Mengen von Phosphor und
von Schwefel und verwandelt sich, wenn der Druck nachläßti
— 346 —
vorübergehend in eine schneeartige Masse. Das Gas löst sich
in zahlreichen Flüssigkeiten, verbrennt mit blaner Flamme unter
Entwicklung von Fluorwasserstoff, mit wenig Sauerstoff gemischt
unter geringer Abscheidung von Kohle und mit viel Sauerstoff
unter Detonation. Kalilauge wirkt bei 100® zersetzend ein; es
bilden sich Kaliumfluorid, Alkohol und vorzüglich Äther. Chlor
vermag im Dunkeln selbst im Verlaufe mehrerer Stunden nicht
zu reagieren; umgekehrt aber setzt Fluor aus Äthylcblorid
Chlor in Freiheit.
Weiter stellt Moissan fest"®), daß das Gas bei mehr-
stündigem Erhitzen in einem gläsernen Knierohr neben wenig
Siliciumfluorid ein Gemisch von Kohlenwasserstoffen liefert. Durch
schwache Induktionsfunken tritt Zerlegung in Fluorwasserstoff,
Äthylen und wenig Acetylen, durch starke Funken Zersetzung
in Acetylen, Äthylen, Propylen u. s. w. unter gleichzeitiger Ab-
scheidung von Kohle ein. In ähnlich komplizierter Weise zerfällt
das Gas auch, wenn es durch eine glühende Platinröhre geleitet
wird.
Schließlich wird das Fluorid noch auf seine physiologischen
Eigenschaften hin untersucht; es besitzt wohl, wie das Äthyl-
chlorid, anästhetisierende Eigenschaften, ruft aber bei kleineren
Tieren sehr schnell toxische Wirkungen hervor"*).
Moissan und Meslans"*) stellen nun in gleicher Weise
durch Einwirkung von Methyl- oder Isobutyljodid auf Silber-
fluorid Methyl- und Isobutylfluorid dar.
Methylfluorid, bereits von Dumas und Peligot"*) beim
gelinden Erwärmen von Kaliummethylsulfat und Kaliumfluorid
rein erhalten*®*), erweist sich als ein sehr beständiges Gas,
das bei gewöhnlicher Temperatur unter einem Drucke von
32 Atmosphären in den flüssigen Zustand übergeführt und von
Kalilauge erst beim Erhitzen im geschlossenen Rohre bei 120*
angegriffen wird.
Isobutylfluorid bildet bei 16® eine farblose, wenig ange-
nehm riechende Flüssigkeit, die Schwefel und Phosphor nur
schwierig, Jod und Brom dagegen mit Leichtigkeit löst. Sowohl
das flüssige als das gasformige Fluorid greifen Glas nicht an;
beim Anzünden verbrennt das Gas unter Abscheidung von Ruß
und Entwicklung von Fluorwasserstoff.
In der Zwischenzeit hatten die Untersuchungen Moissans
— 347 ~
über das Fluor selbst einen gnten Fortgang genommen, so daß er
jetzt imstande ist, nene interessante Beobachtungen zu veröffent-
lichen!
um die Wärmetönung bei der Vereinigung des Fluors mit
Wasserstoff zu bestimmen, hatte er sich mit seinem großen
Fachgenossen Berthelot, der neben Julius Thomsen und
Friedrich Stohmann die wichtigsten Untersuchungen auf
thermochemischen Gebiete ausgeführt hat, zu gemeinsamer
Arbeit verbunden.
In der ersten vorläufigen Mitteilung^'**) berichten die beiden
Forscher nur ganz kurz über ihre Resultate; aber wenig später^®*)
erfahren wir, welch' große Mühe es gekostet hat, zu den gesuchten
Wärmewerten zu gelangen. B er thelot und Moissan verfuhren
nach zahlreichen Mißerfolgen schließlich so, daß sie Fluor von einer
titrierten, überschüssiges Alkali enthaltenden Lösung von Kalium-
sulflt absorbieren ließen, wobei sich Kaliumsulfat und -fluorid
bilden; nach Beendigung des Versuches bestimmten sie die
Menge des absorbierten Fluors dadurch, daß sie die Flüssigkeit
mit Salzsäure ansäuerten und die nicht verbrauchte schweflige
Säure mit Jodlösung zurücktitrierten. Die Differenz zwischen
dem Anfangs- und Endtiter entspricht dem Gewichte des Fluors,
und ebenso verhält es sich mit den entwickelten Wärmemengen.
Mit Hilfe dieser wohl umständlichen, experimentell aber
äußerst geschickt durchgeführten Methode wird gefunden, daß
bei der Reaktion: H + F (Gas) = HF (Gas) + 38.6 Kalo-
rieen und bei der Reaktion: H -f- F (-j- Wasser) = HF (gelöst)
. . . . + 50,4 Kalorieen entwickelt werden.
Diese Zahlen übertreffen weit die entsprechenden Werte
für andere Wasserstoffverbindungen, z. B. für Wasser und für
Chlorwasserstoff, und stehen mit der außerordentlich großen
Reaktionsfähigkeit des Fluors in Einklang.
Von dem Augenblick an, in dem ihm die Isolierung
des Elementes zum ei*sten Male gelang, war Moissan unaus-
gesetzt darauf bedacht, seine Methode zu vereinfachen und zu
verbessern, und wenn irgend möglich, ein Verfahren ausfindig
zu machen, nach dem Fluor auf chemischem Wege in Frei-
heit gesetzt werden könnte. Dahin zielende Versuche sind es,
über die wir jetzt Näheres erfahren.
Früher hatten schon mehrere Forscher, allerdings vergeh-
- 348 -
lieh, versucht, wasserfreies Platinfluorid darzustellen, denn nach
Analogie zwischen den Fluoriden und Chloriden konnte es nicht
unwahrscheinlich sein, daß Platinfluorid bei höherer Temperatur
in seine Bestandteile zerfallen und somit die Isolierung des Fluors
ermöglichen würde. Speziell Fremy hatte sich sehr große
Mühe in dieser Beziehung gegeben, mußte aber schließlich
sagen*®'): „Quant aux fluorures ä!or et de platine gut auraieni
probablement donne du fluor par la calci7iation, si favais pu
les obtenir ä CMat aiihydre, il m'a 6te impossible de les produire
en unissant Vacide fluorhydrique atix oocydes hydrat4s dor et
de platine.^
Was auf nassem Wege nicht möglich war, kann Moissan,
da er über die Elemente gebietet, durch direkte Vereinigung
von Platin und Fluor erreichen. Er hatte schon ^®*) gefunden,
daß Platin von Fluor erst beim Erwärmen, aber dann mit
Leichtigkeit angegriffen wird, und zeigt nun^®*), daß das Metall
mit reinem Fluor erst bei 500® bis 600®, mit dem B'luorwasser-
stoff enthaltenden Gase dagegen schon bei 100® reagiert
. Zur Darstellung des Fluorides Pt F^ bringt er einen Bündel
von Platindrähten in ein dickes Platin- oder Flußspatrohr und
leitet bei dunkler Rotglut Fluor hindurch. So erhält er eine
dunkelrotgefärbte geschmolzene Masse, — bei Verwendung des
Platinrohres findet sich in diesem eine ziemlich große Menge
des geschmolzenen Fluorids vor -— oder kleine, gelblichbraun-
gefärbte Kristalle, die außerordentlich hygroskopisch sind und
Glas energisch angreifen. Mit wenig Wasser bildet die Ver-
bindung zunächst eine fahlrotgefärbte Lösung, die sich aber
sehr rasch von selbst erhitzt, wobei es zur Bildung von Platin-
hydroxyd und Fluorwasserstoff kommt. Hierdurch wird es er-
klärlich, weshalb Moissans Vorgänger die Verbindung auf
nassem Wege niemals gewinnen konnten.
Die Annahme Fremys, daß das Fluorid sich beim Glühen
unter Entwicklung von Fluor zerlegen lassen würde, erweist
sich als richtig. Bei heller Rotglut entweicht tatsächlich Fluor,
denn in dem Gase verschwindet kristallisiertes Silicium unter
Feuererscheinung; das zurückbleibende Platin ist kristallinisch.
Gleichzeitig weist Moissan darauf hin, daß Gold unter
denselben Bedingungen ein sehr dunkel gefärbtes Fluorid liefert,
das beim Erhitzen ebenfalls in Metall und Fluor zerfällt.
— 349 -
Noch eine andere Reaktion, nämlich die Einwirkung von
Chlor auf Quecksilbei-fluorid, hatte Fremy^*^) vergeblich zur
Isolierung des Fluors zu verwerten gesucht. Moissan "^) wieder-
holt diese Versuche mit Hilfe eines kostbaren, ganz aus Fluß-
spat bestehenden Apparates, ohne aber bessere Resultate zu
erzielen als sein Lehrer. Zwar gelingt es ihm, was zu Fremys
Zeiten unmöglich war, die Hauptschwierigkeit des Versuches,
die Darstellung von wasserfreiem Quecksilberfluorid, fast ganz
dadurch zu überwinden, daß er das Präparat in gasförmigem
Fluorwasserstoff bei 130^ von den letzten Spuren Wasser bei-
nahe vollständig zu befreien vermag, aber bei der Einwirkung
von Chlor bildet sich bei 350^* nur eine geringe Menge Queck-
silberfluorchlorid und Fluor wird nicht in Freiheit gesetzt.
Andere Versuche, auf rein chemischem Wege zum Fluor
zu gelangen, mußten nach allen bisherigen Erfahrungen als
gleich aussichtslos erscheinen; andererseits bedarf Moissan
aber zur Fortsetzung seiner Studien bedeutend größerer Mengen
von Fluor, als sie sein Apparat zu liefern vermag. So ent-
schließt er sich dazu, ein Platingefäß von größeren Dimensionen
anfertigen zu lassen *^*). Er wählt ein etwa 160 ccm fassendes U-
Rohr (Fig. 4), das ungefähr 100 ccm Flußsäure bequem zu zerlegen
gestattet und vei'schließt die
beiden Zylinder, wie früher, mit
FlußspatstopfeU; die mit Hilfe
eines sie umgebenden, starken
Platinblechs fest in die Öffnungen
des an seinen beiden oberen
Enden mit Gewinden versehenen
Platinrohres eingeschraubt wer-
den. Als Elektroden dienen be-
sonders geformte Drähte aus
reinem Platin, die durch eine
senkrechte Bohrung der Fluß-
spatstopfen, also vollkommen iso-
liert, in das U-Rohr eingeführt
werden. Messingverschraubun-
gen, an den oberen Enden der
Schenkel einerseits und an den Köpfen der Flußspatzylinder
andererseits angebracht, sowie ein zwischen ihnen liegender
Fig. 4.
— 350 —
Bleiring sorgen für den hermetischen Verschluß des Apparates.
Da das Platingefäß mehr Flußsäure enthält, als an einem
Tage zersetzt werden kann, so versieht der Forscher die beiden
Gasableitungsrohre mit metallenen Kopfschranben ; so kann das
mit Flußsäure angefüllte Ü-Rohr, wenn nötig, vollständig ver-
schlossen und im Eisschranke beliebig lange Zeit aufbewahrt
werden.
Zur Erzielung der flir die Elektrolyse notwendigen, niedrigen
Temperatur wird teils, wie früher, Methylchlorid, teils eine
aus Eis und Kochsalz bereitete Eältemischung verwendet
Die Elektrolyse hätte nun begonnen werden können, aber
Moissan braucht zu einigen physikalischen Bestimmungen reines,
d. h. von Fluorwasserstoff freies Fluor; da außerdem die kurz
vorher beendete Untersuchung über das Platinfluorid"') ge-
lehrt hatte, daß es auch in chemischer Hinsicht nicht gleich-
gültig ist, ob das Gas Spuren von Fluorwasserstoff enthält
oder nicht, so verfährt der Forscher jetzt folgendermaßen.
Er schraubt an das das Fluor ableitende Rohr eine kleine
40 ccm fassende Platinschlange, die er mit Methylchlorid auf
ungefähr — 50^ abkühlt, und mit zwei Natriumfluorid enthalten-
den Platinröhren luftdicht verbindet (Fig. 5). Auf diese Weise
gelingt es, in der Schlange schon fast die gesamte Menge der
Dämpfe zur Flüssigkeit zu kondensieren und die letzten Sparen
des mitgerissenen Fluorwasserstoff von dem viel energischer
als das Kaliumsalz wirkenden Natriumfluorid vollständig ab-
sorbieren zu lassen. Nun wird der aus 90 bis 100 ccm Fluß-
säure und 20 bis 25 g Kaliumfluorhydrat bestehende Röhren-
inhalt durch den von 26 bis 28 Bunsen -Elementen gelieferten
Strom zersetzt.
Das hierbei entwickelte Fluor erweist sich als sehr rein,
zeigt alle schon erwähnten Reaktionen und kann durch kleine,
biegsame Platinröhrchen in die zu seiner Aufnahme bestimmten
Apparate geleitet werden.
Mit Hilfe des so gewonnenen reinen Gases ermittelt
Moissan die zu 1,316 berechnete Dichte des Fluors zu 1,26.
Er bestimmt ferner"*) in einer 0,5 bis 1 m langen Platin-
röhre, deren Enden mit durchsichtigen Flußspatplatten ver-
schlossen sind, die Farbe des Gases und findet, daß Fluor in
einer 50 cm dicken Schicht deutlich grünlichgelbgefärbt erscheint.
- 351 -
Die Farbe ist schwächer als diejenige einer gleich dicken Schicht
von Chlorgas und spielt außerdem mehr ins Gelbe.
Läßt man zu dem Fluor in der Röhre ein wenig Wasser
treten, so wird Ozon von so hoher Konzentration gebildet, daß
der Inhalt des Rohres tief indigoblau gefärbt erscheint.
In einer 1 m dicken Schicht zeigt Fluor bei der spektro-
skopischen Untersuchung keine Absorptionsstreifen. Moissan
— 352 -
untersucht daher das Funkenspektrura des Gases. Zu diesem
Zwecke verwendet er ein dem soeben erwähnten ähnliches
Platinrohr, durch dessen Plußspatstopfen dicke Gold- oder Platin-
drähte als Elektroden eingeführt wurden; mittels einer kurzen,
seitlich angebrachten und ebenfalls mit einer durchsichtigen
Flußspatplatte verschlossenen Röhre konnten die zwischen den
Elektroden überspringenden Funken beobachtet werden. Auf
diese Weise konstatiert der Forscher 13 sämtlich im Rot des
Spektrums liegende Linien, von denen Salet"*) einige bereits
im Spektrum des Siliciumfluorids gesehen hatte.
Nachdem Moissan nochmals die bei der Untersuchung von
Arsen- und Phosphortrifluorid erhaltenen Ergebnisse zusammen-
fassend geschildert ^^^) und mitgeteilt hat, daß er Phosphor-
trifluorid auch noch durch Erhitzen von Zinkfluorid und Phos-
phortribromid gewinnen konnte, macht er uns bald mit neuen
wichtigen Reaktionen des Fluors bekannt.
Äußerordentlich interessante Resultate ergab die Unter-
suchung über das Verhalten von Fluor gegen die verschiedenen
Modifikationen des Kohlenstoffs^*'). Im Gegensatze zu Chlor ist
Fluor imstande, sich direkt mit Kohlenstoff* zu vereinigen, aber
die verschiedenen Kohlenstoffmodifikationen verhalten sich ver-
schieden gegen das neu isolierte Element.
Bringt man reinen und trockenen, nicht geglühten Lampen-
ruß mit Fluor in Berührung, so tritt bei gewöhnlicher Tem-
peratur sofort Reaktion unter Erglühen ein. Leichte Holzkohle
kann sich unter den gleichen Bedingungen ebenfalls von selbst
entzünden ; zuerst scheint sich das Fluor auf der Kohle zu ver-
dichten, plötzlich aber tritt Entflammung unter lebhaftem Funken-
sprüben ein. Besitzt die Kohle ein etwas höheres spezifisches
Gewicht und befindet sich kein Staub auf ihrer Oberfläche, so
muß man, um die Reaktion einzuleiten, die Temperatur auf 50®
bis 60® erhöhen; erglüht dann aber die Kohle an einem Punkte,
so verbreitet sich die Feuererscheinung schnell über die ganze
Masse. Graphit aus Gußeisen muß bis auf eine der dunklen
Rotglut nahe liegende Temperatur erhitzt werden, um mit Fluor
in Reaktion zu treten, und Ceylongraphit, den man vorher durch
Schmelzen mit Kaliumhydroxyd gereinigt hat, entzündet sich erst
bei einer noch etwas höheren Temperatur. Retortenkohle brennt
— 353 —
in Fluor erst bei Rotglut, und Diamant endlich wird auch bei
dieser Temperatur nicht verändert.
Bei allen diesen Beaktionen bildet sich ein Gas, dessen
Eigenschaften jedoch mit den Versuchsbedingungen wechseln;
meist handelt es sich um ein Gemenge mehrerer Kohlenstoff-
Fluorverbindungen von verschiedener Zusammensetzung.
Aus leicht angreifbarem Kohlenstoff, bei nicht zu hoher
Temperatur und bei Gegenwart von überschüssigem Fluor er-
hält man zum größten Teile Kohlenstofftetrafluorid, ein Gas,
das sich unter 5 Atmosphären Druck bei 10® verflüssigen läßt,
von wässriger Kalilauge etwa zur Hälfte, von alkoholischer
Kalilauge vollständig unter Bildung von Kaliumfluorid und
Kaliumkarbonat absorbiert wird und unter der Einwirkung des
Indnktionsfunkens keine Veränderung erleidet. Das gleiche
Produkt entsteht übrigens auch dann, wenn man Dämpfe von
Kohlenstofftetrachlorid bei 300<* Ober Silbei-fluorid leitet.
Ein anderes gasförmiges Kohlenstofffluorid wird dadurch
erhalte«, daß man Fluor durch eine mit überschüssigem Kohlen-
stoff gefüllte, rot glühende Platinröhre schickt; das hierbei ent-
stehende Gas wird weder von wässriger, noch von alkoholischer
Kalilauge absorbiert und läßt sich bei 10^ erst unter einem
Drucke von 19 bis 20 Atmosphären zu einer Flüssigkeit ver-
dichten»").
Moissans nächste Versuche»»") lehren, daß man das
Kohlenstofftetrafluorid nicht allein nach den soeben beschrie-
benen Methoden — d. h. durch Einwirkung eines Überschusses
von Fluor auf Kohlenstoff bei niederer Temperatur oder durch
Erhitzen von Silberfluorid im Dampfe von Kohlenstofftetra-
chlorid. — gewinnen kann, sondern daß sich diese Verbindung
auch noch unter anderen Verhältnissen bildet. Bei der Ein-
wirkung von Fluor auf Kohlenstofftetrachlorid entsteht ein
Gemenge von Chlor und Tetrafluorid; Chloroform absorbiert
Fluor teilweise und liefert neben anderen Verbindungen auch
Tetrafluorid; beim Durchleiten von Methan und Fluor durch eine
Platinröhre erfolgt Entzündung, Abscheidung von Kohlenstofi'
und Bildung vei'schiedener Kohlenstofffluoride, unter denen das
Tetrafluorid nachgewiesen werden kann.
Zur Darstellung der Verbindung eignet sich allerdings aus-
schließlich die Einwirkung von Kohlenstofftetrachlorid auf Silber-
Sltenngtberiohte der pbyt.-med. Soe. 39 (1907). 23
- 354 ^
fluorid; man braucht das hierbei entstehende Gas nur mit Kant-
schakstücken in Berührung zu bringen, um es von den letzten
Spuren des mitgerissenen Tetrachlorids zu befreien, dann in
Alkohol zu lösen, um eine Kohlenstoff-Fluorverbindung von höherer
Dichte zu entfernen/ und hierauf den Alkohol zu erwärmen :
dann entweicht das Tetrafluorid^ und es ist schließlich nur noch
nötig, das Gas zur Beseitigung der Alkoholdämpfe mit rauchen-
der Schwefelsäure zu behandeln, um es absolut rein zu erhalten.
Unbedingt notwendig ist, daß die Darstellung in einem Hetall-
apparate erfolgt ; in Gefäßen aus Glas wird ein Produkt er-
halten, das aus Tetrafluorid, Silicinmfluorid, Eohlendioxyd und
einem Eohlenstofffluorid von höherem spezifischen Gewichte be-
steht, da die Verbindung, in der Wärme mit Glas in Berührung,
nach der Gleichung: CF^ + SiOg = COa + SiF^ zerfällt.
Die zu 3,03 berechnete Dichte des reinen Gases ermittelt
Moissan experimentell zu 3,09; er findet, daß das Fluorid sich
unter gewöhnlichem Drucke bei —15®, unter 4 Atmosphären
bei -|-20® zu einer Flüssigkeit verdichten läßt, daß es beim
Erhitzen mit Natrium unter Abscheidung von Kohlenstoff and
Bildung von Natriumfluorid zerlegt und von absolutem Alkohol
besonders leicht gelöst wird. Hiermit stimmt die schon er-
wähnte interessante Beobachtung, daß das Tetrafluorid von
alkoholischer Kalilauge unter Bildung von Kaliumfluorid and
-karbonat vollständig absorbiert wird, überein.
Bald darauf berichtet Moissan"®) kurz über eine neue
Darstellungsweise des Phosphoroxyfluorids , nach der das Gas
unendlich viel leichter und einfacher als früher"^) und in
beliebig großen Quantitäten gewonnen werden kann. Man
braucht nur in einem passenden Metallapparate Phosphoroxy-
chlorid auf sorgfältig (bei 300®) entwässertes Zinkfiuorid aaf-
tropfen zu lassen, um schon bei gewöhnlicher Temperatur einen
regelmäßigen Strom des Oxyfluorids zu erhalten. Zur Konden-
sation des mitgerissenen Pbosphoroxychlorids leitet man das
Gas erst durch eine auf —20® abgekühlte Messingvorlage und
dann noch durch ein mit Zinkfiuorid gefälltes Glasrohr. Da
nun größere Mengen des Phosphoroxyfiuorids zur Verfügung
stehen, bestimmt Moissan die Dichte; er findet sie zu 8,69 in
Übereinstimmung mit dem berechneten Werte 3,63.
. Das Verbindungsgewicht des Fluors war wohl schon
- 355 —
wiederholentlich, und zwar von Berzelius^**), Louyet"^),
Fremy'**), Dumas ^^*) und de Luca"*) ermittelt, aber doch
nicht mit genügender Sicherheit bestimmt worden; die von den
einzelnen Forschern erhaltenen Zahlen schwankten i-m ganzen
zwischen 18,85 und 19,19, also in recht weiten Grenzen.
Verschiedene Erwägungen bezüglich der Dichte der von
ihm neu entdeckten gasförmigen Fluorverbindungen geben
Moissan die Veranlassung, das Atomgewicht des Fluors neu
zu bestimmen ^^''). Er bereitet sich sorgfältig ganz reines Natrium-,
Calcium-undBaryumfluorid und zersetzt diese Salze in einer Platin-
retorte mit Schwefelsäure. So findet er unter Verwendung von
Natriumfluorid Zahlen, die zwischen 19,04 und 19,08 liegen;
Baryumfluorid liefert zwischen 19,05 und 19,09 schwankende
Werte, und durch die Zersetzung des Calciumfluorids endlich
ergibt sich das Atomgewicht des Fluoi-s zu 19,02 bis 19,08.
Der Forscher zieht aus diesen drei Bestimmungsreihen den
Schluß, daß das Verbindungsgewicht des Elements sehr nahe
an 19 liegen müsse; auf 6rund der mit Natrium- undCalcium-
flnorid erhaltenen Resultate, die Moissan für genauer hält als
die mit Hilfe des Baryumsalzes gefundenen, setzt er die wich-
tige Konstante des Fluors zu 19,05 fest.
Fast zu gleicher Zeit hat Moissan, und zwar in Gemein-
schaft mit Henri Becquerel, eine andere sehr interessante
und wichtige Untersuchung zu Ende geführt**®).
Es war schon lange bekannt, daß verschiedene Sorten von
Flußspat, unter ihnen l^esonders der sogenannte Antozonit, beim
Zerschlagen einen eigenartigen Geruch entwickeln, und ver-
schiedene Hypothesen waren zur Erklärung dieser merkwürdigen
Tatsache aufgestellt worden. SchafhäutP^*) glaubte, daß der
Geruch von unterchloriger Säure herstamme, Schroetter"®)
schrieb ihn der Gegenwart von Ozon, Schoenbein"*) der-
jenigen von Antozon zu, und Wyrouboff"*) nahm an, daß
irgendein Kohlenwasserstoff die Ui-sache dieser Erscheinung sei;
nur Kenngott"*) und später Loew"*) vermuteten, daß der Ge-
ruch von einer kleinen Menge freien Fluors herrühren könnte.
Becquerel und Moissan fanden in der Sammlung des
musSum d'histoire naturelle einen Flußspat, der von Quinci6
bei Villefranche-sur-Saöne stammte und die erwähnte charak-
teristische Eigenschaft in hohem Maße besaß. Schon die ersten
23*
- 356 —
Versuche, die Moissan anstellt, beweisen ihm, dem einzigen,
der ans eigener Erfahrung das Fluor kennt, daß in dem Oase
sicher sein Element mit anwesend sein muß, und als er mit
Becquerel feststellen kann, daß gelinde erwärmtes, fein ge-
pulvertes Silicium mit dem auffallend riechenden Gase unter
Bildung von Siliciumfluorid reagiert, und daß der untersuchte
Flußspat beim Aufbewahren unter Wasser Flußsänre bildet, da
ist jeder Zweifel behoben. Die von Kenngott und von Loew
geäußerten Ansichten werden durch die Untersuchungen von
Becquerel und Moissan als richtig erwiesen.
Nachdem Moissan die bei der Revision des Atomgewichtes
vom Fluor angewandten Methoden zur Gewinnung von kristalli-
siertem Calcium- und Baryumfluorid ausführlich beschrieben
hat"*) — er bereitet die Salze aus sehr verdünnter, siedend
heißer Lösung, da sonst nur amorphe Niederschläge erhalten
werden — , berichtet er, zu einer Zeit, da er sich schon intensiv
mit Bor und dessen Verbindungen beschäftigt "•), über die
Darstellung und die Eigenschaften des Silberfluorids "'').
Durch eine Modifikation des von Gore"®) beschriebenen
Verfahrens, nämlich dadurch, daß er die Lösung des mit großer
Sorgfalt rein dargestellten Silberkarbonats in Flußsäure nicht
über freiem Feuer eindampft, sondern über Schwefelsäure
langsam verdunsten läßt, erhält Moissan zum ersten Male
reines Silberfluorid, das nun nicht schwarz, sondern hellgelb
gefärbt ist, so elastisch wie Hörn erscheint und sich ganz im
Gegensatze zu den anderen Silberhalogeniden in Wasser ohne
den geringsten Rückstand löst; das nach der Methode von Gore
zum Vergleiche dargestellte Produkt verdankt seine dunkle
Färbung einer Beimengung von Silber und von Silberoxyd.
Das reine Produkt schmilzt bei 435® und reagiert sehr
energisch und elegant mit einigen Chloriden. Für Moissan
selbst sind folgende Reaktionen besonders wertvoll: Bei der
Einwirkung von Phosphorpentachlorid entsteht neben Silber-
chloiid das früher "•) auf so umständliche Weise gewonnene
Phosphorpentafluorid; beim mäßigen Erhitzen von Silberfluorid
mit Phosphortrichlorid entweicht Phosphortrifluorid, das so nun
auch leicht in beliebigen Mengen erhalten werden kann. Analog
verläuft, wenn auch erst im geschlossenen Rohre, die Einwirkung
von Phosphoroxychlorid, indem Silberchlorid und Phosphoroxy-
- 357 —
fluorid gebildet werden; Silicinmchlorid verwandelt sich unter
dem EJinflusse von SUberfluorid in Siliciumfluorid, und Bortri-
chlorid wird unter Feuererscheinung in Bortrifluorid übergeführt.
Auch die früher^*®) schon untersuchte Einwirkung von-
rotglühendem Platinschwamm auf Phosphorpentafluorid wird
noch einmal gründlich studiert**^). Moissan findet, daß sich,
falls die Reaktion in einem selir stark erhitzten Platinrohre
vorgenommen wird, in dem kälteren Teile der Röhre eine
kristallinische, an feuchter Luft sehr leicht veränderliche Sub-
stanz abscheidet, die voraussichtlich der von Schfi tzenberger^")
entdeckten Verbindung PtClajPClj entspricht, aber in analysen-
reinem Zustande nicht erhalten werden kann.
Noch eine andere interessante Reaktion klärt der Forscher
gleichzeitig auf, indem er sich mit der Einwirkung von Phos-
phorsäureanhydrid auf Flußsäure beschäftigt^").
Bailey und Fowler^") hatten im Jahre 1888 gefunden,
daß Phosphorsäureanhydrid mit Chlorwasserstoff unter Bildung
von Phosphoroxychlorid und Metaphosphorsäure reagiert, und
Thorpe^") hatte der Anschauung Ausdruck gegeben, daß dann
wahrscheinlich auch bei der Einwirkung von Fluorwasserstoff auf
Phosphorpentoxyd nicht, wie Mall et^*®) angegeben hatte, Penta-
fluorid, sondern Phosphoroxyfluorid entstehen würde.
Moissan bestätigt die Vermutung Thor p es, denn beim
Zusammenbringen von wasserfreier Flußsäure und Phosphor-
säureanhydrid in einem Metallrohre und bei einer +19,5®
nicht übersteigenden Temperatur entweicht ein Gas, das alle
Eigenschaften des Oxyfluorids besitzt. Aus dieser interessanten
Reaktion folgt, daß man niemals Phosphorsäureanhydrid zum
Trocknen von Flußsäure verwenden kann, und andererseits
finden die Resultate von Louyet^*') ihre Erklärung; die wasser-
freie Flußsäure Louyets enthielt jedenfalls eine bedeutende
Menge von Phosphoroxyfluorid und besaß deshalb nicht die
Eigenschaft, Glas zu ätzen.
In der nun folgenden Abhandlung**^) bespricht Moissan
die Stellung des Fluors unter den Elementen. An der Hand
zahlreicher Vergleiche weist er darauf hin, daß Fluor in seinen
Eigenschaften und Verbindungen bald mit dem Chlor, bald aber
auch mit dem Sauerstoff Analogien bietet; es ist das reaktions-
fähigste Element, das wir kennen. Wie sehr hatten Ber-
— 358 -
zelius"') und Dumas"*^) recht, als sie das Fluor, ohne etwas
von seinen Eigenschaften aus unmittelbarer Beobachtung zu
zu wissen, an die Spitze der Halogene stellten!
Weiter teilt unser Forscher ^^^) Erfahrungen über die Ein-
wirkung von Fluor auf Phosphortrifluorid mit. Er füllt das
Platinrohr, welches ihm schon zur Bestimmung der Farbe des
Fluors gedient hatte"*), mit reinem Trifluorid und läßt Fluor
hinzutreten. Er beobachtet^ daß in dem Augenblicke, in dem
beide Gase aufeinandertreifen, eine gelbgefärbte Flamme, deren
Temperatur aber nicht sehr hoch zu sein scheint, auftritt, und
er findet, daß das entweichende Gas au der Luft raucht;
also bildet sich bei dieser Reaktion Pentafluorid, genau so wie
Phosphortrichlorid bei der Einwirkung von Chlor in Penta-
chlorid übergeführt wird. Vollständig gelingt aber auch hier
die Umsetzung nur, wenn Fluor im Überschusse vorhanden ist.
Wie eifrig Moissan sich inzwischen weiter mit den
speziellen Eigenschaften seines Elements beschäftigt hat, ersehen
wir aus dem Inhalte seiner nächsten Abhandlung „Nouvelles re-
cheches sur le fluor" "^), in der er alle die seit 1887 erhaltenen
Resultate, soweit sie das Fluor speziell angehen, zusammen-
faßt. Mit Hilfe des neuen Apparates"*) konnte Fluor in be-
liebig großen Mengen dargestellt und seine Einwirkung auf
zahlreiche feste, flüssige und gasförmige Körper studiert werden.
Zur Ausführung der Reaktionen dienten teils Platin- oder Fluß-
spatröhrchen, teils, wenn es sich um Gase handelte, das uns
nun schon wohlbekannte mit durchsichtigem Flußspat ver-
schlossene Platinrohr (Fig. 6), an das drei kleinere Platin-
röhren angelötet wurden; durch das erste
wurde das Fluor, durch das zweite, dem
ersten direkt gegenüber angebrachte
I J I das zu untersuchende Gas eingeleitet;
I ^ das dritte Röhrchen endlich war am
^ unteren Ende des Apparates angelötet,
pj ß um die Entnahme der Reaktionsprodukte
in bequemer Weise zu ermöglichen.
Metalloide, Metalle, Metalloid Verbindungen, Chloride, Bromide,
Jodide, Cyanide, Oxyde, Sulfide, Nitride, Phosphide, Sulfate, Ni-
träte, Phosphate, Karbonate, Borate, Kohlenwasserstoffe, Alkohole,
Äther, Aldehyde, organische Säuren, Amine und schließlich so-
— 359 ^
gar Älkaloide hat Moissan auf ihr Verhalten gegen Fluor
nntersncht. Aus der Fülle der hochinteressanten und für die
Wissenschaft so wertvollen Ergebnisse kann hier nur ganz
kurz folgendes erwähnt werden.
Mit allen Metalloiden, ausgenommen nur Sauerstoff^ Ozon
und Stickstoff, reagiert Fluor, und zwar meist in außerordent-
lich energischer Weise. Es verbindet sich mit Wasserstoff schon
in der Kälte und selbst im Dunkeln; sobald die beiden Ele«
mente zusammentreffen, entsteht eine sehr heiße Flamme und es
entweichen Ströme von Fluorwasserstoff: Das erste Beispiel
dafür, daß sich zwei gasförmige Grundstoffe ohne
Zufuhr von Energie — Licht oder Wärme — mit-
einander vereinigen können! Mit Metallen reagiert Fluor
etwas weniger heftig, weil die sich bildenden Fluoride fest sind
und der weiteren Einwirkung des Gases ein Ziel setzen.
Schwefelwasserstoff und Schwefeldioxyd, Chlor-, Brom- und
Jodwasserstoff werden unter Feuererscheinung zersetzt, Eohlen-
oxyd und Kohlendioxyd nicht angegriffen, aber Schwefelkohlen-
stoff und Cyan entzündet. Chloride, Bromide, Jodide und Cyanide
werden durch Fluor schon in der Kälte zerlegt; zahlreiche Oxyde
treten mit dem Element in Reaktion, teils schon bei gewöhnlicher
Temperatur, wie die Oxyde der Erdalkalien, teils erst bei Rotglut,
wie diejenigen von Eisen, Nickel, Zink und von Blei. Sulfate, Nitrate
und Phosphate werden meist erst bei Rotglut verändert; auf Kar-
bonate wirkt Fluor aber zum größten Teile schon in der Kälte ein.
Organische Verbindungen werden, falls sie viel Wasser-
stoff enthalten, von dem Elemente mit derartiger Heftigkeit
angegriffen, daß Entflammung eintritt; infolge dieser Temperatur-
steigerung ist die Zersetzung vollständig und endet erst mit der
Bildung von Fluorwasserstoff und von Kohlenstofffluoriden. So
kommt es, daß sich Kohlenwasserstoffe und ihre Derivate, ebenso
wie die meisten Alkohole und Äther in Fluor entzünden, während
organische Säuren, namentlich wenn sie kompliziertere Mole-
küle bilden, schwieriger zerlegt werden. Amine aber und die
meisten Älkaloide verbrennen lebhaft in dem Gase und ver-
wandeln sich in flüchtige Produkte.
f^Par Vensemble de ses caracteres physiques et chimiques,
le fluor se place nettement en tete de la famille naturelle: fluor^
chlarcy brome et jode.
- 360 -
„Teiles sollt les proprUtes de ce nouveau corps simple, de
ce radical des fluorures^ pressenti jmr Ampere et par Hutnphry
Davy, et que la Chirnie peut enfin compter au nombre de ses
elernents.
„Les reactions si- vives exercees par le fluor sur les corps
simples ou composes, la far/on violeiite avec laqtielle ce gax se
suhstitiie au chlore, au brome ou ä Viode, son hiergie de com-
binaison avec Vhydrogene, le silicium et le carbone, noiis de-
montrent surabondamment qu£ de tous les corps simples isoles
jusqu'iei le fluor est celui qui posscde les affinites les pluis
puissantes.^
Mit diesen Worten nimmt Moissan für längere Zeit von
seinem Elemente Abschied. Andere wichtige Probleme der
anorganischen Chemie sind es, die in dieser Zeit sein Interesse
und seine Arbeitskraft ganz in Anspruch nehmen; er zeigt
sich auf anderen Gebieten als bahnbrechender Forscher, aber
seinem Fluor hat er stets Anhänglichkeit bewahrt. Mögen die
neuen Fragen noch so interessant sein, mag Moissan seine
ganze Kraft der Erschließung neuer Gebiete widmen, immer
kehrt er wieder zu dem Element zurück, das zuerst unter seinen
Händen erstand!
Lord Rayleigh und William ßamsay"'*) berichteten
im Jahre 1895 über einen neuen Bestandteil der atmosphärischen
Luft, das Argon, und fanden, daß das neue Gas, das sich
nach allen physikalischen Untersuchungen als Element erwies,
auf keine Weise chemisch zu reagieren imstande war. Es wurde
weder von Sauerstoff noch von Wasserstoff unter dem Einflüsse
elektrischer Entladungen, noch von Chlor, Phosphor, Schwefel,
Tellur, Natrium, Kalium, Peroxyden, Persulflden, Nitraten, Platin-
schwamm, Platinmohr, Königswasser, Bromwasser, Kaliumper-
manganat, naszierendem Silicium oder Brom unter wechselnden
Bedingungen irgendwie angegriffen.
Als Moissan von dieser merkwürdigen Trägheit eines
chemischen Elementes hörte, äußerte er natürlich den Wunsch,
das Verhalten des Argons gegen den reaktionsfähigsten aller
Grundstoffe, gegen Fluor, untersuchen zu dürfen. Auf seine
Bitte übersendet ibm Ramsay 100 ccm des kostbaren Gases,
und Moissan findet^^^), daß selbst Fluor nicht imstande ist, mit
dem Argon zu reagieren; beide Stoffe wirken bei gewöhnlicher
— 361 —
Temperatur auch unter dem Einflüsse des Induktionsfunkens
nicht aufeinander ein.
Die Tatsache, daß Moissan in froheren Abhandlungen
öfters und nachdrücklich betonte, daß man Fluor unter gewöhn-
lichem Drucke bis auf —95^ abkühlen könne, ohne an dem
Oase irgendeine Veränderung zu bemerken, deutete darauf hin,
daß er sich lebhaft mit dem Gedanken trug, das Fluor zu ver-
flüssigen. Aus den physikalischen Eigenschaften einer großen
Menge von organischen und anorganischen Fluorverbindungen
mußte er schließen, daß die Verflüssigung von Fluor nur bei
sehr niedriger Temperatur erfolgen konnte; aber damals war
eine derartige Aufgabe nicht so einfach zu lösen wie heute. Die
Zeit, da jeder dank den Entdeckungen Karl von Lindes
über flüssige Luft gebieten kann, war noch nicht gekommen.
Voll Verlangen, diese Aufgabe gleich erfolgreich anzugreifen,
wendet Moissan sich an James Dewar, dem unsere Wissen-
schaft damals schon so viele klassische Untersuchungen auf dem
Gebiete der niedrigsten Temperaturen verdankte, und im Jahre
1897 erscheint die erste Abhandlung von Henri Moissan und
James Dewar über die Verflüssigung des Fluors^").
Das zu diesen Versuchen erforderliche Fluor wurde in
Moissans zweitem Apparate^^®) dargestellt und äußerst sorg-
fältig von Fluorwasserstoffdämpfen befreit. Zur Verflüssigung
diente zunächst ein kleiner, aus dünnem Glase angefertigter
Zylinder, an dessen oberes Ende eine Platinröhre angeschmolzen
war, die in ihrer Achse ein anderes kleineres Rohr aus
gleichem Metall enthielt. Der ganze Apparat wurde so an das
Znleitungsrohr für das Fluor angelötet, daß das Gas durch den
ringförmigen Raum zwischen den beiden Platinröhren eintreten,
durch das Glasgefäß hindurchgehen und durch das innere
Rohr entweichen mußte. Als Abkühlungsmittel wurde zunächst
flüssiger Sauerstoff angewendet, den man nach dem kurz vor-
her von Dewar^*®) beschriebenen Verfahren gewann.
Sobald der Apparat auf die Temperatur von ruhig sieden-
dem Sauei-stoff (— 183^) abgekühlt worden war, wurde das Fluor
hindurchgesandt; das Gas verflüssigte sich unter diesen Be-
dingungen zwar nicht, büßte aber seine chemische Reaktions-
fähigkeit ein, denn es griff das Glas bei der niedrigen Tem-
peratur nicht mehr an. Wenn aber durch Evakuieren der Sauer-
- 362 -
Stoff zum lebhaften Siedeu gebracht wurde, begann das Flnor
sich zu verdichten, und sobald man das Gasableitungsrohr, am
die Luft abzuhalten, dann mit dem Finger verschloß, f&Ute sich
das Glasgefäß mit einer hellgelb gefärbten, äußerst beweglichen
Flüssigkeit an, deren Farbe an diejenige von Fluor bei 1 m Dicke
erinnerte. Nach diesem ersten Versuche würde sich Fluor also
bei etwa —185** verflüssigen lassen.
Nahm man das Glasgefäß aus dem flüssigen Sauerstoff
heraus, so begann die gelbgefärbte Flüssigkeit zu sieden, ood
entwickelte große Mengen eines Gases, das alle die bekannten
energischen Reaktionen von Fluor zeigte.
Zu den weiteren Versuchen "^) wenden Moissan und Dewar
ein dem eben beschriebenen ähnlichen Verflüssigungsapparat an,
eine Glaskugel, an welche die Platinröhren angeschmolzen sind;
letztere tragen jetzt je einen Schraubenhahn, mit Hilfe dessen
man im gegebenen Augenblicke die Verbindung mit der atmo-
sphärischen Luft oder mit dem Fluor aufheben kann. Der kleine
Apparat wird in flüssige Luft getaucht, die Dewar selbst
bereitet, und nun, beim Siedepunkte der Luft unter gewöhn-
lichem Drucke, verflüssigt sich das Fluor sofort. Wieder ein-
mal hat Moissan sein Ziel im vollsten Umfange erreicht!
In Gemeinschaft mit Dewar studiert er nun auch sogleich
die Eigenschaften des flüssigen Fluors ^^^). Es wird gefunden,
daß Fluor nahe bei — 187<* siedet, sich aber bei — 210* noch
nicht zum Erstarren bringen läßt, daß die Flüssigkeit kein Ab-
sorptionsspektrum liefert, nicht magnetisch ist, das spezifische
Gewicht von etwa 1,14 und eine geringere Kapillaritätskonstante
besitzt als flüssiger Sauerstoff; besonders bemerkenswert ist,
daß der Brechungsexponent des flüssigen Fluors demjenigen des
Bernsteins (1,55) sehr naheliegt, was sich nicht erwarten ließ,
da die Atomrefraktion des Fluors in seinen Verbindungen den
kleinsten Wert von allen Elementen aufweist.
Flüssiges Fluor reagiert bei —210® mit Wasser, Queck-
silber und Jodiden nicht mehr, und auch Silicium, Bor, Kohlen-
stoff, Schwefel, Phosphor und fein verteiltes reduziertes Eisen
können, falls man sie vorher in flüssigem Sauerstoff abgekühlt
hat, bei dieser Temperatur mit Fluor zusammengebracht werden,
ohne zu erglühen. Wenn aber auch bei diesen mit Hilfe von
flüssiger Luft erreichbaren Temperaturen die chemische Affinität
- 363
des Fluors bedeutend abgenommen hat, die Reaktionsfähigkeit
des Elementes ist doch noch nicht ganz verschwunden: flüssiges
Fluor vereinigt sich noch bei — 210<* vollständig unter starker
Wärmeentwicklung und Lichterscheinung mit Wasserstoff und
wirkt auf gefrorenes und auf —210® abgekühltes Terpentinöl
noch immer unter lebhafter Feuererscheinung und Abscheidung
von Eohle explosionsartig ein.
Im Jahre 1899 macht uns Moissan^**) mit einem neuen,
außerordentlich brauchbaren Apparate zur Darstellung des Fluors
bekannt
Bisher hatte er ausschließlich mit Platinapparaten gear-
beitet und immer beobachtet, daß die Elektrolyse erst regel-
mäßig vor sich ging, nachdem das Material der Elektroden und
des Gefäßes selbst angegriffen worden war und eine gewisse
Menge von Platin sich in der Flußsäure gelöst hatte; der sehr
kostspielige Apparat wurde infolgedessen ziemlich rasch abge-
nützt und unbrauchbar. Da der Forscher sich ja nicht nur persön-
lich mit dem Studium des Fluors beschäftigte, sondern auch durch
seine Schüler zahlreiche Untei*suchungen ausführen ließ, suchte er
festzustellen, ob sich das Platin nicht vielleicht durch ein anderes
Metall ersetzen ließe. Seine Wahl fiel auf Kupfer, das von
allen Metallen, die er untersuchte, von völlig wasserfreier Fluß-
saure am wenigsten angegriffen wird.
Er ließ ein kupfernes U-Rohr von ungefähr derselben Form
wie das Platinrohr anfertigen (Fig. 7), das ein etwas größeres
Volumen besaß, 300 ccm In-
halt hatte und 200 ccm Fluß-
säure, die durch Zusatz von
50 g Ealiumfluorhydrat lei-
tend gemacht worden war,
bequem der Elektrolyse zu
unterwerfen gestattete. Ver-
schlossen wurde der Apparat
wie die früheren mit Fluß-
spatstopfen; die Elektroden
aber erhielten eine andere
Form, indem hohle, aufge-
spaltene Zylinder verwendet
wurden, die eine größere Fig. 7.
im,rrn,
*^
^ 364 -
Oberfläche und damit auch die Aussicht auf eine größere Ansbeate
boten. Als Elektrodenmaterial mußte Platin beibehalten werden;
Kupfer zu verwenden war nicht möglich, da es sofort bei Be-
ginn der Elektrolyse gelöst wird und auf der Anode eiDen
den Stromdurchgang hindernden Überzug von Kupferfluorid
bildet. Dagegen geht, wenn das Gemenge von Flußsäure und
Kaliumfluorhydrat vollständig wasserfrei ist, die Elektrolyse
mit Platinelektroden in einem kupfernen Apparate sehr gut von
statten, ohne daß das Gefäß angegriffen wird; vermutlich bildet
das Fluor, welches nach kurzer Zeit in der Flußsäure gelöst
enthalten ist, an der Oberfläche des Kupfers eine dünne Schicht
von Kupferfluorid, das, in Flußsäure unlöslich, die Metallwand
gegen eine weitere Einwirkung des Elementes schützt. Mit
diesem neuen Kupferapparat lassen sich selbst bei Versuchen, die
mehrere Stunden hindurch fortgesetzt werden, sehr gute Aus-
beuten erzielen ; ein Strom von 15 Amp. und 50 Volt liefert in
der Stunde ungefähr 5 Liter, ein Strom von 20 Amp. und 50 Volt
sogar bis zu 8 Liter Fluor.
Moissan hatte bereits im Jahre 1891 nachgewiesen"^),
daß Fluor durch Wasser bei gewöhnlicher Temperatur unter
Bildung von Fluorwasserstoff und Entwicklung von ozonisieilem
Sauerstoff zersetzt wird; er hatte auch darauf aufmerksam ge-
macht ^^*), daß das Ozon, welches bei der Einwirkung einer
Spur Wasser auf viel ,Fluor entsteht, so konzentriert ist, daß
es eine schöne blaue Farbe besitzt. Diese Versuche können
jetzt wiederholt und messend verfolgt werden, da der neue
Kupferapparat gestattet, größere Mengen von Fluor in kontinuier-
lichem Betriebe zu erzeugen.
Moissan"*) leitet ein großes Volumen Fluor durch laine kleine
mit Wasser von 0^ angefüllte Waschflasche, fängt das gebildete
Gas in einen Glasballon auf und konstatiert durch Titration, daß
der Ozongehalt des Gasgemenges ziemlich konstant 14,39 Volum-
prozente beträgt. Die Ozonmenge ist also ziemlich bedeutend,
in Wirklichkeit aber- noch viel größer, als sich aus den Analysen
ergibt, weil die Verdrängung der Luft aus dem Glasballon ziem-
lich lange Zeit erfordert, während welcher das konzentrierte
Ozon zerfällt. Von großem Einflüsse auf den Ozongehalt des ent-
wickelten Sauerstoffs ist andererseits auch die Geschwindigkeit,
mit der das Fluor durch Wasser geleitet wird. Bei Moissans
— 365 —
Versuchen betrug sie drei Liter in der Stunde. Je lebhafter
der Fluorstrom ist, um so reichlicher bildet sich Ozon, voraus-
gesetzt, daß das Wasser während der ganzen Dauer des Ver-
suches auf 0** abgekühlt bleibt. Bei verschiedenen Verauchen.
bei denen die Geschwindigkeit des Fluorstromes geringer war
als drei Liter in der Stunde, schwankte der Ozongehalt des
Sauerstoffs zwischen 10 und 12 Volumprozent, und er wurde
noch viel geringer, wenn das zur Zersetzung dienende Wasser
nicht auf 0® abgekühlt wurde.
Die schon erwähnte Beobachtung ^••), daß Fluor bei einer
Temperatur von — 187^ Glas nicht angreift, gab Moissan
Veranlassung, eine interessante, experimentell meisterhaft durch-
geführte Untersuchung über die Einwirkung von Fluorwasser-
stoff und von Fluor auf Glas anzustellen"'). Zunächst stellt
er die Angaben von Louyet"®) und von Gore"'), daß wasser-
freie Flußsäure Glas nicht angreife, richtig, und dann beweist
er durch zahlreiche Versuche, daß Fluorwasserstoit unter allen
Umständen, auch wenn er noch so sorgfältig von den letzten
Spuren Wasser befreit ist, auf das Glas einwirkt. Dieser
Punkt mußte nun bei den gleichen mit Fluor selbst angestellten
Versuchen gebührend berücksichtigt werden, denn es konnte
wohl möglich sein, daß das Gas, welches beiMoissans früheren
Untersuchungen stets auf Glas einwirkte, trotz aUer Vor-
sichtsmaßregeln noch Spuren von Fluorwasserstoff enthalten
hatte. Schon die ersten neuen Versuche beweisen, daß dies wirk-
lich der Fall gewesen war. Mit großer Sorgfalt wird das im
neuen Kupferapparate entwickelte Fluor, nachdem es dem be-
kannten Reinigungsprozesse "®) unterworfen worden war, auf
eine Temperatui* abgekühlt, die weit niedriger ist als der Er-
starrungspunkt von Fluorwasserstoff, und der Verflüssigungstem-
peratur des Fluors sehr nahe liegt. Moissan leitet nämlich
das Fluor in ein absolut trockenes Glaskngelrohr, das von
flüssiger Luft umspült wird. Die mit Fluor gefüllten Glas-
kugeln werden an den Einschnürungen mit Hilfe einer Gebläse-
flamme abgeschmolzen und aufbewahrt: nach zwei Wochen hat
das Glas dieser Kugeln noch denselben Glanz wie vorher.
Völlig, reines Fluor ist also ohne Wirkung auf Glas!
Bricht man die Spitze einer dieser Glaskugeln unter Queck*
Silber ab, so steigt ein wenig von dem flüssigen Metall in die
- 366 -
Kapillare anf; an der Oberfläche des Quecksilbers bildet sich
eine kleine Schicht von Fluorid, das dann die weitere Ein-
wirkung aufhält. So kann reines Fluor beliebig lange über
Quecksilber in Glasapparaten aufbewahrt werden, vorausgesetzt,
daß das Häutchen des Metallfluorids nicht zerstört wird ; schüttelt
man aber die Glaskugel, so wird das reine Fluor von dem
Metall nach und nach vollständig absorbiert, die Engel füllt
sich mit Quecksilber, das Glas aber bleibt unversehrt. Haftet
dagegen auch nur die geringste Spur von Feuchtigkeit oder
von organischer Substanz an dem Glase, so wirkt Fluor sofort
bei gewöhnlicher Temperatur darauf ein, denn dann bildet sich
Fluorwassei*stofi, der das Glas mehr oder weniger rasch an*
greift. Allzu lange Zeit kann aber auch reines Fluor nicht
in absolut trockenen Glasgefäßen aufbewahrt werden, ohne daß
es sich verändert; nach zwei Monaten ungefähr findet man in
dem Gase neben etwas Sauerstoff auch Spuren von Silicinm*
fluorid. Der Sauerstoff der Doppelsilikate wird also allmählich
durch Fluor verdrängt.
Auf Grund dieser Versuche kann Moissan nun mit
reinem Fluor auf der Quecksilberwanne in Glasapparaten ar-
beiten; er kann die Verbrennung von Schwefel, Jod, Brom,
Silicium und Kohlenstoff in Fluor auf andere Weise, als es
bisher möglich gewesen war, bewerkstelligen. Die bei diesen
Reaktionen entstehenden gasförmigen Produkte werden so der
Untersuchung leichter zugänglich. Wir werden bald sehen,
welch schöne, neue Ergebnisse diese unerwartete Eigenschaft
des Fluors unter Moissans Händen zeitigen sollte.
Kurz nach dieser interessanten Mitteilung veröffentlicht
er zu Beginn des Jahres 1900 wichtige Versuche über die
Zusammensetzung von Fluorwasserstoff^'^).
Bekanntlich hatte Gore*'^) ermittelt, daß dieser Verbindung
bei 100® die Molekularformel HF zukomme. Dann hatte J. W.
Mallet "*) die Dampfdichte der wasserfreien Säure bei niedrigeren
Temperaturen bestimmt und aus seinen Vei*suchen den Schloß
gezogen, daß das Molekül Fluorwasserstoff bei 30® der Formel
H2F2 entspräche. Einige Jahre später wiederholten T. E. Thorpe
und F. J. Hambly*''^) diese Bestimmungen und konstatierten,
daß die Dampfdichte mit steigender Temperatur abnimmt;
während sie bei 32® noch 19,87, entsprechend der Molekular-
— 367 —
formel H^Fj, beträgt, erreicht sie bei 88,1® nur mehr den
Wert 10,29.
Zur Feststellung der Volumenzusammensetzung des Fluor-
wasserstoffs eignet sich die Synthese der Verbindung nicht, da
die Vereinigung von Wasserstoff und Fluor allzu heftig erfolgt;
es muß also ein indirekter Weg eingeschlagen werden. Moissan
verfährt folgendermaßen. In dem Eupferapparate stellt er
Fluor dar, fängt das an jedem Pole entweichende 6as in gra-
duierten Zylindern fiber Wasser auf, zerstört das bei der Ein-
wirkung von Fluor auf Wasser gebildete Ozon durch Erhitzen
der Glasröhre, und vergleicht nun das Volumen des Sauerstoffs
mit dem des gleichzeitig an der Kathode entwickelten Wasser-
stoffs. — Für eine zweite Versuchsreihe wird der Apparat ver-
feinert. Der Wasserstoff wird wieder direkt aufgefangen, das
entweichende Fluor aber durch eine kleine, innen paraffinierte
und mit Wasser gefüllte Waschflasche geleitet, in der es zer-
setzt wird; das entstehende Gas passiert ein zur Zerstörung
des Ozons auf 500® erhitztes Glasrohr und wird in einem gra-
duierten Zylinder fiber Wasser aufgefangen. Vor dem Vereuche
werden die Waschflasche und das Glasrohr mit Stickstoff ge-
fallt; im geeigneten Augenblicke wird der elektrische Strom
unterbrochen und das gesamte, während des Experiments ent-
wickelte Fluor mit Hilfe eines neuen Stickstofistroms in die
Waschflasche und in die sich an diese anschließenden Apparate
gedrängt. So findet sich in der graduierten Röhre nach Be-
endigung des Versuches ein Gemenge von Stickstoff und Sauer-
stoff vor; das Volumen des letzteren wird durch Absoi-ption
mit alkalischer PyrogalloUösung bestimmt und kann nunmehr
wiederum mit dem des zu gleicher Zeit entwickelten Wasser-
stoffs verglichen werden. — Schließlich wird ein Glasrohr, in
dem ein bekanntes Volumen Fluor über Quecksilber abgesperrt
ist, vorsichtig in ein Gefäß mit Wasser gestellt; das Queck-
silber fällt zu Boden, und das eindringende Wasser wird durch
das Fluor zersetzt. Das Volumen des entstehenden ozonisierten
Sauerstoffs wird gemessen ; dann wird das Ozon titriert und die
im Wasser gelöste Flußsäure mit größter Genauigkeit bestimmt.
Aus allen diesen Versuchen ergibt sich, daß Fluorwasser-
stoff ans gleichen Volumina Fluor und Wasserstoff besteht, und
eine einfache Rechnung beweist, daß sich ein Volumen Fluor
— 368 —
mit einem Volumen Wasserstoff zu einem doppelt so großen
Volumen gasförmigen Fluorwasserstoffs vereinigt. In dieser
Beziehung entspricht Fluor also vollständig den übrigen Ha-
logenen.
Im Jahre 1900 veröffentlicht Moissan noch weitere inter-
essante Untersuchungen über Flnorverbindungen; der neue
Kupferapparat, der Fluor in großen Mengen lieferte, und die
schöne Entdeckung, daß man mit reinem Fluor in Glasgefäßen
arbeiten kann, boten dazu die Veranlassung.
Bei der Einwirkung von Fluor auf Mangan und auf Mangano-
chlorid beobachtet Moissan^''*) die Bildung eines Fluorides,
das er aus Fluor und Manganojodid, die lebhaft miteinander
reagieren, rein darstellen kann.
Das neue Produkt bildet weinrotgefärbte Kristalle von
der Form des Manganojodids, besitzt die Zusammensetzung
MnFs ^'^^) und erweist sich in allen seinen Eigenschaften als ein
Perfluorid. Es zerfällt beim Erhitzen für sich oder im Stick-
stoffstrome in Manganofluorid und freies Fluor, entwickelt mit
Wasserstoff bei Rotglut Fluorwasserstoff, und wird durch Schwefel,
Phosphor, Arsen, Silicium, Bor und Kohlenstoff beim Erhitzen
unter Bildung der entsprechenden gasförmigen oder flüssigen
Fluoride zerlegt. Mit wenig Wasser reagiert das Perfluorid
in komplizierter Weise, indem sich sofort ein dunkelrotgefärbter
Niederschlag abscheidet und eine rotgefärbte Flüssigkeit ge-
bildet wird, deren Farbe bald in Rosa umschlägt; bei dieser
Zersetzung bilden sich ein niederes Manganfluorid, ein Mangan-
oxydhydrat und Flußsäure, die nun ihrerseits je nach dem
Volumen der Flüssigkeit mehr oder wehiger weitgehend auf
das Hydroxyd einzuwirken vermag.
Das Manganofluorid, dessen Bildung bei diesen Versuchen
mehrfach beobachtet wurde, war wohl schon vor langen
Jahren von Berzelius"') und von Brunner"®) aus Mangano-
karbonat und Flußsäure sowie von Röder^''*) durch Zusammen-
schmelzen von Manganochlorid mit Natriumfluorid und -chlorid
dargestellt, aber auf seine Eigenschaften hin noch nicht untersucht
worden. Moissan unterzieht sich dieser Aufgabe gemeinschaftlich
mit Venturi^®*^). Äußer nach der Methode von Berzelius
wird das Fluorid durch Einwirkung von gasförmigem oder
wässrigem Fluorwasserstoff auf Mangan und durch Erhitzen
- 369 -
von Manganfluorsilicat im Flaorwasserstoffstrome auf 1000^ dar-
gestellt; besonders schöne Kristalle werden dadurch erhalten,
daß eine Schmelze von Manganofluorid und -chlorid langsam
abgekühlt und mit Wasser und verdfinnter Essigsäure gewaschen
wird.
Manganofluorid, MnF^, stellt prächtig rosagefärbte Prismen
dar und erweist sich chemisch als sehr reaktionsfähig; es wird
durch Wasserstoff bei 500^ langsam, bei 1000^ ziemlich schnell
zu Metall reduziert, vereinigt sich mit Fluor zu dem Perfluorid
MnFj, wird durch Sauerstoff bei 1000® vollständig inMangano-
manganioxyd verwandelt und bildet mit flüssigem Ammoniak
die kristallinische Verbindung 3 MnF2,2 NH3, die sich schon bei
gewöhnlicher Temperatur unter Abspaltung von Ammoniak wieder
zersetzt. Es wird durch Metalle und viele Metalloide beim
Erhitzen reduziert, durch Wasser bei längerem Kochen in ein
Oxyfluorid und Flußsäure gespalten, durch Wasserdampf bei
1200® bis 1300® in Manganooxyd und durch Schwefelwassei-stoff
bei derselben Temperatur in kristaHiniscbes, grüngefärbtes
Manganosulfid umgewandelt
Mit Paul Lebeau, der seit 1890 als priparateur in
seinem Laboratorium wirkte und sich unter des Meisters Lei-
tung zu einem hervorragenden Forscher entwickelt hatte, stellt
Moissan^^^) im gleichen Jahre noch die bisher vollkommen
unbekannten Fluorverbindungen des Schwefels dar.
Bei der unter Feuererscheinung vor sich gehenden Ein-
wirkung von reinem Fluor auf Schwefel entstehen zwei gas-
förmige Verbindungen, von denen die eine von wässriger Kali-
lauge absorbiert, die andere nicht angegrifien wird und so beständig
ist, daß sie nur durch siedendes Natrium zu zersetzen ist. Es
zeigt sich, daß dieses letztere Gas, das so unerwartete Eigen-
schaften besitzt, in guter Ausbeute erhalten wird, wenn man einen
Überschuß von Fluor anwendet und die geringe Menge des
nebenbei sich immer bildenden, leichter zersetzlichen Fluorids
durch Kalilauge entfernt.
Als Schwefelperfluorid, SF,"*), erweist sich das farblose
Gas, das geruch- und geschmacklos ist, nicht brennt und bei
— 55® zu einer weißen kristallinischen Masse erstarrt, die
wenig oberhalb ihres Schmelzpunktes zu sieden beginnt. Es
ist eine sehr merkwürdige Verbindung; ein Perfluorid, das sich
8itsnngri>6richte der phyf.-med. Sos. 39 (1907). 24
— 370 -
in seinen Eigenschaften so träge wie Stickstoff verhält und nicht
die geringste Ähnlichkeit mit den Chloriden des Schwefels besitzt
Konzentrierte wässrige oder alkoholische Kalilauge, schmelzen-
des Kaliumhydroxyd und Bleichromat, rot.glflhendes Kupferoxjd
wirken nicht ein. Wasserstoff, die Halogene, Phosphor, Arsen,
Bor, Silicium, Kohlenstoff, Kupfer, Silber, Chlorwasserstoff,
Ammoniak sind bei den höchsten erreichbaren Temperaturen
nicht imstande, das Gas zu verändern. Es kann bis zur Tem-
peratur des erweichenden Glases erhitzt werden, ohne zu zer-
faUen oder das Glas anzugreifen. Durch starke Induktions-
funken wird es nur teilweise zersetzt. Läßt man den Funken
durch ein Gemisch von Wasserstoff und Schwefelperfluorid
schlagen, so scheidet sich auf dem Quecksilber und auf den Ge-
fäßwandungen ein hellgefärbtes Produkt ab; bei dieser Seak-
tion bilden sich Schwefel- und Fluorwasserstoff, die sich dann
unter Mitwirkung des Glases zu Schwefel, Kieselsäure and
Kieselfluorwasserstoff zersetzen. Schwefel- und Selendampf
fuhren eine Verminderung des Gasvolumens herbei; Calcium
und Magnesium reagieren bei Rotglut langsam, und allein darch
siedendes Natrium wird das Gas unter lebhaftem Erglfihen mit
großer Geschwindigkeit absorbiert.
Wenn Fluor und Schwefel in Glasgefäßen aufeinander
wirken, wird die Reaktion komplizierter; neben dem Perfluorid
entstehen dann auch Schwefeloxyfluoride, die Moissan und
Lebeau auf anderen Wegen rein darstellen können.
Thionylfluorid, SOFg^«^), dessen Existenz Meslans*") vor-
ausgesagt hatte, bildet sich im unreinen Zustande bei der Ein-
wirkung von Fluor auf Thionylchlorid und wird dadurch gewonnen,
daß man Arsentrifluorid und Thionylchlorid in geschlossenen
Glasröhren eine halbe Stunde auf 100® erhitzt, die Röhren nach
dem Erkalten auf —80® abkühlt und das sich bei — 35® ver-
flüchtigende Fluorid über Quecksilber auffängt Das reine Gas
ist farblos, raucht schwach an der Luft und besitzt einen un-
angenehmen, erstickenden Geruch wie Phosgen; es zersetzt sieb,
wenn es vollständig trocken ist, beim Erhitzen in Glasgefaßen erst
gegen 400® langsam in Siliciumfluorid und Schwefeldioxyd und wird
durch den Induktionsfunken unvollständig zerlegt, indem etwas
Fluor in Freiheit gesetzt wird, das sofort mit dem Glase unter Bil-
dung von Siliciumfluorid reagiert, während gleichzeitig Schwefel-
- 371 -
dioxyd entsteht. Wasserstoff wirkt nur auf Thlonylfluorid, wenn
beide Gase im geschlossenen Rohre erhitzt oder der Einwirkung
des Induktionsfnnkens ausgesetzt werden; bei dieser Reaktion
scheidet sich zuerst Schwefel ab^ dann bilden sich kleine Tropfen
einer ungefärbten, sehr sauren Flüssigkeit, und der Gasrest be-
steht aus Siliciumfluorid und Schwefelwasserstoff. Natrium zer-
setzt das Gas in der Nähe seines Schmelzpunktes und absorbiert
es dabei vollständig; ebenso verhält sich Zinn. Wasser zerlegt
die Verbindung bei gewöhnlicher Temperatur nur langsam in
schweflige Säure und Flußsäure. ' Mit Ausnahme der typischen
Formel hat Thionylfluorid also mit Thionylchlorid nichts gemein.
Das Sulfurylfluorid, SO2F2, endlich läßt sich, wie Moissan
und L eb e au ^") zeigen, auf verschiedene Weise gewinnen. Man
kann Schwefeldioxyd und Fluor dadurch miteinander vereinigen,
daß man die beiden Gase bei Gegenwart einer glühenden Platin-
spirale zusammentreten läßt. Man kann Fluor auf feuchten
Schwefelwasserstoff einwirken lassen, in dem es mit blau-
gefärbter, sehr heißer Flamme verbrennt; so bildet sich ein
Gemenge von Schwefelwasserstoff, Siliciumfluorid, Schwefelper-
fluorid, Thionyl- und Sulfurylfluorid, aus dem letzteres durch
Behandlung mit Wasser und Eupfersulfatlösung und durch
darauffolgende Verflüssigung isoliert wird. Man kann schließ-
lich ein ebenso zusammengesetztes Gasgemenge erhalten, wenn
man Fluor in einem Glasapparate auf trockenen Schwefelwasser-
stoff wirken läßt, denn der notwendige Sauerstoff wird von dem
bei der Einwirkung von Fluorwasserstoff auf Glas entstehendem
Wasser geliefert.
Reines Sulfurylfluorid stellt ein farbloses und geruchloses
Gas dar, das sich schon bei — 52^ verflüssigen, aber erst
mit flüssigem Sauerstoff zum Erstarren bringen läßt und dann
bei — 120 * schmilzt. Es wird durch WstSser selbst im ge-
schlossenen Rohre bei -{-IbO^ nicht angegriffen, langsam von
wässriger, rascher von alkoholischer Kalilauge unter Zersetzung
absorbiert und erweist sich in allen anderen Reaktionen als
äußerst beständige Verbindung. Es gleicht in seinem Verhalten
dem Schwefelperfluorid, zeigt aber mit Sulfurylchlorid keinerlei
Ähnlichkeit.
Jodpentafluorid, das von Oore"®) und später von Mac
Ivor^") beim Erhitzen von Silberfluorid mit Jod erhalten, aber
24*
— 372 —
keineswegs rein dargestellt worden war, hat Moissan^^^ im
Jahre 1902 eingehend studiert.
Wenn Fluor in ein Glasgefäß zu Jod geleitet wird, entsteht
eine wenig leuchtende Flamme, und die Bildung der neuen Ver-
bindung geht unter starker Wärmeentwicklung vor sich.
Jodpentafluorid, JF5, erweist sich als farblose Flüssigkeit,
die an der Luft stark raucht und auf die Atmungsorgane einen
heftigen Reiz ausübt; es erstarrt bei -f-S^ zu einer kampher-
ähnlichen Masse, siedet bei -f-^'^^ ^^^^ Zersetzung und
wird erst bei etwa 500® unter Abscheidung von Jod zerlegt.
Chemisch außerordentlich reaktionsfähig, wird das Pentaflnorid
durch Chlor gelb gefärbt, durch Brom in Jodbromid und
Bromfluorid, durch Schwefel unter geringer Jodabscheidnng in
Schwefelperfluorid und Schwefeljodid, durch roten Phosphor
unter Feuererscheinung, Abscheidung von Jod und Bildung von
Phosphorpentafluorid zerlegt, und durch Metalle, mit Ausnahme
von Magnesium, Eisen und Silber, leicht angegriffen. Alle Sili-
ciumverbindungen reagieren heftig und meist unter Feuer-
erscheinung mit dieser Verbindung; selbst sehr trockenes Olas
wird bei gewöhnlicher Temperatur nach und nach angegriffen.
Die durch Wasser bewirkte Zei*setzung vollzieht sich dagegen
ruhig, und lediglich unter geringer Temperaturerhöhung bilden
sich als Beaktionsprodukte Jodsäure und Flußsäure.
Im Jahre 1898 war James De war"*) wieder ein glänzen-
des Experiment gelungen. Er hatte Wasserstoff in größeren
Mengen verflüssigen können und gefunden, daß der Siedepunkt
der farblosen Flüssigkeit bei — 252,5® liegt. Man war also
dem absoluten Nullpunkt sehr nahe gekommen. Luft wurde in
flüssigem Wasserstoff sofort fest, — sollte es mit dem Fluor
nicht ebenso bestellt sein?
Noch einmal vereinigen sich Moissan und Dewar zu ge-
meinsamer Arbeit"®). Absolut reines und trockenes Fluor wird
in eine Glasröhre eingeschlossen und mit flüssigem Wasserstoff
gekühlt; fast sofort verwandelt sich das Qas in eine Flüssig-
keit und schon nach wenigen Augenblicken in eine gelbgefärbte,
feste Masse, die nach einiger Zeit bei der tiefen Temperatur eine
weiße Farbe annimmt. Zahlreiche weitere Versuche zeigen, daß
Fluor bei —210® noch flüssig bleibt, und daß der Schmelz-
punkt des festen Fluors sehr nahe bei — 223® liegt.
— 373 —
Nun ist noch eine Frage za entscheiden: Ist festes
Fluor imstande, chemisch zu reagieren? Als Moissan und
De war festes Fluor bei —252,5-^ mit flüssigem Wasserstoff
zusammenbringen, da erfolgt eine heftige Explosion, die von
einer derartigen Wärmeentwicklung begleitet ist, daß die ganze
Masse erglfiht und der Wasserstoff sich entzündet; von dem
Glasrobr, in dem die Beaktion vor sich ging, und von dem
doppelwandigen Gefäß, in dem sich der zur Kühlung verwandte
flüssige Wasserstoff befand, blieb nichts übrig als ein Pulver.
So reagiert Fluor bei —252,5^ d. h. 20,5® über dem ab-
solnten Nullpunkt, bei dem kein Stoff mehr chemische
Affinität äußern soll!
Im Anschluß an diese Entdeckung nehmen Moissan und
Dewar^**) noch einmal das Studium der Reaktionen des
flüssigen Fluors bei — 187«^ auf.
Jod, Sauerstoff, Tellur, Stickstoff, Antimon, die verschie-
denen Modifikationen von Kohlenstoff, kristallisiertes Silicium,
amorphes Bor, Kaliumferrocyanid, Arsentrioxyd, Kieselsäure,
Borsäureanhydrid, Calciumcarbid, Jodoform, Zucker, Mannit,
Morphin, sie alle reagieren mit flüssigem Fluor nicht; aber
Schwefel bildet unter Feuererscheinung Schwefelperfluorid, Selen
wirkt unter heftiger Explosion ein, roter Phosphor und Arsen
reagieren unter Entzündung und Bildung der Fluoride, Natrium
überzieht sich bald mit einer dünnen Schicht von Natriumfluorid,
Kalium wirkt anfangs nicht, nach einigen Sekunden aber unter
lebhafter Explosion ein, Calciumoxyd gerät ins Glühen, und
kristallisiertes Anthracen bewirkt eine heftige Reaktion, die
mit Explosion und Abscheidung von Kohle endet. Auch festes
Methan reagiert, wie Moissan und Chavanne"^) im Jahre
1905 noch zeigen, mit flüssigem Fluor bei — 187® unter heftiger
Explosion.
jfNotis vayatis donc, qu\i de tres basses temperaturesy Vafft-
ivitö 86 maintient lorsque Von s'adresse ä des reactions aussi
^ergiques qtce Celles fournies par le fluar ati contact des corps
sifnples ou compos^^.^
Wie bereits erwähnt wurde ^®*), hatte Moissan im Jahre
1889 für die Dichte von Fluor im Mittel den Wert 1:26 ge-
fanden, während sich aus der Dichte des Wasserstoffs und dem
Atomgewicht des Fluors die Zahl 1,316 bezw. 1,314 berechnet.
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Aas dieser Tatsache und aus eigenen anderen Versuchen hatte
Bohuslav Brauner"*) gefolgert, daß das bei der Elektrolyse
entstehende Fluor neben den Molekülen F2 eine gewisse Anzahl
freier Fluoratome F enthalte. Im Jahre 1904 wiederholt
Moissan"*) mit dem reinsten Fluor, das ihm zur Verfügung
steht, seine früheren Bestimmungen mit Hilfe eines neuen
Apparates und erhält im Mittel von vier, mit größter Sorgfalt
ausgeführten Versuchen die Zahl 1,31. Die Gegenwart freier
Atome im gasförmigen Fluor ist demnach ausgeschlossen.
Dann stellt er"*) im Jahre 1904 noch einmal die Ver-
bindungen, mit denen er seine Studien über das Fluor be-
gonnen hatte, die Fluoride von Phosphor, Bor und Silicium, im
reinsten Zustande dar und ermittelt ihre wichtigsten physika-
lischen Eigenschaften.
Über zwanzig Jahre sind verflossen, seit der Forscher
diese Fluoride zum ersten Male untersucht hatte. Wieviel wert-
volle neue Hilfsmittel sind in diesen zwanzig Jahren für die
Experimentalchemie geschaffen worden, und Moissan, der selbst
den größten Anteil an der Vervollkommnung dieser Hilfsmittel
hatte, verwendet sie alle in eigenartiger, genialer Weise.
Eine von ihm kurz vorher entdeckte neue Methode"') zur
Reindarstellung von Oasen gestattet, die gasförmigen Fluoride
absolut rein und trocken Zugewinnen; verflüssigte Gase stehen
in beliebiger Menge zur Verfügung, und alle Temperaturen werden
auf thermoelektrischem Wege gemessen; die Zeiten, da MoissaD
sich auf mehr oder weniger zuverlässig gearbeitete Thermometer
verlassen mußte, sind vorbei.
So findet er, daß Phosphortrifluorid, aus Bleifluorid und
Kupferphosphid bereitet, bei — 160^ schmilzt und bei —95'
siedet, daß Phosphorpentafluorid, gewonnen aus Arsentriflaorid
und Phosphorpentachlorid, beim Abkühlen zu einer weißen,
flockigen Masse erstarrt, die bei —83® in eine farblose, Glas
nicht angreifende und bei —75® siedende Flüssigkeit ver-
wandelt wird, und daß Phosphoroxyfluorid, das er wieder aus
wasserfreiem Zinkfluorid und Phosphoroxychlorid darstellt, bei
tiefen Temperaturen eine weiße, kristallinisch aussehende Masse
bildet, die bei —68® in eine farblose, Glas ebenfalls nicht
angreifende und bei — 40 ® siedende Flüssigkeit übergeht.
Bortrifluorid, durch Erhitzen von Borsäureanhydrid und CalciDffl-
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fluorid mit konzentrierter Schwefelsäure oder direkt durch
Einwirkung von Fluor auf reines^ amorphes Bor erhalten,
schmilzt bei — 127 • und siedet bei — 101 ^ Siliciumtetrafluorid
endlich, das durch Erhitzen eines Gemisches von Sand und
Galciumduorid mit konzentrierter Schwefelsäure oder ebenfalls
durch Einwirkung von Fluor auf kristallisiertes Silicium dar-
gestellt worden ist, erstarrt unter normalem Drucke bei — 97®
und verflachtigt sich, ohne in den flttssigen Zustand übei-zugehen.
Unter einem Drucke